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Caroline Schulz: Bericht über Krankheit und Tod für die Eltern Büchners in Darmstadt; Zürich um Ende Februar 1837
Februar
2ten Fragten wir Büchner, ob er einen weiten Spatziergang mit uns machen wollte; er antwortete, daß er mit seinem Freunde Schmid nur einen kurzen Gang machen würde, weil er sich nicht ganz wohl fühle. Als wir gegen Abend nach Hause kamen, klagte er, daß es ihm fieberisch zu Muthe sey, da er sich aber nicht zu Bette legen wollte, aus Furcht nicht einschlafen zu können, setzte er sich zu uns aufs Sopha. Ich bot ihm Thee an, den er ausschlug; bald bemerkte ich, daß er einschlief u. als er erwachte bat ich ihn dringend, sich zu Bett zu legen, was er auch endlich that, nachdem er ein Senffußbad genommen hatte. Wir sagten ihm, daß er an der Wand klopfen solle, die an unsere Schlafstube stieß, wenn er des Nachts etwas bedürfe u. ließen seine Lampe brennen.
3ten hatte B. nicht gut geschlafen, klagte aber keinerley Schmerzen. Da es sehr hell im Zimmer war, gab ich ihm grüne Vorhänge, auch ein Pferdehaarkissen unter den Kopf, was ihm wohl that. Ich hatte gehofft, daß er den Abend wieder bei uns zubringen könnte u. deßwegen unser gewöhnliches Lesekränzchen nicht abgesagt; da er aber nicht dabei seyn konnte, ließ er sich von uns erzählen, womit wir uns unterhalten hatten.
4ten war das Fieber etwas stärker; doch gab es zu keiner Besorgniß Raum; er aß etwas Suppe u. Obst u. versicherte, daß es ihm ganz wohl in seinem Bette sey. Wir erhielten Briefe von den Unsrigen, die ich ihm vorlas u. denen er mit Interesse zuhörte.
5ten klagte er über Schlaflosigkeit; ich suchte ihn damit zu trösten, daß ich in meiner kürzlichen Krankheit viele Nächte nicht geschlafen habe u. dabei noch Schmerzen habe leiden müssen. Er war sehr geduldig und ruhig. Da wir genöthigt waren einige Besuche zu machen, so blieb sein liebster Freund Schmid bei ihm; als wir wieder nach Hause kamen ließ er sich von uns erzählen; doch hatte er es nicht gerne, wenn man laut sprach.
6ten da ich keine häuslichen Geschäfte hatte, konnte ich mich ganz seiner Pflege widmen, was ich von Herzen gerne that. Es zeigte sich nach und nach eine große Empfindlichkeit bei ihm; man konnte ihm nicht leicht etwas recht machen, was seine Freunde oft nicht begreifen konnten. Ich, die ich aber aus Erfahrung wußte, wie es einem ist, wenn man an den Nerven leidet, ich that ihm alles was er nur haben wollte, worüber ich jetzt doppelt froh bin.
7ten schickte Frau Sell Suppe für B., die ihm sehr gut schmeckte; auch die vorgeschriebene Arzeney nahm er gerne, worüber ich ihn oft lobte. Da wir den Fastnachts Abend bei Sells zubringen sollten, so blieb Bs. Freund Braubach bei ihm, den er auch sehr gerne hatte.
8ten zeigte sich nur sehr wenig Fieber u. er wollte, da Briefe von seiner Braut angekommen waren, an dieselbe schreiben; ich bat ihn dieses zu verschieben, bis er sich wieder ganz wohl fühlte; auch erbot ich mich statt seiner zu schreiben, was er aber ablehnte. Da die Briefe Minnas sehr fein geschrieben waren, legte er sie weg, um sie später fertig zu lesen.
9ten hatte der Kranke fast gar kein Fieber, doch klagte er fortwährend über Schlaflosigkeit; mein Mann war des Nachts lange bei ihm u. bemerkte doch, daß er zuweilen geschlafen hatte. Er war kleinmüthig und wir sprachen ihm alle Muth ein; auch rieth man ihm, ein wenig aufzustehen um dann vielleicht besser schlafen zu können. Es wurde ihm Mandelmilch verordnet, die ich ihm bereitete, u. die ihn sehr erquickte. Jeden Abend legte man ihm Senf auf die Waden.
