Darmstadt und Giessen 1833–1835
August/September
Die Atmosphäre in der Residenzstadt Darmstadt, in die Büchner Anfang August zurückkehrt, hat sich seit seinem letzten Aufenthalt im Sommer 1832 noch einmal zum Schlechten verändert. Etliche Schulkameraden Büchners waren näher oder ferner in den Frankfurter Wachensturm vom 3. April 1833 verwickelt und sind dadurch ins Visier der Behörden geraten. Zwei von ihnen - Adolf Heumann und Hermann Dittmar - sind deswegen bereits nach Straßburg geflohen, Dittmar nach kurzer Inhaftierung Ende Mai. In Untersuchungshaft sitzen seit dem 22. Mai Georg Gladbach und Christian Kriegk. Weiterhin verhaftet werden im Laufe des Herbstes die Schulkameraden Hermann Wiener, August Gros und Carl Stamm . Dies trägt sicher dazu bei, dass Büchner sich in der Residenzstadt Darmstadt wiederum nicht wohl fühlt. In einem Brief an den Straßburger Verwandten Edouard Reuss vom 31. August 31. August 1833. An Edouard Reuss in Straßburg erinnert er sich an die „frohe[n] Tage“ in Straßburg und beklagt die „furchtbar, kolossal, langweiligen Umgebungen“, innerhalb derer er sich hier aufhalten müsse. „Es ist etwas großartiges in dieser Wüstenei, die Wüste Sahara in allen Köpfen und Herzen.“ Auch von Gießen, so schreibt er weiter "verspreche" er sich "wenig": "meine Freunde sind flüchtig oder im Gefängniß." Jedoch werden jetzt im August erstmals Büchners Verbindungen zu politischen Oppositionellen aktenkundig.
August*
HL Dok 1.2.1. Verhörprotokoll Clemm
Büchner gibt eine eidesstattliche Falschaussage ab, um den wegen Teilnahme an den Planungen zum Wachensturm am 22. Mai 1833 HL Dok 7.5. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung zusammen mit Georg Gladbach und Jacob Friedrich Schütz verhafteten Studenten Christian Kriegk zu entlasten.
Ähnliche Aussagen machen am 10. August 1833 HL Dok 7.6. Protokolle der Deutschen Bundesversammlung vor dem Darmstädter Stadtgericht die Darmstädter Handwerker Christian Kahlert , Johann Georg Müller und Wilhelm Wetzel. Sie erreichen damit Kriegks Freilassung am 5. September 1833. Die „Gesellschaft der Menschenrechte“ in Darmstadt
Kahlert, Müller und Wetzel sind später Mitglieder der Darmstädter „Gesellschaft der Menschenrechte“. LZ 1660 Alexis Muston 1833
Nach 20. September
Der Theologiestudent Alexis Muston (1810–1888),
den Büchner in Straßburg kennengelernt hat, hält sich vom 20. September bis 8. Oktober in Darmstadt auf, um für seine kirchengeschichtliche Doktorarbeit über Ursprung und Geschichte der Waldenser Archivalien in Darmstadt einzusehen. Büchner und Muston besuchen die Museen in Darmstadt und unternehmen eine Wanderung durch den Odenwald, während derer die Gespräche unter anderem um „den Saint-Simonismus, religiöse und soziale Erneuerung, universelle Republik, vereinigte Staaten von Europa und andere Utopien“ kreisen („[…] causé St Simonisme, rénovation sociale et religieuse, république universelle, états-unis de l’Europe, et autres utopies, dont quelques unes peut-être deviendront des réalités.“) Muston fertigt auf der Wanderung einige kleine Porträtskizzen von Büchner an.LZ 1720 Küntzel an Stöber
Ende Oktober
Büchner verlässt Darmstadt am oder vor dem 24. Oktober Gießen zur Zeit Georg Büchnersund zieht an seinen neuen Studienort Gießen.
LZ 1770 Universität Gießen: Verzeichniß der StudirendenEr mietet sich bei dem Kaufmann Karl Hofmann ein.
Zunächst hat er vor allem Kontakt mit den ehemaligen Klassenkameraden Georg Zimmermann und Friedrich Zimmermann und Ludwig Wilhelm Luck . Durch Hermann Trapp macht er die Bekanntschaft des Theologiekandidaten August Becker, der bald sein engster Vertrauter wird.
LZ 1839 Statuten der Lesegesellschaft in GiessenIn Gießen besteht eine "Lesegesellschaft", die im Januar 1832 unter anderem von den politischen Oppositionellen Paul Follenius, Christian Bansa und Philipp Friedrich Wilhelm Vogt gegründet wurde, neben Studenten vor allem auch Handwerker ansprach und über 150 Mitglieder zählte. LZ 1840 Verhörprotokoll Wilhelm Briel zur LesegesellschaftDie Lesegesellschaft wurde am 31. Dezember 1834 offiziell verboten. Polizeilichen Ermittlungen zufolge war neben dem am Landboten-Projekt beteiligten Rechtsanwalt Friedrich Wilhelm Briel auch Büchner Mitglied der "Lesegesellschaft".
31. Oktober
LZ 1780 Universität Gießen. Eintrag für ImmatrikulationImmatrikulation an der Medizinischen Fakultät der Großherzoglich-Hessischen Landes-Universität Gießen.
LZ 1780 Universität Gießen. Vorlesungsverzeichnis Winter 1833/34Welche Kurse Büchner im Wintersemester belegte, ist unklar. Möglicherweise besuchte er eine oder mehrere der Lehrveranstaltungen, die Professor Wernekinck anbot. Studien in Gießen und Darmstadt 1833–1835
31. Oktober
Zwei auch den Eltern bekannte Studenten, der Jurastudent August Gros, der im Sommer 1834 Teil des Landboten-Kreises sein wird, und der Büchner aus seiner Schulzeit bekannte Medizinstudent Karl Stamm, werden in Gießen verhaftet. Sie werden verdächtigt, Mitwisser oder Mittäter des Frankfurter Wachensturms vom 3. April 1833 zu sein. Wegen desselben Verdachts waren bereits mindestens acht weitere Mitschüler Büchners inhaftiert worden.
