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Ludwig Büchner, Biographische Darstellung (Einleitung)

<1> Georg Büchner

wurde am 17. Oktober 1813, am Schlachttage von Leipzig, in einem Dorfe ohnweit Darmstadt, wo sein Vater Arzt war, als erstes Kind der Familie geboren. Der Vater wurde bald in eine höhere Stellung nach Darmstadt berufen, und Büchner erhielt auf dem dortigen Gymnasium seine Schulbildung. Ein frühreifer Geist ließ ihn hier bereits unter den Besten erscheinen, und als er im Herbste des Jahres 1831, in einem Alter von 18 Jahren, das Gymnasium verließ, hielt er auf dem in Darmstadt üblichen Redeactus eine Rede, welche die Vertheidigung des Selbstmords Cato’s von Utika zum Gegenstande hatte. Schülerschriften In einer körnigen Sprache abgefaßt, ist sie ein Beweis für seine damals schon von politischem Enthusiasmus beseelte Geistesrichtung und befindet sich unter einer Reihe von Jugendarbeiten, die noch vorliegen und meist lyrischen Inhalts sind. Schülerschriften In späterem Alter machte er niemals mehr Gedichte.

Der Wunsch des Vaters und eigne Neigung bestimmten ihn für das Studium der Medicin und der damit verwandten Naturwissenschaften. Als Studienort wurde, ebenfalls auf den Wunsch des Vaters und als Ausnahme von der Regel, Straßburg gewählt, wohin sich Büchner im Herbst 1831, begab. Mit der französischen Sprache genau vertraut, <2> besuchte er die in dieser Sprache vorgetragenen Vorlesungen über Chemie, Physik, Zoologie, Anatomie, Physiologie, materia medica u. s. w. — Zugleich trieb er mit Vorliebe neuere Sprachstudien, namentlich Italienisch. — An die Familie des Straßburger Pfarrers Jäglé, bei dem er Wohnung und Kost hatte, wurde er sehr bald durch seine Liebe zu dessen einziger Tochter Minna aufs Engste gefesselt. Theils dieß, theils das rege Treiben der großen, lebendigen Stadt, verbunden mit häufigen Besuchen des „Münster,“ theils die sehr freundliche Aufnahme bei mehreren Straßburger Verwandten, ließen ihm seinen Aufenthalt in Straßburg sehr angenehm erscheinen, und seine Briefe aus jener Zeit bekunden die heiterste Stimmung. Zugleich spiegelt sich in denselben häufig das Bild der damals in Folge der Julirevolution noch tief aufgeregten Zeit; der abgedruckte erste Briefauszug Nach 4. Dezember 1831. An die Eltern in Darmstadt vom October 1831 beschreibt den Empfang des aus dem polnischen Befreiungskampfe zurückkehrenden Generals Romarino in Straßburg, desselben, der im vorigen Jahre in Piemont durch kriegsrechtlichen Spruch den Tod erlitt; häufig auch erwähnen die Briefe des Besuchs europäischer Flüchtlinge.

Sein Glück zu Hause und eine gewisse Scheu vor geräuschvollen Vergnügungen ließen Büchner nur selten Gesellschaften, Bälle und dergleichen besuchen; dagegen machte er, den eine innige Liebe zur Natur beseelte, häufige Fußreisen in die naheliegenden Gebirge: Schwarzwald, Vogesen und weiter bis zum Jura. Der Briefauszug vom 8. Juli 1833 beschreibt eine solche Tour. 8. Juli 1833. An die Eltern in Darmstadt — Unter seinen Straßburger Freunden nennen wir Lauth, den berühmten Professor der Anatomie, <3> sowie Professor Reuß, den bekannten Orientalisten; mit ersterem machten ihn seine Studien, mit letzterem verwandschaftliche Verhältnisse bekannt. —

Nach einem kurzen Ferienaufenthalt in Darmstadt im Herbst 1832 kehrte Büchner nach Straßburg zurück, um seine früheren Studien mit Eifer fortzusetzen. Bei einem Besuche des Münster, dessen Bauart einen Gegenstand seiner Lieblingsstudien bildete, und das er immer bis in die höchste Spitze, die sogenannte Kuppel, zu erklimmen pflegte, wäre er, indem er sich rasch nach einem ihm entfallenen Fernglase bückte, beinahe ein Opfer seiner Unvorsichtigkeit geworden. — Daß Büchner, wie mehrfach erzählt wurde, damals schon handelnd in der Politik aufgetreten und namentlich dem Frankfurter Attentat (April 1833) nicht fremd gewesen sei, ist durchaus falsch; er erfuhr den Vorfall erst durch Briefe von Hause, und spricht sich in dem mitgetheilten Briefauszuge vom 5. April 1833 darüber aus. 5. April 1833. An die Eltern in Darmstadt — Er schreibt ferner einmal: „Wegen mir könnt Ihr ganz ruhig sein; ich werde nicht nach Freiburg gehen, und eben so wenig wie im vorigen Jahre, an einer Versammlung Theil nehmen.“ Frühjahr 1833. An die Eltern in Darmstadt Und ein andermal, indem er auf seinen bevorstehenden Gießener Aufenthalt hindeutet, und im Anschluß an das Brieffragment vom Juni 1833: „Ihr könnt voraussehen, daß ich mich in die Gießener Winkelpolitik und revolutionären Kinderstreiche nicht einlassen werde.“ Juni 1833. An die Eltern in Darmstadt

Diese Voraussicht betrog ihn. Die Gesetze seiner Heimat riefen ihn, nach einem zweijährigen Aufenthalte in Straßburg, nach der Landesuniversität Gießen, wo er seine medicinischen Studien fortsetzte. — Gießen war damals der Mittelpunkt <4> eines Theils der geheimen revolutionären Bestrebungen in den süddeutschen Staaten, die sich nach dem Mißlingen des Frankfurter Attentats mehr ein Wirken zur politischen Aufklärung und Aufregung der unteren Volksklassen zum Ziele gesetzt hatten. Die leitende Triebfeder in Oberhessen war der drei Stunden von Gießen entfernt wohnende, bekannte Pfarrer Weidig in Butzbach, ein Mann von eben so viel politischem Wissen, als energischer Thatkraft. — Um Büchner in dieses Treiben, das er übersah und als unter den damaligen Verhältnissen bedeutungslos und ohne Nachhalt bereits früher erkannt hatte, hineinzuziehen, bedurfte es eigenthümlicher Anregungen. Die ihm beinahe unerträglich scheinende Trennung von seiner Braut erzeugte in ihm während der ganzen Dauer seines Gießener Aufenthalts eine trübe und zerrissene Gemüthsstimmung, die sich in seinen Briefen häufig ausspricht und den sonst lebensfrohen jungen Mann sagen läßt: „Ich habe Anlagen zur Schwermuth.“ Dazu das unfreundliche Gießen, das er stets mit Straßburg verglich und nicht genug tadeln konnte! Diese Stimmung wurde genährt durch seine wissenschaftlichen Beschäftigungen. Je mehr sich Büchner’s Studium dem eigentlich praktischen Felde der Medicin näherte, desto mehr fand sich sein mehr zur Speculation, als zur Beobachtung neigender Geist davon zurückgestoßen. Er spöttelte und wand sich zum Studium der Grundlagen des menschlichen Wissens, zur Geschichte und zur Philosophie, um die Lösung derjenigen Räthsel zu finden, welche in einem Alter von zwanzig Jahren jeden strebenden Geist beschäftigen und bei den am Tiefsten Eindringenden auch den nachhaltigsten <5> Seelenschmerz zu erzeugen im Stande sind. Das Studium der neueren Geschichte ließ ihn die Schmach des Vaterlandes tief empfinden; dazu seine glühende Liebe zur Freiheit, — sein Ekel vor der Verderbtheit der herrschenden Kaste, — die durch die Auflösung des hessischen Landtags von 1833 noch gesteigerte Aufregung um ihn her — und man wird sein nunmehriges Auftreten erklärlich finden. Seine Aeußerung: „die Leute gehen in’s Feuer, wenn’s von einer brennenden Punschbowle kommt“ (Brief vom 1. [recte 14.] November 1833) 14. November 1833. An die Eltern in Darmstadt beweist, wie wenig Vertrauen er in die Kraft der Bewegung setzte, — aber er stürzte sich in die Politik, wie in einen Ausweg aus geistigen Nöthen und Schmerzen. Wir bemerken nebenbei, daß die damalige hessische Kammer-Opposition Büchner’s Beifall nicht besaß und oft der Gegenstand seiner Spöttereien wurde. Namentlich äußerte er oft seinen besonderen Widerwillen gegen deren damaligen Führer, Heinrich v. Gagern. — So wurde die erste Hälfte des Jahres 1834 zu einem der bedeutungsvollsten Zeitabschnitte in Büchner’s Leben. Es war zu derselben Zeit, wo ein neues, geistiges Leben das gebildete Deutschland zu durchzucken begann; wo Wienbarg das „Junge Deutschland“ stiftete (zu dem Büchner später in nähere Beziehung gebracht wurde), und wo durch eine Revolution der Geister eine neue Ordnung in die politischen, religiösen und gesellschaftlichen Verhältnisse von Europa gebracht werden sollte. Während man in Deutschland die Emancipation des Fleisches predigte, versuchten die praktischeren Republikaner Frankreichs einen Aufstand in Paris (13. April 1834), der blutig niedergeschlagen wurde. Diese Dinge konnten nicht <6> ohne die stärkste Rückwirkung auf die Geister, und namentlich auf die studirende Jugend Deutschlands bleiben, um so mehr, als man damals noch gewohnt war, die Universitäten als den Angelpunkt anzusehen, um den sich das geistige Leben der Nation drehen sollte; und da nun alle Wege zu einer öffentlichen Discussion und Behandlung des politischen und socialen Fortschritts verschlossen waren, so ergoß sich die Bewegung in die unterirdischen Gänge. Ich übergehe die Geschichte der geheimen politischen Bewegungen, die diesem Jahre vorausgegangen sind, die in Folge der Bundestagsbeschlüsse des Jahres 1832 ihren ersten Anfang genommen hatten, ihre Entstehung theilweise dem Feste auf der Frankfurter Mainlust (Herbst 1832) verdankten, sich von da bis zum Frankfurter Attentat fortzogen und theilweise in den Mitte 1833 begonnenen Untersuchungen in Hessen ihre Auflösung fanden. Im Jahre 1834 hatte man auch die in Folge der Frankfurter Vorfälle Verhafteten wieder freigegeben, und dieselben nahmen sogleich den lebhaftesten Antheil an den nun folgenden Bestrebungen. — Wie oben bereits angedeutet, wollte man jetzt auf die Masse der Bevölkerung wirken, und suchte diesen Zweck durch Flugschriften zu erreichen. Weidig stand in Oberhessen an der Spitze und betrieb seine Agitationen in Verbindung mit dem in Frankfurt am Main existirenden „Männerbund,“ der nach „Nöllner“ mit der Schweiz und Frankreich communicirte und ebenfalls revolutionäre Schriften verbreitete. Beide Hessen, Würtemberg und Baden waren unter den süddeutschen Staaten am stärksten betheiligt. — In Gießen sah das Jahr 1834 zwei geheime Gesellschaften ent<7>stehen, eine Burschenschaft und eine andere rein politische, an der Studenten und Bürger Theil nahmen, und die sich namentlich das Verbreiten von Flugschriften zum Zwecke gesetzt hatte. Diese Verbindung wurde hauptsächlich durch Büchner gestiftet und erhielt von ihm den Namen „Gesellschaft der Menschenrechte.“ Unter ihren Haupttheilnehmern nennen wir: Klemm, Minnigerode, A. Becker, Trapp, Schütz und Andere. — „Nöllner“ (Aktenmäßige Darlegung des Prozesses gegen etc. Weidig etc., Darmstadt, 1844) erzählt über die Entstehung jener Gesellschaft: „Die Ansichten und Grundsätze, welche Büchner während eines zweijährigen Aufenthaltes zu Straßburg angenommen zu haben scheint, erfreuten sich des Beifalls der Anderen und veranlaßten deren Zusammentreten in jene Verbindung, welche sich zum Zwecke setzte, Flugschriften zu verbreiten und Gleichgesinnte an andern Orten zu ähnlichen Vereinen zu bestimmen. Die Mitglieder hatten bei Einzelnen von ihnen Zusammenkünfte, in welchen über den politischen Zustand Deutschlands, über die Mittel zu dessen Veränderung, über den nächsten Zweck einer Revolution, sodann im Speziellen über die eigne Thätigkeit und über die Ausdehnung der Gesellschaft gesprochen wurde, welche eine Zeitlang auch den ihr von Büchner beigelegten Namen „Gesellschaft der Menschenrechte“ führte, sowie sich Schütz auch mit dem Entwurf einer Constitution für sie beschäftigt haben soll.“ — Die Idee, die Gesellschaft, abweichend von den andern, eine Gesellschaft der Menschenrechte zu nennen, mag Büchner aus dem damals schon sehr eifrig von ihm betriebenen Studium der französischen Revolution geschöpft haben. Aus dieser <8> Gesellschaft und aus der Feder Büchner’s ging die schärfste der damals erschienenen Flugschriften, der „.....’sche LandboteDer Hessische Landbote hervor, auf die wir zurückkommen werden, und die verbreitet wurde, nachdem Weidig bereits früher fünf Nummern des „Leuchters und Beleuchters für Hessen“ in die Welt gesandt hatte.

