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Karl Gutzkow: „Ein Kind der neuen Zeit“; Frankfurt a. M. Juni 1837

Frankfurter Telegraph. (Neue Folge.) Nr. 42. Juni 1837

<329> Ein Kind der neuen Zeit.

Um die Wehmuth zu verstehen, welche diesen Nachruf an einen früh vollendeten jungen deutschen Dichter durchbebt, denke man sich eine Freundschaft, die aus der Ferne, ohne persönliche Begrüßung, nur durch wechselseitige Bestrebungen, durch gleiche Gesinnungen hervorgerufen, und durch das Band objektiver Ideale zusammengehalten wurde! Man wechselt Briefe und Zusprüche, man tauscht seine Zukunft aus und schüttet das reiche Füllhorn lachender, dreister Hoffnungen sich einander in den Schooß. Man spricht sich in trüben Stunden Muth zu und malt sich eine Wendung der Dinge aus, an welcher wir selbst vom Winde, der sich dreht, gefaßt werden dürften. Man hofft auf persönliche Begrüßung und gibt sich Kennzeichen, wenn man sich plötzlich begegnen sollte. Ein solcher Gemüth und Geist bewegender Verkehr dauert ein Jahr; da tritt eine kleine Pause ein, der Eine bestellt sein Haus, der Andre rüstet sich zu einer Reise und neuen Lebensbahn. Der Briefwechsel stockt. Man ist ohne Sorge über den still fortglimmenden Freundschaftsfunken und tritt eines Tages an einen Ort, wo sich das Echo der tausend Tagesgerüchte, der Irrthümer und der Verfolgungen in Zeitungen durchkreuzt. Man ergreift sorglos eine derselben und liest, daß der Freund, der hoffnungsvolle, strebende, muthige, schon seit Monaten hinübergegangen ist in das Reich des Friedens, sanft entschlummert im Arme einer Geliebten, ausgelöscht aus dem jungen Nachwuchsregister unsrer Hoffnungen, todt – ja mehr als todt – schon seit Monden verstorben!

So ging es mir mit Georg Büchner, einem strebenden Jünglinge aus dem nahen Darmstadt, dessen Freundschaft ich mir durch die That erworben hatte und der sie mir leistete mit vollem, ideenreichem Herzen, einer Knospe, deren Entfaltung ein herrliches Farbenspiel am Sonnenlicht gespiegelt hätte, die die volle Ahnung eines nicht bloß genießenden Frühlingslebens <330> in sich trug, sondern auch das Versprechen eines durch ausserordentliche Fähigkeiten gesicherten Gewinnes für seine Nation. Noch glaubt’ ich einen jungen Titanen aus widerwärtigen Verhältnissen sich losringend zu wissen; und in dem Augenblicke barg ihn schon der kühle Schooß der Erde. Ich sah ihn seine Waffenrüstung zum Kampfe mit der Unbill der Zeiten schmücken – und schon schlummerte er in jenem ewigen Reiche des Friedens, wo die Widersprüche versöhnt und der Egoismus des Zeitalters in kalte Asche verwandelt ist. Mein Herz bebte vor Rührung. Ich kann jenes tiefe, grausame Weh verstehen, auf dem Todtenbette mit seiner Liebe zum Leben und seinen Zukunftsträumen zu ringen, sich trennen zu müssen von dem Großen und Edlen, was man noch von sich bewahrheiten und bewähren wollte, und in jener Hand, die sich eben ausstreckte, um ein Reich des Ruhmes und der Ehre zu erobern, den lähmenden Tod zu fühlen! Junger Kämpe, vielleicht warst du ergeben, als sich die Sinne und dein Bewußtsein lösten, vielleicht lächeltest du, schon verklärt über der Menschen ehrgeiziges Rennen und Treiben und dachtest seelig, daß Alles eitel wäre und auch die Irrthümer, die du bekämpfen wolltest, ja selbst die Dichterträume, die wie Lorbeer schon auf deiner Stirne lagen, an der Pforte der Ewigkeit zerschellen und wie bunte Farben sich in Vergängliches auflösen. Vielleicht vermißtest du, schon im Vorhofe der Ewigkeit, den Nachruf deiner Freunde nicht. Aber dennoch sind sie ihn dir schuldig; sie müssen dein Andenken mit frischem Rasen belegen und einen Kranz von Immergrün um das bescheidne Kreuz hängen, welches deine Grabstätte bezeichnet. Du gehörtest in die Legion der edlen Streiter für die Sache des Jahrhunderts. Die Menschen, die du haßtest, sollen wissen, wer du warst; und die du liebtest, sollen hören, was sie an dir verloren haben.

