Manuskript der Probevorlesung; Foto: Klassik Stiftung Weimar
Manuskript der Probevorlesung; Foto: Klassik Stiftung Weimar

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Einleitung zu Probevorlesung

Probevorlesung

Editorische Notiz:
Büchner hielt die "Probevorlesung"  am 5. November 1836 in Zürich. Der erste Teil des Textes wurde von Ludwig Büchner in "Nachgelassene Schriften von Georg Büchner" (Frankfurt a. M. 1850, S. 291-294) erstmals abgedruckt. Die handschriftliche Vorlage hierfür ist verloren. Vom zweiten Teil des Textes ist die Handschrift überliefert, jedoch in einem sehr schlechten Zustand. Größere Teile des Papiers sind durch Mäusefraß zerstört. Der Text muss hier versuchsweise rekonstruiert werden. Diese rekonstruierten Teile sind durch Kursivierung markiert. Die Seitenzahlen in Ludwig  Büchners Ausgabe werden ebenso vermerkt (z. B. ) wie die Bogen- und Seitenzahlen des Manuskripts  (z. B. <I,1>). Die Textwiedergabe folgt der in der "Marburger Büchner Ausgabe" (Bd. VIII, Darmstadt 2008, S. 153-169).   

 

<291> Hochgeachtete Zuhörer!

................ Es treten uns auf dem Gebiete der physiologischen und anatomischen Wissenschaften zwei sich gegenüberstehende Grundansichten entgegen, die sogar ein nationelles Gepräge tragen, indem die eine in England und Frankreich, die andere in Deutschland überwiegt. Die erste betrachtet alle Erscheinungen des organischen Lebens vom teleologischen Standpunkt aus; sie findet die Lösung des Räthsels in dem Zweck der Wirkung, in dem Nutzen der Verrichtung eines Organs. Sie kennt das Individuum nur als etwas, das einen Zweck außer sich erreichen soll, und nur in seiner Bestrebung, sich der Außenwelt gegenüber theils als Individuum, theils als Art zu behaupten. Jeder Organismus ist für sie eine verwickelte Maschine, mit den künstlichen Mitteln versehen, sich bis auf einen gewissen Punkt zu erhalten. Das Enthüllen der schönsten und reinsten Formen im Menschen, die Vollkommenheit der edelsten Organe, in denen die Psyche fast den Stoff zu durchbrechen und sich hinter den leichtesten Schleiern zu bewegen scheint, ist für sie nur das <292> Maximum einer solchen Maschine. Sie macht den Schädel zu einem künstlichen Gewölbe mit Strebepfeilern, bestimmt, seinen Bewohner, das Gehirn, zu schützen, – Wangen und Lippen zu einem Kau- und Respirationsapparat, – das Auge zu einem complicirten Glase, – die Augenlider und Wimpern zu dessen Vorhängen; – ja die Thräne ist nur der Wassertropfen, welcher es feucht erhält. Man sieht, es ist ein weiter Sprung von da bis zu dem Enthusiasmus, mit dem Lavater sich glücklich preist, daß er von so was Göttlichem, wie den Lippen, reden dürfe.

Die teleologische Methode bewegt sich in einem ewigen Zirkel, indem sie die Wirkungen der Organe als Zwecke voraussetzt. Sie sagt zum Beispiel: soll das Auge seine Funktion versehen, so muß die Hornhaut feucht erhalten werden, und somit ist eine Thränendrüse nöthig. Diese ist also vorhanden, damit das Auge feucht erhalten werde, und somit ist das Auftreten dieses Organs erklärt; es gibt nichts weiter zu fragen, die entgegengesetzte Ansicht sagt dagegen: die Thränendrüse ist nicht da, damit das Auge feucht werde, sondern das Auge wird feucht, weil eine Thränendrüse da ist, oder, um ein anderes Beispiel zu geben, wir haben nicht Hände, damit wir greifen können, sondern wir greifen, weil wir Hände haben. Die größtmöglichste Zweckmäßigkeit ist das einzige Gesetz der teleologischen Methode; nun fragt man aber natürlich nach dem Zwecke dieses Zweckes, und so macht sie auch ebenso natürlich bei jeder Frage einen progressus in infinitum.