Unterbrochen wurde diese revolutionäre Thätigkeit Büchner’s durch eine plötzliche und heimliche Reise desselben nach Straßburg am Ende des Monats März, wohin ihn Sehnsucht und Angst um seine plötzlich erkrankte Braut getrieben hatten. Von Straßburg schrieb er an seine Eltern und entdeckte ihnen das bisher verheimlichte Verhältniß, wobei er seine Gemüthsstimmung in Gießen so beschreibt: „Ich war im Aeußeren ruhig, doch war ich in tiefe Schwermuth verfallen; dabei engten mich die politischen Verhältnisse ein, ich schämte mich, ein Knecht mit Knechten zu sein, einem vermoderten Fürstengeschlecht und einem kriechenden Staatsdiener-Aristokratismus zu Gefallen. Ich komme nach Gießen in die niedrigsten Verhältnisse, Kummer und Widerwillen machen mich krank.“ Nach 27. März 1834. An die Eltern in Darmstadt — Die Einwilligung der beiderseitigen Eltern in die Verbindung erfolgte, und Büchner kehrte ins elterliche Haus nach Darmstadt zurück, um die Osterferien da zuzubringen. Diese Ferienzeit benutzte er, um in Darmstadt eine Zweiggesellschaft der „Gesellschaft der Menschenrechte“ zu gründen. Sie bestand meist aus jungen Bürgerssöhnen und erhielt später durch Büchner ihre Instruktionen von Gießen, ohne die höheren Leiter der geheimen Gesellschaften zu kennen.

Nach Gießen zurückgekehrt ging Büchner auf dem betretenen <9> Wege weiter, und namentlich waren es jetzt der Druck und die Verbreitung der oben genannten Flugschrift, die ihn beschäftigten. Zu gleicher Zeit bemühte sich Weidig, indem er Verbindungen zwischen den damals noch vereinzelten Bestrebungen herstellte, der Bewegung mehr Einheit und Kraft zu geben. Büchner’s Schrift wurde ihm im Manuscript durch Becker gebracht; er billigte sie in ihren Haupttheilen, änderte Einiges daran, setzte Anderes hinzu, gab ihr den Namen: „...’scher Landbote,“ und beschloß den Druck derselben; worauf im Anfange des Monats Juni 1834 Büchner mit Schütz nach Offenbach reiste, um dieselbe der geheimen Presse zu übergeben. Büchner war über die Veränderungen, die Weidig vorgenommen hatte, sehr aufgebracht, wollte die Schrift nicht mehr als die seinige anerkennen und sagte, daß Weidig ihm gerade das, worauf er das meiste Gewicht gelegt, durchgestrichen habe. Ueberhaupt vertrug er sich mit Weidig schlecht; einer seiner Freunde und Mitschuldigen sagte vor dem Untersuchungsrichter über dieses Verhältniß aus (Nöllner etc.) [vgl. Hl Dok 141]:

„Weidig war in Allem der Gegensatz zu Büchner; er (Weidig) hatte den Grundsatz, daß man auch den kleinsten revolutionären Funken sammeln müsse, wenn es dereinst brennen solle; er war unter den Republikanern republikanisch und unter den Constitutionellen constitutionell. — Büchner war sehr unzufrieden mit dieser Bemerkung Weidig’s und sagte, es sei keine Kunst, ein ehrlicher Mann zu sein, wenn man täglich Suppe, Gemüse und Fleisch zu essen habe. Indessen konnte Weidig der Flugschrift seinen Beifall nicht versagen und meinte, sie müsse vortreffliche Dienste thun, wenn sie verändert werde. <10> Dies zu thun, behielt er sie zurück und gab ihr die Gestalt, in der sie im Druck erschienen ist. Sie unterscheidet sich von dem Original namentlich dadurch, daß an die Stelle der Reichen die Vornehmen gesetzt sind, und daß das, was gegen die sogenannte liberale Partei gesagt war, weggelassen worden ist. Das ursprüngliche Manuscript hätte man eher als eine Predigt gegen den Mammon betrachten können, nicht so das letzte. Die biblischen Stellen, sowie überhaupt der Schluß sind von Weidig.“

Und an einer andern Stelle [vgl. Hl Dok 141]:

„Ich erinnere mich, daß Büchner einst Streit mit Weidig über Wahlcensus hatte. Büchner meinte, in einer gerechten Republik, wie in den meisten nordamerikanischen Staaten, müsse Jeder ohne Rücksicht auf Vermögensverhältnisse eine Stimme haben und behauptete, daß Weidig, welcher glaubte, daß dann eine Pöbelherrschaft, wie in Frankreich, entstehen werde, die Verhältnisse des deutschen Volks und unserer Zeit verkenne. Büchner äußerte sich einst in Gegenwart eines Freundes sehr heftig über diesen Aristokratismus des Weidig, wie er es nannte.“

Am 3. Juli veranstaltete Weidig auf der Badenburg bei Gießen zum Zwecke einer näheren Vereinigung und Besprechung eine Zusammenkunft Gleichgesinnter aus weiteren Kreisen, an der übrigens fast nur Gießener und Marburger sich betheiligten. „Vor dieser Besprechung meinte Büchner“ (so sagt der Nämliche bei „Nöllner“ aus), daß man Gesellschaften errichten müsse; Weidig glaubte, daß es schon genüge, wenn man die verschiedenen Patrioten der verschiedenen Gegenden <11> mit einander bekannt mache und durch sie Flugschriften verbreiten lasse. Büchner hoffte auf der Badenburg seine Ansichten bei den Marburgern durchzusetzen. Ich weiß nicht, wie weit ihm dies gelungen ist. Als ich ihn später über die Sache sprach, sagte er mir, daß auch die Marburger Leute seien, welche sich durch die französische Revolution, wie Kinder durch ein Ammenmährchen, hätten erschrecken lassen, daß sie in jedem Dorf ein Paris mit einer Guillotine zu sehen fürchteten u. s. w. Es muß demnach auf dieser Versammlung die Rede davon gewesen sein, in welchem Geiste die Flugschriften abgefaßt werden müßten, und Büchner, welcher glaubte, daß man sich an die niederen Volksklassen wenden müsse, und der auf die öffentliche Tugend der sogenannten ehrbaren Bürger nicht viel hielt, muß auf der Badenburg seine Absichten nicht gebilligt gesehen haben, weil er über die Marburger sich so ungehalten äußerte.“

In demselben Monat Juli ging der „Landbote“ aus der Presse hervor und wurde im Auftrage Weidig’s durch die Mitglieder der geheimen Gesellschaften verbreitet. Die Hauptstellen aus diesem merkwürdigen Aktenstücke, dem eigentlich mehr sociale, als politische Tendenz zu Grunde liegt, haben wir in der Sammlung mitgetheilt. — Nöllner hat noch einige andere Aussagen desselben Mitschuldigen, von dem die obigen Angaben herrühren, über Büchner und seine Flugschrift veröffentlicht; dieselben sind für den Charakter der damaligen Bewegung sowohl, als auch für Büchner’s politische Ansichten und Richtung zu bezeichnend, als daß wir sie mit Stillschweigen übergehen könnten [vgl. Hl Dok 141]. „Den Landboten betreffend,“ erzählt der<12>selbe, „sei es mir erlaubt, den Verfasser desselben, Georg Büchner, in seinen eigenen Worten, deren ich mich noch ziemlich genau erinnere, hier für mich reden zu lassen. — Die Versuche, welche man bis jetzt gemacht hat, die Verhältnisse Deutschland’s umzustoßen, sagte er, beruhen auf einer durchaus knabenhaften Berechnung, indem man, wenn es wirklich zu einem Kampf, auf den man doch gefaßt sein müßte, gekommen wäre, den deutschen Regierungen und ihren zahlreichen Armeen Nichts hätte entgegenstellen können, als eine handvoll undisciplinirte Liberale. Soll jemals die Revolution auf eine durchgreifende Art ausgeführt werden, so kann und darf das bloß durch die große Masse des Volkes geschehen, durch deren Ueberzahl und Gewicht die Soldaten gleichsam erdrückt werden müssen. Es handelt sich also darum, diese große Masse zu gewinnen, was vorderhand nur durch Flugschriften geschehen kann.

„Die früheren, zu diesem Zweck erschienenen Flugschriften entsprachen demselben nicht; es war darin die Rede vom Wiener Congreß, Preßfreiheit, Bundesordonnanzen und dergl., lauter Dinge, um welche sich die Bauern (denn an diese, meinte Büchner, müsse man sich vorzüglich wenden) nicht kümmern, so lange sie noch mit ihrer materiellen Noth beschäftigt sind; denn diese Leute haben aus sehr nahe liegenden Ursachen durchaus keinen Sinn für die Ehre und Freiheit ihrer Nation, keinen Begriff von den Rechten des Menschen u. s. w., sie sind gegen all das gleichgültig, und in dieser Gleichgültigkeit allein beruht ihre angebliche Treue gegen die Fürsten und ihre Theilnahmlosigkeit an dem liberalen Treiben der Zeit; gleichwohl scheinen sie unzufrieden zu sein, und sie haben <13> Ursache dazu, weil man den dürftigen Gewinn, welchen sie aus ihrer sauren Arbeit ziehen, und der ihnen zur Verbesserung ihrer Lage so nothwendig wäre, als Steuer von ihnen in Anspruch nimmt. So ist es gekommen, daß man bei aller partheiischen Vorliebe für sie doch sagen muß, daß sie eine ziemlich niederträchtige Gesinnung angenommen haben, und daß sie, es ist traurig genug, fast an keiner Seite mehr zugänglich sind, als gerade am Geldsack; dieß muß man benützen, wenn man sie aus ihrer Erniedrigung hervorziehen will; man muß ihnen vorrechnen, welche Lasten sie tragen, während Andere den Vortheil davon beziehen; ..... daß die Gesetze, welche über ihr Leben und Eigenthum verfügen, in den Händen des Adels, der Reichen und der Staatsdiener sich befinden, u. s. w. Dieses Mittel muß man benutzen, so lange es noch Zeit ist. Sollte es den Fürsten einfallen, den materiellen Zustand des Volkes zu verbessern, sollten sie ihren Hofstaat, die kostspieligen, stehenden Heere vermindern, den künstlichen und deßwegen theuren Organismus der Staatsmaschine auf einfachere Principien zurückführen, dann ist die Sache der Revolution, wenn sich der Himmel nicht erbarmt, in Deutschland auf immer verloren. Seht die Oesterreicher, sie sind wohlgenährt und zufrieden! Fürst Metternich, der geschickteste unter Allen, hat allen revolutionären Geist für immer in ihrem eigenen Fett erstickt. So sind die eigenen Worte des Büchner’s gewesen.