In den letzten Tagen des Februar 1835, dieses für die Geschichte unsrer neuern schönen Literatur so stürmischen Jahres, war es, als ich einen Kreis von ältern und jüngern Kunstgenossen und Wahrheitsfreunden bei mir sahe. Wir wollten einen Autor feiern, der bei seiner Durchreise durch Frankfurt am Main nach Literatenart das Handwerk begrüßt und lange genug zurückgezogen gelebt hatte, um uns zu verbergen, daß er im Begriff war, Bücher herauszugeben, welche, ob sie gleich jüdischen Inhalts waren, dennoch von der evangelischen Kirchenzeitung kanonisirt werden sollten. Kurz vor Versammlung der Erwar<331>teten erhielt ich aus Darmstadt ein Manuscript nebst einem Briefe, dessen wunderlicher und ängstlicher Inhalt mich reizte, in ersterem zu blättern. Der Brief lautete:

Mein Herr!

Vielleicht hat es Ihnen die Beobachtung, vielleicht, im unglücklicheren Fall, die eigne Erfahrung schon gesagt, daß es einen Grad von Elend gibt, welcher jede Rücksicht vergessen und jedes Gefühl verstummen macht. Es gibt zwar Leute, welche behaupten, man solle sich in einem solchen Falle lieber zur Welt hinaushungern, aber ich könnte die Widerlegung in einem seit Kurzem erblindeten Hauptmann von der Gasse aufgreifen, welcher erklärt, er würde sich todtschießen, wenn er nicht gezwungen sei, seiner Familie durch sein Leben seine Besoldung zu erhalten. Das ist entsetzlich. Sie werden wohl einsehen, daß es ähnliche Verhältnisse geben kann, die Einen verhindern, seinen Leib zum Nothanker zu machen, um ihn von dem Wrack dieser Welt in das Wasser zu werfen und werden sich also nicht wundern, wie ich Ihre Thüre aufreiße, in Ihr Zimmer trete, Ihnen ein Manuscript auf die Brust setze und ein Allmosen abfordere. Ich bitte Sie nämlich, das Manuscript so schnell als möglich zu durchlesen, es, im Fall Ihnen Ihr Gewissen als Kritiker dieß erlauben sollte, dem Herrn S .. zu empfehlen, und sogleich zu antworten.

Ueber das Werk selbst kann ich Ihnen nichts weiter sagen, als daß unglückliche Verhältnisse mich zwangen, es in höchstens fünf Wochen zu schreiben. Ich sage dieß, um Ihr Urtheil über den Verfasser, nicht über das Drama an und für sich, zu motiviren. Was ich daraus machen soll, weiß ich selbst nicht, nur das weiß ich, daß ich alle Ursache habe, der Geschichte gegenüber roth zu werden; doch tröste ich mich mit dem Gedanken, daß, Shakespeare ausgenommen, alle Dichter vor ihr und der Natur wie Schulknaben dastehen.

Ich wiederhole meine Bitte um schnelle Antwort; im Falle eines günstigen Erfolgs können einige Zeilen von Ihrer Hand, wenn sie noch vor nächstem Mittwoch hier eintreffen, einen Unglücklichen vor einer sehr traurigen Lage bewahren.

Sollte Sie vielleicht der Ton dieses Briefes befremden, so bedenken Sie, daß es mir leichter fällt, in Lumpen zu betteln, als im Frack eine Supplik zu überreichen und fast leichter, die <332> Pistole in der Hand: la bourse ou la vie! zu sagen, als mit bebenden Lippen ein: Gott lohn’ es! zu flüstern.