Die Natur handelt nicht nach Zwecken, sie reibt sich nicht <293> in einer unendlichen Reihe von Zwecken auf, von denen der eine den anderen bedingt; sondern sie ist in allen ihren Aeußerungen sich unmittelbar selbst genug. Alles, was ist, ist um seiner selbst willen da. Das Gesetz dieses Seins zu suchen, ist das Ziel der, der teleologischen gegenüberstehenden Ansicht, die ich die philosophische nennen will. Alles, was für jene Zweck ist, wird für diese Wirkung. Wo die teleologische Schule mit ihrer Antwort fertig ist, fängt die Frage für die philosophische an. Diese Frage, die uns auf allen Punkten anredet, kann ihre Antwort nur in einem Grundgesetze für die gesammte Organisation finden, und so wird für die philosophische Methode das ganze körperliche Dasein des Individuums nicht zu seiner eigenen Erhaltung aufgebracht, sondern es wird die Manifestation eines Urgesetzes, eines Gesetzes der Schönheit, das nach den einfachsten Rissen und Linien die höchsten und reinsten Formen hervorbringt. Alles, Form und Stoff, ist für sie an dies Gesetz gebunden. Alle Funktionen sind Wirkungen desselben; sie werden durch keine äußeren Zwecke bestimmt, und ihr sogenanntes zweckmäßiges Aufeinander- und Zusammenwirken ist nichts weiter, als die nothwendige Harmonie in den Aeußerungen eines und desselben Gesetzes, dessen Wirkungen sich natürlich nicht gegenseitig zerstören.

Die Frage nach einem solchen Gesetze führte von selbst zu den zwei Quellen der Erkenntniß, aus denen der Enthusiasmus des absoluten Wissens sich von je berauscht hat, der Anschauung des Mystikers und dem Dogmatismus des Vernunftphilosophen. Daß es bis jetzt gelungen sei, zwischen <294> letzterem und dem Naturleben, das wir unmittelbar wahrnehmen, eine Brücke zu schlagen, muß die Kritik verneinen. Die Philosophie a priori sitzt noch in einer trostlosen Wüste; sie hat einen weiten Weg zwischen sich und dem frischen grünen Leben, und es ist eine große Frage, ob sie ihn je zurücklegen wird. Bei den geistreichen Versuchen, die sie gemacht hat, weiter zu kommen, muß sie sich mit der Resignation begnügen, bei dem Streben handle es sich nicht um die Erreichung des Ziels, sondern um das Streben selbst.

<I,1> War nun auch nichts absolut Befriedigendes erreicht, so genügte doch der Sinn dießer Bestrebungen dem Naturstudium eine andere Gestalt zu geben. Hatte man auch die Quelle nicht gefunden, so hörte man doch an vielen Stellen den Strom in der Tiefe rauschen und an manchen Orten sprang das Wasser frisch und hell auf. Namentlich erfreuten sich die Botanik und Zoologie, die Physiologie und vergleichende Anatomie eines bedeutenden Fortschrittes. In einem ungeheuren, durch den Fleiß von Jahrhunderten zusammengeschleppten Material, das kaum unter die Ordnung eines Kataloges gebracht war, bildeten sich einfache, natürliche Gruppen; ein Gewirr seltsamer Formen unter den abentheuerlichsten Namen, löste sich im schönsten Ebenmaaß auf; eine Masse Dinge, die sonst nur als getrennte, weit auseinanderliegende facta das Gedächtniß beschwerten, rückten zusammen, entwickelten sich auseinander oder stellten sich in Gegensätzen gegenüber. Hat man auch nichts Ganzes erreicht, so kamen doch zusammenhängende Strecken zum Vorschein und das Auge, das an einer Unzahl von Thatsachen ermüdet, ruht mit Wohlgefallen auf so schönen Stellen, wie die Metamorphose der Pflanze aus dem Blatt, die Ableitung des Skeletts aus der Wirbelform; die Metamorphose ja die Metempsychose des Fötus während des Fruchtlebens; die Repräsentationsidee Oken’s in der Klassification des Thierreichs u. d. gl. m. In der vergleichenden Anatomie strebte Alles nach einer gewissen Einheit, nach dem Zurückführen aller Formen auf den einfachsten primitiven Typus. <I,2> So gelangte man zur Deutung der Gebilde des vegetativen Lebens für die Ausbildung des Skeletts; nur für das Hirn ließ sich bis jezt kein so glückliches Resultat zeigen. Da man aber gesagt hatte: der Schädel ist eine Wirbelsäule, so mußte man auch sagen das Hirn ist ein metamorphosirtes Rückenmark und die Hirnnerven sind Spinalnerven.

