LZ 1590
Edouard Reuss: „Erinnerungen aus meinem Leben“

1. Erinnerungen an die Familien Büchner und Reuß in Darmstadt im Oktober 1825

Ankunft am späten Samstag Abend, 1. Oktober 1825, in Darmstadt: [...] ich folgte meinem erfahrnen Gefährten geduldig in eine Kneipe die er als vorzüglich empfahl. Ich bekümmerte mich übrigens wenig um das Quartier da ich, höchstens zwei Tage in Darmstadt zu bleiben entschlossen, voraus wußte daß die Vettern mich nicht würden im Gasthofe lassen. Und so geschah es, nur mit dem Unterschied daß ich statt am 3ten, erst am 10ten wieder fortgelassen wurde. [...] Mehrere Geschwister meines Vaters waren durch die Revolution mit der landgräflichen Herrschaft nach Hessen verschlagen worden und lebten nun theils selber noch, theils in ihren Descendenten, zum Theil schon im dritten und vierten Geschlechte in Darmstadt und Giessen. Die Mutter hatte mir die ganze Sippschaft aufgeschrieben und genealogisch dargestellt so daß ich mir, sobald Besuchstunde sein mochte, einen Lohnbedienten kommen ließ um meine Wanderung in der Kürze abzuthun. Aber es sollte anders werden. Gleich beim nächsten Vetter wurde Beschlag auf mich gelegt, der Cicerone heingeschickt, und ein Soldat (der Vetter war Hauptmann) mir mitgegeben um meine sieben Sachen aus dem Wirthshaus zu holen und mich bei den drei ledigen Brüdern des Hauptmanns einzuquartiren. Das waren die vier Brüder Bechtold, Söhne eines hessischen Obristen der bei Wagram gefallen war, der älteste ist jetzt General und hat vor zwei Jahren die Vorhut des Reichsheers im badischen Kriege commandirt; der zweite war damals Leutnant und ist jetzt Obrist beim Stab; der dritte u. vierte, ein Jurist und ein Kaufmann waren mir aus Straßburg bekannt; sie waren damals beide beim Finanzministerium angestellt, in sehr untergeordneten Verhältnissen noch. Zwanzig Jahre später fand ich sie alle (der jüngste war todt) in viel glänzendern Verhältnissen. Ausser ihnen war noch da ein Neffe meines Vaters, Leutnant Reuß , seine Mutter, und eine an den Medicinalrath Büchner verheirathete Schwester u. viele andre, meist beim Militär oder der Verwaltung angestellt. Ich wurde mit der zuvorkommendsten Freundschaft von allen aufgenommen, wußte vor lauter Diners und Soupers kaum Zeit zur Verdauung zu finden und konnte Darmstadt von innen und aussen nach Herzenslust geniessen und kennen lernen. Die Stadt war damals noch im werden. Von dem glänzenden Quartier das sich zwischen dem Schlosse und der Eisenbahn heute ausbreitet, standen damals nur die ersten Gassen; und der Ludwigsplatz war noch auf zwei Seiten, nach der Aussenwelt, vollkommen offen. Ich wurde ins Theater geführt so oft gespielt wurde, konnte mir da die ganze großherzogliche Familie nach Musse ansehn, zumal den alten Herrn selbst, dem ich für mein Leben gern gesagt hätte daß mein Großvater bei seinem Vater Premier gewesen, und für welchen damals das wichtigste Regierungsgeschäft die Direction der Oper war. Es war übrigens in weiter Runde keine Merkwürdigkt und kein Vergnügungsort wohin ich nicht kam. Die Bekanntschaften welche ich in grosser Anzahl machte gehörten alle in die Sphäre meiner Verwandten, sind also des Erinnerns nicht weiter werth, es waren Officiere, Advocaten, Beamtete. Die Abende an denen kein Theater war vergeudete man im Gasthof zur Traube, bei einem Glase Wein, wo alles dieses müssige Völkchen sich Rendez-vous zu geben pflegte; selbst nach dem Theater fand man sich dort noch ein, meist zu einem nichtssagenden Gespräche. [...] den Dr Ernst Zimmermann hörte ich predigen vor ziemlich leeren Bänken über schlechten Kirchenbesuch. Zufällig machte ich die Bekanntschaft des Medicinaldirectors von Siebold , und seiner Familie, eines in mehrern Zweigen der Naturwissenschaften berühmten Geschlechtes. Es war da unter andern ein Neffe, der ebenfalls Göttinger Student war [...]. Auch eine Tochter war da, sechs Fuß hoch und ziegelroth von Haar u. Gewand, die in Giessen disputirt und zum Doctor promovirt hatte und nun die fashionable Helferin in Nöthen war, zu welchen sie selber zu kommen keine Gefahr lief.