G. Büchner.

Dieser Brief, den ich abdrucke, um gleich ein Bild von der Aufregung des Charakters zu geben, dessen Erinnerung wir feiern, den ich auch, unbekümmert um seine noch lebenden, vermöglichen Eltern, abdrucke, weil wir die kleine Affektation und das unmotivirte Elend darin bald erklären werden, reizte mich, augenblicklich das Manuscript zu lesen. Es war ein Drama: Dantons Tod. Man sahe es der Produktion an, mit welcher Eile sie hingeworfen war. Es war ein zufällig ergriffener Stoff, dessen künstlerische Durchführung der Dichter abgehetzt hatte. Die Scenen, die Worte folgten sich rapid und stürmend. Es war die ängstliche Sprache eines Verfolgten, der schnell noch etwas abzumachen und dann sein Heil in der Flucht zu suchen hat. Allein diese Hast hinderte den Genius nicht, seine ausserordentliche Begabung in kurzen scharfen Umrissen schnell, im Fluge, an die Wand zu schreiben. Alles, was in dem lose angelegten Drama als Motiv und Ausmalung gelten sollte, war aus Charakter und Talent zusammengesetzt. Jenes ließ diesem keine Zeit, sich breit und behaglich zu entwickeln; dieses aber auch jenem nicht, nur bloß Gesinnungen und Extravaganzen hinzuzeichnen, ohne wenigstens eine in der Eile versuchte Abrundung der Situationen und namentlich der aus der köstlichsten Stahlquelle der Natur fließenden krystallhellen und muntern Worte. Dantons Tod ist im Druck erschienen. Die ersten Scenen, die ich gelesen, sicherten ihm die gefällige, freundliche Theilnahme jenes Buchhändlers noch an dem bezeichneten Abend selbst. Die Vorlesung einer Auswahl davon, obschon von diesem oder jenem mit der Bemerkung, dies oder das stände im Thiers, unterbrochen, erregte Bewunderung vor dem Talent des jugendlichen Verfassers. (Fortsetzung folgt.) K.G.

<337> Frankfurter Telegraph. (Neue Folge.) Nr. 43. Juni 1837.

Ein Kind der neuen Zeit.

(Fortsetzung.)

Kaum hatte Georg Büchner ein Resultat, so erfuhren wir, daß er auf dem Wege nach Straßburg war. Ein Steckbrief im Frankfurter Journal folgte ihm auf der Ferse. Er hatte in Darmstadt, vor seiner Familie sogar, verborgen gelebt, weil er jeden Augenblick fürchten mußte, in eine Untersuchung gezogen zu werden. Er war in jene unglückseligen politischen Wirrnisse verwickelt, welche die Ruhe so vieler Familien untergraben, so vielen Vätern ihre Söhne und Frauen ihre Gatten genommen haben. Ob ihn Verdacht oder eine vorliegende Beschuldigung verfolgte, weiß ich nicht; man versicherte, daß er den Frankfurter Vorfällen nicht fremd gewesen. Vielleicht hatten ihn auch nur seine in Straßburg früher fortgeführten Studien verdächtig gemacht. Jedenfalls ergab sich, daß Büchner die Partie der Flucht gern ergriff. Er war mit einer jungen Dame in Straßburg versprochen; das Exil, für Andre eine Plage, war Wohlthat für ihn. Er gestand mir ein, daß er die Theilnahme seiner (wahrscheinlich loyalen) Eltern durch seine tollkühnen Schritte auf eine harte Probe stelle, und daß er nicht den Muth hätte, diese abzuwarten. Dies spornte ihn an, sich selbst einen Weg zur bürgerlichen Existenz zu bahnen und von seinen Gaben die möglichen Vortheile zu ziehen. Daher das verzweifelnde Begleitungsschreiben des Danton: daher das Pistol und die unschuldige Banditenphrase: la bourse ou la vie!