Wie aber dieß im Einzelnen nachzuweisen sey, bleibt bis jezt ein schweres Räthsel. Wie können die Massen des Gehirns auf die einfache Form des Rückenmarks zurückgeführt werden? Wie kann man die in ihrem Ursprung und Verlauf so verwickelten Nerven des Gehirns mit den so gleichmäßig mit ihrer doppelten Wurzelreihe längs des Rückenmarkes entspringenden und im Ganzen so einfach und regelmäßig verlaufenden Spinalnerven vergleichen, und wie endlich ihr Verhältniß zu den Schädelwirbeln darthun? Mancherlei Antworten wurden auf dieße Fragen versucht. Eine besondere Mühe verwendete Carus darauf.

Hier die Art wie er die Hirnnerven in seinem Werke von den Urtheilen des Knochen und Schalengerüstes ordnet. Das Gehirn hat nach ihm drei Hauptanschwellungen: die Hemisphären, die Vierhügel und das kleine Gehirn.

Dießen entsprechen drei Paar Schädelnerven. Jeder Schädelnerv entspringt gleich den Spinalnerven mit zwei Wurzeln, einer hinteren und einer vorderen, die sich aber nicht zu einem gemeinschaftlichen Stamm vereinigen, sondern jede für sich einen eigenthümlichen Nerven bilden. Die drei hinteren Wurzeln sind nun der Riech, Seh und Hörnerv, die vorderen dagegen das fünfte Paar entsprechend dem Sehnerven, und das zehnte Paar entsprechend dem Hörnerven, <I,3> während die vordere Wurzel des Riechnerven durch das infundibulum nur rudimentär angedeutet ist. Die übrigen Hirnnerven erweisen sich als Unterabtheilungen dießer Wurzeln. So zerfällt die hintere Wurzel des zweiten Schädelnerven in den opticus und patheticus und die vordere in den facialis, oculomotorius, abducens und den eigentlichen trigeminus und so zerfällt die vordere Wurzel des dritten Schädelnerven in den glossopharyngeus, hypoglossus, accessorius Will. u. eigentlichen vagus. Man braucht nur aufmerksam zu machen, wie unpassend es sey zwei so deutliche Empfindungsnerven wie den vagus und trigeminus zu isolirten motorischen Wurzeln zu machen, um das Ungenügende dießer Anordnung nachzuweisen. – Der bedeutendste Versuch ist wohl der, welchen Arnold machte. Er zählt zwei Schädelwirbel; daraus ergeben sich zwei Intervertebrallöcher und somit zwei Paar Schädelnerven. Die vordere oder die motorische Wurzel des ersten Schädelnerven bildet die drei Muskelnerven des Auges und die kleine Portion des trigeminus; die hintere dagegen die große Portion dießes Nerven. Was den zweiten Schädelnerven betrifft so geht seine vordere Wurzel in den hypoglossus und den Beynerven und seine hintere in den vagus über. Die Knoten des vagus und trigeminus entsprechen den Spinalknoten. Der facialis wird zum vorderen, der glossopharyngeus zum hinteren Schädelnerven gerechnet, ohne daß sie jedoch einer von beyden Wurzeln beygezählt würden, sondern sie werden als gemischte, aus Bewegungs und Empfindungsfäden zusammengesetzte Nerven betrachtet. Die obere Augenhöhlenspalte und das zerrissene Loch bilden die zwei Intervertebrallöcher, das ovale und runde Loch werden als zu der ersteren, das Gelenkhügelloch als zu dem letzteren gehörig <I,4> betrachtet. Die Nerven des Gesichts, Geruchs und Gehörs machen eine besondere Gruppe aus; sie werden nicht als eigentliche Hirnnerven, sondern als Ausstülpungen des Gehirns betrachtet, eine Eintheilung, die auf ihre Entwicklung beym Fötus, ihren Mangel an Knoten, die den Spinalknoten entsprächen und auf ihr Unvermögen eine andre Empfindung, als die ihres eigenthümlichen Sinnes, zur Erkenntniß zu bringen, basirt wird. Gegen dieße Eintheilung, welche sich, wie man auf den ersten Blick sieht, im höchsten Grade durch ihre Einfachheit empfiehlt, erheben sich jedoch mehrere bedeutende Gründe, namentlich macht das Absondern der drei höheren Sinnesnerven Schwierigkeiten. Die passive Seite des Nervenlebens erscheint unter der allgemeinen Form der Sensibilität; die sogenannten einzelnen Sinne sind nichts als Modificationen dießes allgemeinen Sinnes, Sehen, Hören, Riechen, Schmecken sind nur die feineren Blüthen desselben. So ergiebt es sich aus der stufenweisen Betrachtung der Organismen. Man kann Schritt für Schritt verfolgen, wie von dem einfachsten Organismus an, wo alle Nerventhätigkeit in einem dumpfen Gemeingefühl besteht, nach und nach besondere Sinnesorgane sich abgliedern und ausbilden. Ihre Sinne sind nichts neu Hinzugefügtes, sie sind nur Modificationen in einer höheren Potenz. Das Nämliche gilt natürlich von den Nerven, welche ihre Functionen vermitteln, sie erscheinen unter einer vollkommneren Form, als die übrigen Empfindungsnerven, ohne deßwegen ihren ursprünglichen Typus zu verlieren. Jeder Empfindungsnerv characterisirt sich aber bey d. Wirbelthieren als ein aus den hinteren Marksträngen entspringendes Wurzelbündel und somit sind die 3 höheren Sinnesnerven nichts weiter als isolirt gebliebne sensible Wurzeln. Bey den Fischen wird dieß Verhalten ziemlich deutlich und bey den Cyprinen glaube ich ihren Ursprung von den hinteren Marksträngen oder den oberen Pyramiden gleich den übrigen Empfindungsnerven nachgewiesen zu haben. Uebrigens würde mich die weitere Diskussion dießer Frage, über die noch Vieles zu sagen wäre, zu weit führen.

