Wilhelmine „Minna“ Jaeglé (Bleistiftzeichnung um 1830)
Wilhelmine „Minna“ Jaeglé (Bleistiftzeichnung um 1830); in: Paul Wiegler (Hg.): Geschichte der deutschen Literatur. Bd. 2. Berlin 1930.

Louise Wilhelmine Jaeglé

(geb. 15. Nov. 1810, gest. 14. Dez. 1880), (LZ 1342 Wilhelmine Jaeglé, GeburtsurkundeTochter des Pfarrers  Johann Jakob Jaeglé (1763–1837) und seiner Ehefrau Marguerite Salomé J., geb. Strohl. Büchner wohnte bei Jaeglé in seinen ersten Straßburger Jahren (1831–1833). Wie ein Brief von Büchners Freund  Eugen Boeckel vom 7. September 1832 (7. September 1832. Von Eugène Boeckel nach Darmstadt) zeigt, begann das Liebesverhältnis zwischen Wilhelmine und Georg schon im ersten Straßburger Jahr. Vermutlich im März 1833 verlobten sich beide insgeheim (Zeitleiste Mitte bis Ende März 1833). Die 1850 veröffentlichten Briefe Georgs an Wilhelmine aus der Zeit vom Januar bis März 1834 werden zu den schönsten Liebesbriefen der deutschen Literatur gezählt. Büchner reiste Ostern 1834 ohne Wissen seiner Eltern von Gießen nach Straßburg und teilte ihnen von dort aus seine Verlobung mit der ihnen völlig unbekannten Frau mit. (Zeitleiste 25./26. März 1834Im September 1834 kam Jaeglé erstmals zum Besuch nach Darmstadt.

Büchners Großcousin Edouard Reuss urteilte später über Georgs Verhältnis zu Wilhelmine in der zweiten Straßburger Zeit: "Er kam wieder nach Straßburg, mit verbittertem u. verdüstertem Sinne, doch noch gesund und kräftig genug um an die Zukunft zu denken. Die Medicin war ihm verleidet. Politische Antipathien liessen ihn mich meiden. Sein Verhältniß zu der Verlobten hielt ihn aufrecht." (LZ 1590 Reuss, Erinnerungen, 1853) Einige Autographen Jaeglés aus der Straßburger Zeit zeigen, dass sie Büchner bei seiner Arbeit unterstützte.

Jaeglé traf am 17. Februar 1837 in Zürich ein, fand den Todkranken aber kaum noch bei Bewusstsein. (vgl. ihren Bericht im Brief an Eugen Boeckel vom 5. März 1837, den auf ihre Nachrichten zurückgehenden Brief von Wilhelm Baum an Eugène Boeckel vom 20. Februar 1837 sowie LZ 4270 Caroline Schulz: Bericht über Krankheit und Tod) Nach Büchners Tod veranlasste sie in Büchners Sterbezimmer eine intensive Suche nach dem Manuskript eines Dramas über Pietro Aretino, von dem sie glaubte, dass Büchner es geschrieben habe. Das Manuskript wurde nicht gefunden. (LZ-4260 Ludwig Büchner, Biographische Darstellung)  Karl Emil Franzos und nach ihm andere Büchner-Forscher stellten später die offenbar unsinnige Behauptung auf, sie habe das Drama, von dem ohne ihre Suchbemühungen niemand jemals erfahren hätte, vernichtet.

Nach Büchners Tod schickte Wilhelmine Jaeglé den Eltern in Darmstadt Abschriften der letzten Briefe Büchners an sie, die 1850 publiziert wurden. Sie versandte im Straßburger Umkreis eine Todesanzeige (LZ 4420 Wilhelmine Jaeglé: Gedruckte Benachrichtigungskarte; Strasbourg 27. Februar 1837), schrieb einen Bericht über die letzten Tage ihre Verlobten an Büchners Freund Eugen Boeckel (vgl. LZ 4280 Wilhelmine Jaeglé: Brief an Eugen Boeckel in [Paris]; Straßburg 5. März 1837 und sandte dem Freund August Stöber die Jacob Lenz betreffenden Materialien, die Stöber Büchner geliehen hatte (LZ 4480 Wilhelmine Jaeglé: Brief an August Stoeber; 7. März 1837).

Schließlich bemühte sie sich um die Veröffentlichung von Büchners nachgelassenen Schriften. Sie las den Büchner-Nachruf Karl Gutzkow(LZ-4570 Karl Gutzkow: Ein Kind der neuen Zeit), nahm darauf Kontakt zu Gutzkow auf (vgl. WZ 570 Karl Gutzkow: Brief an Wilhelmine Jaeglé, in Straßburg; Frankfurt a. M. 30. August 1837) und sandte ihm auszugsweise Abschriften von Büchners Briefen an sie, außerdem eine Abschrift des Lustspiels Leonce und Lena sowie der Fragmente des Lenz. (vgl. LZ 4640 Karl Gutzkow an Wilhelmine Jaeglé sowie Einleitung zu LenzVermutlich übergab sie in den folgenden Jahren den uns bekannten Nachlass Büchners - mit Ausnahme der in Darmstadt verbliebenen Schülerschriften - sukzessive der Büchner-Familie in Darmstadt, zu der sie zunächst gute Beziehungen unterhielt. Von 1840 bis 1844 arbeitete Jaeglé als Erzieherin der Tochter des Generals von Müffling, des Befehlshaber der preußischen Festung Koblenz. In dieser Zeit besuchte sie auch Darmstadt und hatte dort Kontakt zu Karl Gutzkows Frau Amalie, die sich in einem Brief vom 14. Oktober 1842 sehr positiv über sie äußerte. (LZ 1348 Amaliae Gutzkow an Karl Gutzkow) 1843 war sie mit der Familie v. Müffling in Ostende, und Caroline Schulz schrieb aus Zürich am 29. Juli 1843 an Emma (und Georg) Herwegh: "W. Jäglé, die Braut Büchners ist in Ostende; sucht sie ja auf. Sie ist mein Ideal." (H: Herwegh-Archiv Liestal, Nr. 713; d1: Jan Christoph Hauschild / Thomas Michael Mayer: Badegäste in Ostende, in: Georg Büchner Jahrbuch  1 (1981), S. 263).