1. November
Büchner berichtet den Eltern brieflich von den oben genannten Verhaftungen. 1. November 1833. An die Eltern in Darmstadt
13. November
In Antwort auf das Hambacher Fest erließ der Bundestag in Frankfurt am 28. Juni 1832 Bestimmungen, mit denen die bürgerlichen Freiheiten und die Mitwirkungsrechte der Landtage stark eingeschränkt wurden. Der Anfang Dezember 1832 einberufene Landtag in Hessen-Darmstadt beurteilte diese Bestimmungen als verfassungswidrig und verweigerte die Verabschiedung eines Haushalts. Daraufhin löste der Großherzog am 2. November auf Empfehlung des Ministerpräsidenten Karl du Thil den Landtag auf. In einigen Wahlkreisen wurden daraufhin Bankette zu Ehren der oppositionellen Abgeordneten veranstaltet. Büchner nimmt an einem solchen Bankett teil und berichtet am nächsten Tag den Eltern ironisch vom Aufflammen oppositioneller Gesinnung unter dem Einfluss alkoholischer Getränke. 14. November 1833. An die Eltern in Darmstadt [Datierungshinweis von Reinhard Pabst]
Ende November/Anfang Dezember
Nach „eine[m] Anfall von Hirnhautentzündung“ kehrt Büchner vorübergehend nach Darmstadt zurück, um sich, wie er am 9. Dezember schreibt, „daselbst völlig zu erholen“. 9. Dezember 1833. An August Stöber in Oberbronn Philosophische Schriften und Äußerungen
9. Dezember
Während seiner Rekonvaleszenz in Darmstadt „wirft“ sich Büchner, wie er in einem Brief an August Stoeber schreibt, „mit aller Gewalt in die Philosophie“. 7.5. Burghard Dedner: Vater-Sohn-Konflikt IIMöglicherweise lässt Büchner schon zu diesem Zeitpunkt das von Ernst Büchner gewünschte Studienfach Medizin fallen und beginnt das Doppelstudium Naturwissenschaft und Philosophie, das er spätestens seit dem Sommersemester 1834 nachweislich betreibt.
In einer Randbemerkung schreibt er: „Die politischen Verhältnisse könnten mich rasend machen. Das arme Volk schleppt geduldig den Karren, worauf die Fürsten und Liberalen ihre Affenkomödie spielen. Ich bete jeden Abend zum Hanf und zu d. Latern.“ 9. Dezember 1833. An August Stöber in Oberbronn
Dezember*
Vermutlich im Dezember 1833 fertigt der spätere Frankfurter Theatermaler August Hoffmann die Zeichnung "Junger Mann mit Notenblatt". Der darauf Dargestellte ähnelt dem unter dem Namen "Büchner im 'Polenrock'" bekannt gewordenen Porträt, das ebenfalls von Hoffmann stammt. Wahrscheinlich entstanden beide Zeichnungen etwa gleichzeitig. August Hoffmann war ein Schwager von Büchners Onkel Georg Reuß.
1834
Anfang Januar
Büchner kehrt nach Gießen zurück.
Erbgroßherzog Ludwig von Hessen und Prinzessin Mathilde von Bayern haben sich nach ihrer Trauung am 26. Dezember 1833 in München auf eine öffentliche Hochzeitsreise begeben, die sie von München über Würzburg und Offenbach nach Darmstadt führt. Wenngleich Büchner bei den Feierlichkeiten selbst nicht mehr in Darmstadt zugegen ist, haben die umfangreichen Vorbereitungen dazu doch bei der 1837 entstehenden Komödie Leonce und Lena inspirierend gewirkt. Einleitung zu Leonce und Lena Die von Büchners Darmstädter Bekannten Heinrich Küntzel und Friedrich Metz herausgegebene Chronik der Feierlichkeiten diente ihm später direkt als Quelle.
9./10. Januar
Öffentliches Schauessen des Brautpaares in Offenbach und festlicher Empfang in Darmstadt. Auf Repräsentationsauftritte dieser Art spielt Büchner sowohl in Leonce und Lena Leonce und Lena als auch im Hessischen Landboten an. Der Hessische Landbote
Geht einmal nach Darmstadt und seht, wie die Herren sich für euer Geld dort lustig machen, [...] und dann kriecht in eure rauchigen Hütten und bückt euch auf euren steinichten Aeckern, damit eure Kinder auch einmal hingehen können, wenn ein Erbprinz mit einer Erbprinzessin für einen andern Erbprinzen Rath schaffen will, und durch die geöffneten Glasthüren das Tischtuch sehen, wovon die Herren speisen und die Lampen riechen, aus denen man mit dem Fett der Bauern illuminirt.
Januar/Februar
Über den Freund August Becker macht Büchner Einleitung zu Der Hessische Landbote die Bekanntschaft des Butzbacher Schulrektors Dr. Friedrich Ludwig Weidig (1791‑1837), eines der wichtigsten oberhessischen Oppositionellen und Herausgebers der illegalen politischen Flugschriftenserie Leuchter und Beleuchter für Hessen oder der Hessen Notwehr.
In seiner Darstellung Georg Büchners aus dem Jahr 1850 zitiert Ludwig Büchner LZ 4260 Ludwig Büchner 1850 einen Brief August Beckers an Karl Gutzkow, in dem es dazu heißt:
Ich habe den Büchner bei Weidig eingeführt. Er vertrug sich nicht gut mit ihm in politicis. Desto mehr enchantirt war er von seiner Frau, einem überaus herrlichen Geschöpf. Er verlor sein natürliches Ungestüm, wenn sie dazu kam, und ward zahm, wie ein Hirsch, wenn er Musik hört.
Januar bis März
In einer Reihe von (sämtlich ohne Datum überlieferten) Briefen an die Verlobte Wilhelmine Jaeglé bringt Büchner wiederholt seine anhaltende Sehnsucht nach der „gute[n] Stadt Straßburg“ zum Ausdruck und klagt über die Gießener Umgebung und die dortigen Lebensumstände.
Nach Mitte Januar 1834
7.2. Burghard Dedner: Der Fatalismusbrief
Im ersten dieser Briefe, der in der Forschung als „Fatalismusbrief“ Nach Mitte Januar 1834. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg bezeichnet und wiederholt kontrovers diskutiert worden ist, schreibt Büchner über Gießen:
Hier ist kein Berg, wo die Aussicht frei sei. Hügel hinter Hügel und breite Thäler, eine hohle Mittelmäßigkeit in Allem; ich kann mich nicht an diese Natur gewöhnen, und die Stadt ist abscheulich.
Außerdem äußert er sich über seine Lektüre zur Französischen Revolution. Vermutlich las er gerade Louis Adolphe Thiers’ Standardwerk zu diesem Ereignis, die Histoire de la Révolution française (6 Bde., Paris 1823–1827), später eine der Hauptquellen von Danton's Tod.