Endlich liessen mich die gastfreundlichen Sippen von dannen ziehn.

Überlieferung
H: Edouard Reuss: Erinnerungen aus meinem Leben, Bd. 2, p. 99-103, Collegium Wilhelmitanum Strasbourg; geschrieben: Strasbourg 1851; d: Hauschild 1985, S. 315-317.

2. Vogesenwanderung Juni 1833; Rückblick auf Georg Büchner

23.

Im Juni 1833 kam Rich. Lepsius zu einem zweiten Besuche nach Straßburg und seine Anwesenheit versammelte einst Abends eine Anzahl Freunde bei mir zum Thee. Lepsius wünschte die Vogesen zu sehn und einige von uns entschlossen sich mit ihm in den nächsten Tagen einen Ausflug dahin zu machen. Während wir den Plan zu der Reise entwarfen trat ein Fremder zur Thüre herein, kurzer untersetzter Gestalt, in weißem Staubmantel fast orientalischen Ansehns, einen Koffer im Gefolge und mit Blicken und Fragen unter den Versammelten den herausforschend welchem er sich vorzustellen hätte. Das war Heinrich Wulfes , jener ton- und liederlustige Hannoveraner den ich einst so oft in Wegscheider’s Hause getroffen und der seitdem als Hauslehrer in Würzburg, Berlin, Marienwerder gelebt, jedes Jahr einmal einen launigen Brief geschrieben, immer einen Besuch verheißen, und nun, fast ohne ein Wort französisch zu können, im Begriff war sein Heil in Paris zu versuchen, im guten Vertrauen zu seiner Claviervirtuosität und zu seinem Sterne. Eigentliche Studien hatte er wohl keine gemacht. Er war der erste Bekannte aus Deutschland den ich seit 7 Jahren wieder sah und lang erwartet. Und doch machte mir seine Erscheinung einen peinlichen Eindruck weil sie mir bewies daß meine Phantasie mit der Wirklichkeit hier gar zu wenige Berührungspuncte behalten hatte. Wie mochte es in andern Stücken und mit andern Menschen sein? Wulfes wurde einquartirt; ich überließ ihm mein Bett und campirte, solang er da war, auf dem Sopha im Studirzimmer. Die Bekanntschaft machte sich leicht da er viele gesellschaftliche Gewandtheit und eine heitre Laune hatte und seine Ankunft, die mir leicht einen Strich durch die Reise hätte machen können, verschaffte uns nur einen angenehmen Gefährten mehr. Zwei Tage nach derselben machten wir uns auf den Weg, mit Lepsius kamen seine beiden Straßburger Busenfreunde Adolf Kreiss, und Eugen Erhardt , beide damals Candidaten, in Deutschland neuerdings zu entschiedner Orthodoxie bekehrt und heute noch Fahnenträger derselben mit einer gewissen Neigung zum exclusiven Lutherthum, doch ohne der Consequenz ganz zu huldigen. Der letztgenannte, jüngere, in besagter Rücksicht noch weiter gehende, ist seit zwei Jahren Pfarrer auf dem Dorfe Neuhof und mein nächster Nachbar. Ich, meinerseits nahm Wulfes mit und meinen Vetter Georg Büchner von Darmstadt.

24.