10ten stand er Nachmittags auf und wollte schreiben; ich holte ihm alles Nöthige herbei, da ich sah, daß er sich durchaus nicht wollte abhalten lassen u. da er sagte, daß er sich auf dem Sopha wohler wie im Bett fühle, so freute ich mich sehr u. nahm es für ein Zeichen der Beßrung. Er ergriff die Feder, erklärte aber sogleich nicht schreiben zu können; ich bot ihm abermals an in seinem Namen zu schreiben, was er jetzt geschehen ließ. Damit er seinen Geist nicht anstrengen sollte, schrieb ich den Brief nach meiner Idee u. er sagte mir alsdann was ich daran ändern solle. Endlich war das Schreiben nach seinem Wunsch ausgefallen; er nahm es mir hastig weg u. setzte die W „Adieu mein Kind“, darunter, ließ mich eine seiner Locken hinein legen u. eilte schnell zu Bett, nach welchem er sehr verlangte. Nachdem der Brief weg war, fiel es mir schwer aufs Herz, daß die gute Minna vielleicht diese Worte für Abschiedsworte nehmen könnte, da doch die Krankheit damals nicht im Geringsten gefährlich schien. Dieß beunruhigte mich sehr u. ich hatte einen traurigen Abend. Mein Mann u seine anderen Freunde schliefen diese wie die folgenden Nächte abwechselnd in seinem Zimmer, was ihm lieb war.
11ten B. hatte viel Schleim im Halse und mußte oft auswerfen. Der schwache Thee, den er Morgens genoß u. die Suppen, die ich ihm selbst kochte, schmeckten ihm recht gut; doch fiel uns eine Art Unempfindlichkeit (Apathie) an ihm auf. Ich fragte ihn an diesem Morgen, ob es ihm angenehm wäre, wenn ich mit meiner Arbeit mich zu ihm setzte, was er gerne zu haben schien. Da er viel Schleim im Munde hatte, fiel ihm das Sprechen schwer u. er drückte sich oft durch Gebährden aus, die mich zu Thränen rührten, auch weil sie mich lebhaft an meinen verstorbenen Vater erinnerten, mit dem ich sogar in der hohen freien Stirne einige Ähnlichkeit bei B. zu entdecken glaubte (Mein Vater litt in seinen letzten Lebensjahren öfter an einer Art Sprachlähmung u. pflegte sich dann durch Gebährden auszudrücken.)
An einigen Äusserungen die er an diesem Tage that, bemerkte ich, daß sein Geist nicht ganz helle war. Wir beschlossen noch einen Arzt kommen zu lassen u. zwar Schönlein; der Kranke wollte aber nichts davon hören, da er sich nicht so krank fühlte.
Es wurde indessen jetzt jede Nacht gewacht, was seine Freunde gerne übernahmen.
12ten Sonntag. Erklärte endlich B., daß er Schönlein zu sprechen wünsche, dieser war aber verreist; sein Assistent hatte indessen B. schon besucht u. sich mit den von Dr. Zehnder verordneten Mitteln ganz einverstanden erklärt.
13ten die Betäubung dauerte fort; am Tage vorher war es, wo er zum erstenmale sagte, der Kopf sei ihm schwer u. dieß war das einzigemal in seiner ganzen Krankheit, daß er den Kopf klagte. Er war ganz bei sich, sprach aber zuweilen im Schlaf. Wir schrieben an diesem Tage an unsre Geschwister nach Darmstadt.
14ten Morgens frühe kam Schönlein und billigte ganz das bisherige Verfahren des Dr. Zehnder, auch behielt er dieselben Arzeneien bei. B. sprach sehr vernünftig mit ihm, bekam aber schon während der Anwesenheit der Ärzte starke Hitze; ich blieb bei ihm u. er nannte mich manchmal Schmid; wenn ich dann sagte ich sey Frau Schulz, lächelte er mir zu. (Am Rand: auch glaubte er zuweilen es stände Jemand in der Ecke u. dgl.) Ich las für mich im Morgenblatt, das er für einen Brief hielt, ich legte es daher weg. Gegen Abend bekam er einen heftigen Anfall von Zittern (Zittern der Hände hatte man schon früher bemerkt) wobei er ganz irre sprach. Ich wurde sehr unruhig u. sorgte von nun an dafür, daß ausser mir auch immer noch einer seiner Freunde bei ihm war. Er wurde nach u. nach wieder ruhiger. Gegen 8 Uhr kam das Deliriren wieder und sonderbar war es, daß er oft über seine Phantasien sprach sie selbst beurtheilte, wenn man sie ihm ausgeredet hatte. Eine Phantasie, die oft wiederkehrte war die, daß er wähnte ausgeliefert zu werden. Die Nacht war unruhig; er sprach viel französi[s]ch u. redete mehreremale seine Braut an.