Mehre der aus Straßburg an mich gerichteten Briefe Büchners sind mir im Augenblicke nicht zur Hand. Ich hatte indessen große Mühe mit seinem Danton. Ich hatte vergessen, daß solche Dinge, wie sie Büchner dort hingeworfen, solche Ausdrücke sogar, die er sich erlaubte, heute nicht gedruckt werden dürfen. Es tobte eine wilde Sanscülottenlust in der Dichtung; die Erklärung der Menschenrechte wandelte darin auf <338> und ab, nackt und nur mit Rosen bekränzt. Die Idee, die das Ganze zusammenhielt, war die rothe Mütze. Büchner studirte Medizin. Seine Phantasie spielte mit dem Elend der Menschen, in welches sie durch Krankheiten gerathen; ja die Krankheiten des Leichtsinns mußten ihm zur Folie seines Witzes dienen. Die dichterische Flora des Buches bestand aus ächten Feld- und Quecksilberblumen. Jene streute seine Phantasie, diese seine übermüthige Satyre. Als ich nun, um dem Censor nicht die Lust des Streichens zu gönnen, selbst den Rothstift ergriff, und die wuchernde Demokratie der Dichtung mit der Scheere der Vorcensur beschnitt, fühlt’ ich wohl, wie grade der Abfall des Buches, der unsern Sitten und unsern Verhältnissen geopfert werden mußte, der beste, nämlich der individuellste, der eigenthümlichste Theil des Ganzen war. Lange zweideutige Dialoge in den Volksscenen, die von Witz und Gedankenfülle sprudelten, mußten zurückbleiben. Die Spitzen der Wortspiele mußten abgestumpft werden oder durch aushelfende dumme Redensarten, die ich hinzusetzte, krumm gebogen. Der ächte Danton von Büchner ist nicht erschienen. Was davon herauskam ist ein nothdürftiger Rest, die Ruine einer Verwüstung, die mich Ueberwindung genug gekostet hat. An dem merkantilischen Titel jedoch: „dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft“ bin ich unschuldig. Diesen setzte der Verf. der fortgesetzten Döring’schen Phantasiegemälde darauf. Verklärter Geist, hier wasch’ ich meine Hände in Unschuld!

Büchner schrieb im Sommer 1835 an mich:

 „Straßburg.

Verehrtester!

Vielleicht haben Sie durch einen Steckbrief im Frankfurter Journal meine Abreise von Darmstadt erfahren. Seit einigen Tagen bin ich hier; ob ich bleiben werde, weiß ich nicht, das hängt von verschiedenen Umständen ab. Mein Manuscript wird unter der Hand seinen Kurs durchgemacht haben.

Meine Zukunft ist so problematisch, daß sie mich selbst zu interessiren anfängt, was viel heißen will. Zu dem subtilen Selbstmord durch Arbeit kann ich mich nicht leicht entschließen; ich hoffe, meine Faulheit wenigstens ein Vierteljahr lang fristen zu können, und dann sterbe ich mit meiner Geliebten.“

<339> Der wilde Geist in diesem Briefe ist die Nachgeburt Dantons. Der junge Dichter muß seinen Thiers und Mignet loswerden; er verbraucht noch die letzten Reste auf seiner Farbenpalette, mit welcher er, wie der prosaische Titelgeber gesagt: die „dramatischen Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft“ gemalt hatte. Der Ausdruck ist ihm wichtiger als die Sache. Die revolutionäre Phraseologie reißt ihn hin, für sie nach idealen Unterlagen zu suchen. Er wird bald andere Ansichten haben und sich von jener Unruhe befreien, die man besonders dann spürt, wenn man eben vom Reisewagen absteigt. Der Puls schlägt öfter in der Minute, als man Gedanken für jeden Schlag hat. G. Büchner hörte bald auf, von gewaltsamen Umwälzungen zu träumen. Die zunehmende materielle Wohlfahrt der Völker schien ihm auch die Revolution zu verschieben. Je mehr jene zunimmt, desto mehr schwindet ihm eine Aussicht auf diese. Wir geben die Erinnerung an ein Kind unsrer Zeit und halten die Geständnisse G. Büchners, der, obschon deutscher Flüchtling, sich nicht der jeune Allemagne in der Schweiz, sondern dervieille Allemagne der Leibnitz, Wolf und Kant anschloß, für einen Beitrag zur modernen Culturgeschichte.