Georg Büchner war der Sohn eines Arztes zu Darmstadt und durch seine Mutter ein Enkel des jüngsten Bruders meines Vaters, wie die Schaller Enkel des ältesten waren. Er war nach Straßburg geschickt worden, im Herbste 1831, um Medicin zu studiren, und ich liebte ihn als einen braven, offenherzigen, begabten, biedern Jungen. Er wohnte in dem Hause und lebte in der Familie eines Predigers und war dort wie ein Kind gehalten und gehegt. Er war jetzt 20 Jahre alt. Wenige Wochen nach der Reise die ich eben erzählen wollte verließ er Straßburg um seine Studien in Giessen fortzusetzen. Er gefiel sich dort nicht. Die Verhältnisse in einem kleinen deutschen Staate ekelten ihn an; sein Herz sehnte sich in den Familienkreis zurück welchen er eben verlassen hatte, und in welchem ein anderes ihm entgegen schlug; schon nach einem Semester kam er heimlich nach Straßburg zurück und knüpfte dort ein Band für die Zukunft; der Vater, blos oberflächlich davon in Kenntniß gesetzt schrieb mir in der äussersten Erbitterung gegen den Sohn; doch meine Berichte und viel mehr die Bekanntschaft des jungen Mädchens welches selbst nach Darmstadt geführt wurde, wendeten alles zur Freude und Versöhnung. Leider wurde Georg in seinem jugendlichen Eifer in politische Excentricitäten verwickelt; er trat in geheime Verbindungen, schwärmte für demokratische Ideen und mußte zuletzt um seine Freiheit zu retten von Giessen fliehen ohne von seinen Eltern Abschied nehmen zu können. Er kam wieder nach Straßburg, mit verbittertem u. verdüstertem Sinne, doch noch gesund und kräftig genug um an die Zukunft zu denken. Die Medicin war ihm verleidet. Politische Antipathien liessen ihn mich meiden. Sein Verhältniß zu der Verlobten hielt ihn aufrecht. Er legte sich auf Naturgeschichte und Philosophie, schrieb eine schöne Abhandlung die ihm den Doctorgrad erwarb und zog im Herbst 1836 nach Zürich um dort zunächst als Privatdocent sich eine Existenz zu schaffen. Nach wenigen Monaten – seine Mutter hatte ihn kurz vor dem Abschiede noch einmal in Straßburg besucht – erkrankte er am Nervenfieber und starb. Seine Braut war an sein Bett geeilt – Er sah oder erkannte sie nicht mehr! Sie ist ihm treu geblieben und hat jede andre Verbindung ausgeschlagen. Georg Büchner’s Nachruhm ist gar zu einseitig gefärbt worden. Herwegh verherrlichte ihn in seinen demagogischen Gedichten deren wahren Werth sein glanzloser Abschied vom Oeffentlichen Leben zehn Jahre später der Welt offenbarte. Gutzkow widmete ihm einen überschwenglichen Aufsatz in seinen Werken. Seine jüngern Brüder, Schwärmer wie er, ohne seine gediegne Gemüthlichkeit, gaben einen Band nachgelassener Papiere von ihm heraus, eine Tragödie Danton, und dergleichen, auch eine Sammlung vertrauter Briefe, wodurch das heilige Geheimniß eines zarten, frommen Verhältnisses auf unverantwortliche Weise der Welt preis gegeben wurde, um welche die verwaiste Freundin bittre Thränen vergossen hat. Es war Stoff genug in dem Jünglinge, einen Mann aus ihm zu machen wie ihn die Welt brauchen konnte: die Zeit hätte die Gährung zum Guten ausschlagen machen, vielleicht ihn seinem Vaterlande wiedergegeben – es sollte nicht dazu kommen! Seine Mutter durfte nur mit stillem Seufzer an ihn zurückdenken, der strenge Sinn des Vaters zwang sich den verlornen zu vergessen dessen Streben er weder begriff noch billigte, und die ihn feiern und ehren wollten haben ihm noch mehr geschadet als die ihn verkannten oder verdammten. Friede seiner Asche!

25.

