5.1. Burghard Dedner
Büchner und Heine

Drucknachweis
Burghard Dedner: Götterdemokratie und Fels des Atheismus - Büchners Antworten auf Heinrich Heine. - Erstdruck in: Georg Büchner. Revolutionär mit Feder und Skalpell, hrsg. von Ralf Beil und Burghard Dedner. [Katalog zur Ausstellung des Instituts Mathildenhöhe Darmstadt, 13. Oktober 2013 bis 16. Februar 2014]. Ostfildern 2013, S. 259–269

 

Inhalt
1. Textveränderung in letzter Minute
2. Pantheismus und Götterdemokratie
3. Marat oder Venus – die Ikonen der Republik
4. Einen Herrgott erfinden
5. Auf diesen Felsen bauen wir

 

1. Textveränderung in letzter Minute

Mitte Januar 1835 begann Büchner mit der Niederschrift der Druckvorlage zu Danton’s Tod. Er stützte sich bei der Arbeit auf zuvor schon geschriebene Entwürfe und schickte das Manuskript am 21. Februar über Karl Gutzkow an den Verlag. Er sei „in höchstens fünf Wochen“ damit fertig geworden, teilte er mit. 21. Februar 1835. An Karl Gutzkow in Frankfurt am Main

Nur an einer Stelle musste er erheblich nachbessern. Er legte den Freunden Dantons das politische Programm einer allgemeinen Amnestie für Abgeordnete in den Mund, die aus politischen Gründen verhaftet worden waren. 

dtp.4verso.PNG

 

 

 

 

 

 

Philippeau. Heute sind wieder zwanzig
Opfer gefallen. Wir waren im Irr-
thum, man hat die Hebertisten
nur auf's Schaffott geschickt, weil sie
nicht systematisch genug verfuhren,
vielleicht auch weil die Decem-
virn sich verloren glaubten wenn
es nur eine Woche Männer gäbe,
die man mehr fürchtete, als sie.
Camille. Wir müssen vorwärts, mor-
gen greif' ich sie geradezu an,
dann einen entschlossenen Angriff im
Convent! der Gnadenausschuß
muß durchgesezt, die ausgestoßnen
Deputirten müssen wieder auf-
genommen werden. Die Revolution

 

Danton's Tod Handschrift p. 4 verso (Goethe- und Schiller-Archiv Weimar)

Dieses Programm war zwar historisch korrekt, aber dramatisch unergiebig. Also notierte Büchner am Rand der Seite eine neue Lösung, die den Gegensatz zwischen Dantonisten und Robespierristen in eine umfassende universalhistorische Perspektive rückte. Der Zusatz beginnt mit dem Satz: "Sie möchten uns zu Antediluvianern machen." Büchner legte ihn erst Hérault, dann Camille in den Mund. Jedoch bemerkte er schnell, dass er mehr Platz brauchen werde und dass sich die Erweiterung des Textes nicht mit einem Randeintrag lösen ließ. So strich er den Randeintrag und beschrieb einen neuen Bogen, den er in das Manuskript einlegte. 

dthp5recto.PNG 

Hérault. Sie möchten uns zu Antediluvia-
nern machen. St. Just säh' es nicht
ungern, wenn wir wieder auf allen
Vieren kröchen, damit uns der
Advokat von Arras nach der
Mechanik des Genfer Uhrmachers Fallhütchen,
Schulbänke und einen Herrgott
erfände.
Philippeau. Sie würden sich nicht scheuen
zu dem Behuf an Marat's Rech-
nung noch einige Nulln zu hängen.
Wie lange sollen wir noch schmutzig und
blutig seyn wie neugeborne
Kinder, in Särgen statt in zur Wiege
haben und mit Köpfen spielen?
Hérault. Die Revolution ist in
dasWir müssen vorwärts. Der
Gnadenausschuß muß durchgesetzt,
die ausgestoßnen Deputirten müssen
wieder aufgenommen werden.
Danton's Tod Handschrift p. 5 recto (Goethe- und Schiller-Archiv Weimar)

In dieser Fassung war es wieder Hérault, der die einleitenden Sätze für das neue Programm sagte. Camille Desmoulins folgt ihm wenig später mit dem Hymnus auf eine sensualistisch geprägte Republik

Auslöser dieser Texterweiterung, die schließlich vier Seiten in Anspruch nahm und das Verständnis des Dramas entscheidend veränderte, war der seit 1830 im französischen Exil lebende Dichter Heinrich Heine.