Inzwischen hatte ich den erschienenen Danton nach Verdienst im Phönix gewürdigt. Büchners Bescheidenheit schmollte, daß ich ihn zu hoch gestellt; er käme in Verlegenheit, meine in seinem Namen gegebenen Versprechungen zu halten. Meine Kritik hatte aber noch eine andre Folge, die für unsre Zustände nicht uninteressant war. Ich erhielt nämlich aus der Schweiz einen anonymen Brief, der allem Anscheine nach von der dortigen jeune Allemagne herrührte und worin mir über mein Lob eines patriotischen Apostaten, wofür Büchner nun schon galt, die heftigsten Vorwürfe gemacht wurden. Es war zu gleicher Zeit der Neid eines Schulkameraden, der sich in dem Briefe aussprach. Den Verf., den ich wohl errathe, ärgerte das einem ehemaligen Freund gespendete Lob und um seine kleinliche Empfindung zu verbergen, hüllte er sich in pädagogische Vorwände. Der geärgerte Schulkamerad schrieb: „Bei der unbedingtesten Gerechtigkeit, die ich Büchners Genie widerfahren ließ, ist es mir doch nie eingefallen, mich vor ihm in eine Ecke zu verkriechen.“ Darauf folgte ein Erguß über die Eitelkeit, in der nun der Kamerad bestärkt werden würde, eine Versicherung, daß er <340> Büchners wahrer Freund wäre und in einem Postscript – ob ich nicht eine Antikritik abdrucken wollte! Mir schien dies anonyme Treiben so verdächtig, daß ich Büchnern einen Wink gab und von ihm Aufklärung erhielt. Ich will die betreffende Stelle hersetzen; nicht, weil das ganze Verhältniß von Bedeutung ist; sondern weil ich darin eine Abspiegelung von Jugenderinnerungen sehe, die gewiß in vielen Lesern dieses Gedächtnisses auftauchen. Wer hätte nicht in Beziehungen gestanden, wo brechen so schwer, fast unmöglich ist und wo man durch das freundschaftliche Verhältniß doch nicht erquickt, sondern im Gegentheil nur belästigt wird, und mit Freuden jede Gelegenheit ergreift, sich mit gutem Grund die Last abzuschütteln! Büchner antwortete: „Was Sie mir über die Zusendung aus der Schweiz sagen, macht mich lachen. Ich sehe schon, wo es herkommt. Ein Mensch, der mir einmal, es ist schon lange her, sehr lieb war, mir später zur unerträglichen Last geworden ist, den ich schon seit Jahren schleppe und der sich, ich weiß nicht aus welcher verdammten Nothwendigkeit, ohne Zuneigung, ohne Liebe, ohne Zutrauen an mich anklammert und quält und den ich wie ein nothwendiges Uebel getragen haben! Es war mir wie einem Lahmen oder Krüppel zu Muth und ich hatte mich so ziemlich in mein Leiden gefunden Aber jetzt bin ich froh, es ist mir, als wäre ich von einer Todsünde absolvirt. Ich kann ihn endlich mit guter Manier vor die Thüre werfen. Ich war bisher unvernünftig gutmüthig, es wäre mir leichter gefallen ihn todtzuschlagen, als zu sagen: Pack dich! Aber jetzt bin ich ihn los! Gott sei Dank! Nichts kommt Einem doch in der Welt theurer zu stehen, als die Humanität.“ (Schluß folgt.)

Frankfurter Telegraph. (Neue Folge.) Nr. 44. Juni 1837.

<345> Ein Kind der neuen Zeit.

(Schluß.)

Weil sich Büchner mit allen Kräften auf eine akademische Stellung vorbereitete, so konnte er seine Mußezeit nur leichten Arbeiten widmen. Er übersetzte in der Serie von Victor Hugos Werken die Tudor und Borgia mit ächt dichterischer Verwandtschaft zu dem Originale. Einen seiner Briefe, wo er die Schwächen Victor Hugos mit feinem Auge musterte, kann ich leider nicht wiederfinden. Alfred de Musset zog ihn an, während er nicht wußte, „wie er sich durch V. Hugo durchnagen“ solle, Hugo gäbe nur „aufspannende Situationen“ A. de Musset aber doch „Charaktere, wenn auch ausgeschnitzte.“ Wie wenig er auch arbeitete und erklärte, für den Danton, der so hurtig zu Stande gekommen, wären „die NN’schen Polizeidiener seine Musen gewesen;“ so trug er sich doch mit einem Lustspiele, wo Lenz im Hintergrund stehen sollte. Er wollte viel Neues und Wunderliches über diesen Jugendfreund Göthes erfahren haben, viel Neues über Friederiken und ihre spätere Bekanntschaft mit Lenz. Ich höre, daß sich in seinem Nachlaße Einiges von der Ausarbeitung dieses Stoffes vorgefunden haben soll. Möchte es in fromme Hände gekommen sein, die es durch geordnete Herausgabe zu ehren wissen!