Ich studirte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich. Es fällt mir nicht mehr ein, vor den Paradegäulen und Eckstehern der Geschichte mich zu bücken. Ich gewöhnte mein Auge ans Blut. Aber ich bin kein Guillotinenmesser. Das muß ist eins von den Verdammungsworten, womit der Mensch getauft worden. Der Ausspruch: es muß ja Aergerniß kommen, aber wehe dem, durch den es kommt, – ist schauderhaft. Was ist das, was in uns lügt, mordet, stiehlt? Ich mag dem Gedanken nicht weiter nachgehen. Nach Mitte Januar 1834. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg
Elemente dieses Briefes finden sich später in teilweise wörtlicher Entsprechung in Büchners Drama Danton’s Tod Danton’s Tod wieder.
Februar 1834
Büchners fortgesetztes Unbehagen in der Gießener Umgebung LZ 2255 Carl Vogt 1891 hängt auch damit zusammen, dass er in dieser Zeit mit anderen Gießener Studenten in politische Streitigkeiten gerät und - wie einer seiner Briefe an die Braut (etwa 16. Februar 1834) Etwa 16. Februar 1834. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg und ein anderer an die Eltern (nach Mitte Februar) Nach Mitte Februar 1834. An die Eltern in Darmstadt zeigen - einen Teil seiner bisherigen Freunde verliert.
Anfang März
Büchner leidet eine Woche lang unter Fieber, Kopfschmerzen und Schlafstörungen. Er berichtet Wilhelmine Jaeglé von der gerade überstandenen Krankheit. Etwa 8. März 1834. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg
6. bis 8. März
Nach der Frankfurter Wachensturm zuvor nur sporadisch erfolgten Entlassung einzelner Beteiligter am Frankfurter Wachensturm werden in diesen Tagen nahezu alle wegen Beteiligung oder Mitwisserschaft Inhaftierten aus dem Friedberger Gefängnis entlassen. Friedrich Ludwig Weidig HL Dok 1.3.1. Verhörprotokoll Weidig organisiert anschließend für die Entlassenen ein Fest in Butzbach, an dem auch Büchner teilnimmt.
Nach dem 8. März
Büchner versammelt einige der aus der Haft Entlassenen (die Studenten Ludwig Becker und Hermann Wiener sowie den Küfermeister David Schneider) und andere Freunde aus Gießen (August Becker und Hermann Trapp). HL Dok 1.4.3. Verhörprotokolle Becker Er weiht sie in das zuvor mit Friedrich Ludwig Weidig verabredete Projekt einer Flugschrift ein und fordert sie auf, sich „einmal in ähnlichen Flugschriften [zu] versuchen“.
Die „Gesellschaft der Menschenrechte“ in Gießen Die sechs Beteiligten sind später Mitglieder der Gießener Sektion der „Gesellschaft der Menschenrechte“.
Um Mitte März
Büchner holt bei Weidig in Butzbach Einleitung zu Der Hessische Landbote die Statistisch-topographisch-historische Beschreibung des Großherzogthums Hessen von Georg Wilhelm Justin Wagner (4. Band) ab und nutzt deren Angaben zur Steuer- und Budgetstatistik als Quelle für das unmittelbar darauf geschriebene Manuskript des (später von Weidig so betitelten und überarbeiteten) Hessischen Landboten. Der Hessische Landbote
In den folgenden Tagen verfasst er das Rohmanuskript zu der Flugschrift, die in seiner Fassung mit dem bekannten Schlachtruf der französischen Revolutionstruppen 1792 „Friede den Hütten! Krieg den Pallästen!“ beginnt.
7.5. Burghard Dedner: Vater-Sohn-Konflikt IIIn einem nicht erhaltenen Brief teilt Wilhelmine Jaeglé Büchner mit, dass sie leicht erkrankt sei, und äußert den Wunsch, die heimliche Verlobung wenigstens in kleinem Kreise öffentlich zu machen. Büchner stimmt zu und skizziert zugleich seine Zukunftspläne: „Student noch zwei Jahre; die gewisse Aussicht auf ein stürmisches Leben, vielleicht bald auf fremdem Boden!“ Mitte März 1834. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg
Offenbar rechnet er bereits mit seiner Flucht ins Ausland, zugleich aber mit dem Studienabschluss im Frühjahr 1836, ein Plan, den er dann auch tatsächlich einhält.
Im selben Brief zitiert Büchner abschließend als „alten Wiegengesang“ zwei Strophen aus dem zeitgenössisch weitgehend unbekannten Gedicht Die Liebe auf dem Lande von Jakob Michael Reinhold Lenz. Büchner und Wilhelmine Jaeglé kennen das Gedicht vermutlich aus der Bibliothek von Wilhelmines Vater, dem Pfarrer Johann Jakob Jaeglé. (Vgl. Marburger Büchner Ausgabe V, S. 107 f.)
Das Gedicht HL Dok 6.2.5. Noellner 1844 diente später auch als Codierungsvorlage für Geheimbotschaften, welche die während des Landboten-Prozesses in Einzelzellen Inhaftierten untereinander und nach außen austauschten.
(nach) Mitte März
Büchner teilt Wilhelmine Jaeglé in einem Brief seinen Entschluss mit:
„Ich werde gleich von hier nach Straßburg gehen, ohne D[armstadt] zu berühren; ich hätte dort auf Schwierigkeiten gestoßen, und meine Reise wäre vielleicht bis zu Ende der Vakanzen verschoben worden.“ Nach Mitte März 1834. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg
19. März
Den Eltern, die sich vermutlich Sorgen wegen seiner Verwicklung in politische Aktivitäten machen, teilt Büchner erstmals mit, dass der größere Teil der wegen des Wachensturms Verhafteten auf freiem Fuß ist. Gefahr besteht seines Erachtens für die größere Zahl von Studenten, die sich nicht konspirativ in revolutionären Gruppen, sondern halb-öffentlich in den Burschenschaften engagiert haben. Nach Büchners Ansicht ist Mitgliedschaft in den illegalen Burschenschaften politisch harmloser Unfug, der den Behörden jedoch willkommenen Anlass zu Schikanen und Untersuchungen gibt. 19. März 1834. An die Eltern in Darmstadt Tatsächlich war kurz zuvor eine Untersuchung gegen die Burschenschaften in Gießen abgeschlossen worden. Das von Büchner erwartete Resultat, Zwangsexmatrikulation von "wenigstens dreißig Studenten", trat allerdings nicht ein.
24. März
Büchner bittet seinen Vater um 20 Gulden, vermutlich mit der Angabe, er wolle damit vor seiner Abreise Restschulden in Gießen bezahlen. Ohne Wissen der Eltern bittet er außerdem seinen Onkel Georg Reuß in Darmstadt um weitere 17 Gulden. Er braucht sie, um damit die Reise nach Straßburg zu finanzieren, was er natürlich nicht mitteilen kann. Der Onkel missversteht den Sinn der Bitte und schickt das Geld erst nach einem zweiten Bittbrief und mit einiger Verspätung. 24. März 1834. Von Georg Reuß nach Gießen Büchners Abreise verzögert sich dementsprechend.