2. Pantheismus und Götterdemokratie

Im Buch der Lieder von 1827 hatte Heine die unglücklich schmachtende Liebe besungen, und zwar mit großem Erfolg beim Publikum. Mit einer seiner nächsten Buchveröffentlichungen, Salon. Erster Band (1834), provozierte er dasselbe Publikum, indem er glückliche sinnliche Liebe besang.

Da in diesen Gedichten von mehreren Frauen die Rede zu sein schien, sah sich jeder sittenstrenge Familienvater genötigt, das Buch zu Hause unter Verschluss zu halten. Eingestreut in die Sammlung als Nr. VII zu dem Zyklus „Seraphine“ (Heinrich Heine: Salon. Erster Band, Hamburg 1834, S. 160) war das programmatische Gedicht:

Auf diesen Felsen bauen wir
Die Kirche von dem dritten,
Dem dritten neuen Testament;
Das Leid ist ausgelitten.
Vernichtet ist das Zweyerley,
Das uns so lang bethöret;
Die dumme Leiberquälerey
Hat endlich aufgehöret.
Hörst du den Gott im finstern Meer?
Mit tausend Stimmen spricht er.
Und siehst du über unserm Haupt
Die tausend Gotteslichter?
Der heilge Gott der ist im Licht
Wie in den Finsternissen;
Und Gott ist alles was da ist;
Er ist in unsern Küssen.

Was Heine hier verkündete, war nichts Geringeres als das Ende der christlichen Ära, die auf dem Felsen des Neuen Testaments gebaut war. Die Vergöttlichung des Leidens, der Dualismus von Leib und Seele, die „dumme Leiberquälerei“ – diese Charakteristika des Christentums hätten sich überlebt. Die künftige Religion werde die Welt vergöttlichen und uns lehren, Gott in Allem, vor allem „in unsern Küssen“, wahrzunehmen.

Nicht mehr nur provozierend, sondern vielmehr räsonierend kam Heine auf das Thema im folgenden Jahr in seiner Abhandlung Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland in Salon II zurück (Heinrich Heine: Salon. Zweiter Band, Hamburg 1835, S. 3–284).

Heine erzählte hier die Geschichte Europas und der Weltreligionen neu, und zwar als Auseinandersetzung zwischen „zwey socialen Systemen, die sich in allen Manifestazionen des Lebens geltend machen.“ (Heinrich Heine: Salon. Zweiter Band, Hamburg 1835, S. 100.) Das erste dieser Systeme, der „Spiritualismus“, suche in einer „frevelhaften Anmaßung des Geistes [...] die Materie zu zertreten“. Das zweite, der Sensualismus, wolle die Materie rehabilitieren und „den Sinnen ihre Rechte“ zurückgeben. Heine prophezeite in diesem Zusammenhang die religiöse Erneuerung Europas und plädierte für eine Neubestimmung sozialrevolutionärer Ziele.

Heine stellte fest, „der Pantheismus“ sei „das öffentliche Geheimniß in Deutschland“, und sagte voraus, „im Bewußtseyn seiner Göttlichkeit“ werde der künftige Mensch „die wahren Großthaten des wahren Heroentums“ leisten (Salon II, S. 134 u. 132). Fünfzig Jahre später verkündete Friedrich Nietzsche bekanntlich eine ähnliche Vision.