Die deutsche Revue, welche von Wienbarg und mir herausgegeben werden sollte, ließ’ eine interessante Geschichte ihres Auf- und Unterganges zu. Ich hatte Lust, sie unter dem Titel: Lebenslauf eines Embryo herauszugeben, wollte aber discreter sein, als die noblen Herren waren, die darin hätten aufgeführt werden müssen. Die Materialien liegen jedoch geordnet dazu da, autographisches Zeug, von welchem bei den Protestationen nur das Unterfutter, welches man plötzlich herauskehrte, sichtbar wurde. G. Büchner sprach dem Unternehmen Muth zu. Er wollte hülfreiche Hand leisten. Seine <346>Motive zu dem Glauben an einen guten Fortgang sind aber zu persönlich, als daß ich sie wiedergeben könnte. Die auf mich hereinbrechenden Wallystürme machten dem sorglosen Streben für eine Sache, die in ihrem Grunde besser war, als ihr öffentlicher Widerschein, ein frühes Ende. Allein auch in Mannheim blieb Georg Büchner dem Freunde treu. Seine Besorgniß irrte um die Haft, welche ihn traf, wie eine Braut umher. Er wandte List über List an, um ihm zu rathen und gleichsam aus der Ferne mit einem Tuche zu winken. Er kannte die Lokalität und schilderte sie mit einer Einbildungskraft, als wär’ er selbst zugegen. Wär’ ich seinem ängstlichen Mißtrauen gefolgt, so würd’ ich ihm, dem frühvollendeten, vielleicht mit eigner Hand Züricher Erde als frommen leidtragenden Tribut der Freundschaft auf seinen Sarg nachgeworfen haben.

Büchners spätre Briefe beschäftigen sich meist mit seinen Zukunftsplänen. Sein Herz war gefesselt, er suchte eine Existenz, als Schmied seines Glückes. Er hatte die Medizin verlassen und sich auf die abstrakte Philosophie geworfen. Er schrieb (wie gewöhnlich ohne Datum)

Straßburg.

Lieber Freund!

War ich lange genug stumm? Was soll ich Ihnen sagen? Ich saß auch im Gefängniß und im langweiligsten unter der Sonne, ich habe eine Abhandlung geschrieben in die Länge, Breite und Tiefe. Tag und Nacht über der ekelhaften Geschichte, ich begreife nicht, wo ich die Geduld hergenommen. Ich habe nämlich die fixe Idee, im nächsten Semester zu Zürich einen Kurs über die Entwickelung der deutschen Philosophie seit Cartesius zu lesen; dazu muß ich mein Diplom haben und die Leute scheinen gar nicht geneigt, meinem lieben Sohn Danton den Doktorhut aufzusetzen.

Was war da zu machen?

Sie sind in Frankfurt, und unangefochten?

Es ist mir leid und doch wieder lieb, daß Sie noch nicht im Rebstöckel (Straßburger Gasthof) angeklopft haben. Ueber den Stand der modernen Literatur in Deutschland weiß ich so gut als nichts; nur einige versprengte Broschüren, die, ich weiß nicht wie, über den Rhein gekommen, fielen mir in die Hände.

Sie erhalten hiermit ein Bändchen Gedichte von meinem Freunde Stöber. Die Sagen sind schön, aber ich bin kein Ver<347>ehrer der Manier à la Schwab und Uhland und der Parthei, die immer rückwärts ins Mittelalter greift, weil sie in der Gegenwart keinen Platz ausfüllen kann. Doch ist mir das Büchlein lieb; sollten Sie nichts Günstiges darüber zu sagen wissen, so bitte ich Sie, lieber zu schweigen. Ich habe mich ganz hier in das Land hineingelebt; die Vogesen sind ein Gebirg, das ich liebe wie eine Mutter, ich kenne jede Bergspitze und jedes Thal und die alten Sagen sind so originell und heimlich und die beiden Stöber sind alte Freunde, mit denen ich zum Erstenmal das Gebirg durchstrich. Adolph hat unstreitig Talent, auch wird Ihnen sein Name durch den Musenalmanach bekannt sein. August steht ihm nach, doch ist er gewandt in der Sprache.