HL Dok 1.4.1. Verhörprotokoll Becker August Becker schreibt vor Büchners Abreise nach Straßburg am 25. März Büchners Fassung des Hessischen Landboten „in’s Reine“.
25./26. März*
Während seine Eltern ihn schon seit einigen Tagen vergeblich in Darmstadt erwarten, reist Büchner, ohne die Eltern zu benachrichtigen, nach Straßburg. Von dort aus berichtet er über seine „tiefe Schwermuth“ angesichts der „politischen Verhältnisse“ in Darmstadt. Zugleich teilt er seine Verlobung mit der den Eltern unbekannten Wilhelmine Jaeglé mit. Nach 27. März 1834. An die Eltern in Darmstadt
Um den 1. April
LZ 1590 Edouard Reuss Ernst Büchner wendet sich an Büchners Vetter Edouard Reuss und bittet um Auskunft über die Umstände der Verlobung. Reuss berichtet rückblickend über Ernst Büchners „Erbitterung gegen den Sohn“ und die schließlich doch erfolgende Wendung zur „Freude und Versöhnung“.
5. April
Friedrich Ludwig Weidig Friedrich Ludwig Weidig wird von seinem Dienst als Rektor der Schule in Butzbach beurlaubt und als Pfarrer nach Obergleen (heute Ortsteil von Kirtorf/Vogelsberg) bei Alsfeld versetzt. Anfang September tritt er seine Stelle dort an.
9. April
2.1. Sozialrevolutionäre Gesellschaften in Frankreich Die gut organisierten Lyoner Republikaner beginnen einen Aufstand gegen die Pariser Regierung, der aber schon bis zum 11. April durch Militäreinsatz niedergeschlagen wird. In Paris werden gleichzeitig die Publikationsorgane der "Société des droits de l'homme" verboten und die Mitglieder des zentralen Komitees mehrheitlich verhaftet. Ein am 13. April beginnender, weitgehend unkoordinierter Aufstand wird am 14. April relativ schnell durch das Militär unterdrückt. Es folgen umfangreiche Untersuchungen und Verhaftungen. Der daraus resultierende Prozess gegen 121 Hauptangeklagte wird am 20. April 1835 in Paris eröffnet.
11. April
LZ 2100 Alexis Muston, Journal, StraßburgAlexis Muston berichtet in seinen Erinnerungen er sei bei einer Rückkehr nach Straßburg gemeinsam mit Büchner auf das Münster gestiegen. Muston datiert das Zusammentreffen auf den Juni, was unwahrscheinlich ist. Gemeint war möglicherweise der 11. April.
14. April
Büchner besucht seine Großtante Margarete Salome Reuss.
Mitte April
Die „Gesellschaft der Menschenrechte“ in Darmstadt
Rückkehr ins Darmstädter Elternhaus. Gründung einer Darmstädter Sektion der „Gesellschaft der Menschenrechte“.
28. April
Studien in Gießen und Darmstadt 1833–1835
Fortsetzung des Studiums an der Gießener Universität.
Büchner wohnt jetzt im Haus des Rentamtmanns Bott im Seltersweg 46.
Sommer-Semester 1834
Büchner hört bei Prof. Joseph Hillebrand „mit lobenswerthem Fleiße“ Vorlesungen „über die Logik u. das Naturrecht“. LZ 2260 Joseph Hillebrand, Hörerschein
Hillebrand las über „Logik, dreimal wöchentlich, Dienstags, Donnerstags und Freitags von 8–9 Uhr“ und über „Naturrecht und allgemeine Politik, viermal wöchentlich, Mittwochs und Samstags von 8–9 und von 11–12 Uhr“ (Vgl. Marburger Büchner Ausgabe VIII, S. 183).
LZ 2255 Carl Vogt: Erinnerungen an BüchnerAußerdem besucht Büchner vermutlich jetzt – gemeinsam mit den Kommilitonen Carl Cratz und Carl Vogt – die Vorlesung von Prof. Friedrich Wernekinck über „Vergleichende Anatomie, 5 Stunden wöchentlich von 10–11 Uhr“. Vogts Angabe, er habe dieses Privatissimum im Wintersemester gehört, beruht wohl auf einem Erinnerungsfehler.
Mai 1834
Nach dem Vorbild französischer Republikaner- und Arbeitervereine, insbesondere der französischen „Societé des droits de l’homme“ und maßgeblich initiiert von Georg Büchner formiert sich in Gießen eine revolutionäre Geheimorganisation, die „eine Zeit lang auch den ihr von Büchner beigelegten Namen ‚Gesellschaft der Menschenrechte‘“ trägt.
Die „Gesellschaft der Menschenrechte“ in Gießen
Mitglieder sind August Becker, Ludwig Becker, Georg Büchner, David Schneider, Hermann Trapp, Hermann Wiener und die erst später aus der Haft in Friedberg entlassenen Studenten Gustav Clemm (freigelassen am 20. März) und Jacob Friedrich Schütz (freigelassen am 11. April). Später kommen hinzu der ebenfalls wegen Teilnahme am Frankfurter Wachensturm inhaftierte Küfermeister Georg Melchior Faber und Büchners Schulfreund Karl Minnigerode. Ziel der Gruppe ist es unter anderem, „Flugschriften [...] zu verbreiten und Gleichgesinnte an anderen Orten zu ähnlichen […] Vereinen zu bestimmen.“
2. Mai
Angehörige der Frankfurter „Union“ Die Frankfurter „Union“ versuchen vergeblich, die in der Konstablerwache einsitzenden politischen Gefangenen zu befreien. Die nachfolgenden Ermittlungen führen das Ende der „Union“ herbei.
Nach Anfang Mai*
August Becker und Gustav Clemm bringen die Reinschrift des späteren Hessischen Landboten zu Weidig nach Butzbach. [Datierung aufgrund einer mündlichen Auskunft von Reinhard Pabst, dass Weidig sich Anfang Mai noch in Darmstadt aufhielt.]
