7. September 1832. Von Eugène Boeckel nach Darmstadt

Niederbronn den 7ten September

Nur Geduld mein lieber, ich will Dir gleich erklären warum ich Dir erst jezt schreibe obgleich Dein Brief vom 20 August ist. Aber um eine chronologische Ordnung beyzubehalten, will ich mit einer kurzen Selbstbiographie beginnen, die v. der Zeit anfängt wo Du Straßburg verlaßen, ich weiß Dir wahrhaftig nichts intereßanteres zu schreiben als von mir selbst; Siehe mein lieber diese kurze Einleitung wird verzweifelt lang ergo finis introduct. prolegom. Exaudii. Soviel ich mich erinnere reistest Du von Straßburg fort in den ersten Tagen des August’s, ich blieb in Straßburg bis den 27 August während welcher Zeit ich Deinen lieben lang erwarteten Brief erhielt – In dieser Zeit besuchte ich meistens den Hospital, u. dann noch einige Kranke mit mein. Bruder, hauptsächlich habe ich viele Rubeolas u Nervenfieber gesehn, erstere nahmen in der lezten Zeit einen sehr bösartigen Carakter an, so daß sehr viele daran starben, denn als consecutive Krankheit folgte oft Skorbut, Brustkrankheiten zuweilen hydrocephalus. Mein Bruder u. ich machten die Autopsie v. mehrern Kindern welche an diesen Krankheiten starben. Einen intereßanten Kranken sahe ich welcher als Folge eines zu reichlichen Genußes v. geistigen Getränken das delirium tremens bekam, durch 20-40 gr. tartarus stibiatus geheilt wurde, einige Wochen nachher an Brust u. Leber-Krankheit starb u. von uns autopsirt wurde, der untere Theil der Leber war in Fäulniß übergangen u. so weich wie ein altes Hirn, Lungen u pleura an den Thoras ganz angewachsen etc. requiescat in pace.

Eine Frau die hydrothorax u. überh. hydropisie hatte u. mehrere Rückfälle erlitt wurde hauptsächlich durch digitalis u. nitrum glücklich behandelt. Von den 2 od. 3 Dutzend Schwindsüchtigen die ich sahe, spreche ich Dir nicht – Ohne Übertreibung.

Zu Hause studirte ich für mich Chommel, pathologie génerale u Arnemann, materia medica, u. ein. Theil v. Barbier, matière medicale. Zuweilen oder vielmehr öfters that ich nichts, Du kennst ja meine Natur. Lambossy sah ich ziemlich oft, doch weniger als ich es wünschte, weil ich sehr oft in Ittenheim war. Scherb ist nach Genf nicht nach Ungarn abgereist. Roth nach Berlin, Ad. Stöb. komt wahrscheinlich nach Colmar. Baum ist vor einigen Tagen auf’s Land ––– Der Concurs im Spital hatte statt, wie Du weißt konkurirte ich nicht, Hirtz wurde gleich angenommen, Lintzler zuerst zurück geschickt später angenommen weil sich nur zwei präsentirten u. man doch zwei surnuméraires haben mußte. Lintzler wollte nämlich nach Öffnung d. Arterie aus Versehn bey dem Aderlaßen, die Wunde cauterisiren, u. den triceps zu den Muskeln des Vorder-Arms zählen, nämlich sein. Antworten nach, nicht daß Du Dir einbildest er habe wirklich ein arteriam getroffen ––– Duvernoy, der etc gibt sich alle Mühe ohne Concurs Physiologie Profeßor zu werden constat. Ich hoffe er wird mit seinem breiten Maul abfahren wie zu Paris, das Vieh bleibe doch bey seiner Zoologie, ich wollte lieber den Kerl disseciren od. todschlagen als ihn in der Physiologie hören oder sehn, Du weißt es ist meine Antipathie; seit 3 Wochen ist er re infecta aus Paris zurückgekehrt u. lauft od. tanzt in schwarzibus in den Gaßen v. Straßburg herum, glücklicher Weise treff ich den Intriganten noch nicht an, denn es hätte mir wahrhaftig wider die Gelbsucht zuziehen können, Ich will auf seine Gesundheit trinken wenn ihm sein Vorhaben mißlingt –––

Melle jolis pieds et jolies mains machte ich erst einen Besuch, ehe ich Deinen Brief erhielt, seither nicht mehr, sie seufzt noch zwei Monate lang lang. Nun komme ich wieder auf die Hauptperson daß heißt auf mich zurück, Ende August’s reiste ich mit Ad. u. Aug. Stöber nach Weißenburg, Amsler u. Held erwarteten uns an der diligence bis um Mitternacht wo wir ankamen, ich mußte bey Held logiren u. wurde v. der ganzen Familie sehr zuvorkommend u. wohl empfangen, Held, Amsl. 2 Stöb. u. ich gingen die folgenden Tage nach Landau in das Rheinbairische v. dort besuchten wir einige alten Burge, Dryfels, Madenburg etc. kehrten Dienstags Abend wieder nach Weißenburg zurück – Mittwoch ging ich mit 2 Stöb. nach Woerth v. dort ins Jägerthal wo wir einige alte Burgen besuchten u. langten gestern glücklich hier an, heute ist abscheulich Regenwetter, ich bin allein denn die beyden Stöber sd. in Oberbronn bey ihrer Schwester, u. ich hier bey mein. Cousin welcher aber den ganzen Tag auf d. Bureau ist, Ich sitze also hier in Niederbron in ein. hübschen Kaffeehaus u. schreibe an meinen lieben Büchner, Die Zeit würde mir zu fürchterlich lang werden, wenn sich nicht ein artiges, hübsches Mädchen sich meiner erbarmte, welche auf einige Zeit hier im Kaffeehaus ist – Sie ist aus Straßburg klein gut gebaut etc. doch ein wenig viel Kokette, gestern schrieb ich an mein. Bruder, heute an Dich, Du siehst also daß ich über dem Mädchen durchaus Dich nicht gedenke, vielmehr wäre es mir zehnmal lieber Dich als die Kokette hier zu haben –

Morgen wenn es das Wetter erlaubt ziehen wir nach Bitsch die famose Festung dann nach Lützelstein zu Follen, dann zu Baum, endlich nach Barr, heut über Acht Tagen bin ich bestimmt wieder in Straßburg vielleicht auch früher, ich werde dann hauptsächlich Anatomie u. Physiologie studiren od. ochsen, dazu noch die Therapie v. Hecker. Lebe wohl, ich erwarte gleich nach mein. Ankunft in Straßburg Briefe von Dir, ich denke Du kannst wohl dieses Opfer mir bringen – denn Du weißt wie mich Deine Briefe erfreuen

Vale u. komme je eher je lieber nach Straßburg zurück.

Dein Eug. Boeckel