255px-Heinrich_Heine_1837.jpg

Heinrich Heine 1837 (wikipedia)

Heine gab seinem Programm außerdem eine unmittelbar politische Wendung mit der Feststellung, dass der im pantheistischen Geist handelnde Revolutionär sich von den Sozialrevolutionären älterer und neuerer Prägung wesentlich unterscheide. Er kämpfe nämlich nicht bloß „für die Menschenrechte des Volkes“, sondern „für die Gottesrechte des Menschen“, nicht für eine Volks-, sondern für eine Götterdemokratie. (Salon II, S. 133) Gegen die „Männer der Revoluzion“ gewendet schrieb Heine:

Wir wollen keine Sanskülotten seyn, keine frugale Bürger, keine wohlfeile Präsidenten: wir stiften eine Demokrazie gleichherrlicher, gleichheiliger, gleichbeseligter Götter. Ihr verlangt einfache Trachten, enthaltsame Sitten und ungewürzte Genüsse; wir hingegen verlangen Nektar und Ambrosia, Purpurmäntel, kostbare Wohlgerüche, Wollust und Pracht, lachenden Nymphentanz, Musik und Komödien. – Seyd deßhalb nicht ungehalten, Ihr tugendhaften Republikaner! Auf Eure censorische Vorwürfe entgegnen wir Euch, was schon ein Narr des Shakespear sagte: meinst du, weil du tugendhaft bist, solle es auf dieser Erde keine angenehmen Torten und keinen süßen Sekt mehr geben? (Salon II, S. 133 f.)

Büchner beschäftigte sich mit Heines Vorstellungen an verschiedenen Stellen seiner Dramen und vermutlich sogar noch in seinen philosophischen Schriften.

3. Marat oder Venus – die Ikonen der Republik

In der ersten Fassung von Büchners Danton-Manuskript fordern Dantons Freunde die sofortige Überführung der Revolutionsdiktatur in eine Republik. Diese müsse das „Recht“ und das „Wohlbefinden“ garantieren und die staatliche Regelungsgewalt auf ein Minimum, auf die „Nothwehr“, beschränken. Insgesamt solle gelten: „Jeder muß sich geltend machen und seine Natur durch setzen können.“ (Danton’s Tod I/1; diese frühe Fassung findet sich in Marburger Büchner Ausgabe III.1, S. 26.) Vorbild dieses Programms war offenbar eine Republik nach amerikanischem Muster mit den 1776 in der Declaration of Independence festgelegten Staatsgrundsätzen „life, liberty and the pursuit of happiness“.

Was Büchner so im Manuskript formulierte, entsprach dem Programm der historischen Dantonisten, und dessen Nähe zum amerikanischen Modell hatte sich der Nachwelt auch so eingeprägt. In den Grabenkämpfen der französischen Sozialrevolutionäre nach 1830 wurde deren rechter Flügel als „queue de Danton“ oder „école américaine“ („Gefolgschaft von Danton“, „amerikanische Schule“) bezeichnet (vgl. Marburger Büchner Ausgabe III.2, S. 180). Büchner hat diese Programmteile auch in den endgültigen Text übernommen.

Dennoch war dies alles sowohl dramentechnisch als auch inhaltlich unbefriedigend. Die Jakobiner um Robespierre erhalten in dem Drama des öfteren Gelegenheiten, ihr Programm und ihre Aufgaben zu formulieren: Sie müssen Frankreich gegen die ausländischen Truppen verteidigen und den in Paris herrschenden Hunger stillen und verhindern, dass die Begüterten älteren und die Revolutionsgewinnler neueren Datums die politische Macht im Lande an sich reißen. Deshalb stellen sie fest: „Die sociale Revolution ist noch nicht fertig“ Danton’s Tod , plädieren für die vorläufige Beibehaltung der Diktatur und verlangen einen Staat mit starker Regulierungsgewalt. „Die Tugend“, die hier „durch den Schrecken herrschen“ soll Danton’s Tod , favorisiert jenen sinnenfeindlichen Asketismus, den der als „der Unbestechliche“ bekannte Robespierre – in der Geschichte wie im Drama – perfekt verkörperte. Robespierre hat – wie Danton vorwurfsvoll sagt – „kein Geld genommen“, „keine Schulden gemacht“, „bey keinem Weibe geschlafen“, „immer einen anständigen Rock getragen“, „[s]ich nie betrunken“. Robespierre ist „empörend rechtschaffen.“ Danton’s Tod