20. bis 25. Mai
LZ 1815 Wilhelm Flegler: Über die Auseinandersetzung zwischen den Corpsstudenten (Februar – Mai 1834)In Gießen kommt es zu Tätlichkeiten zwischen Mitgliedern der regierungstreuen studentischen Corps einerseits, Angehörigen der gemäßigt oppositionellen, dabei jedoch illegalen Verbindung "Palatia" andererseits. Letztere werden von einigen Gießener Handwerkern und Bürgern unterstützt. Die Eltern fragen anscheinend besorgt nach Büchners Beziehungen zu den "Burschen", und Büchner deutet im Brief vom 25. Mai etwas von den Auseinandersetzungen der letzten Tage an. Er schreibt, dass er und seine Freunde es "mit den Bürgern" halten. 25. Mai 1834. An die Eltern in Darmstadt Am Rande erwähnt Büchner die Trunksucht des Universitätsrichters Konrad Georgi, der im August Büchners Gießener Zimmer versiegeln lässt und später zum Hofrat und leitenden Untersuchungsrichter im Wachensturm-Landboten-Prozess befördert wird. Nach 1844 wird Georgis Alkoholismus von den Darmstädter Ärzten Graff und Stegmayer in der Broschüre Einige Worte zur Beurtheilung des Wahnsinns überhaupt und des Säufer-Wahnsinns insbesondere öffentlich dargestellt.
Mai/Juni
Friedrich Ludwig Weidig korrespondiert mit Marburger Oppositionellen und bereist das Rhein-Main-Gebiet mit Stationen in Frankfurt, Darmstadt, Mainz, Wiesbaden, Mannheim, sowie vermutlich Worms, Höchst, Rödelheim, Enkheim, Offenbach, Friedberg und Petterweil, um seine Kontakte zu politischen Freunden aufzufrischen und Druck und Verbreitung des Hessischen Landboten zu organisieren. HL Dok 2.3.2 Verhörprotokoll Clemm und Briel Auf einem überregionalen Treffen von Oppositionellen in Wiesbaden (um den 20. Mai) wird beschlossen, in den einzelnen Bundesstaaten geheime Druckerpressen anzuschaffen und „durch Flugschriften das Volk zu einer Revolution vorzubereiten“. Der „Oberhessische Preßverein“
Hldok 71 Konspirative ReisenMitglieder der „Gesellschaft der Menschenrechte“ unternehmen eine Reihe von konspirativen Reisen, vermutlich um Druck und Verbreitung des Hessischen Landboten organisatorisch vorzubereiten.
18. Juni
Wilhelm Schulz, Herausgeber mehrerer Flugschriften und anderer oppositioneller Schriften und späterer enger Freund Georg Büchners, wird in Darmstadt zu einem „fünfjährigen strengen Festungsarreste verurtheilt“. Büchner äußert sich dazu im Brief vom 2. Juli 1834. 2. Juli 1834. An die Eltern in Darmstadt
Ende Juni
Carl Flach und andere Angehörige des Weidig-Kreises in Butzbach schicken einen anonymen Brief nach Darmstadt mit der Mitteilung, der Butzbacher Bürger Johannes Kraus sei Eigentümer der Druckerpresse, auf der Weidigs Flugschriftenserie Leuchter und Beleuchter für Hessen gedruckt werde. Der mit der Untersuchung beauftragte Vetter Büchners, Friedrich Georg von Bechtold, durchsucht vergeblich den angegebenen Keller. Büchner äußert sich im oben genannten Brief spöttisch über den Vorfall. LZ 1895 Herr Du-Thil mit der Eisenstirn
Ein ähnliche Worte gebrauchendes Spottgedicht wird ab 20. Juli als Flugschrift verbreitet. Wilhelm Schulz berichtete 1845 (wahrscheinlich zu Unrecht), Büchner sei Verfasser des Spottgedichtes.
3. Juli
Im Garten des Ausflugslokals der bei Gießen gelegenen Ruine Badenburg findet auf Einladung Friedrich Ludwig Weidigs eine Versammlung hessen-darmstädtischer und kurhessischer Demokraten zur Gründung eines geheimen überregionalen „Preßvereins statt. Der „Oberhessische Preßverein“
Die Versammelten beschließen die Veröffentlichung des Hessischen Landboten in der Fassung Weidigs. Einleitung zu Der Hessische Landbote
5. Juli
Büchner und Jacob Friedrich Schütz bringen den von Weidig bearbeiteten Hessischen Landboten von Butzbach nach Offenbach zu dem Drucker Carl Preller, der schon des längeren Aufträge Weidigs und der Frankfurter Geheimorganisation "Union" ausgeführt hat. Die Reise ist als Botanisierausflug getarnt; Büchner versteckt das Manuskript des Hessischen Landboten in einer Botanisiertrommel. Über den Ablauf diese Reise macht (vermutlich) Büchner später Angaben, die der Untersuchungsrichter folgendermaßen zusammenfasst: HL Dok 7.1. Landgerichtsassessor Wagner 1834
Büchner und Schütz reisen gemeinsam „nach Steinheim zu dem studiosus Groos, […] der auch der Theilnahme an den revolutionairen Umtrieben sehr verdächtig ist“, bleiben dort vermutlich am 6. und 7. Juli „einen oder zwei Tage“, besuchen mit Groos „einen Vergnügungsort bei Hanau […] die Mainkur oder Mainlust genannt“, reisen zu dritt weiter nach Offenbach, wo sie mit dem Studenten [Johann Baptist] Müller aus Kelsterbach zusammenkommen, und übernachten (am 8. Juli) in Offenbach. Büchner reist dann allein zurück nach Gießen, Schütz reist weiter nach Mainz oder nach Frankfurt.
30. und 31. Juli
Karl Minnigerode und Jacob Friedrich Schütz und der Butzbacher Weidig-Schüler Carl Zeuner gehen am 30. Juli von Gießen und Butzbach nach Enkheim, einem heutigen Stadtteil von Frankfurt, und dann nach Offenbach, um den in einer Auflagenhöhe von 1.200 bis 1.500 Exemplaren gedruckten Hessischen Landboten Einleitung zu Der Hessische Landbote in Empfang zu nehmen. Minnigerode bringt Exemplare nach Gießen, Zeuner an verschiedene Orte der Provinz Oberhessen, Schütz weitere nach Darmstadt. Überliefert ist außerdem ein Transport nach Frankfurt und möglicherweise nach Mainz. HL Dok 3.2.5. Kreissekretär Jungenfeld 1834
Inzwischen denunziert der Butzbacher Weidig-Vertraute Johann Konrad Kuhl bei dem Leitenden Staatsminister Karl du Thil Minnigerode und Schütz als Kuriere des Hessischen Landboten und wenig später Georg Büchner als dessen Verfasser. Kuhl hatte im April 1833 auch den Zeitpunkt des Frankfurter Wachensturms bei den Behörden verraten.