Die Sache ist nicht ohne Bedeutung für das Elsaß, sie ist einer von den seltnen Versuchen, die noch manche Elsässer machen, um die deutsche Nationalität Frankreich gegenüber zu wahren und wenigstens das geistige Band zwischen ihnen und dem Vaterland nicht reißen zu lassen. Es wäre traurig, wenn das Münster einmal ganz auf fremdem Boden stünde. Die Absicht, welche zum Theil das Büchlein erstehen ließ, würde sehr gefördert werden, wenn das Unternehmen in Deutschland Anerkennung fände und von der Seite empfehle ich es Ihnen besonders.

Ich werde ganz dumm in dem Studium der Philosophie; ich lerne die Armseligkeit des menschlichen Geistes wieder von einer neuen Seite kennen. Meinetwegen! Wenn man sich nur einbilden könnte, die Löcher in unsern Hosen seien Pallastfenster, so könnte man schon wie ein König leben, so aber friert man erbärmlich.“

Dies Ganze ist die Zusammensetzung zweier Briefe, der letzte Theil ist älter, als der erste. Der Umzug nach Zürich brachte eine momentane Störung hervor. Die Habilitation beschäftigte Büchner, der übermäßig arbeitete; ich drang auf keine Nachrichten, weil ich hoffte, die Zürcher Niederlassung würde gute Wege haben. Inzwischen erkrankte Büchner und starb.

Beweisen nicht schon diese von mir mitgetheilten Brieffragmente, um welch einen reichen Geist mit ihm unsre Nation gekommen ist? Alles, was er berührte, wußte er in eine bedeutsame Form zu gießen. Er hatte die Rede und den Gedanken stets in gleicher Gewalt und wußte mit einer an jungen Gelehrten so seltenen Besonnenheit, seine Ideen abzurunden und zu krystallisiren. Seine Inaugurationsabhandlung wird <348> als ein seltner Beleg von Gelehrsamkeit und Scharfsinn gerühmt; wie es denn nichts geben kann, was dem Denker mehr einen Erfolg sichert, als eine solche Freiheit des Geistes, eine solche dilettantische Unbefangenheit von Vorurtheilen, wenn sie sich einmal auf einen gegebenen Stoff wirft und eine Tradition todter Fakultätsbegriffe in ihrer lebendigen Weise prüft und sichtet. Büchner würde, wie Schiller, seine Dichterkraft durch die Philosophie geregelt und in der Philosophie mit der Freiheitsfackel des Dichters die dunkelsten Gedankenregionen gelichtet haben. Alle diese Hoffnungen knickte der Sturm. Ein frühes Grab war der Punkt, in welchen sich all die frischen, kühnen Perioden, die wir von einem Jünglinge in diesen Mittheilungen gelesen haben, enden sollten. In dem Trotze, der aus diesem Charakter sprach, lachte der Tod. Der Friedensbogen, der sich über diese gährende Kampfes- und Lebenslust zog, war die Sense des Schnitters, von welcher so frühe gemäht zu werden, uns schmerzlich und fast mit einem gerechten Scheine die Unbill des Schicksals anklagen läßt. Könnt’ ich diese Erinnerungsworte ansehen, als in Stein und nicht in Sand gegraben, daß sie vom Winde nicht verweht werden! Könnt’ ich in künftigen Darstellungen unsrer Zeit, wie sie war, rang, litt und hoffte, wenigstens den Namen: Georg Büchner in der Zahl derjenigen, welche durch ihr Leben und ihr Arbeiten die Entwickelung unsrer Uebergangsperiode bezeichnen, dauernd und mit goldnem Scheine erhalten! Wenn die Fluth der Vergessenheit über uns Alle kömmt, möcht’ er einer der ersten sein, von welchen, wenn der Zorn Gottes verronnen ist, ein grünes Blatt die Friedenstaube in die Arche der dann entscheidenden Gerechtigkeit trägt! 

K. G.

Überlieferung
Erstdruck: Frankfurter Telegraph (Neue Folge), 3. Jg., Nr. 42-44, Juni 1837, S. 329-332, 337-340, 345-348.