„Die Flugschrift hatte hiernach den Zweck, die materiellen Interessen des Volkes mit denen der Revolution zu vereinigen, als den einzig möglichen Weg, die letztere zu bewerkstelligen. — <14> Solche Mittel, die Revolution herbeizuführen, hielt Büchner für ebenso erlaubt und ehrbar, als alle anderen. Wenigstens sagte er oft, der materielle Druck, unter dem ein großer Theil Deutschlands liege, sei eben so traurig und schimpflich, als der geistige, und es sei in seinen Augen bei weitem nicht so betrübt, daß dieser oder jener Liberale seine Gedanken nicht drucken lassen dürfe, als daß viele tausend Familien nicht im Stande wären, ihre Kartoffeln zu schmelzen u. s. w.

„Ob ich mich gleich hier meistens der Worte Büchner’s bedient habe, so dürfte es doch schwer sein, sich einen Begriff von der Lebhaftigkeit, mit welcher er seine Meinungen vortrug, zu machen.

„Büchner imponirte Allen von uns, ohne daß sie es vielleicht sich selber gestehen mochten, sowohl durch die Neuheit seiner Ideen, als durch den Scharfsinn, mit welchem er sie vortrug.“

An einer anderen Stelle [vgl. Hl Dok 141]:

„Büchner, der bei seinem mehrjährigen Aufenthalt in Frankreich das deutsche Volk wenig kannte, wollte, wie er mir oft gesagt hat, sich durch diese Flugschrift überzeugen, in wie weit das deutsche Volk geneigt sei, an einer Revolution Antheil zu nehmen. Er sah indessen ein, daß das gemeine Volk eine Auseinandersetzung seiner Verhältnisse zum deutschen Bund nicht verstehen und einem Aufrufe, seine angeborenen Rechte zu erkämpfen, kein Gehör geben werde; im Gegentheile glaubte er, daß es nur dann bewogen werden könne, seine gegenwärtige Lage zu verändern, wenn man ihm seine nahe liegenden Interessen vor Augen lege. Dieß hat Büchner in <15> der Flugschrift gethan. Er hatte dabei durchaus keinen ausschließlichen Haß gegen die großherzoglich hessische Regierung; er meinte im Gegentheile, daß sie eine der besten sei. Er haßte weder die Fürsten, noch die Staatsdiener, sondern nur das monarchische Princip, welches er für die Ursache alles Elendes hielt. — Mit seiner Flugschrift wollte er vor der Hand nur die Stimmung des Volks und der deutschen Revolutionärs erforschen. Als er später hörte, daß die Bauern die meisten gefundenen Flugschriften auf die Polizei abgeliefert hätten, als er vernahm, daß sich auch die Patrioten gegen seine Flugschrift ausgesprochen, gab er alle seine politischen Hoffnungen in Bezug auf ein Anderswerden auf. Er glaubte nicht, daß durch die constitutionelle landständische Opposition ein wahrhaft freier Zustand in Deutschland herbeigeführt werden könne. Sollte es diesen Leuten gelingen, sagte er oft, die deutschen Regierungen zu stürzen und eine allgemeine Monarchie oder auch Republik einzuführen, so bekommen wir hier einen Geldaristokratismus, wie in Frankreich, und lieber soll es bleiben, wie es jetzt ist.“ —

Jordan sprach sich mißbilligend über den „Landboten“ aus.

„Dieser Büchner,“ — so erklärte weiter noch der Obige im Verhör, — „war mein Freund, der mich lange Zeit zum einzigen Vertrauten seiner theuersten Angelegenheiten machte, von welchen er weder seiner Familie, noch einem seiner anderen Freunde Etwas gesagt hatte. Ein solches Vertrauen mußte ihm mein Herz gewinnen; seine liebenswürdige Persönlichkeit, seine ausgezeichneten Fähigkeiten, von welchen ich hier freilich <16> keinen Begriff geben kann, mußten mich unbedingt für ihn einnehmen bis zur Verblendung. Die Grundlage seines Patriotismus war wirklich das reinste Mitleid und ein edler Sinn für alles Schöne und Große. Wenn er sprach und seine Stimme sich erhob, dann glänzte sein Auge, — ich glaubte es sonst nicht anders — wie die Wahrheit. Ich habe die von ihm verfaßte Flugschrift abgeschrieben. Was hätte ich nicht für ihn gethan, wovon hätte er mich nicht überzeugt?!“ —

Ferner schreibt Becker noch in einem Brief an Gutzkow: „Ich habe den Büchner bei Weidig eingeführt. Er vertrug sich nicht gut mit ihm in politicis. Desto mehr enchantirt war er von seiner Frau, einem überaus herrlichen Geschöpf. Er verlor sein natürliches Ungestüm, wenn sie dazu kam, und ward zahm, wie ein Hirsch, wenn er Musik hört.“

Die abgedruckten Briefauszüge ergänzen Dasjenige, was die angeführten Druckstellen an dem Bilde von Büchner’s politischem Charakter unvollendet lassen, und überheben mich der Verpflichtung, zu demselben Etwas aus besonderer Kenntniß zuzufügen.

Während nun so die Mitglieder der geheimen Gesellschaften den „Landboten“ möglichst im Lande zu verbreiten suchten, indem sie die Exemplare durch die Fenster warfen oder Nachts zwischen die Läden schoben, trat ein Ereigniß ein, das unseren Revolutionären einen bedeutenden Schlag versetzte, und der Hauptanstoß zu den nun folgenden ausgedehnten Untersuchungen und Verhaftungen wurde. Nachdem Schütz und Minnigerode (zwei Mitglieder der „Gesellschaft der Menschenrechte“) den Auftrag erhalten hatten, einen Theil der Exemplare des <17> „Landboten“ aus der Druckerei in Offenbach abzuholen, wurde der Letztere am 1. August 1834 in Folge einer an das Ministerium in Darmstadt geschehenen Denunciation an einem Thore Gießens verhaftet, als er zu Wagen eine Anzahl von ungefähr einhundert und fünfzig jener Flugblätter bei sich hatte, um sie nach Gießen zu bringen.*)

*) Karl Minnigerode, ein zwanzigjähriger, talentvoller Jüngling, Stud. jur. in Gießen, wurde in Folge 3jähriger Kerkerleiden im Jahre 1837 wahnsinnig, verbunden mit schweren körperlichen Leiden. Nachdem man ihn endlich gegen Caution freigelassen hatte, und nachdem sein Perhorrescenz-Gesuch gegen den nach dem einstimmigen Ausspruche der Aerzte damals an Säuferwahnsinn leidenden Untersuchungsrichter Georgi von den obersten Gerichten verworfen worden war, beruhte die Untersuchung gegen ihn am 3. April 1839 auf Verfügung des Großherzogs auf sich. Er wurde später wiederhergestellt und ging nach Amerika. — Minnigerode’s Name erscheint oft in Büchner’s Briefen, und sein Schicksal schmerzte ihn um so tiefer, als er eine gewisse Mitschuld an seinem gräßlichen Unglücke zu tragen glaubte.

Sogleich nach Empfang dieser Nachricht eilte Büchner von Gießen weg, und kam in der Nacht vom 1. auf den 2. August zu Weidig nach Butzbach; er setzte auf dessen Anstehen sogleich seine Reise zu Fuß weiter fort nach Frankfurt und Offenbach, um die dortigen Theilhaber zu warnen. Der Brief, d. d. Frankfurt, 3. August 1834, erzählt diese Reise. 3. August 1834. An die Eltern in Darmstadt Während seiner Abwesenheit von Gießen ließ der Universitätsrichter Georgi, der Verdacht geschöpft haben mußte, Haussuchung bei Büchner halten, seine Papiere mit Beschlag belegen und das Uebrige versiegeln, jedoch die <18> Siegel wieder abnehmen, als Büchner unerwartet schon am 4. August wieder zurückkam. Die Briefe vom 5. 5. August 1834. An die Eltern in Darmstadt und 8. August 1834 8. August 1834. An die Eltern in Darmstadt besprechen diese Vorfälle ausführlich. Das Zurückbehalten der französischen Briefe geschah, weil man Verbindungen mit Frankreich witterte, — um so mehr, als Büchner bei derselben Reise zufällig in Frankfurt einen Straßburger Freund, Namens Böckel, getroffen hatte. (Böckel wurde bei seiner Weiterreise in Mainz angehalten und verhört, aber sogleich wieder entlassen.) Die Untersuchung muß damals keine weiteren Indicien gegen Büchner ergeben haben, denn man ließ ihn fortan in Ruhe. Doch erzeugte der Vorfall in ihm eine sehr gesteigerte Erbitterung. — Seine und seiner Freunde revolutionäre Thätigkeit blieb natürlich in der nächstfolgenden Zeit etwas gelähmt.

Den Winter 1834 auf 1835 brachte Büchner auf Wunsch seines Vaters im elterlichen Haus in Darmstadt zu. Im September 1834 hatte er das Vergnügen, seine Braut, welche in Darmstadt einen Besuch abstattete, für einige Zeit zu sehen. — Unter Anleitung seines Vaters hielt er während dieses Winters Vorlesungen über Anatomie für junge Leute, die sich für das Studium vorbereiteten. Außer diesen streng-wissenschaftlichen Arbeiten waren es, wie früher, Geschichte, Philosophie und Literatur, die ihn beschäftigten. Shakspeare war sein Ideal, und eine gewisse Nachahmung desselben in der dramatischen Diktion ist bei ihm nicht zu verkennen. Nächst Shakspeare schlug Byron die meisten verwandten Saiten in seinem Geiste an. Unter den deutschen Schriftstellern behauptete eine Zeitlang Tieck den ersten Platz; es hatte zu jener <19> Zeit die sogenannte romantische Schule, deren Haupt Tieck war, großen Anhang unter der deutschen Jugend, und so auch bei Büchner und seinen nächsten Freunden gefunden. Während der Anwesenheit seiner Braut in Darmstadt las er mit derselben Tieck’s „Aufstand [recte: "Aufruhr"] in den Cevennen.“