1. August
Jacob Friedrich Schütz HL Dok 7.1. Landgerichtsassessor Wagner 1834 bringt einen Teil der Exemplare des Hessischen Landboten nach Darmstadt, Minnigerode und Zeuner einen anderen Teil auf dem Wege über Enkheim nach Friedberg, Butzbach und Gießen.
Karl Minnigerode wird bei dem Versuch, 139 in Rock und Stiefeln verborgene Exemplare des Hessischen Landboten nach Gießen einzuschleusen, am Gießener Selzertor verhaftetLZ 1820 Verhörprotokoll August Becker: Verbindungen in Gießen und in Friedberg (ab Juni 1835 in Darmstadt) inhaftiert. Der Gießener Universitätsrichter Konrad Georgi lässt das Zimmer des Landboten-Kurier Schütz durchsuchen und findet dort den Satzungsentwurf für eine "Burschenschaftliche Vereinigung".LZ 1830 Schütz: Constitution der Burschenschaftlichen Verbindung
1. bis 5. August
Unmittelbar nach Minnigerodes Verhaftung geht Büchner zunächst nach Butzbach, um Weidig zu benachrichtigen, dann weiter nach Offenbach, wo er am Vormittag des 2. August den Drucker Carl Preller warnt, der seinerseits nach Darmstadt eilt, um die dortigen Angehörigen der Landboten-Gruppe zu informieren. Währenddessen durchsuchen am Nachmittag des 2. August Polizeibeamte unter Führung von Büchners Cousin Friedrich von Bechtold erfolglos Prellers Räume in Offenbach. – Büchner verschafft sich für seinen Gang nach Offenbach einen ihn entlastenden Grund, indem er am 2. August bei dem mit der Familie verwandten Pfarrerehepaar Becker übernachtet 5. August 1834. An die Eltern in Darmstadt und am 3. August seinen Straßburger Freund Eugène Boeckel in Frankfurt besucht. Boeckel hatte Büchner zu einem Treffen in Frankfurt eingeladen. LZ 2940 Eugen Boeckel an August Stöber, 29. Juli 1834 Nach Übernachtungen in Vilbel und Butzbach kehrt Büchner am 5. August nach Gießen zurück.
2. August
HL Dok 3.4.6. du Thil an Georgi, 2. Aug. 1834
Aufgrund einer neuerlichen Denunziation von Johann Konrad Kuhl informiert der Leitende Staatsminister Karl du Thil den Universitätsrichter Konrad Georgi darüber, dass Büchner der Verfasser des Hessischen Landboten sei, und weist ihn an, Büchner zu verhaften und sein Zimmer zu versiegeln. Büchners gerichtliche Verfolgung
3. August
Büchner schreibt seinen Eltern aus Frankfurt von seinem nächtlichen Gang über Offenbach nach Frankfurt vom 1. auf den 2. August: „so wanderte ich in der lieblichsten Kühle unter hellem Sternenhimmel, an dessen fernstem Horizonte ein beständiges Blitzen leuchtete“. 3. August 1834. An die Eltern in Darmstadt
4. August
HL Dok 3.4.9. Georgi an du Thil, 4. Aug. 1834
Konrad Georgi lässt in Abwesenheit Büchners dessen Zimmer in Gießen durchsuchen und insbesondere dort aufgefundene Briefe beschlagnahmen. Gleichzeitig erlässt er einen Haftbefehl gegen Büchner und sendet seinen Steckbrief („Signalement“) HL Dok 3.4.10. Steckbrief Büchners an das zuständige Darmstädter Ministerium und das Frankfurter Polizeiamt.
5. August
Büchner wird bei Konrad Georgi vorstellig, um sich nach den Gründen und der juristischen Legitimation für die Zimmerdurchsuchung zu erkundigen, und wird bei dieser Gelegenheit verhört. An die Eltern schreibt er am gleichen Tag über den Vorgang:
„Auf einen vagen Verdacht hin verletzte man die heiligsten Rechte und verlangte dann weiter Nichts, als daß ich mich über meine Reise ausweisen sollte!!! Das konnte ich natürlich mit der größten Leichtigkeit; ich habe Briefe von B., die jedes Wort bestätigen, das ich gesprochen, und unter meinen Papieren befindet sich keine Zeile, die mich compromittiren könnte. Ihr könnt über die Sache ganz unbesorgt sein.“ 5. August 1834. An die Eltern in Darmstadt
HL Dok 3.4.13. Georgi an du Thil, 5. Aug. 1834 Ebenfalls am gleichen Tag berichtet Universitätsrichter Georgi an das zuständige Darmstädter Ministerium:
„Heute um 11 Uhr hat sich der Student Georg Büchner aus Darmstadt bey mir sistirt, darnach gefragt, warum in seiner Abwesenheit seine Effecten durchsehen und unter Siegel genommen worden seyen. Ich habe ihm die Ursache in allgemeinen Umrissen angedeutet und ihn über Zweck und Veranlassung seiner mehrtägigen Abwesenheit zum Protocoll genommen.“
Obgleich Büchner Büchners gerichtliche Verfolgung in seinen Augen konspirativer Tätigkeiten im Zusammenhang der Verbreitung des Hessischen Landboten dringend verdächtig sei, HL Dok 3.4.18. du Thil an Georgi, 7. Aug. 1834fehle es doch an belastbaren Beweisen und damit an juristischer Handhabe für eine Inhaftierung. Der leitende Staatsminister du Thil billigt Georgis Vorgehen am 7. August. Georgi veranlasst ein Verhör Eugen Boeckels, der nach Ermittlungen in Ems, Koblenz und Wiesbaden schließlich in Mainz aufgefunden wird. Boeckel bestätigt Büchners Aussagen über ihr Treffen in Frankfurt. LZ 2940 Eugen Boeckel an August Stöber, 29. Juli 1834
8. August
Büchner teilt seinen Eltern brieflich mit, er habe sich „bereits an das Disciplinargericht gewendet und es um Schutz gegen die Willkür des Universitätsrichters gebeten.“ 8. August 1834. An die Eltern in Darmstadt
August/September
Einleitung zu Der Hessische Landbote
Die Verbreitung des Hessischen Landboten kommt in Gang.
6. September
LZ 2260 Joseph Hillebrand, Hörerschein
Büchner lässt sich von Joseph Hillebrand, dem Gießener Professor für Philosophie, den Besuch zweier Lehrveranstaltungen bescheinigen.
Mitte September
Georg Büchner kehrt ins Elternhaus nach Darmstadt zurück, wo er „auf Wunsch seines Vaters“ auch das folgende Wintersemester verbringt.