15ten Fand ich ihn Morgens früh sehr verändert; doch kannte er mich; verlangte zu seinem Thee weil die Tasse groß war auch einen großen Löffel u. spülte sich den Mund aus. Er sprach wenn er bei sich war etwas schwer, sobald er aber delirirte sprach er ganz geläufig. Er erzählte mir eine lange zusammenhängende Geschichte wie man ihn gestern schon vor die Stadt gebracht habe, wie er zuvor eine Rede auf dem Markte gehalten u.sw. Ich sagte ihm, er sey ja hier in seinem Bette u. habe das alles geträumt; da erwiederte er, ich wisse ja daß Professor Escher (einer seiner Schüler) sich für ihn verbürgt habe u. deßhalb sey er wieder zurückgebracht worden. Es hatte sich nämlich die Idee bei ihm gebildet er habe Schulden, was aber in der Wirklichkeit nicht der Fall war. Solche Phantasien ließ er sich leicht ausreden, verfiel aber alsdann in andere. Um 12 Uhr kam Schönlein den B. nicht erkannte und da ich um jeden Preis wissen wollte wie es um den Kranken stehe blieb ich im Zimmer, ob es schicklich war, oder nicht. Schon als Schönlein eintrat sagte er: „welch ein Geruch!“ ließ sich den Stuhlgang zeigen, der ganz schwarz u. war aus dickem Blut bestand, betrachtete den Kranken u. sagte zu mir: „alles paßt zusammen; es ist das Faulfieber und die Gefahr ist sehr groß.“ Ich erschrack heftig u. da meine Nerven sehr angegriffen waren, empfahl mir der Arzt dringend das Krankenzimmer zu meiden. Am Rand: auch war männliche Pflege jetzt dringender. Ich konnte jetzt nichts mehr für ihn thun als beten. – Es wurde ein braver Wärter angenommen; doch war bei diesem immer noch einer von Bs. Freunden, besonders Wilhelm u. Schmid. Ich war sehr traurig u. schrieb sogleich nach Straßburg.
16ten die Nacht war unruhig; der Kranke wollte mehreremale fort, weil er wähnte in Gefangenschaft zu gerathen, oder schon darin zu seyn glaubte u. sich ihr entziehen wollte. Den Nachmittag vibrirte der Puls nur u. das Herz schlug 160 mal in der Minute. Die Ärzte gaben die Hoffnung auf. Mein sonst frommes Gemüthe fragte bitter die Vorsehung: „warum?“ da trat Wilhelm ins Zimmer u. da ich ihm meine verzweiflungsvollen Gedanken mittheilte, sagte er: „unser Freund giebt Dir selbst Antwort, er hat soeben, nachdem ein heftiger Sturm von Phantasiren vorüber war, mit ruhiger, erhobener, feierlicher Stimme die Worte gesprochen: ‚Wir haben der Schmerzen nicht zu viel, wir haben ihrer zu wenig, denn durch den Schmerz gehen wir zu Gott ein“! „Wir sind Tod, Staub, Asche, wie dürften wir klagen!’“ Mein Jammer lößte sich in Wehmuth auf; aber ich war sehr traurig u. werde es noch lange seyn.
17ten In der Nacht phantasirte der Kranke von seinen Eltern und Geschwistern in den rührendsten Ausdrücken. Er sprach fast immerwährend. Schönlein wunderte sich, ihn am Morgen noch lebend zu finden; er kam täglich zweimal u. nahm den größten Antheil, so wie Alle die B. auch nur entfernt kannten. Jeden Morgen ließ man sich von verschiedenen Seiten nach seinem Befinden erkundigen. Gegen 10 Uhr kam Frau Pfarrer Schmid von Straßburg u. benachrichtigte uns, daß Minna angekommen sey; ich erschrack sehr, denn ich fürchtete für sie, wenn sie den Kranken in so verändertem Zustande sehen würde. Ich eilte zu ihr ins Wirthshaus u. bereitete sie nach u. nach auf die große Gefahr vor, in der ihr Theuerstes schwebte. Ich machte mich recht stark bei ihr. Ich holte sie nach Tisch mit ihrer Begleiterin zu uns. Die Ärzte hatten ihr erlaubt den Kranken zu sehen. Er erkannte sie was eine schmerzliche Freude für sie war; unsere Thränen flossen vereint an diesem Tage u. mein Herz litt viel denn es verstand das ihrige. Sie u. Frau Schmid blieben von nun an bei uns. Die Nacht war für uns alle traurig. Der Kranke delirirte fortwährend.
18ten besuchte Minna frühe den Kranken, der sie deutlicher wie am vorigen Tage erkannte; er sprach zu ihr, auch von ihrem Vater, doch konnte man nicht alles verstehen, denn seine Stimme war jetzt schwächer. Er ließ sich den Mund reinigen, nahm aus Ms. Händen ein wenig Wein u Confitür, aß Mittags etwas Suppe, nannte mehrere seiner Freunde mit Namen, auch der Puls hob sich ein wenig; alles dieses war ein Hoffnungsstrahl für uns, trotz den Ärzten, die nichts darauf gaben, aber nur ein Hoffnungsstrahl, denn am Abend traten von neuem üble Symptome ein. Die Nacht war ruhig, da die Schwäche zunahm; doch sprach der Kranke immer fort.