Den 25sten Juni machten wir uns auf den Weg. Anfangs wirkte Wulfes’ unerschöpflicher Witz belebend und verbindend auf die Gesellschaft; später machte sich die natürliche Divergenz einer berliner aristokratisch-orthodoxen und einer hallisch u. hessisch demokratisch-rationalistischen Bildung unwiderstehlich geltend, und mir gelang es nur mit Mühe das Häuflein zusammenzuhalten, besonders wegen Büchner’s absprechender Sprödigkeit und Kreissens affectirter Zurückhaltung. Bei Schlettstadt bogen wir ins Gebirge ein, bestiegen am ersten Tage gleich die Ruine Hohenkönigsburg auf deren höchsten Zinnen, die ich seitdem nie wieder zu besteigen gewagt habe,* so morsch und gefährlich schienen sie mir, ich mit Erhardt schmollirte: die übrigen dutzte ich schon. Am zweiten Tage, von Mariakirch aus erstiegen wir den Kamm der Vogesen, die Aussicht gleichzeitig über das Rhein- und Moselthal, und genossen das erhabene Schauspiel eines vor uns in südlicher Ferne vor überziehenden Gewitters, selbst unter blauem Himmel stehend, und wie dasselbe, einem schwarzen Vorhange gleich, am Horizonte hin glitt, plötzlich in ihrer ganzen Majestät die kolossale Welt der Schneegebirge des schweizerischen Oberlandes, uns allen ein nie gesehenes Panorama. Ich hatte da die Unvorsichtigkeit meinen Durst mit Eis zu löschen das ich an den schroffen Wänden eines unsrer Vogesenseen fand, und verderbte mit den Magen so gründlich damit daß ich ein heftiges Erbrechen bekam und 36 Stunden nichts mehr geniessen konnte, obgleich die angestrengteste Bewegung mir Nahrung hätte doppelt nöthig machen sollen. Denn den folgenden Tag wurde von dem Münsterthale aus die Besteigung des Bölchenkopfes unternommen und zwar so daß das Nachtquartier auf dem Heuboden einer Sennhütte gewählt wurde. Die halbe Nacht hindurch erbauten die andern (Büchner u. ich allein mußten schweigen) die zahlreich versammelten Hirten, in der helldämmernden Mondlandschaft mit norddeutschen Quartetten, auch für ein halbverschlossenes Ohr wie das meinige ein unbeschreiblich ergreifender Genuß. Und schon der früheste Lichtstrahl im Osten wurde wieder mit Gesang und Freudenschüssen begrüßt, die Abfahrt in kühler Stunde angetreten, u. lange vor Mittag vereinigte uns ein Abschiedsmahl am Tische einer bescheidnen Dorfschenke im Amarinenthal. Hier trennten wir uns, leider nicht ungern. Die andern zogen rheinwärts, Wulfes Büchner und ich nach Lothringen, in mir noch unbekannte Gegenden. Wir überschritten die westliche Vorstufe der Vogesen, sahen die Quellen der Mosel, zogen an verschiedenen Zuflüssen derselben und der Murthe nordwärts durch Thäler ganz andrer Art als die elsassischen an die romantischen Seen von Longemer und Gerardmer, suchten meinen lieben Sohn Ludwig Friedrich Rauscher in St Diey auf, der eben ein Strohwittwer war, aber in den zwei Jahren seit meinem ersten Besuche seine Heiterkeit und Lebenszuversicht großentheils verloren hatte, und bogen von dort wieder durch das Leberthal der Heimat zu.

*) Doch!

Überlieferung
Handschrift: Chapitre St. Thomas Strasbourg; geschrieben Straßburg Januar/Februar 1853; d1: Hauschild 1985, S. 324–327.

3. Erinnerungen an die Familien Büchner und Reuß in Darmstadt im Herbst 1845

[...] Ich war seit 20 Jahren nicht mehr bei meinen Verwandten zum Besuche gewesen, und hätte ihnen doch gerne mich in einem vortheilhaftern Lichte gezeigt als da ich, ein unbeholfner Junge und Weltneuling nach Göttingen fahrend mich von ihnen mit Rothkraut hatte füttern lassen. Zum Ueberfluß kam kurz vor den Ferien mein Vetter Georg Reuss, der riesige Hauptmann, mit seiner Frau und {seiner} Nichte, Mathilde Büchner, zum Besuch auf einige Tage nach Straßburg und luden dringend zum Gegenbesuche auf die Congreßzeit, mir zugleich die Wohnung anbietend. Im Winter zuvor hatte Mathildens Vater auch seinen zweiten Sohn, Louis, zu uns herüber geschickt, aber schon nach wenigen Monaten war derselbe[+], beim weitem seinem verstorbnen Bruder nicht ebenbürtig, wieder davon gelaufen. [...]