Seine politische Thätigkeit konnte natürlich in diesem Winter nicht die Ausdehnung von früher haben; doch blieb er fortwährend in Verbindung mit Gießen, und stand der im vorhergegangenen Frühjahr in Darmstadt von ihm gegründeten „Gesellschaft der Menschenrechte“ vor, die bald bedeutend stärker aufblühte, als ihre Gießner Muttergesellschaft. Man versammelte sich bald im Freien, bald in einem abgelegenen Hause, und bewahrte große Vorsicht vor Entdeckung. Die Mitglieder übten sich sehr eifrig in den Waffen und hatten bedeutende Schießvorräthe verborgen. Als Führer ragten noch Nievergelter, Kahlert, Koch hervor. (Ersterer lebt jetzt als Wirth in Amerika; Kahlert kämpfte den Freiheitskampf von Texas mit und starb kurz darauf; beide waren noch vor Büchner flüchtig geworden. Koch starb im Gefängniß. Die meisten Mitglieder der Gesellschaft saßen später längere Zeit in Darmstadt in Untersuchungshaft und wurden durch die hessische Amnestie vom Jahre 1839 befreit.) Büchner verfaßte für die Gesellschaft nach dem Muster der französischen eine Erklärung der Menschenrechte, die mit ihren Ausführungen damals als Programm der vorgeschrittensten Fraktion der revolutionären Partei gelten konnte. Diese Schriftstücke wurden während der Periode der Untersuchungen mit anderen Papieren verbrannt. Büchner besaß auch hier denselben über<20>wiegenden Einfluß auf seine politischen Freunde wie in Gießen; er war die Seele des Ganzen, und nach seiner Flucht im März 1835 löste sich die Gesellschaft von selbst auf, nachdem sie ein Jahr bestanden hatte. —

Dieser Winter sah Büchner’s erste literarische Schöpfung, das Drama „Danton’s Tod“ entstehen. Sein revolutionärer Instinct und seine geistige Verwandtschaft mit den großen und außergewöhnlichen Männern und Thaten der französischen Revolution, gegenüber der politischen Dürre, die ihn umgab, hatten ihn immer tiefer in das Studium jenes geschichtlichen Dramas hineingezogen; die große Bibliothek in Darmstadt lieferte ihm die nöthigen Materialien zur Erwerbung von Detailkenntnissen, und namentlich waren es die Memoiren von Barrère, die er eifrig studirte. Der merkwürdige Charakter und Thatenlauf dieses Mannes, den er eine Rolle in seinem „Danton“ spielen läßt, und der als der Einzige von Allen mithandelnd alle Phasen der Revolution durchlief, ohne von ihr verschlungen zu werden, zogen ihn besonders an. Barrère’s geheime Genüsse, seine menschlichen Empfindungen, gegenüber der öffentlichen „Tugend“ Robespierre’s, gegen den er im Wohlfahrtsausschuß die Tugendmiene zog, gehören zu den bedeutungsvollsten Zügen jener Epoche. — So entstand in dem schöpferischen Geiste Büchner’s die Idee und das innere Bedürfniß zur Produktion seines dramatischen Gemäldes; er wählte diejenige Periode der Revolution, die zum Markstein zwischen Auf- und Niedergang derselben geworden ist. Nur wie eine Verzweifelnde und von Gewissensbissen Gepeinigte steigerte sie sich nach Danton’s Tod noch für wenige Augen<21>blicke zur höchsten Extase, um dann erschöpft niederzusinken, nachdem sie alle ihre Erzeuger und Nährer in ihren Armen erstickt hatte. — Büchner’s Arbeiten geschah im Verborgenen und war mannigfach gestört; während an seinem Arbeitstische die anatomischen Tafeln und Schriften obenauf lagen, zog er furchtsam unter denselben die Papierbogen hervor, auf denen er seine Gedanken mit einer gewissen geistigen Hast niederwarf. — Die politischen Untersuchungen in Hessen nahmen unterdeß, gestützt auf neue Entdeckungen, einen eifrigen Fortgang, namentlich wegen der Flugschriften, und rückten Büchner immer näher. Fast jede Woche hörte man von neuen Verhaftungen. Nachdem Büchner zweimal, in Friedberg und Offenbach, verhört, jedoch immer wieder entlassen worden war, wuchs der Verdacht gegen ihn, und die Straße, in der er wohnte, war täglich an beiden Enden durch Polizisten bewacht. Die fortwährende Angst vor Verhaftung, verbunden mit der angestrengtesten Arbeit an „Danton,“ hatten ihn in der letzten Zeit seines Darmstädter Aufenthalts in eine unbeschreibliche geistige Aufregung versetzt; er sprach selten, aß wenig und zeigte immer eine verstörte und stiere Miene. Man muß auf diesen Zustand, während dessen der größte Theil von „Danton“ geschrieben wurde, aufmerksam gemacht sein, um für manches Subjektive in dem Drama eine Erklärung zu finden. Büchner schrieb später darüber an Gutzkow: „Für Danton sind die Darmstädtischen Polizeidiener meine Musen gewesen.“ Endlich entschloß er sich zur Flucht, nachdem er einige Tage vorher das Manuscript seines „Danton“ an Gutzkow nach Frankfurt am Main gesandt hatte. Er wartete die Antwort Gutzkow’s <22> nicht ab, und das von dem Verleger bezahlte Honorar kam erst in Darmstadt an, als er bereits über der Grenze war. Er nahm seinen Weg durch Würtemberg und Baden und wurde überall von den Anhängern der geheimen Gesellschaften weitergefördert. Sein erster Brief aus Weißenburg, über der französischen Grenze, vom 9. März 1835, befindet sich unter den abgedruckten Briefauszügen. 9. März 1835. An die Eltern in Darmstadt

Ueber das Schicksal seines Manuscripts in Frankfurt und über das dadurch rasch entstandene Verhältniß zu dem berühmten Kritiker Gutzkow lassen wir am Besten den Letzteren selbst reden. Gutzkow hat zuerst in der Zeitschrift „Telegraph“ und später in seinen gesammelten Schriften unter dem Abschnitt „Oeffentliche Charaktere“ eine Biographie und Charakteristik Georg Büchner’s geliefert, der wir die bezügliche Stelle entlehnen [textidentisch mit LZ-4570]:

„In den letzten Tagen des Februar 1835, dieses für die Geschichte unsrer neueren schönen Literatur so stürmischen Jahres, war es, als ich einen Kreis von Kunstgenossen und Wahrheitsfreunden bei mir sah. Kurz vor Versammlung der Erwarteten erhielt ich aus Darmstadt ein Manuscript mit einem Briefe, dessen wunderlicher und ängstlicher Inhalt mich reizte, in ersterem zu blättern. Der Brief lautete:

„Mein Herr!

„’Vielleicht hat es Ihnen die Beobachtung, vielleicht, im unglücklicheren Fall, die eigene Erfahrung schon gesagt, daß es einen Grad von Elend gibt, welcher jede Rücksicht vergessen und jedes Gefühl verstummen macht. Es gibt zwar Leute, welche behaupten, man solle sich in einem solchen Falle lieber <23> zur Welt hinaushungern, aber ich könnte die Widerlegung in einem seit Kurzem erblindeten Hauptmanne von der Gasse aufgreifen, welcher erklärt, er würde sich todtschießen, wenn er nicht gezwungen sei, seiner Familie durch sein Leben seine Besoldung zu erhalten. Das ist entsetzlich. Sie werden wohl einsehen, daß es ähnliche Verhältnisse geben kann, die Einen verhindern, seinen Leib zum Nothanker zu machen, um ihn von dem Wracke dieser Welt in das Wasser zu werfen, und werden sich also nicht wundern, wie ich Ihre Thüre aufreiße, in Ihr Zimmer trete, Ihnen ein Manuscript auf die Brust setze und ein Almosen abfordere. Ich bitte Sie nämlich, das Manuscript so schnell wie möglich zu durchlesen, es, im Fall Ihnen Ihr Gewissen als Kritiker dieß erlauben sollte, dem Herrn Sauerländer zu empfehlen und sogleich zu antworten.

„’Ueber das Werk selbst kann ich Ihnen nichts weiter sagen, als daß unglückliche Verhältnisse mich zwangen, es in höchstens fünf Wochen zu schreiben. Ich sage dieß, um Ihr Urtheil über den Verfasser, nicht über das Drama an und für sich zu motiviren. Was ich daraus machen soll, weiß ich selbst nicht, nur das weiß ich, daß ich alle Ursache habe, der Geschichte gegenüber roth zu werden; doch tröste ich mich mit dem Gedanken, daß, Shakspeare ausgenommen, alle Dichter vor ihr und der Natur wie Schulknaben dastehen.

„’Ich wiederhole meine Bitte um schnelle Antwort; im Falle eines günstigen Erfolges können einige Zeilen von Ihrer Hand, wenn sie noch vor nächstem Mittwoch hier eintreffen, einen Unglücklichen vor einer sehr traurigen Lage bewahren.

<24> „„Sollte Sie vielleicht der Ton dieses Briefes befremden, so bedenken Sie, daß es mir leichter fällt, in Lumpen zu betteln, als im Frack eine Supplik zu überreichen, und fast leichter, die Pistole in der Hand: la bourse ou la vie! zu sagen, als mit bebenden Lippen ein: Gott lohn’ es! zu flüstern.

G. Büchner.’“

„Dieser Brief reizte mich, augenblicklich das Manuscript zu lesen. Es war ein Drama: Danton’s Tod. Man sah es der Production an, mit welcher Eile sie hingeworfen war. ... Die Scenen, die Worte folgten sich rapid und stürmend. .... Aber diese Hast hinderte den Genius nicht, seine außerordentliche Begabung in kurzen, scharfen Umrissen schnell, im Fluge, an die Wand zu schreiben. — Alles, was in dem lose angelegten Drama als Motiv und Ausmalung gelten sollte, war aus Charakter und Talent zusammengesetzt. Jenes ließ diesem keine Zeit, sich breit und behaglich zu entwickeln; dieses aber auch jenem nicht, nur bloß Gesinnungen und Ueberschweifungen hinzuzeichnen, ohne wenigstens eine Abrundung der Situationen und namentlich der aus der köstlichsten Stahlquelle der Natur fließenden, krystallhellen und munteren Worte. Danton’s Tod ist im Druck erschienen. Die ersten Scenen, die ich gelesen, sicherten ihm die gefällige, freundliche Theilnahme des Buchhändlers noch an dem bezeichneten Abend selbst. Die Vorlesung einer Auswahl davon erregte Bewunderung vor dem Talente des jugendlichen Verfassers.

„Kaum hatte G. Büchner einen Bescheid, so erfuhren wir, daß er auf dem Wege nach Straßburg war. Ein Steckbrief <25> folgte ihm auf der Ferse. Er hatte in Darmstadt verborgen gelebt, weil er jeden Augenblick befürchten mußte, in eine Untersuchung gezogen zu werden. Er war in die politischen Wirnisse verwickelt .....; ob ihn Verdacht oder eine vorliegende Beschuldigung verfolgten, weiß ich nicht... Vielleicht hatten ihn nur seine Straßburger Studien verdächtig gemacht. Jedenfalls ergriff Büchner die Parthie der Flucht gern. Er war mit einer jungen Dame in Straßburg versprochen; das Exil, für Andere eine Plage, war Wohlthat für ihn. Er gestand mir ein, daß er die Theilnahme seiner Eltern durch seine tollkühnen Streiche auf eine harte Probe stelle, und daß er nicht den Muth hätte, diese abzuwarten. Dieß spornte ihn an, sich selbst einen Weg zur bürgerlichen Existenz zu bahnen und von seinen Gaben die möglichen Vortheile zu ziehen. Daher das verzweifelnde Begleitungsschreiben des Danton, daher das Pistol und die unschuldige Phrase: la bourse ou la vie!