19ten Sonntag. Der Athem wurde schwerer, die Schwäche größer, der Tod mußte nahe seyn. Das starke Mädchen bat meinen Mann sie zu rufen, wenn der verhängnißvolle Augenblick käme, denn lange konnte u. durfte sie nicht im Krankenzimmer verweilen. Es war Sonntag; der Himmel war blau u. die Sonne schien. Die Kinder hatte man weggeschickt, es war stille im Hause u. stille auf der Straße. Die Glocken läuteten. Minna u. ich sassen allein in meinem traulichen Stübchen. Wir wußten, daß wenige Schritte von uns ein Sterbender lag und Welcher! Wir hatten uns aber in den Willen der Vorsehung ergeben, denn was ja in der Menschen Macht lag den Theuren zu retten war geschehen. Ich erinnere mich in meinem Leben wenig so feierlicher Stunden wie diese; eine heilige Ruhe goß sich über uns. Wir lasen einige Gedichte, wir sprachen von Ihm, bis Wilhelm eintrat Minna zu rufen, damit sie dem Geliebten den letzten Liebesdienst erzeige. Sie that es mit starker Ruhe, aber dann brach ihr Schmerz laut aus. Ich nahm sie in meine Arme u. weinte mit ihr. Sie wurde ruhiger u. endigte einen angefangenen Brief. Der Abend verging uns in Gesprächen über den Hingeschiedenen; oft gedachten wir mit Schmerz der armen Eltern u. Geschwister des Verewigten. Minna brachte die Nacht bei mir zu u. da wir lange nicht geschlafen hatten, behauptete die Natur ihr Recht u. ein sanfter Schlummer stärkte uns. Am Abend war ein Brief aus Darmstadt gekommen, der uns tief bewegte; ich beantwortete am
20ten; auch Minna schrieb an ihren Vater. Wir lasen in einer Art Tagebuch, das sich unter Bs. Papieren gefunden hatte u. reiche Geistesschätze enthält. Die Freunde des Verewigten brachten den Abend bei uns zu u. Er war wie immer der Gegenstand unsrer Unterhaltung. Da er sich über alles was uns interessirte, so oft mit uns besprochen hatte, so wußten wir viel von ihm zu erzählen. Fast jeder Gegenstand der uns umgab erinnerte uns an diese oder jene geistreiche Bemerkung die er darüber gemacht. Bald flossen unsre Thränen u. bald mußten wir lachen, wenn wir uns seine treffende Satyre, seine witzigen Einfälle und launige Scherze ins Gedächtniß zurück riefen.
21ten Der Himmel war helle u. die Sonne schien dem Tage, an dem seine irdische Hülle der Erde wiedergegeben werden sollte. Wir wanden am Morgen einen großen Kranz von lebendigem Grün, Lorbeer u. Myrthen und weißen Blüthen, der nach hiesiger Sitte den ganzen Sarg umgeben sollte. Auch ließ Minna dem Dichter u. Bräutigam durch Wilhelm, einen Lorbeer u. Myrthenkranz auf die hohe blasse Stirne drücken. Ein Strauß von lebendigen Blumen, den einige Freundinnen schickten, ruhte in seinen Händen. Um 4 Uhr sollte das Begräbniß statt finden, ich verließ daher gleich nach Tisch mit Minna das Haus, denn einem zerrissenen Herzen können die Anstalten dazu keinen Trost gewähren. Wir besuchten zuerst den Lieblingsspatziergang unsers Freundes, ein kleiner Platz am See, u. dann begaben wir uns zu einer theilnehmenden Freundin, wo wir bis zum Abend blieben. Wilhelm holte uns dort ab u. erzählte uns, daß mehrere hundert Personen, die beiden Bürgermeister u. andere der angesehensten Einwohner der Stadt, an der Spitze, den Verewigten zur Ruhestätte begleitet hatten. Die Theilnahme der ganzen Stadt war groß.
Bekannte und Unbekannte waren tief erschüttert durch den Tod eines so Geist u. Talent vollen jungen Mannes. Am Abend schickte eine Freundin einen Blumentopf gefüllt mit der Erde in der der Vollendete ruht. Das Immergrün das darin stand u. das auch auf seinem Grabe sproßt, sey uns ein Symbol der Hoffnung, der Hoffnung des Wiedersehens. Mit den herzlichsten theilnehmendsten Worten an Minna, war dieses sinnige Geschenk begleitet.
Überlieferung
Handschrift: Goethe- und Schiller-Archiv Weimar; Erstdruck: Karl Emil Franzos, Georg Büchners letzte Tage, in: Die Gegenwart 11 (1877), Nr. 7, 17. Februar, S. 102–105.