Robespierre.jpg

Maximilien Robespierre (anonymes Porträt, um 1793, Musée Carnavalet, Paris)

Es gibt gute Gründe, vor dem jakobinischen Programm zu erschrecken. Das Gegenprogramm klang attraktiver, jedoch blieb es in der zunächst formulierten Fassung ohne feste Kontur. HL Dok 1.4.1. Aussage August Becker Und wer es inhaltlich vorzieht, muss bedenken, dass in seiner Folge die ungleiche Verteilung des privaten Reichtums uneingeschränkt fortbesteht, also einfach jener „Geldaristokratismus“ herrschen wird, den Büchner - seinem Freund August Becker zufolge - mehr verabscheute als das halbabsolutistische System in Deutschland.

Heines Programm einer ‚Götterdemokratie‘ bot einen Ausweg aus diesem inhaltlichen und dramaturgischen Dilemma.Es gab Büchner Gelegenheit, das dantonistische Programm enthusiastisch zu erweitern und in eine universalgeschichtliche Perspektive zu rücken. Gegen die „Männer der Revoluzion“ gewendet, verkündet jetzt Camille Desmoulins in der überarbeiteten Fassung der ersten Szene:

Wir wollen nackte Götter, Bachantinnen, olympische Spiele und melodische Lippen: ach, die gliederlösende, böse Liebe!
Wir wollen den Römern nicht verwehren sich in die Ecke zu setzen und Rüben zu kochen aber sie sollen uns keine Gladiatorspiele mehr geben wollen.
Der göttliche Epicur und die Venus mit dem schönen Hintern müssen statt der Heiligen Marat und Chalier die Thürsteher der Republik werden. Danton’s Tod

„Die Männer der Revoluzion“ waren sinnenfeindlich, und in bester christlicher Tradition machten sie Ikonen aus Märtyrern, z. B. aus dem in der Wanne verblutenden Marat.

Jacques-Louis David 002.jpg
Jacques Louis David, Jean Paul Marat ( Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons).

Dagegen orientiert sich Büchners Camille wie vor ihm auch schon Heine an den griechisch-hellenistischen Traditionen, an Epikureismus und Venusverehrung. Die "Venus mit dem schönen Hintern" wird die Ikone der neuen Republik.

 131009_PKBuechnerAusstellung_PBrunner_035.jpg

Aphrodite Kallipygos ("Venus mit dem schönen Hintern"; Gipsabguss im Besitz der Universität Marburg; Foto Peter Brunner) 

4. Einen Herrgott erfinden

Das jakobinische Programm war auch entmündigend. Heine stellte es in die Tradition der monotheistischen Religionen, in denen der Gläubige – sei es gegenüber einem „donnernden Tyrannen“, sei es gegenüber einer „väterlichen Vorsorge“ – immer ein Ohnmächtiger und Unfreier bleibt. Auch die deistische Vorstellung mancher Aufklärer von Gott als dem großen Maschinenmacher versprach keine Besserung. Jedenfalls kann der als Maschine vorgestellte Mensch keine Götterrechte beanspruchen. Heine schreibt (SalonII, Hamburg 1835, S. 134 f.):

Man sagt es nicht, aber jeder weiß es; der Pantheismus ist das öffentliche Geheimniß in Deutschland. In der That, wir sind dem Deismus entwachsen. Wir sind frey und wollen keines donnernden Tyrannen. Wir sind mündig und bedürfen keiner väterlichen Vorsorge. Auch sind wir keine Machwerke eines großen Mechanikus. Der Deismus ist eine Religion für Knechte, für Kinder, für Genfer, für Uhrmacher.

Mit dem letzten Satz attackierte Heine Jean Jacques Rousseau, einen Genfer Uhrmachersohn, den führenden Philosophen des Jakobinismus. In der überarbeiteten Fassung von Danton’s Tod erweiterte der Dantonist Hérault diese Attacke auf Rousseau durch weitere Angriffe auf den aus Arras stammenden ehemaligen Advokaten Robespierre. Hérault sagt: Danton’s Tod

Sie möchten uns zu Antediluvianern machen. St. Just säh’ es nicht ungern, wenn wir wieder auf allen Vieren kröchen, damit uns der Advokat von Arras nach der Mechanik des Genfer Uhrmachers Fallhütchen, Schulbänke und einen Herrgott erfände.