<II,1> Es dürfte wohl immer vergeblich bleiben gerade bey der verwickeltsten Form, nämlich bey dem Menschen anzufangen. Die einfachsten Formen leiten immer am Sichersten, weil in ihnen sich nur das Ursprüngliche, absolut Nothwendige zeigt. Dieße einfache Form bietet uns nun die Natur für dießes Problem entweder vorübergehend im Fötus, oder stehengeblieben, selbst ständig geworden in den niederen Wirbelthieren dar. Die Formen wechseln jedoch beym Fötus so rasch und sind oft nur so flüchtig angedeutet, daß man nur mit der grösten Schwierigkeit zu einigermaaßen genügenden Resultaten gelangen kann, während sie bey den niedrigen Wirbelthieren zu einer vollständigen Ausbildung gelangen und uns so die Zeit lassen sie in ihrem einfachsten und bestimmtesten Typus zu studiren. Es frägt sich also in unserem Falle, welche Schädelnerven treten bey den niedrigsten Wirbelthieren zuerst auf, wie verhalten sie sich zu den Hirnmassen und den Schädelwirbeln und nach welchen Gesetzen wird, die Reihe der Wirbelthiere durch bis zum Menschen, ihre Zahl vermehrt oder vermindert, ihr Verlauf einfacher oder verwickelter? Faßt man nun die Thatsachen, welche die Wissenschaft uns bis jezt in die Hand giebt zusammen, so findet man 9 Paar Schädelnerven, nämlich den: olfactivus, opticus, die 3 Muskelnerven des Auges, den trigeminus, acusticus, vagus u. hypoglossus bey allen Klassen d. Wirbelthiere, während die drei <II,2> anderen, der facialis, glossopharyngeus u. accs. Willisii, bald als selbstständige Nerven, bald nur als Aeste des vagus und des trigeminus auftreten, oder gänzlich verschwinden. So tritt bey den Fischen der facialis, als der Deckelast des 5. Paares auf, verschwindet dann bey der Mehrzahl der Reptilien und Vögel und zeigt sich wieder bey den Saügethieren in dem Maaße als die Physiognomie mehr Ausdruck bekommt und die Nasenrespiration bedeutender wird. So tritt d. glossophag. bey den Fischen zwar als ein selbstständiger Stamm auf, verhält sich jedoch durch seine Vertheilung an die erste Kieme ganz wie ein Ast des vagus, verschmilzt dann bey den Batrachiern und Ophidiern mit dem vagus, dessen ramus lingualis er bildet, isolirt sich wieder bey den Cheloniern und bleibt endlich bey den Vögeln und Säugethieren ein selbstständiger Nerv. So zeigt sich bey den Fischen und Batrachiern keine Spur von einem Beynerven, indem der vagus selbst die motorischen Fäden abgiebt; erst bey den Sauriern, Cheloniern und Vögeln fängt er an sich zu isoliren und selbst bey den Saügethieren ist er im Allgemeinen eigentlich nicht von dem vagus getrennt. Ich nenne dieße drei Nervenpaare abgeleitete Nerven und betrachte sie, wo sie selbstständig auftreten als isolirte Zweige des vagus und trigeminus, deren Isolation von der mehr oder weniger gesteigerten Function ihres Primitivnervenstammes abhängt. Damit wird das <II,3> Problem viel einfacher und es ist nur zu fragen, wie lassen sich die übrigen Paare auf den Typus der Spinalnerven zurückführen? – Jeder Spinalnerv entspringt, wie bekannt, mit 2 Wurzelbündeln, einem vorderen die Bewegung, einem hinteren die Empfindung vermittelnden. Beyde Wurzeln vereinigen sich in einer gewissen Distanz vom Mark zu einem gemeinschaftlichen Nervenstamm. Je zwei Spinalnerven bilden durch ihre Insertion einen Markabschnitt, dem ein Wirbel entspricht. Dieß das einfachste Verhältniß. Auf welche Weise kann nun dasselbe modificirt werden? 1.) Beyde Wurzeln vereinigen sich nicht mehr zu einem gemeinschaftlichen Stamm, sondern jede bleibt isolirt und bildet einen eignen, rein motorischen oder rein sensibeln Nerven. 2.) Beyde Wurzeln vereinigen sich zwar, doch tritt eine partielle Trennung in ihren Fäden ein, so daß in den Aesten, welche der von ihnen zusammengesetzte Nerv abgiebt die motorischen und sensibeln Fäden nicht mehr gleichmäßig vertheilt sind. Dieß Verhalten bildet den Uebergang zu dem vorhgehenden. 3.) Eine von den Wurzeln avortirt, so daß sich nur die andere entwickelt.