„Mehrere der aus Straßburg an mich gerichteten Briefe Büchner’s sind mir nicht mehr zur Hand. Ich hatte indessen große Mühe mit seinem Danton. Ich hatte vergessen, daß solche Dinge, wie sie Büchner dort hingeworfen, solche Ausdrücke, die er sich erlaubte, heute nicht gedruckt werden dürfen. ......... Als ich nun, um dem Censor nicht die Lust des Streichens zu gönnen, selbst den Rothstift ergriff und die wuchernde Demokratie der Dichtung mit der Scheere der Vorcensur beschnitt, fühlt’ ich wohl, wie gerade der Abfall des Buches, der unseren Sitten und unseren Verhältnissen geopfert werden mußte, der beste, nämlich der individuellste, der eigen<26>thümlichste Theil des Ganzen war. Lange, zweideutige Dialoge in den Volksscenen, die von Witz und Gedankenfülle sprudelten, mußten zurückbleiben. Die Spitzen der Wortspiele mußten abgestumpft oder krumm gebogen werden. Der ächte Danton von Büchner ist nicht erschienen.“ —

So erschien denn „Danton’s Tod,“ während sein Verfasser als Flüchtling in der Fremde lebte, im Sommer 1835 bei Sauerländer in Frankfurt im Druck, und wurde durch Gutzkow mit einer der glänzendsten Kritiken in die literarische Welt eingeführt [vgl. WZ 120]. Diese Kritik, welche in dem Literaturblatte des „Phönix“ vom 11. Juli 1835 abgedruckt ist, beginnt mit den Worten: „Die Kritik ist immer verlegen, wenn sie an die Werke des Genies herantritt; sie kann hier nicht mehr sein, als der Kammerdiener, der die Thüre des Salons öffnet und in die versammelte Menge laut des Eintretenden Namen hineinruft; das Uebrige wird das Genie selbst vollbringen“ — und schließt: „Ich bin stolz darauf, der Erste gewesen zu sein, der im literarischen Verkehr und Gespräch den Namen Georg Büchner’s genannt hat.“ — Die kritische Welt kam in Bewegung. Während das „Junge Deutschland“ unter seiner literarischen Fünfherrschaft (Wienbarg, Gutzkow, Heine, Laube, Mundt), das damals noch in dem süßen Wahne lebte, mit der Macht der Idee die Macht der Bajonnette und des Geldes bekämpfen zu können, und das noch nicht die traurige Erfahrung des Verbotenwerdens gemacht hatte, — während das junge Deutschland in Büchner einen starken Mitkämpfer erblickte und seinen Beifall nicht sparte, konnte es natürlich von reactionär-pietistischer Seite nicht an der Bekämpfung <27> eines Autors fehlen, der die Principien der Revolution und der Freigeisterei so offen und mit so seltenem Talent entwickelt hatte, und zwar gerade aus derjenigen Periode der französischen Umwälzung, welche man bisher nur verstohlen und alsdann nicht ohne die lebhaftesten Aeußerungen eines frommen Abscheues zu nennen gewohnt war. Büchner selbst blieb diesem Treiben ziemlich fremd; nur versprengte Nachrichten über das Schicksal seines Erstlings kamen zu ihm über den Rhein; dagegen blieb er von jetzt an in fortwährender brieflicher Verbindung mit Gutzkow. In den abgedruckten Briefen aus Straßburg vom 5. März [recte: 5. Mai] 5. Mai 1835. An die Eltern in Darmstadt und vom 28. Juli 1835 16. Juli 1835. An die Eltern in Darmstadt gibt er einen zur Beurtheilung wesentlichen Commentar zu „Danton“ und eine Selbstrecension desselben. —

Der großen geistigen Aufregung folgte in Straßburg Abspannung, aber auch eine wohlthätige Ruhe und Erholung in der Nähe der Geliebten. Büchner fühlte sich sicher vor den gefürchteten Leiden eines langwierigen Kerkers, und eine heitere Stimmung spricht aus seinen Briefen, die nur durch die Sorge um seine Zukunft und den Schmerz über die Leiden seiner politischen Freunde in Deutschland getrübt wird. Dem politischen Treiben, das um jene Zeit durch den in Lausanne in der Schweiz zwischen den Abgesandten des „Jungen Europa“ und denen der französischen Republikaner geschlossenen Verbrüderungsvertrag (10. April 1835) neue Nahrung erhielt, blieb er von jetzt an fern. Gutzkow schreibt darüber [vgl. LZ-4570]: „Büchner hörte bald auf, von gewaltsamen Umwälzungen zu träumen. Die zunehmende materielle Wohlfahrt der Völker schien ihm auch die Revolution zu verschieben. Je mehr jene <28> zunimmt, desto mehr schwindet ihm eine Aussicht auf diese. Er schrieb mir unter anderm: „„Die ganze Revolution hat sich schon in Liberale und Absolutisten getheilt und muß von der ungebildeten und armen Klasse aufgefressen werden; das Verhältniß zwischen Armen und Reichen ist das einzige revolutionäre Element in der Welt, der Hunger allein kann die Freiheitsgöttin und nur ein Moses, der uns die sieben egyptischen Plagen auf den Hals schickte, könnte ein Messias werden. Mästen Sie die Bauern, und die Revolution bekommt die Apoplexie. Ein Huhn im Topfe jedes Bauern macht den gallischen Hahn verenden.““

An seinen Bruder schreibt Büchner Mitte November 1836 bis Ende Januar 1837. An Wilhelm Büchner in Heidelberg über den nämlichen Gegenstand: „...... Ich würde Dir das nicht sagen, wenn ich im Entferntesten jetzt an die Möglichkeit einer politischen Umwälzung glauben könnte. Ich habe mich seit einem halben Jahre vollkommen überzeugt, daß Nichts zu thun ist, und daß Jeder, der im Augenblicke sich aufopfert, seine Haut wie ein Narr zu Markte trägt. Ich kann Dir nichts Näheres sagen, aber ich kenne die Verhältnisse, ich weiß, wie schwach, wie unbedeutend, wie zerstückelt die liberale Partei ist, ich weiß, daß ein zweckmäßiges, übereinstimmendes Handeln unmöglich ist, und daß jeder Versuch auch nicht zum geringsten Resultate führt.“ — An einer andern Stelle: „Eine genaue Bekanntschaft mit dem Treiben der deutschen Revolutionärs im Auslande hat mich überzeugt, daß auch von dieser Seite nicht das Geringste zu hoffen ist. Es herrscht unter ihnen eine babylonische Verwirrung, die nie gelöst werden wird. Hoffen wir auf die Zeit!“

<29> In Straßburg wandte sich Büchner wieder ganz seinen ernsten Studien zu; beinahe auf sich allein angewiesen, suchte er sich mit Macht eine Stellung zu erringen. Sein Erfolg auf dem Felde der dramatischen Poesie war weit entfernt, ihn seinem ursprünglichen Studienplane zu entfremden. Wenn er auch die praktische Medicin entschieden aufgab, so setzte er doch die naturwissenschaftlichen Studien um so eifriger fort. Nachrichten aus Zürich über die schlechte Besetzung einiger naturwissenschaftlichen Fächer ließen ihn den Gedanken fassen, sich für einen Lehrcursus über vergleichende Anatomie, die in Zürich noch nicht vorgetragen worden war, vorzubereiten. Der berühmte Lauth und Düvernoy, Professor der Zoologie, leisteten ihm für diese Studien allen Vorschub, und machten ihm den Gebrauch der Stadtbibliothek sowohl, als einiger bedeutenden Privatbibliotheken möglich. Einige leichte literarische Arbeiten, die ihn zwischendurch beschäftigten, betrachtete er mehr als Erholung. Auf Sauerländer’s Anstehen übersetzte er in der Serie von Victor Hugo’s übertragenen Werken die „Tudor“ und „Borgia“ mit ächt dichterischer Verwandtschaft zum Original. Alfred de Müsset zog ihn, wie Gutzkow erzählt, an, während er nicht wußte, „wie er sich durch Victor Hugo durchnagen“ solle, Hugo gäbe nur „aufspannende Situationen,“ Alfred de Müsset aber doch „Charaktere, wenn auch ausgeschnitzte.“ — In Gutzkow’s Literaturblatt sollte Büchner auf dessen Wunsch Kritiken der neu erscheinenden französischen Literatur liefern. — Zugleich mit den naturwissenschaftlichen Studien betrieb Büchner in Straßburg philosophische, und zwar namentlich als <30> Grundlage „Geschichte der Philosophie.“ Unter den neueren Philosophen waren es Cartesius und Spinoza, mit deren Systemen er sich hauptsächlich beschäftigte und aufs Innigste vertraut machte. Daneben fand sein rastloser Eifer noch Zeit, das Englische zu erlernen. Er studirte meist anhaltend von Morgens früh bis um Mitternacht. — Seine vergleichend anatomischen Studien führten ihn zur Entdeckung einer früher nicht gekannten Verbindung unter den Kopfnerven des Fisches, welches ihm die Idee gab, eine Abhandlung über diesen Gegenstand zu schreiben. Er ging sogleich an die Arbeit, und dieselbe beschäftigte ihn fast ausschließlich in dem Winter von 1835 auf 1836.

Im October 1835 erhielt Büchner durch besondere Vergünstigung eine französische Sicherheitskarte, die ihn aller Chikanen überhob, welche damals gegen die Refügies in Folge auswärtiger Noten im Schwange waren. Es waren kaum acht bis zehn deutsche Flüchtlinge in Straßburg, alle mit ihren Studien beschäftigt, und die deutschen Regierungen träumten von Einfällen derselben über den Rhein. Von politischen Leidensgenossen und Freunden aus Deutschland traf Büchner in Straßburg nach und nach: Koch, Geilfuß, Dittmar, Stamm, Schütz, Walloth, Heumann, Schulz, Nievergelter, Becker, Rosenstiel, Wiener und Andere; sie zerstreuten sich immer bald wieder, einige nach Paris, andere in die Schweiz, nach Belgien und nach Amerika. — In Straßburg selbst besaß er einen kleinen, aber bedeutenden Kreis von Freunden, worunter der jetzige Professor Baum, der um jene Zeit mit einer Abhandlung über die Methodisten einen französischen Preis von <31> 3000 Franken gewonnen hatte, ferner die beiden Dichter Stöber (Adolph und August), Dr. Böckel, Follenius und Andere. —

Im September 1835 wurde bekanntlich als Organ des „Jungen Deutschland“ die deutsche Revue durch Gutzkow und Christian Ludolf Wienbarg gegründet, und sollte mit Anfang des Jahres 1836 erscheinen. Büchner wurde zum Mitarbeiten eingeladen. Er sagte zu, wenn auch nicht zu regelmäßigen Beiträgen, und sein Name wurde unter den Mitarbeitern in der Ankündigung aufgeführt. Für diese deutsche Revue hatte Büchner seine Novelle „Lenz“ bestimmt. Er hatte in Straßburg interessante und bis da unbekannte Notizen über Lenz, den unglücklichen Dichter aus der Sturm- und Drangperiode, den Jugendfreund Goethe’s, erhalten. Lenz, nachdem er sich längere Zeit mit Goethe zugleich in Straßburg aufgehalten, verliebte sich in die bekannte Goethe’sche Friederike und wurde zuletzt verrückt. Die Novelle ist, da die deutsche Revue noch vor ihrem Erscheinen unterdrückt wurde, leider Fragment geblieben und behandelt in dieser Form jenen Moment in Lenzen’s Leben, wo derselbe, nachdem er in Weimar nicht bleiben konnte, zum zweiten Mal in das Elsaß und in einem halbwahnsinnigen Zustand zu dem durch seine pietistische Frömmigkeit bekannten Pfarrer Oberlin in Waldbach kam. Büchner hat seine Erkundigungen über diesen Aufenthalt Lenzen’s an Ort und Stelle eingezogen. Das Fragment bildet das dritte Stück in der Sammlung und ist zuerst in Gutzkow’s Telegraph im Jahre 1839, als der Verfasser schon zwei Jahre todt war, abgedruckt worden. Wir setzen die Bemerkung her, mit der Gutzkow damals den Abdruck begleitete [vgl. WZ 710]:

<32> „Diese Probe von Büchner’s Genie wird aufs Neue beweisen, was wir mit seinem Tod an ihm verloren haben. Welche Naturschilderungen, welche Seelenmalerei! Wie weiß der Dichter die feinsten Nervenzustände eines, im Poetischen wenigstens, ihm verwandten Gemüthes zu belauschen! Da ist Alles mitempfunden, aller Seelenschmerz mitdurchdrungen; wir müssen erstaunen über eine solche Anatomie der Lebens- und Gemüthsstörung. G. Büchner offenbart in dieser Reliquie eine reproduktive Phantasie, wie uns eine solche selbst bei Jean Paul nicht so rein, durchsichtig und wahr entgegentritt.“

Mit dem Verbot der deutschen Revue war die literarische Verbindung und Richtung, die man das „Junge Deutschland“ nannte, so ziemlich zu Ende, und seine Koryphäen verfolgten von nun an jeder seinen eigenen Weg. Was Büchner’s Verhältniß zum Jungen Deutschland und seine Meinung über dasselbe angeht, so verweisen wir auf den Brief vom l. Januar 1836, worin er sich entschieden darüber ausspricht. 1. Januar 1836. An die Eltern in Darmstadt — Da nun Büchner die Absicht hatte, schon im Frühjahre des Jahres 1836 nach Zürich als Privatdocent zu gehen, so beeilte er sich mit seiner Abhandlung sehr. Im März 1836 war sie fertig, und nachdem er in der Straßburger gelehrten Gesellschaft für Naturwissenschaften mit sehr großem Beifall drei Vorträge über den Gegenstand gehalten hatte, beschloß die Gesellschaft auf Antrag der Professoren Lauth und Düvernoy, die Abhandlung in ihre Annalen aufzunehmen und dieselbe zum Druck auf ihre Kosten zuzulassen. Zugleich ernannte sie Büchner zum correspondirenden Mitglied. Die Schrift erhielt den Titel: Sur le système nerveux du barbeau (über das <33> Nervensystem der Fische), und wurde von den ausgezeichnetsten Kennern der Naturwissenschaften für eine meisterhafte Arbeit erklärt, die zu den höchsten Erwartungen berechtige. Theils die Verzögerung des Druckes der Schrift, theils politische Maßregeln, die damals gegen die Flüchtlinge in der Schweiz ergriffen wurden, bewogen Büchner, seine Uebersiedelung nach Zürich noch bis zum Herbste zu verschieben. Die ihm dadurch freigewordene Zeit benutzte er, um sowohl seinen anatomischen Cursus bis zu Ende vorzubereiten, als auch namentlich zur Vervollständigung seiner philosophischen Studien. Er präparirte, um mit zwei Fächern ausgerüstet nach Zürich zu kommen, einen vollständigen Lehrcurs über „die philosophischen Systeme der Deutschen seit Cartesius und Spinoza.“ In dem Nachlasse befindet sich sowohl eine mit großer Gründlichkeit geschriebene Geschichte und Darstellung der Systeme von Cartesius und Spinoza, als auch eine ganz ausgearbeitete Geschichte der älteren griechischen Philosophie. Da Büchner in demselben Sommer auch dramatische Poesien vollendete, von denen wir noch reden werden, so beweisen diese Arbeiten einen enormen Fleiß. Seine Mutter und Schwester, die ihn diesen Sommer in seinem Exil besuchten, fanden ihn zwar gesund, aber doch in einer großen nervösen Aufgeregtheit und ermattet von den anhaltenden geistigen Anstrengungen. Er äußerte damals oft: „Ich werde nicht alt werden.“ Dennoch ließen sein angeborner Lebensmuth und die Aussicht in eine ruhmreiche Zukunft ihn oft sehr heiter sein. Er schreibt um diese Zeit an Gutzkow: Etwa 1. Juni 1836. An Karl Gutzkow in Frankfurt am Main

<34> „Lieber Freund!

„War ich lange genug stumm? Was soll ich Ihnen sagen? Ich saß auch im Gefängniß und im langweiligsten unter der Sonne, ich habe eine Abhandlung geschrieben in die Länge, Breite und Tiefe. Tag und Nacht über der eckelhaften Geschichte, ich begreife nicht, wo ich die Geduld hergenommen. Ich habe nämlich die fixe Idee, im nächsten Semester zu Zürich einen Curs über die Entwickelung der deutschen Philosophie seit Cartesius zu lesen; dazu muß ich mein Diplom haben, und die Leute scheinen gar nicht geneigt, meinem lieben Sohne Danton den Doktorhut aufzusetzen.

„Was war da zu machen?

„Sie sind in Frankfurt und unangefochten!

„Es ist mir leid und doch wieder lieb, daß Sie noch nicht im Rebstöckel (Straßburger Gasthaus) angeklopft haben. Ueber den Stand der modernen Literatur in Deutschland weiß ich so gut als Nichts; nur einige versprengte Broschüren, die, ich weiß nicht wie, über den Rhein gekommen, fielen mir in die Hände. 

„Es zeigt sich in dem Kampfe gegen Sie eine gründliche Niederträchtigkeit, eine recht gesunde Niederträchtigkeit, ich begreife gar nicht, wie wir noch so natürlich sein können! Und Menzel’s Hohn über die politischen Narren in den deutschen Festungen — und das von Leuten! mein Gott, ich könnte Ihnen übrigens erbauliche Geschichten erzählen.

„Es hat mich im Tiefsten empört; meine armen Freunde! Glauben Sie nicht, daß Menzel nächstens eine Professur in München erhält?

<35> „Uebrigens, um aufrichtig zu sein, Sie und Ihre Freunde scheinen mir nicht grade den klügsten Weg gegangen zu sein. Die Gesellschaft mittelst der Idee, von der gebildeten Klasse aus reformiren? Unmöglich! Unsere Zeit ist rein materiell; wären Sie je directer politisch zu Werke gegangen, so wären Sie bald auf den Punkt gekommen, wo die Reform von selbst aufgehört hätte. Sie werden nie über den Riß zwischen der gebildeten und ungebildeten Gesellschaft hinauskommen.

„Ich habe mich überzeugt, die gebildete und wohlhabende Minorität, so viel Concessionen sie auch von der Gewalt für sich begehrt, wird nie ihr spitzes Verhältniß zur großen Klasse aufgeben wollen. Und die große Klasse selbst? Für die gibt es nur zwei Hebel, materielles Elend und religiöser Fanatismus. Jede Partei, welche diese Hebel anzusetzen versteht, wird siegen. Unsere Zeit braucht Eisen und Brod — und dann ein Kreuz oder sonst so was. Ich glaube, man muß in socialen Dingen von einem absoluten Rechtsgrundsatz ausgehen, die Bildung eines neuen geistigen Lebens im Volke suchen, und die abgelebte moderne Gesellschaft zum Teufel gehen lassen. Zu was soll ein Ding, wie diese, zwischen Himmel und Erde herumlaufen? Das ganze Leben desselben besteht nur in Versuchen, sich die entsetzlichste Langeweile zu vertreiben. Sie mag aussterben, das ist das einzig Neue, was sie noch erleben kann.

Ende November 1835. An Karl Gutzkow in Frankfurt am Main „Sie erhalten hierbei ein Bändchen Gedichte von meinem Freunde Stöber. Die Sagen sind schön, aber ich bin kein Verehrer der Manier à la Schwab und Uhland und der <36> Partei, die immer rückwärts ins Mittelalter greift, weil sie in der Gegenwart keinen Platz ausfüllen kann. Doch ist mir das Büchlein lieb; sollten Sie nichts Günstiges darüber zu sagen wissen, so bitte ich Sie, lieber zu schweigen. Ich habe mich ganz hier in das Land hineingelebt; die Vogesen sind ein Gebirg, das ich liebe, wie eine Mutter, ich kenne jede Bergspitze und jedes Thal, und die alten Sagen sind so originell und heimlich, und die beiden Stöber sind alte Freunde, mit denen ich zum ersten Mal das Gebirg durchstrich. Adolph hat unstreitig Talent, auch wird Ihnen sein Name durch den Musenalmanach bekannt sein. August steht ihm nach, doch ist er gewandt in der Sprache.

„Die Sache ist nicht ohne Bedeutung für das Elsaß, sie ist einer von den seltenen Versuchen, die noch manche Elsässer machen, um die deutsche Nationalität Frankreich gegenüber zu wahren, und wenigstens das geistige Band zwischen ihnen und dem Vaterlande nicht reißen zu lassen. Es wäre traurig, wenn das Münster einmal ganz auf fremdem Boden stände. Die Absicht, welche zum Theil das Büchlein erstehen ließ, würde sehr gefördert werden, wenn das Unternehmen in Deutschland Anerkennung fände, und von der Seite empfehle ich es Ihnen besonders.

„Ich werde ganz dumm in dem Studium der Philosophie; ich lerne die Armseligkeit des menschlichen Geistes wieder von einer neuen Seite kennen. Meinetwegen! Wenn man sich nur einbilden könnte, die Löcher in unseren Hosen seien Palastfenster, so könnte man schon wie ein König leben! so aber friert man erbärmlich.“ —

<37> Das Lustspiel „Leonce und Lena,“ das zweite Stück der Sammlung, ist in demselben Sommer entstanden und zum ersten Mal hier vollständig abgedruckt. Die Cotta’sche Buchhandlung hatte bis zum 1. Juli 1836 einen Preis auf das beste Lustspiel ausgesetzt, und Büchner wollte mit seiner Arbeit concurriren. Seine Trägheit im Abschreiben des Concepts ließ ihn leider die Zeit versäumen; er schickte das Manuscript zwei Tage zu spät, und erhielt es uneröffnet zurück. Außerdem muß er in derselben Zeit noch ein zweites Drama vollendet haben, das nicht mehr vorhanden ist; wenigstens schreibt er im September 1836, nachdem er von zwei fertigen Dramen schon in früheren Briefen gesprochen: „Ich habe meine zwei Dramen noch nicht aus den Händen gegeben, ich bin noch mit Manchem unzufrieden und will nicht, daß es mir geht, wie das erste Mal. Das sind Arbeiten, mit denen man nicht zu einer bestimmten Zeit fertig werden kann, wie der Schneider mit seinem Kleid.“

Unterdessen war die Abhandlung über das Nervensystem der Fische nach Zürich geschickt, und auf Grund derselben das Doctordiplom der philosophischen Fakultät sogleich an Büchner ausgefertigt worden. Zugleich wurde er eingeladen, eine Probevorlesung in Zürich zu halten, um, wenn diese gefiele, das Recht des Docirens zu erhalten.