Tatsächlich zelebrierte Robespierre am 8. Juni 1794 in Paris das „Fest des höchstens Wesens“, womit er den Franzosen in deistischer Manier „einen Herrgott erfand.“

330px-Fête_de_l'Etre_suprême_1.jpg

Fest des Höchsten Wesens in den Tuilerien am 8. Juni 1794 (wikipedia)

Wie Büchner zu den von Heine entlehnten Passagen Zugang fand, ist nicht ganz klar. Die Passagen erschienen zuerst auf Französisch am 15. November 1834 in der Revue des deux mondes, dann am 14. Januar 1835 deutsch in einem partiellen Vorabdruck in den Literarischen und Kritischen Blättern der Börsenhalle (Hamburg, Nr. 991, 14. Jan. 1835, S. 41–44, hier S. 43), den der führende jungdeutsche Literat Ludolf Wienbarg mit einer ausführlichen Rezension begleitete, und schließlich in Salon II. Von dieser Buchfassung erhielt der Verleger Campe das erste Exemplar am 6. Februar 1835, also zwei Wochen bevor Büchner das Dramenmanuskript nach Frankfurt schickte (Düsseldorfer Heine-Ausgabe, Bd. VIII.2, S. 520). Dass ein anderes Exemplar so schnell nach Darmstadt kam, lässt sich damit erklären, dass die Heyrische Buchhandlung in Darmstadt, zu der Büchner gute Kontakte hatte, eine Filiale des Campe-Verlages war (vgl. Düsseldorfer Heine-Ausgabe). Vielleicht wurde Heines Buch also direkt dorthin ausgeliefert und geriet so noch rechtzeitig in Büchners Hände (vgl. Jan-Christoph Hauschild: „Danton's Tod“. Zur Werkgenese von Büchners Revolutionsdrama, in: Grabbe-Jahrbuch 11, 1992, S. 111f , sowie Marburger Büchner Ausgabe III.2, S. 223). Möglich ist auch, dass Büchner den Text nur über den Vorabdruck in den Blättern der Börsenhalle kennenlernte.

5. Auf diesen Felsen bauen wir

„Du bist Petrus und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen“, hatte Jesus gesagt.
„Auf diesen Felsen bauen wir / Die Kirche von dem dritten, / Dem dritten neuen Testament; / Das Leid ist ausgelitten“, hatte Heine 1834 enthusiastisch gedichtet.
„Warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riß in der Schöpfung von oben bis unten“, sagt der Philosoph Payne in Danton’s Tod. Danton’s Tod
Solange es Leiden und Schmerzen in der Welt gibt, lässt sich auf den besagten Felsen keine Gotteskirche bauen, soll das wohl heißen.

In seinen 1835/36 geschriebenen Philosophischen Schriften ist Büchner den Gottesbeweisen weiter nachgegangen, und zwar in Anlehnung an den von Heine gewiesenen Weg. In der den Vorabdruck von Salon II begleitenden Rezension hatte Wienbarg geschrieben, Heine stelle in seiner Schrift „die sociale Bedeutung der großen Systeme seit Cartesius dar“ (zit. nach Düsseldorfer Heine-Ausgabe VIII.2, S. 562), und hatte dann Heines Ausführungen über Spinoza abgedruckt. Philosophische Schriften und Äußerungen Büchner plante 1836 eine Vorlesungsreihe „über die philosophischen Systeme der Deutschen seit Cartesius und Spinoza“. 2. September 1836. An Wilhelm Büchner in Darmstadt (oder Umgebung) An einer Dissertation über Spinoza hatte er bereits 1835 gearbeitet.