4. So wie von den zwei Wurzeln jede einen besondren Nerven bilden kann, so kann dießer Nerv selbst wieder in mehrere isolirte Stämme zerfallen.

Auf dieße 4 Modificationen nun lassen sich, wie ich sogleich nachweisen werde, die Unterschiede zwischen den Schädel und <II,4> Spinalnerven zurückführen. Mit ihrer Hülfe lassen sich 6 Schädelnerven unterscheiden, denen entsprechend ich 6 Schädelwirbel annehme, was ich bey den Fischen begründen zu können glaube. Die 6 Paar Schädelnerven sind: der Zungenfleischnerv, d. vagus, der Hörnerv, das 5 Paar, der Sehnerv mit dem Muskelnerv des Auges und der Riechnerv.

Nichts ist leichter, als nachzuweisen, daß der hypoglossus ursprünglich mit einer hinteren Wurzel und einem Spinalknoten versehen sey, und somit so gut als jeder andre Spinalnerv als ein selbstständiger Nervenstamm betrachtet werden müsse. Bey den Fischen entspringt der letzte Schädelnerv mit einer vorderen breiten und einer hinteren feinen mit einem Knoten versehenen Wurzel. Er tritt durch ein eignes Loch aus d. Schädelhöhle und theilt sich darauf in zwei Aeste, einen vordern und einen hintern. Der vordere laüft indem er einen Bogen bildet nach vorn zu den Muskeln des Zungenbeins, der hintere vereinigt sich mit dem ersten Spinalnerven und geht zur vorderen Extremität. Die Bedeutung dießes Nerven als hypoglossus ergiebt sich fast auf den ersten Blick, indem der vordere Ast dem Bogen, der hintere der ansa entspricht. Der Frosch liefert übrigens den directen Beweis. Zwischen dem vagus und dem ersten Spinalnerven entspringt ein Nerv mit zwei Wurzeln grade wie bey den Fischen; er theilt sich ebenfalls <III,1> in zwei Aeste, einen vorderen, der sich in die Muskeln der Zunge vertheilt und einen hinteren, der mit dem ersten Spinalnerven zur vorderen Extremität geht. Es ist klar, daß dieser Nerv dem hypoglossus der höheren Thiere entspricht und so evident, daß er mit dem fraglichen Nerven der Fische identisch ist. Bey den Fischen und Fröschen erscheint also der hypoglossus, als ein selbstständiger Nerv und zeigt auf das deutlichste den Typus eines Spinalnerven. Ja, noch mehr, bey dem Frosch ist er eigentlich der erste Spinalnerv, indem der ihm entsprechende Schädelwirbel sich wieder in einen Rückenwirbel verwandelt hat und somit der vagus der letzte Gehirnnerv ist. Außerdem hat Maier, selbst bey verschiednen Saügethieren und einmal sogar bey dem Menschen, eine feinere, hinten mit einem Knötchen versehene Wurzel des hypoglossus gefunden. – Bey dem hypoglossus des Menschen tritt also die dritte der erwähnten Modificationen ein, die Empfindungswurzel ist avortirt und nur die motorische hat sich entwickelt, ein Verhältniß das übrigens schon bey dem Fisch und Frosch durch das Ueberwiegen der vorderen Wurzel über die hintere angedeutet ist.