Mitte September 1834 bis Februar 1835
In Darmstadt leitet Büchner Die „Gesellschaft der Menschenrechte“ in Darmstadt wieder die Sitzungen der Darmstädter „Gesellschaft der Menschenrechte“, die formal mindestens bis zu seiner Flucht im März, möglicherweise auch bis zum Sommer 1835 besteht.
Im September und Oktober nimmt er drei neue Mitglieder auf. Büchner und die anderen Mitglieder beteiligen sich an Projekten des „Oberhessischen Preßvereins“, Der „Oberhessische Preßverein“ namentlich an der Anschaffung einer Druckerpresse und an der Organisation der Befreiung der in Friedberg einsitzenden politischen Häftlinge. Büchners gerichtliche Verfolgung Jedoch weiß Büchner, dass er von der Polizei beobachtet wird, und agiert mit entsprechender Vorsicht.
Nach Mitte September
Büchners Verlobte Wilhelmine Jaeglé kommt zu Besuch nach Darmstadt. Büchner Einleitung zu Lenz liest gemeinsam mit ihr Ludwig Tiecks Novelle Der Aufruhr in den Cevennen (1826), eine Quelle für seine im Herbst 1835 geschriebene Erzählung Lenz.
Winter 1834/35
Büchner hält „[u]nter Anleitung seines Vaters […] Vorlesungen über Anatomie für junge Leute, die sich für das Studium vorbereiteten.“ Er betreibt gleichzeitig philosophische und anatomische Studien, bei denen er unter anderem Moritz Ignaz Webers Anatomischen Atlas des Menschlichen Körpers in natürlicher Größe, Lage und Verbindung der Theile, in 84 Tafeln und erklärendem Texte (1830-1833) verwendet. Einleitung zu Danton’s Tod Gleichzeitig sammelt er Material und schreibt zunächst Entwürfe, dann (ab Mitte Januar) das Manuskript zu Danton’s Tod.
1. bis 19. Oktober und 1. November
Büchner entleiht aus der Darmstädter Hofbibliothek verschiedene Quellenwerke zum Kontext der Französischen Revolution, darunter Louis Adolphe Thiers’ Histoire de la Révolution française (1823–1827), André Chéniers Œuvres anciennes (1826) und Louis-Sébastien Merciers Tableau de Paris (1781/88). Philosophische Schriften und Äußerungen Er entleiht außerdem Wilhelm Gottlieb Tennemanns Geschichte der Philosophie (1798–1819, Bd.1) und – am 1. November – die Bände 1 und 2 der Œuvres politiques von Jean-Jacques Rousseau.
November
Der „Oberhessische Preßverein“
In Zusammenarbeit mit Friedrich Ludwig Weidig druckt die Marburger Gruppe des „Preßvereins“ um Leopold Eichelberg in kleinerer Auflage (400 Exemplare) eine geringfügig veränderte Neuauflage des Hessischen Landboten, die ab dem 25. November verbreitet wird. Der Drucker ist Ludwig Rühle, ein Angestellter des Marburger Buchhändlers Noa Gottfried Elwert.
Büchner und die Darmstädter Mitglieder der Gesellschaft der Menschenrechte bemühen sich unvermindert um die Beschaffung von Geld für den Ankauf einer Druckerpresse. Gustav Clemm in Gießen sagt später aus, daß von den Darmstädtern, "namentlich von dem Studenten Georg Büchner", "immer darüber geschmählt wurde, daß von Giessen aus noch kein Beitrag zum Ankauf der Presse einlange, da doch hier schon eine namhafte Summe dazu bereit sei" (Marburger Büchner Ausgabe Bd. 2, S. 307 f.)
27. November
Verhaftung des Landboten-Kuriers und Weidig-Schülers Carl Zeuner in Butzbach.
Anfang Dezember
HL Dok 6.3.11. Verhörprotokolle Carl Flach
Zwei bis drei Wochen vor Weihnachten reisen die Butzbacher Carl Flach und Valentin Kalbfleisch, ein früherer Geselle des Darmstädter Handwerksmeisters und Mitglieds der Gesellschaft der Menschenrechte Christian Kahlert, nach Südhessen und speziell nach Darmstadt in Sachen Ankauf einer Druckerpresse und Befreiung der in Friedberg einsitzenden politischen Gefangenen. 7.3. Burghard Dedner: Wie finanzierte Büchner sein Leben im Exil?Kalbfleisch übergibt Geld für die Druckerpresse an Kahlert. Das Geld bleibt zunächst in Darmstadt und wird im März verwendet, "als der Student Georg Büchner ins Ausland flüchtete" (Marburger Büchner Ausgabe Bd. 2, S. 309). Büchner gab das geliehene Geld anscheinend nach seiner Flucht im März 1835 zurück, und Ludwig Nievergelder restituierte es den Geldgebern in Butzbach und Gießen. Hl Dok 6.3.15 Verhörprotokoll Valentin Kalbfleisch Außerdem trifft sich Kalbfleisch mit Büchner "bei der Wachparade", informiert ihn außerhalb des Stadttors über den Stand des Presse-Ankaufs und des "Befreiungsprojects" und erhält von ihm eine Zusage über 600 Gulden, die demnächst nach Gießen abgehen sollten (Marburger Büchner Ausgabe Bd. 2, S. 307).
17. bis 24. Dezember
Im Zusammenhang der ersten (nicht überlieferten) Entwurfsskizzen zu Danton’s Tod Einleitung zu Danton’s Tod entleiht Büchner (teils parallel, teils nacheinander) die Galérie historique des contemporains (1818), Le Nouveau Paris (1799/1800) von Louis-Sébastien Mercier und den ersten Band der Mémoires particuliers de Madame Roland (1823).
1835
12. Januar
Büchner entleiht die Mémoires du Marquis de Ferrières (1821).
Mitte Januar
Dedner, Zur Druckgeschichte von Danton's Tod“Büchner beginnt mit der Niederschrift der überlieferten Handschrift von Danton’s Tod. Über dieses sein „Werk“ schreibt er später an Karl Gutzkow, dass „unglückliche Verhältnisse mich zwangen, es in höchstens fünf Wochen zu schreiben“. 21. Februar 1835. An Karl Gutzkow in Frankfurt am Main Es wäre LZ 4570 Karl Gutzkow 1837 , so heißt es weiter, nicht so schnell beendet worden, wären nicht „die [Darmstädti]schen Polizeidiener seine Musen gewesen“.