Am 18. October 1836 reiste Büchner nach Zürich, vorbereitet auf zwei Lehrcurse, einen über vergleichende Anatomie, den anderen über Philosophie. Dem letzteren gab seine eigne Neigung den Vorzug; doch da Professor Bobrik bereits philosophische Vorlesungen angekündigt hatte, so sparte er, um <38> Collisionen zu vermeiden, diesen Plan für das folgende Sommersemester auf und entschloß sich zur vergleichenden Anatomie. Büchner’s Probevorlesung, aus deren Eingang wir einen kurzen Abriß in der Sammlung gegeben haben, wurde vor einem sehr zahlreichen Publikum gehalten und erntete den allgemeinsten Beifall. Der berühmte Oken, Professor in Zürich, war entzückt davon, und sowohl er, als Arnold, Professor der Anatomie, wurden sehr für Büchner eingenommen, nachdem sie bereits früher das günstigste Urtheil über die Abhandlung gefällt hatten. Arnold stellte ihm seine Bibliothek zur Verfügung; und Oken, nachdem der Züricher Erziehungsrath Büchner zum Privatdocenten ernannt hatte, empfahl die Vorlesungen desselben vom Katheder herab und schickte seinen eigenen Sohn in dieselben. Dadurch wurde Büchner mit Oken und dessen Familie bald sehr befreundet, und lernte in seinem Haus im Verlaufe des Winters mehrere der bedeutendsten Männer jener Zeit kennen. Schönlein, der damals noch in Zürich docirte, erkundigte sich bald nach Büchner, lud denselben ein, und stellte ihm seine werthvollen Präparate zur Verfügung. Ueberhaupt wurde der junge Gelehrte von allen Seiten auf das Zuvorkommendste aufgenommen, und man hatte sogar im Züricher Erziehungsrathe die Absicht, sehr bald für ihn eine Professur der vergleichenden Anatomie zu creiren. Seine Vorlesung beschäftigte ihn vollauf, da es damals in Zürich beinahe völlig an vergleichend anatomischen Präparaten fehlte, und er dieselben fast alle selbst anfertigen mußte. Er schreibt an seinen Bruder: „Ich sitze am Tage mit dem Scalpell und die Nacht mit den Büchern.“ — Von früheren poli<39>tischen Leidensgenossen fand er in Zürich außer Schulz: Hermann Trapp, Geilfuß und Braubach. Mit Dr. Wilhelm Schulz und dessen Frau, die ihn mit der aufopferndsten Sorgfalt auf seinem Krankenlager gepflegt hat, war er namentlich aufs Innigste befreundet; ebenso mit Professor Sell und dem damaligen Tagsatzungsgesandten Dr. Zehnder, bei dem er wohnte.

Die Briefe aus der Zeit des Züricher Aufenthaltes sind meist heiter und voll Zufriedenheit. Häufig fragt er in denselben nach den Darmstädter Gefangenen (Minnigerode, Küchler , Gladbach und Andere), deren Untersuchungen damals mit besonderer Strenge geführt wurden, und immer wirft die Erinnerung an seine unglücklichen Freunde, die leiden müssen, während er frei ist, einen düstern Schatten in seine sonst fröhliche Stimmung.

Was Büchner’s literarisch-produktive Thätigkeit in Zürich angeht, so ist nicht mit Bestimmtheit zu sagen, ob hier etwas Neues entstanden oder nur früher Angefangenes weiter geführt worden ist. Kurz vor Beginn der tödtlichen Krankheit schrieb er an seine Braut, er würde „in längstens acht Tagen Leonce und Lena mit noch zwei anderen Dramen erscheinen lassen.“ Diese Briefstelle ist räthselhaft, wie die früher schon angeführte. In dem Nachlasse fand sich außer Leonce und Lena und einem ziemlich weit gediehenen Fragment eines bürgerlichen Trauerspiels ohne Titel, Nichts von dramatischen Sachen vor. Das dritte Drama, dessen Büchner Erwähnung thut, kann nur dasselbe sein, das schon in dem angeführten Straßburger Briefe vorkommt, und von dem keine Spur aufgefunden werden konnte. Es handelte, wie aus mündlichen Mittheilungen des Dichters an seine Braut hervorzugehen scheint, von <40> dem Florentiner Pietro Aretino. — Es ist bemerkenswerth, daß Büchner während der Fieberdelirien seiner Krankheit sich vergebens anstrengte, von etwas Mittheilung zu machen, das ihm Sorge zu machen schien. Der Tod schloß seine Zunge.*) Als man unter seinen Papieren das Drama nicht fand, vermuthete man, daß jene Anstrengung zu reden sich auf dasselbe bezogen haben möchte, und ließ das Zimmer nochmals genau durchsuchen, ohne etwas zu finden. — Was das erwähnte Trauerspielfragment anlangt, so ist dasselbe zum größten Theile mit blasser Tinte geschrieben und durchaus unleserlich; die einzelnen Scenen, die entziffert werden konnten, sind durch das Ausfallende so wenig unter einander in Zusammenhang zu bringen, daß nichts davon in der Sammlung mitgetheilt werden konnte.

*) Auf diesen Moment beziehen sich einige, sonst unverständliche, Verse in Herwegh’s Gedicht an Büchner.

Mit Anfang des Jahres 1837 scheint Büchner’s Stimmung trüber geworden zu sein, wohl nur durch das Unangenehme der längeren Trennung von seiner Braut, da mit seinen sonstigen Angelegenheiten Alles nach Wunsch ging. Aus den in den letzten Wochen vor seinem Tod an seine Braut geschriebenen Briefen heben wir die folgenden Stellen aus:

Vom 13. Januar 1837: „Mein lieb Kind! ..... Ich zähle die Wochen bis zu Ostern an den Fingern. Es wird immer öder. So im Anfange ging’s: neue Umgebungen, Menschen, Verhältnisse, Beschäftigungen — aber jetzt, da ich an Alles gewöhnt bin, Alles mit Regelmäßigkeit vor sich geht, <41> man vergißt sich nicht mehr. Das Beste ist, meine Phantasie ist thätig, und die mechanische Beschäftigung des Präparirens läßt ihr Raum. Ich sehe dich immer so halb durch zwischen Fischschwänzen, Froschzehen etc. Ist das nicht rührender, als die Geschichte von Abälard, wie sich ihm Heloise immer zwischen die Lippen und das Gebet drängt? O, ich werde jeden Tag poetischer, alle meine Gedanken schwimmen in Spiritus. Gott sei Dank, ich träume wieder viel Nachts, mein Schlaf ist nicht mehr so schwer.“

Vom 20. Januar: „Ich habe mich verkältet und im Bett gelegen. Aber jetzt ist’s besser. Wenn man so ein wenig unwohl ist, hat man ein so groß Gelüsten nach Faulheit; aber das Mühlrad dreht sich als fort ohne Rast und Ruh. ... Heute und gestern gönne ich mir jedoch ein wenig Ruhe und lese nicht; morgen geht’s wieder im alten Trab, du glaubst nicht, wie regelmäßig und ordentlich. Ich gehe fast so richtig, wie eine Schwarzwälder Uhr. Doch ist’s gut: auf all das aufgeregte, geistige Leben Ruhe, und dabei die Freude am Schaffen meiner poetischen Produkte. Der arme Shakspeare war Schreiber den Tag über und mußte Nachts dichten, und ich, der ich nicht werth bin, ihm die Schuhriemen zu lösen, hab’s weit besser. — ...... Lernst Du bis Ostern die Volkslieder singen, wenn’s Dich nicht angreift? Man hört hier keine Stimme; das Volk singt nicht, und Du weißt, wie ich die Frauenzimmer lieb habe, die in einer Soiree oder einem Concerte einige Töne todtschreien oder winseln. Ich komme dem Volk und dem Mittelalter immer näher, jeden Tag wird mir’s heller — und gelt, du singst die Lieder? Ich <42> bekomme halb das Heimweh, wenn ich mir eine Melodie summe......... Jeden Abend sitz’ ich eine oder zwei Stunden im Casino; Du kennst meine Vorliebe für schöne Säle, Lichter und Menschen um mich.“ ....

Vom 27. Januar: „Mein lieb Kind, Du bist voll zärtlicher Besorgniß und willst krank werden vor Angst; ich glaube gar, Du stirbst — aber ich habe keine Lust zum Sterben und bin gesund wie je. Ich glaube, die Furcht vor der Pflege hier hat mich gesund gemacht; in Straßburg wäre es ganz angenehm gewesen, und ich hätte mich mit dem größten Behagen in’s Bett gelegt, vierzehn Tage lang, rue St. Guillaume Nro. 66, links eine Treppe hoch, in einem etwas überzwergen Zimmer, mit grüner Tapete! Hätt’ ich dort umsonst geklingelt? Es ist mir heut einigermaßen innerlich wohl, ich zehre noch von gestern, die Sonne war groß und warm im reinsten Himmel — und dazu hab’ ich meine Laterne gelöscht und einen edlen Menschen an die Brust gedrückt, nämlich einen kleinen Wirth, der aussieht, wie ein betrunkenes Kaninchen, und mir in seinem prächtigen Hause vor der Stadt ein großes elegantes Zimmer vermiethet hat. Edler Mensch! Das Haus steht nicht weit vom See, vor meinen Fenstern die Wasserfläche und von allen Seiten die Alpen, wie sonnenglänzendes Gewölk. — Du kommst bald? mit dem Jugendmuth ist’s fort, ich bekomme sonst graue Haare, ich muß mich bald wieder an Deiner inneren Glückseligkeit stärken und Deiner göttlichen Unbefangenheit und Deinem lieben Leichtsinn und all Deinen bösen Eigenschaften, böses Mädchen. Adio piccolo mia!“ —

Die neue Wohnung am See bei dem kleinen Wirth sollte <43> Büchner nicht mehr beziehen. Am 2. Februar klagte er das erste Unwohlsein, das sich rasch zu einer heftigen Krankheit ausbildete. Dr. Zehnder und Schönlein leiteten die ärztliche Behandlung. Seine Freunde Wilhelm Braubach und Schmid, sowie die Frau von Schulz, pflegten ihn mit aufopfernder Sorgfalt und mit der Liebe, die er bei allen ihm näher Stehenden für sich erweckt hatte. Schulz selbst erzählt die letzten Lebensaugenblicke des Dichters in seinem damals in der Züricher Zeitung erschienenen Nekrolog folgendermaßen [vgl. LZ 4560]:

„Keiner von Büchner’s Freunden hatte diesen Tag noch vor wenigen Wochen nahe geglaubt. Außer einigen leichten Unpäßlichkeiten war er während seines Aufenthalts in Zürich stets gesund geblieben. Sein Aeußeres schien mit seinem Innern in Harmonie zu stehen, und die breit gewölbte Stirne schien noch lange seinem umfassenden Geiste eine sichre Stätte zu sein. Doch mochte er selbst ein Vorgefühl seines nahen Endes haben. Wenigstens vergleicht er in einem hinterlassenen Tagebuche den Zustand seiner Seele mit einem Herbstabend und schließt mit den Worten: „Ich fühle keinen Ekel, keinen Ueberdruß; aber ich bin müde, sehr müde. Der Herr schenke mir Ruhe!“

„Am 2. Februar mußte er sich zu Bette legen, das er von jetzt an nur für wenige Augenblicke verließ. Trotz der Sorgfalt der Aerzte und der Pflege seiner Freunde machte die Krankheit unaufhaltbare Fortschritte, und bildete sich bald zum heftigen Nervenfieber aus. Am zwölften Tage fingen die Delirien an. Der Gegenstand seiner Phantasieen waren seine Braut, seine Eltern und Geschwister, deren er mit der rührendsten Anhänglichkeit gedachte, und das Schicksal seiner politischen Jugendgenossen, die seit Jahren in den Kerkern seiner Heimat schmachten. Wie vor seiner Krankheit, so sprach er auch jetzt in bittern aber wahren Worten, die in dem Munde eines Sterbenden ein doppeltes Gewicht haben, über jene Schmach unserer Tage sich aus, über die verwerfliche Behandlung der politischen Schlachtopfer, die nach gesetzlichen Formen und mit dem Anscheine der Milde in Jahre langer Untersuchungshaft gehalten werden, bis ihr Geist zum Wahnsinne getrieben und ihr Körper zu Tode gequält ist. „In jener französischen Revolution,“ so rief er aus, ,,die wegen ihrer Grausamkeit so verrufen ist, war man milder als jetzt. Man schlug seinen Gegnern die Köpfe ab. Gut! Aber man ließ sie nicht Jahre lang hinschmachten und hinsterben.“ Später jedoch, als ihm der Tod näher gerückt war, schien er sich bereits von allen irdischen Banden losgerissen zu haben, und mit gehobner Sprache, deren Worte die erhabensten Stellen der Bibel ins Gedächtniß riefen, ergoß sich seine Seele in religiöse Phantasien.