Was den trigeminus anbelangt, so ist selbst bey dem Menschen, aus dem eigenthümlichen Verhältniße seiner portio major u. minor, seine Analogie mit den Spinalnerven unverkennbar und längst anerkannt.

<III,2> Aehnlich verhält es sich bey den Fischen, wo außerdem eine Analogie des opercularis mit dem eigenartigen Gebilde des facialis besteht, dessen Ursprung dem der Spinalnerven entspricht. Mit dem vagus hat die Sache bey den höheren Thieren mehr Schwierigkeit, doch helfen auch hier die niederen Formen. So entspringt bey dem Hecht zum Beyspiel der vagus auf’s Deutlichste mit 2 Wurzeln, einer vorderen und hinteren, die sich erst nach ziemlich langem Verlauf bey ihrem Austritt aus der Schädelhöhle vereinigen und daselbst einen Knoten zeigen. Dießer Spinalknoten des vagus ist bey vielen Fischen von enormer Größe und findet sich, wie bekannt, noch bey dem Menschen. Vagus u. trigeminus bieten die zweite Modification dar, nämlich die partielle Trennung der motorischen und sensibeln Fäden in den Stämmen, in welche dieße Nerven sich theilen, nämlich dem facialis, glossopharyngeus und access. Will. wie ich bereits gezeigt habe. Im vagus wird dieße Trennung vollständiger als beym trigeminus, wenigstens scheint dieß aus dem Verhältniß des Beynerven zum vagus hervorzugehen, indem letzterer wirklich ohne alle motorische Fäden zu seyn scheint. – Das 10. und 5. Paar zeigen in der ganzen Reihe der Wirbelthiere eine auffallende Symetrie. Der vagus verhält sich zur Brust und Bauchhöhle wie der trigeminus zur Wiederholung dießer Höhlen am Kopf, nämlich der Mund und Nasenhöhle. Kurz der trigeminus ist ein vagus in einer höheren Potenz. Dieß Verhältniß wird bey den Saügethieren besonders deutlich. Das 10. Paar theilt sich in 3 Nervenstämme, den acc. Will., den eigentlichen vagus und den glossopharyngeus; das 5. Paar ebenfalls in drei, <III,3> den facialis, den eigentlichen trigeminus und den ophtalmicus Will., den man eben so gut als einen besonderen Nerven ansehen kann. Wie der acc. Will. Athemnerv des Halses und eines Theils des Rumpfes ist, so ist d. facialis Respirationsnerv des Kopfs; wie der Stamm des vagus der Empfindungsnerv des Darmkanals ist, so ist der Zungenast des trigeminus d. sensible Nerv der Zunge, dießem vollkommensten Theile des Darmkanals, dießem Organe des Darmsinnes, wie Oken so sinnreich den Geschmack nennt. Endlich wie der vagus den glossopharyngeus als Hülfsnerven zur Zunge, so schickt der trigeminus den ophthalmicus als Hülfsnerven zur Nase und dem Auge.

Es bleibt mir jezt noch die Analogie der drei höheren Sinnesnerven mit den Spinalnerven nachzuweisen. Der acusticus und olfactivus sind als hintere Wurzeln zu betrachten, deren vordere avortirt ist. Die Analogie, woraus ich dieß schließe, liefert der hypoglossus, dessen hintere bey d. Fischen, Fröschen und manchen Saügethieren vorkommende Wurzel, bey dem Menschen avortirt, während nur die vordere sich entwickelte. Das Umgekehrte ist bey dem acusticus u. olfactivus der Fall; Nur die hintere Wurzel entwickelt sich und die vordere avortirt.