LZ 4260 Ludwig Büchner 1850 Über die „Verhältnisse“, in denen Büchner in jenen Wochen Danton’s Tod verfasst, schreibt Ludwig Büchner rückblickend, Büchner habe an Danton’s Tod gearbeitet, während gleichzeitig „die anatomischen Tafeln und Schriften“ auf seinem Tisch lagen. Zugleich habe er beobachtet, wie die „politischen Untersuchungen in Hessen“ ihm „immer näher“ rückten. Er sei "zweimal, in Friedberg und Offenbach, verhört, jedoch [...] entlassen" worden, und die Straße des Elternhauses wurde „täglich an beiden Enden durch Polizisten bewacht“. Dass Büchner den Eindruck hatte, überwacht zu werden, und dass er deshalb jedes Treffen mit Auswärtigen möglichst vermied, wird auch aus anderen Dokumenten ersichtlich.
Anfang Februar
Heinrich Heines Abhandlung Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland erscheint in dessen Buchveröffentlichung Salon. Zweiter Band (1834). Darin spricht Heine Büchner und Heine vom Ende der judäo-christlichen Tradition, die sich im politischen Jakobinismus fortsetze, und prophezeit eine Epoche der sinnlichen Befreiung des Menschen und den Übergang von der theistischen und deistischen zur pantheistischen Gottesvorstellung. Einleitung zu Danton’s Tod
Büchner übernimmt Teile dieses Programms für sein Drama Danton’s Tod.
21. Februar
Burghard Dedner: Büchner und GutzkowÜber den Frankfurter Verleger Johann David Sauerländer 21. Februar 1835. An Johann David Sauerländer in Frankfurt am Main übersendet Büchner das Manuskript von Danton’s Tod an den Schriftsteller und Mitredakteur der Zeitschrift Phönix, Karl Gutzkow. In dem beigelegten Brief an Gutzkow 21. Februar 1835. An Karl Gutzkow in Frankfurt am Main LZ 4570 Karl Gutzkow 1837 bittet er dringend um die sofortige Annahme des Dramas zur Drucklegung. Wenn eine günstige Nachricht "noch vor nächstem Mittwoch", d. h. vor dem 25. Februar, in Darmstadt eintreffe, werde sie "einen Unglücklichen vor einer sehr traurigen Lage bewahren". Gutzkow liest noch am selben Abend „eine Auswahl" aus Danton’s Tod einem Kreis von Besuchern vor.
Vermutlich noch am selben Tag oder wenig später beantragt Büchner bei dem Pfarrer Valentin Clotz in seinem Geburtsort Goddelau die Ausstellung eines Geburtsscheines. Büchners gerichtliche Verfolgung Dieser ist in Frankreich die gesetzlich vorgeschriebene formale Voraussetzung für die Ausstellung einer „Sicherheitskarte“ („carte de sûreté“), die Emigranten Schutz vor Auslieferung garantiert. HL Dok 5.5.12. Heim, Reskript an Pfarrer Clotz; 27. Februar 1835 Der hierfür zuständige Kreisrat von Groß Gerau, Ernst Wilhelm Heim, untersagt daraufhin dem Pfarrer, dem „wegen Hochverraths mit Steckbriefen verfolgten Georg Büchner“ einen solchen Schein auszustellen.
25. Februar
Auf Empfehlung Karl Gutzkows nimmt Sauerländer das Drama Danton’s Tod Danton’s Tod zur Publikation an. 25. Februar 1835. Von Karl Gutzkow nach Darmstadt
27. Februar*
Vorladung Georg Büchners zur Zeugenvernehmung in Darmstadt. An seiner Stelle geht der Bruder Wilhelm zu der Vorladung, um, wie es in seinen späteren Erinnerungen heißt, vorzufühlen, „ob man die Absicht zeige“, den eigentlich Gesuchten in Haft zu nehmen. „Wir hatten schon tagelang eine Leiter in dem Garten an die Mauer gelehnt, mit deren Hülfe er [Georg] in andere Gärten flüchten wollte, wenn die Häscher kämen.“
28. Februar bis 3. März
Karl Gutzkow verhandelt mit Büchner über das Honorar für Danton’s Tod. Er sagt „10 Friedrichsd’or“ zu, die er persönlich nach Darmstadt bringen will, um bei dieser Gelegenheit Büchner kennenzulernen und dem Manuskript des Danton die zensurwidrigen „Veneria“, die erotisch-sexuellen „Eindeutigkeiten“, auszutreiben. 3. März 1835. Von Karl Gutzkow nach Darmstadt LZ 4570 Karl Gutzkow 1837 In Karl Gutzkows Nachruf auf Büchner heißt es dazu:
„Ich hatte indessen große Mühe mit seinem Danton. Ich hatte vergessen, daß solche Dinge, wie sie Büchner dort hingeworfen, solche Ausdrücke sogar, die er sich erlaubte, heute nicht gedruckt werden dürfen. […] Die Spitzen der Wortspiele mußten abgestumpft werden oder durch aushelfende dumme Redensarten, die ich hinzusetzte, krumm gebogen. Der ächte Danton von Büchner ist nicht erschienen. Was davon herauskam ist ein nothdürftiger Rest, die Ruine einer Verwüstung, die mich Ueberwindung genug gekostet hat.“
6. März
Hldok 6210 Complott zur Gefangenenbefreiung
Georg Büchner begibt sich vermutlich nach Friedberg. Es war seit längerem geplant, die dort einsitzenden politischen Gefangenen zu befreien. Fluchtwege aus HessenDieser Plan zerschlug sich jedoch Anfang Februar. Hldok 6.3.18 Aussage Karl Braubach Vermutlich findet Büchner in Friedberg Zugang zu dem von Oppositionellen betriebenen Fluchtweg nach Weißenburg im Elsass. 7.3. Burghard Dedner: Wie finanzierte Büchner sein Leben im Exil?Büchner finanziert die Reise aus Mitteln, die für die Anschaffung einer Druckerpresse gesammelt waren. Er gibt das Geld zurück, sobald das vereinbarte Verlagshonorar in Straßburg eintrifft.
7. März
LZ 3528 Remigius Sauerländer: Notiz zur Honorarsendung am 7. März 1835Karl Gutzkow schickt einen Scheck über die vereinbarten 10 Friedrichsd’or an die vereinbarte Darmstädter Adresse, also an Büchners Großmutter Louise Philippine Reuß , die die Briefsendung an Büchners Vater Ernst Büchner weiterreicht. LZ 3530 Ernst Büchner an Gutzkow Dieser bestätigt den Empfang und teilt mit, dass er Georg, der „nach Friedberg verreist“ sei, „längstens innerhalb einiger Tage zurück erwarte“.
9. März
Büchner schreibt seinen Eltern aus Weißenburg (Wissembourg), dass er „wolhbehalten“ angekommen sei. „Die Reise ging schnell und bequem vor sich.“ 9. März 1835. An die Eltern in Darmstadt