„Auf die erste Nachricht von seiner Krankheit eilte seine Verlobte an das Krankenbett ihres Bräutigams. Die Nähe der Geliebten leuchtete freundlich in seine Träume hinein, und seine sichtbar freudige Bewegung weckte einen letzten Schimmer der Hoffnung bei denen, die ihm nahe standen. Aber es war nur ein kurzes Aufflackern des verglimmenden Lebens! Von Landsleuten und Freunden umgeben, starb er am 19. Februar, Nachmittags gegen 4 Uhr, und seine treue Braut schloß ihm das gebrochene Auge. Sein Verscheiden war schmerzlos und sanft, denn der Segen der Liebe ruhte auf ihm!“ —

Herwegh singt von ihm in einem größeren Gedichte, das zu seinen schönsten gezählt werden muß:

<45> „— Es bricht die müde Brust in Staub!
Und mit ihr wieder eine Freiheitsstütze;
Auf’s stille Herz fällt die gelähmte Hand,
Daß sie im Tod noch vor der Welt es schütze!
Und die so reich vor seinem Geiste stand,
Er darf die Zukunft nicht zur Blüthe treiben,
Und seine Träume müssen Träume bleiben;
Ein unvollendet Lied sinkt er in’s Grab,
Der Verse schönsten nimmt er mit hinab.“ —

Büchner’s Krankheit und Tod erregten die lebhafteste Theilnahme an dem Orte, wo er erst seit wenigen Monaten gelebt hatte. Die ausgezeichnetsten Bewohner der Stadt, die beiden Bürgermeister an der Spitze, folgten seiner Bahre. — Große Hoffnungen und das Lebensglück eines edlen Mädchens wurden mit ihm zu Grabe getragen. „Mein Leben,“ schrieb damals seine Braut, „gleicht einem schwülen Sommertage! Morgens heitere angenehme Luft — in etlichen Stunden Sturm und Gewitter, zerknickte Blumen, zerschlagene Pflanzen. Meine Ansprüche auf Lebensglück, auf eine heitere Zukunft zu Grabe getragen, Alles, Alles verloren — —“

Am 15. Februar 1837 wurde Ludwig Börne zu Paris, am 21. Februar Georg Büchner zu Zürich beerdigt. Zwei Tage später, am 23. Februar, erlitt sein unglücklicher Glaubensgenosse, Pfarrer Weidig, in den Darmstädter Kerkern seinen schauervollen und immer noch in die Geheimnisse eines fürchterlichen Augenblickes begrabenen Tod. Keiner von den Dreien sollte die Wonne haben, die Zeit zu sehen, an deren Herbeiführung sie die Kräfte ihres Lebens gesetzt hatten; aber <46> auch der Schmerz wurde ihnen erspart, die Wiedervernichtung alles dessen zu erleben, was diese Zeit als Groß und Wahr für ewig errungen zu haben glaubte! —

Büchner zählte 23 ½ Jahr, als ihn der Tod ereilte, und das, was dieser kräftige Geist in so jungen Jahren bereits geleistet hatte, mag zeigen, was er geleistet haben würde, wenn ein bitteres Geschick milder gegen ihn gewesen wäre. Büchner war groß, schlank, von schönen und einnehmenden Gesichtszügen; das lodernde Feuer seines Geistes wurde gedämpft durch eine gewisse Milde und Sanftmuth seines Wesens, die oft selbst zum Melancholischen hinneigte. Wer ihn nach „Danton“ und seinem politischen Auftreten beurtheilt und ihn für einen wilden, das Maaß überschreitenden Charakter hält, irrt sich sehr. Die innige Harmonie seiner Seelenkräfte ließ keine derselben auf Kosten der anderen sich vordrängen, und ein tiefes, weiches Gemüth spricht sich fast in jeder Zeile seiner Briefe aus. „Er hatte die Rede und den Gedanken,“ sagt Gutzkow [vgl. LZ 4570], „stets in gleicher Gewalt, und wußte mit einer, an jungen Gelehrten so seltenen Besonnenheit seine Ideen abzurunden und zu krystallisiren.“ — Sein inniges, fast schwärmerisches Zusammenleben mit der Natur, deren Geheimnisse zu ergründen sein Studium war, und die er mit dem doppelten Auge des Dichters und Forschers betrachtete, spricht nicht minder für die Weichheit seiner Seele. Tagelang streifte er in den schönen Gebirgen des Elsaß umher, gleich seinem „Lenz,“ und schien gleich ihm mit seiner Umgebung zu verwachsen, sich in sie aufzulösen. <47>

„Du hast ein Auge der Natur genommen,
Das ihr in ihre tiefste Seele sah.“

singt Herwegh. In Lenzen’s Leben und Sein fühlte er verwandte Seelenzustände, und das Fragment ist halb und halb des Dichters eigenes Porträt. Sonderbar und auffallend ist dabei die schwermüthige und zerrissene Gemüthsstimmung, in die er sich mit einer gewissen Lust am Wehe hineinzuwühlen schien; immer spielt seine Phantasie, wie auch schon früher in „Danton,“ am Liebsten mit Tod und Verwesung, mit der raschen Vergänglichkeit des Irdischen.

Diese gemüthliche und tiefsinnige Seite seines Charakters, verbunden mit seinem Hasse gegen die sogenannte idealistische Richtung in der Literatur, hatte in ihm eine große Vorliebe für Volkslieder, namentlich mehr schmerzlichen Inhalts, erzeugt; er sammelte sie, wo er konnte, und das Trauerspiel-Fragment, dessen wir Erwähnung thaten, enthält deren fast auf jeder Seite. Lenzen läßt er darüber ausführlich reden. Dieselbe Stelle im „Lenz“ gibt zugleich eine Darlegung seiner Ansichten über die Grundregeln der Aesthetik und deren Beziehungen zur Wirklichkeit und zum Leben; seine darin ausgesprochene Hinneigung zum Natürlichen, seine Meinung, daß die Kunst nur der Geschichte und der Natur dienen, sie aber nicht meistern solle, sein Haß gegen den Idealismus sind die Ursache und Erklärung für Manches in seinen literarischen Erzeugnissen, was sich vielleicht weiter als zulässig von dem idealen Standpunkte der Kunst entfernt. Seine Ansichten waren die richtigen; nur trieb ihn die Verkehrtheit und Fadheit der extrem-idealistischen Richtung manchmal etwas zu sehr auf die entgegengesetzte Seite.

<48> In der Gesellschaft war Büchner munter, nie zurückstoßend, nur scharf und eine übermüthige Satyre entwickelnd, wo gemeine Gesinnung oder hohlköpfige Anmaßung an ihn herantraten. Sein treffender Witz, seine launigen Einfälle, die, wenn er in guter Stimmung war, in sprudelnder Fülle einander drängten, belebten die Unterhaltung, und machten ihn zum angenehmen Gesellschafter.

Was seinen politischen Charakter anlangt, so war Büchner noch mehr Socialist, als Republikaner; sein tiefes Mitgefühl für die Leiden des Volkes und sein richtiger Scharfblick hatten ihn damals schon erkennen lassen, daß es sich bei den Stürmen der Zukunft nicht um eine Reform der Gesetze, sondern um eine solche der Gesellschaft handle. Während er die moralische Verderbtheit der höheren Klassen völlig durchblickte, erkannte er zugleich vorurtheilslos die Schwäche der geheimen revolutionären Kräfte, und beurtheilte damals schon völlig richtig die Unfähigkeit und den lächerlichen Doctrinärismus derjenigen Partei, die sich die „liberale“ schelten ließ; seine Streitigkeiten mit Weidig, seine Briefe sind Belege dafür. Seine Schrift: „der Landbote,“ ist, wie sein Mitschuldiger im Verhör richtig bemerkte, mehr eine Predigt für die Armen und gegen die Reichen, als eine politische Flugschrift. In „Danton“ läßt er den Proletarier ausrufen; „Unser Leben ist der Mord durch Arbeit; wir hängen sechzig Jahre lang am Strick und zappeln; aber wir werden uns losschneiden!“ — Büchner würde niemals, hätte er das Jahr 1848 erlebt, auf Seite derjenigen gestanden haben, die durch lächerlichen Eigendünkel und kindische Furcht die Freiheit verrathen haben, die man in ihren Händen für gesichert hielt.

<49> Die Philosophie betrieb Büchner nicht wie ein Gelehrter, sondern wie Einer, der von dem Baume der Wissenschaft die Früchte des Lebens pflücken will. „Büchner würde,“ sagt Gutzkow, „wie Schiller, seine Dichterkraft durch die Philosophie geregelt und in der Philosophie mit der Freiheitsfackel des Dichters die dunkelsten Gedankenregionen gelichtet haben. Alle diese Hoffnungen knickte der Sturm. Zu dem Trotze, der aus diesem Charakter sprach, lachte der Tod. Der Friedensbogen, der sich über diese gährende Kampfes- und Lebenslust zog, war die Sense des Schnitters, von welcher so frühe gemäht zu werden, uns schmerzlich und fast mit einem gerechten Scheine die Unbill des Schicksals anklagen läßt.“

Als Büchner gestorben war, versprach Gutzkow in öffentlichen Ankündigungen die Herausgabe seines Nachlasses, und ließ eine Bitte an Büchner’s Freunde zur Abgabe von Notizen über Leben und Charakter desselben ergehen, die aber nicht von allen Seiten genügend beantwortet wurde. Eigenthümliche Verhältnisse, die hier nicht erörtert werden können, und die bedeutenden Schwierigkeiten, welche die damals bestehende Censur der Herausgabe in den Weg zu legen schien, machten, daß das Unternehmen liegen blieb. Heute, wo die Zeit so Vieles aus dem Wege geräumt und einen versöhnenden Schleier über Anderes geworfen hat, hielten wir es für unsere Pflicht, sowohl gegen das Publikum, als gegen die Manen des Verstorbenen, diese Lücke auszufüllen. Das Drama „Danton“ wurde nach dem Manuscript vervollständigt und corrigirt. In <50> den Briefauszügen wurde beinahe nur das gegeben, was zur Kenntniß der politischen Bewegungen jener Zeit und des Antheils, den Büchner daran hatte, wichtig erschien. Die Briefe an seine Braut, die mehr künstlerischen und poetischen Werth besitzen, konnten leider nur zum kleinsten Theile benutzt werden. Die wenigen gegebenen Auszüge rühren aus der Zeit des ersten Aufenthaltes in Gießen her, und die ihnen eigne unmotivirte Färbung der Trauer und inneren Zerfahrenheit muß aus den damaligen Lebensverhältnissen des Dichters erklärt werden. Eine heftige Krankheit ließ ihn die erste Trennung von seiner Braut doppelt schmerzlich empfinden, und es war dieselbe Zeit, in der er sich, getrieben von innerer Rastlosigkeit, mit Macht in die revolutionären Umtriebe stürzte. — Von dem „Landboten“ konnten wir nur den kleinsten Theil wiedergeben; Vieles darin bezog sich auf ehemalige specielle Landesverhältnisse, Anderes würde noch heutzutage Staatsverbrechen involviren. Die gegebenen Stellen mögen zur Beurtheilung des Ganzen hinreichen, dessen Hauptwerth ein historischer ist. —

Mögen die Urtheile und Angaben, welche oft in richtiger, manchmal in schiefer Weise, seit Büchner’s Tod über denselben durch die biographische und ästhetische Literatur gegangen sind, nach dem vorliegenden Buche und im Lichte einer Zeit, die vieles Neue erlebt und gelernt hat, berichtigt werden!

Überlieferung
Erstdruck: Nachgelassene Schriften von Georg Büchner.Frankfurt a.M.: J.D. Sauerländer 1850, S. 1-50.