Für beyde wird die motorische Wurzel durch den facialis ersetzt. Für den acusticus erklärt sich dieß leicht, wenn man bedenkt, in welchem Verhältniß der, dem facialis entsprechende Deckelast der Fische zu der Kiemenhöhle steht. Oken hat nämlich nachgewiesen, das Ohr mit Ausnahme des Labyrinths, sey nur eine metamorphosirte Kiemenhöhle und so sieht man leicht, daß die Fäden, welche der facialis bey Vögeln und Saügethieren dem äußeren und inneren Ohr giebt, das Verhältniß des Deckelastes zur Kiemenhöhle wiederholen. —

In dem Sehnerven und den Muskelnerven des Auges treten endlich beyde Wurzeln als isolirte Nerven auf, die hintere als zweites, die vordere als 3. 4. u. 6. Paar, indem dieße letzteren der vierten Modification <III,4> entsprechend isolirte Nervenstämme bilden. Das 3. u. 6. Paar gehen aus demselben Markstrang hervor, das eine vor dem anderen, und bilden zwei Fäden einer Wurzel, von denen das eine etwas eher als das andere aus dem Mark tritt. Das vierte Paar macht dagegen größere Schwierigkeiten, doch sein Verhalten bey manchen Fischen hebt sie gröstentheils. Es entspringt bey den Cyprinen u. dem Hecht vom aüßeren Rand der vorderen Pyramidenstränge folglich vom nämlichen Markstrang wie das dritte und sechste.

In dem Augenmuskelnerv erreicht der Nerv als solcher seine höchste Entfaltung, er verhält sich, um ein Beyspiel zu geben, zu den übrigen Nerven wie der Huf zu der Hand des Menschen. Was in dem ersteren noch verbunden liegt, gliedert sich in der letzteren im schönsten Verhältniß ab. Dieße Entwicklung fällt mit der Bedeutung des Auges zusammen, von dem Oken wahrhaftig mit Recht sagt, es sey das höchste Organ, die Blüthe oder vielmehr die Frucht aller organischen Reiche.

So wären denn 6 Paar Schädelnerven gefunden: 1.) der Riechnerv 2.) der Sehnerve mit dem 3. 4. u. 6. Paar. 3.) der trigeminus. 4.) d. acusticus. 5.) der vagus. 6.) der hypoglossus.

Ihre rechte Begründung kann übrigens dieße Eintheilung der Schädelnerven erst durch ihre Vergleichung mit den Schädelknochen erhalten. Dieße jedoch auszuführen und nachzuweisen, wie ich dießen 6 Paaren 6 Schädelwirbel, entsprechend, gefunden zu haben glaube, erlaubt die Zeit nicht.

Vergleicht man endlich die Schädelnerven untereinander, so findet man, daß sie sich in zwei Gruppen theilen. Die eine, gebildet vom acusticus und opticus, dießen Nerven des Schalls und des Lichts, ist der reinste Ausdruck des animalen Lebens; die andere, bestehend aus dem hypoglossus, vagus, trigeminus und olfactivus erhöht das vegetative zum animalen Leben. So werden wir uns des Actes der Verdauung und <IV,1> der Respiration durch den vagus bewußt, so wird die Zunge als ein wesentlicher Bestandtheil des Verdauungskanals durch den Einfluß des hypoglossus ein dem Willen unterworfenes Organ, und damit ein wahres Glied des Kopfes; so entwickeln sich Geschmack und Geruch, als die Sinne des Darm und des Athemsystems, unter dem Einflusse des trigeminus und des olfactivus. Die Nerven dießer letzteren Gruppe unterscheiden sich jedoch dadurch nicht wesentlicher von den übrigen Spinalnerven, als die Lendennerven, welche zu den Organen der Zeugung gehn. Die ersteren verhalten sich zur Verdauung und Respiration, wie die letzteren zu den Geschlechtsverrichtungen. Außerdem sind ja alle Spinalnerven durch ihren Einfluß auf die Respirationsbewegungen ebenfalls an das vegetative Leben geknüpft.