1844 kehrte Jaeglé nach Straßburg zurück. Im Herbst dieses Jahres verbrachte Ludwig Büchner einige Monate als Student in Straßburg und wurde anscheinend von Wilhelmine Jaeglé geradezu betreut.  Zur Erinnerung schenkte sie ihm Büchners Skript über „Spinoza“, das auf p. 1 die an Ludwig Büchner gerichtete handschriftliche Widmung trägt: "à Louis. Le 4 Décembre 1844". Im Frühjahr 1845 war sie zu Besuch in Darmstadt (vgl. LZ 822 und LZ 823 Ludwig Büchner: Briefe an Wilhelmine Jaeglé; 1844 und 1845).

Jaeglé erwarb am 7. März 1845 die Lehrbefähigung für Elementarschulen. (LZ 1353 Wilhelmine Jaeglé: Erklärung; Strasbourg 6. März 1851) Im März 1851 annoncierte sie die Eröffnung einer Mädchenschule in ihrer Wohnung in der Rue des Cordonniers 8 in Straßburg, für die sie eine Lizenz erhielt. (LZ 1354 Wilhelmine Jaeglé: Gesuch an den Rektor der Académie de Strasbourg; 14. Juli 1851)

Bei der Vorbereitung der Nachgelassenen Schriften (1850) stellte Jaeglé das Manuskript von Dantons Tod zur Verfügung. (Dedner, Zur Druckgeschichte von Danton's Tod) Jedoch gab sie nicht die Erlaubnis, ihre Abschriften von Büchners Briefen an sie zu publizieren. Ludwig Büchner ignorierte das Publikationsverbot (vgl. LZ 4730 Luise Büchner: Notizen, vor oder am 7. April 1877). Sein Verhalten führte zum Bruch Jaeglés mit der Familie Büchner. Anscheinend teilten die beteiligten Straßburger Kreise Wilhelmine Jaeglés Empörung über Ludwig Büchners Indiskretion über Jahrzehnte hinweg. Noch 1877 nannte Büchners Großcousin Edouard Reuss den "Wiederabdruck der Briefe die er [Büchner] an seine noch lebende, unverheirathet gebliebene Braut geschrieben hat, u. wozu sie nie ihr Imprimatur gegeben hat, [...] eine Industrie für die ich keinen Namen habe."(LZ 4600 Edouard Reuss: Brief an Karl Emil Franzos, 21. Oktober 1877)

Karl Emil Franzos bemühte sich 1877 vergeblich um Einsicht in die noch in Straßburg verbliebenen Teile des Nachlasses von Büchner. Ihm lag vor allem an dem vermuteten Aretino-Drama, von dessen Druck er sich einen besonderen Erfolg für seine Büchner-Edition erhoffte. Die zu dieser Zeit schwerkranke Jaeglé beantwortete seine Briefe zunächst nicht und verbat sich schließlich in einem Schreiben vom 2. April 1877 jede weiteren Belästigungen durch Franzos. (LZ 4870 Wilhelmine Jaeglé an Karl Emil Franzos, 2. April 1877) Wenig später verfasste sie ihr Testament. Darin teilte sie ihr Eigentum auf zwischen zwei Angehörigen der ihr mütterlicherseits verwandten Familie Strohl.(LZ 1356 Wilhelmine Jaeglé, Testament, 9. Mai 1877) Der eine der genannten Erben, Christian Eduard Emil Strohl, Medizinprofessor und Arzt am Straßburger Hôpital civil, antwortete nach ihrem Tod am 14. Dezember 1880 auf eine von Franzos veranlasste Anfrage, in seinen Besitz gelangt seien nur "einige sehr intime Briefe [...], die eine Publication nicht vertragen". (LZ 4920 Hubert Janitschek: Brief an Karl Emil Franzos; Straßburg 12. August 1887) Die andere Erbin war ihrerseits mit einer Familie Schmidt verwandt, und eine Elisabeth Schmidt, Großnichte von Wilhelmine Jaeglé, ehelichte 1895 Charles Andler (1866–1933) (vgl. Tonnelat 1937, 97 f.), der 1926 Germanistikprofessor am Collège de France sowie an der Sorbonne wurde. Andler erhielt Zugang zu den Briefen Gutzkows an Büchner, die Teil des bei Jaeglé verbliebenen Nachlasses waren. Er sandte Abschriften davon an den im wilhelminischen Deutschland führenden Germanisten Erich Schmidt in Berlin, der sie in der Zeitschrift »Euphorion« publizierte (vgl. Andler 1897, 181, sowie Hauschild 1985, 298 f.). Alle übrigen Teile des in Jaeglés Besitz befindlichen Büchner-Nachlasses sind verschollen.

Literatur:  Wilhelmine Jaeglé, in: Jan-Christoph Hauschild: Georg Büchners Frauen, München 2013, S. 53-111.

Normdaten (Person): GND 117058521

Zuletzt bearbeitet: Juni 2017