Zeitleiste 15. November 1836Die Stellensituation an der Züricher Universität bereitete diesem philosophiegeschichtlichen Projekt vorerst ein Ende. Büchner begann seine akademische Karriere mit einer naturwissenschaftlichen Vorlesung.

Nun sei nicht behauptet, dass Heines Abhandlung Zur Geschichte der Religion und Philosophie das einzige oder auch nur das wesentliche Motiv für Büchners philosophiegeschichtliche Interessen gewesen sei. Hier geht es nur um einen Vergleich der beiden Positionen. Heine – so wurde schon gesagt – verkündet ein Ende der christlichen Ära und der sehr viel umfangreicheren spiritualistisch-leibfeindlichen Tradition, beruft sich dabei auf Spinozas Vorstellung einer Emanation oder Verkörperlichung des Göttlichen in der materiellen Welt und versucht von dieser Position aus eine Neudefinition der revolutionären Ziele. Nicht die bescheidene Befriedigung der Lebensbedürfnisse müsse das Ziel sein, sondern eine Gesellschaft, in der alle nicht nur über alles Realisierbare, sondern über alles Wünschbare verfügen. Camille verkündet dieses Programm angelehnt an Heine zu Beginn von Danton’s Tod, der Narr Valerio verkündet es in den letzten Sätzen von Leonce und Lena: „und dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, klassische Leiber und eine kommode Religion.“ Leonce und Lena Valerios Schlaraffen sind wahrscheinlich Pantheisten. So entgehen sie am bequemsten den Unannehmlichkeiten, die jede monotheistische Religion mit sich bringt. Dass Valerio ein Narr ist, tut den Inhalten seiner Vision keinen Abbruch. Auch Heine hatte sich in seiner Wendung gegen die „censorischen Vorwürfe“ der „tugendhaften Republikaner“ auf einen Shakespeareschen Narren berufen.

Wie wir diese utopischen Passagen bewerten sollen, ist umstritten. Die „tugendhaften Republikaner“ sehen in ihnen bis heute Satiren auf die unnatürlichen Phantasien der Reichen. Denkbar ist aber auch, dass Büchner Heines sensualistische Neuformulierung der Revolutionsziele guthieß. Dies sei hier nicht entschieden.

Eindeutig ist jedoch das Plädoyer des Philosophen Büchner, man solle die Überbleibsel des Göttlichen in den pantheistischen Vorstellungen streichen. Richtig sei zwar, so meinte Büchner in Auseinandersetzung mit Spinoza, dass niemand das Dasein einer „Weltursache“ leugnen könne, die „ewig und unendlich“ ist; „aber sie ist nicht Gott, [...] sie ist nichts andres, als was jeder Atheist selbst, wenn er einigermaßen consequent verfahren will anerkennen muß.“ („Spinoza“-Skript zit. nach Marburger Büchner Ausgabe IX.2, S. 15.) Nichts „berechtigt uns“ jedenfalls, aus dieser Weltursache „das Absolutvollkommene, Gott zu machen“. Nicht der Verstand: „Er kennt das Unvollkommne.“ Nicht das Gefühl: „Es kennt den Schmerz.“ (Ebd., S. 12.)

Hier sprechen der Philosoph Büchner und seine Dramenfigur Payne mit einer Stimme.
„Aber eine Ursache muß doch da seyn,“ sagt Büchners Mercier. „Wer leugnet dieß; aber wer sagt Ihnen denn, daß dieße Ursache das sey, was wir uns als Gott d. h. als das Vollkommne denken. Halten sie die Welt für vollkommen?“ repliziert Payne.
„Und Gott ist alles was da ist; / Er ist in unsern Küssen“, singt Heine.
Er ist auch in unseren Schmerzen, sagt Büchner.
„Aber Sie müssen mir zugestehen daß es gerade nicht viel um die himmlische Majestät ist, wenn der liebe Herrgott in jedem von uns Zahnweh kriegen, den Tripper haben, lebendig begraben werden oder wenigstens die sehr unangenehmen Vorstellungen davon haben kann,“ sagt Payne im selben Sinne. Danton’s Tod
Er sagt es nur etwas drastischer – eben in Dramensprache.