[...] Ich ließ mich vom Omnibus sofort zu meinem Vetter bringen, der als großherzoglicher Stallmeister eine hübsche Wohnung gerade über den herrschaftlichen Ställen hatte, und wurde da gar freundlich von dem Hausmädchen bewillkommt welche, in Abwesenheit ihrer ins Theater gegangnen Herrschaft, mich ihrem Auftrage gemäß, stellvertretend bewillkommte und in ein comfortables Zimmer führte, wo alle denkbaren Requisiten des Lebens, Hirschgeweihe an den Wänden inbegriffen, zu finden waren. Einen ganzen Tag konnte ich, ehe die Orientalisten und Philologen sich sammelten, zu Besuchen in der Verwandtschaft bestimmen und hatte kaum genug daran. Aber wie hatten die zwanzig Jahre da geändert! Die Kinder waren Leute geworden, die Jungen alt, die Ledigen hatten Weiber, und mehr als eine Lücke hatte die Reihen gelockert. Mein lieber Hauswirth einst ein flotter Leutnant hatte eine retirirte Schauspielerin geheirathet, Carl Bechtold war Oberst, Christian Major, Fritz Ministerialrath, Louis schon todt; jeder hatte sein eignes Haus und Familie dazu. Georg Reuss’ und der Medicinalräthin Büchner Mutter, einst eine stattliche, über die Jahre hinaus kokette Frau, war erblindet an ihr Bett gefesselt, viele konnte ich mit keiner Mühe erkennen, zwei mir gleichaltrige Bäschen waren eben Bräute geworden. Es bedarf keiner Erinnerung daß ein Gastmahl das andre jagte, mehr als mir lieb war, da ich um so weniger mit meinen gelehrten Freunden verkehren konnte. Auch der Nestor der ganzen Sippschaft, der alte Haudegen, General v. Carlsen war da, den ich mich nur dunkel erinnerte in meiner Kindheit im elterlichen Hause gesehn zu haben. Seine freundliche Frau war eine Nichte meines Vaters. Ich mußte der Reihe nach bei allen zur Suppe sein und überall fand ich große Familientafel, auch wohl hin und wieder fremde Gäste. Nur die Büchner hatten mit den übrigen keine Gemeinschaft, da diese zum Hof und zur Beamtenwelt, jene zur Opposition gehörten. Der Stallmeister bildete, zwischen Amt und Blut getheilt die Brücke zwischen beiden Gruppen. Der liebenswürdigste, gemüthlichste Zirkel unter allen war in der Behausung eines jungen Ehepaars, Wilhelm Büchners, des einzigen der vier Brüder dem bis dahin die Politik den Kopf nicht verdreht, und dem eine hübsche Base aus Holland das Herz in die rechte Bewegung gesetzt hatte. [...]

Überlieferung
H: Edouard Reuss: Erinnerungen aus meinem Leben, Bd 4, p. 303, 309 f; geschrieben: Straßburg Januar/Februar 1853; d:  Hauschild 1985, S. 339 f.

4. Erinnerungen an die Familien Büchner und Reuß in Darmstadt im Oktober 1858

[...] Auch in Darmstadt waren die Leute seit meiner letzten Anwesenheit dreizehn Jahre älter geworden, aber noch eben so lebenslustig und wohlwollend wie früher. Der General v. Carlsen lief mit seinen 85 Jahren täglich noch ein paar Stunden spazieren. Carl Bechtold war pensionirt, Christian abwesend, Fritz geheimer Staatsrath, Georg Wittwer. Nur in Büchner’s Hause sah es trüb aus. Die Mutter war jüngst gestorben, die alternden Töchter verzehrten sich in allerlei Sehnsucht und Nachleid, und die excentrische Luise, die Schriftstellerin, hatte in unzarter Ueberschätzung, das Heiligthum der Liebe ihres längst verstorbenen Bruders Georg der Oeffentlichkeit Preis gegeben und Unfriede gestiftet. Mir war es peinlich hier unter Ruinen zu weilen. Der Bruder Louis (der Kraft-und-Stoff-Büchner), der jetzt als Artzt in Darmstadt lebte, ließ sich gar nicht vor mir blicken, und seit der Onkel Georg Reuß, der Hauptmann, todt war, einst das verbindende Mittelglied der Familien, waren Büchner’s und Bechtold’s einander fremd geworden. Auch hier also wohl ein abgeschlossenes Kapitel meiner Lebensbilder. [...]

Überlieferung
H: Edouard Reuss: Erinnerungen aus meinem Leben, Bd. 5, p. 251 f.; d: Hauschild 1985, S. 340 f.