Schulheft vom Frühjahr 1831
Schulheft vom Frühjahr 1831
Einleitung zu den Schülerschriften und Schulheften

 

Schülerschriften: Gedichte, Aufsätze, Reden

 

<Ged1>

Die Nacht


Ein kleines Weihnachtsgeschenk
von
G. Büchner
für
seine guten Eltern.
1828.

 

Niedersinkt des Tages goldner Wagen,
Und die stille Nacht schwebt leis’ herauf,
Stillt mit sanfter Hand des Herzens Klagen,
Bringt uns Ruh’ im schweren Lebenslauf.

 

Ruhe gießt sie in das Herz des Müden,
Der ermattet auf der Pilgerbahn,
Bringt ihm wieder seinen stillen Frieden,
Den des Schicksals rauhe Hand ihm nahm.

Ruhig schlummernd liegen alle Wesen,
Feiernd schließet sich das Heiligthum,
Tiefe Stille herrscht im weiten Reiche,
Alles schweigt im öden Kreis’ herum.

Und der Mond schwebt hoch am klaren Aether
Geußt sein sanftes Silberlicht herab;
Und die Sternlein funkeln in der Ferne
Schau’nd herab auf Leben und auf Grab.

Willkommen Mond, willkommen sanfter Bote
Der Ruhe in dem rauhen Erdenthal,
Verkündiger von Gottes’ Lieb und Gnade,
Des Schirmers in Gefahr und Mühesal.

Willkommen Sterne, seyd gegrüßt ihr Zeugen
Der Allmacht Gottes der die Welten lenkt,
Der unter allen Myriaden Wesen
Auch meiner voll von Lieb’ und Gnade denkt.

Ja heil’ger Gott Du bist der Herr der Welten,
Du hast den Sonnenball emporgethürmt,
Hast den Planeten ihre Bahn bezeichnet,
Du bist es, der das All mit Allmacht schirmt.

 

Unendlicher, den keine Räume fassen,
Erhabener, den Keines Geist begreift,
Allgütiger, den alle Welten preisen,
Erbarmender, der Sündern Gnade beut!

Erlöse gnädig uns von allem Übel,
Vergieb uns liebend jede Missethat,
Laß wandeln uns auf Deines Sohnes Wege,
Und siegen über Tod und über Grab.

Offen, offen stehen alle Stunden
Wieder eine Nacht herabgestiegen
Auf das alte, ew’ge Erdenrund
Wieder eine Finsterniß geworden
In dem qualmerfüllten Kerkerschlund.

 

 


Schülerschriften und Schulhefte
<Ged2>

Gebadet in des Meeres blauer Fluth

Gebadet in des Meeres blauer Fluth
Erhebt aus purpurrotem Osten sich
Das prächtig-strahlende Gestirn des Tags;
Erweckt gleich einem mächt'gen Zauberwort.
Das Leben der entschlafenen Natur,
Von der, der Nebel wie ein Opferrauch
Empor zum unermess'nen Aether steigt,
Der Berge Zinnen brennen in dem ersten Strahl
Von welchem, wie vom flammenden Altar
Der Rauch des finstren Waldgebirges wallt -
Und fernhin in des Ocean's Fluthen weicht
Die Nacht. So stieg auch uns ein schöner Tag
Vom Aether, der noch oft mit frohem Strahl
Im leichten Tanz der Horen grüßen mag
Den frohen Kreis, der den Allmächt'gen Heut
Mit lautem Danke preist, da gnädig er,
Uns wieder feiern läßt den schönen Tag,
Der uns die beste alle Mütter gab.
Auch Heute wieder in der üppigsten
Gesundheit, Jugend-Fülle steht sie froh
Im frohen Kreis der Kinder, denen sie
Voll zarter Mutterlieb' ihr Leben weiht.
Oh! stieg noch oft ihr holder Genius
An diesem schönen Tag zu uns herab
Ihn schmückend mit dem holden Blumenpaar
Der Kindesliebe und Zufriedenheit.

 

Schülerschriften und Schulhefte

<Ged3>

Leise hinter düstrem Nachtgewölke

 

Leise hinter düstrem Nachtgewölke
Tritt des Mondes Silberbild hervor,
Aus des Wiesenthales feuchtem Grunde
Steigt der Abendnebel leicht empor.

Ruhig schlummernd liegen alle Wesen,
Feiernd schweigt des Waldes Sängerchor,
Nur aus stillem Haine, einsam klagend,
Tönet Philomeles Lied hervor.

Schweigend steht des Waldes düstre Fichte,
Süß entströmt der Nachtviole Duft,
Um die Blumen spielt des West-Winds Flügel
Leis hinstreichend durch die Abendluft.

Doch was dämmert durch der Tannen Dunkel
Blinkend in Selenens Silberschein?
Hoch auf hebt sich zwischen schroffen Felsen
Einsam ein verwittertes Gestein;

An der alten Mauer dunklen Zinnen
Rankt der Epheu üppig sich empor,
Aus des weiten Burghofs öder Mitte
Ragt ein rings bemooßter Thurm hervor.

Fest noch trotzen alte Strebepfeiler;
Aufgethürmet wie zur Ewigkeit
Stehen sie und schau’n wie ernste Geister
Nieder auf der Welt Vergänglichkeit.

Still und ruhig ist’s im öden Raume
Wie ein weites Grab streckt er sich hin;
Wo einst kräftige Geschlechter blühten
Nagt die Zeit jetzt, die Zerstörerin.

Durch der alten Säle düstre Hallen
Flattert jetzt die scheue Fledermaus,
Durch die ringszerfallnen Bogenfenster
Streicht der Nachtwind pfeifend ein aus.

Auf dem hohen Söller wo die Laute
Schlagend einst die edle Jungfrau stand,
Krächzt der Uhu seine Todtenlieder
Klebt sein Nest der Rabe an die Wand.

Alles Alles hat die Zeit verändert
Ueberall nagt ihr gefräß’ger Zahn,
Ueber Alles schwingt sie ihre Sense
Nichts ist was die schnelle hemmen kann.

 


Schülerschriften und Schulhefte
<HT1>

Helden-Tod

 

Für Tugend, Menschenrecht und Menschen-Freiheit sterben
Ist höchsterhabner Muth, ist Welterlöser-Tod,
Denn nur die göttlichsten der Helden-Menschen färben,
Dafür den Panzer-Rock mit ihrem Herz-Blut roth.
––––––
Bürger

 

 

Erhaben ist es, den Menschen im Kampfe mit der Natur zu sehen, wenn er mit gewaltiger Kraft sich stemmt gegen die Wuth der entfesselten Elemente und, vertrauend der Kraft seines Geistes nach seinem Willen die Kräfte der Natur zügelt.

Aber noch erhabner ist es den Menschen zu sehen im Kampfe mit seinem Schicksale, wenn er es wagt mit kühner Hand in die Speichen des Zeitrades zu greifen, wenn er <HT2> an die Erreichung seines Zweckes sein Höchstes und sein Alles setzt. Wer nur einen Zweck und kein Ziel bey der Verfolgung desselben sich gesetzt hat, sondern das Höchste, das Leben daran wagt, giebt den Widerstand nie auf er siegt oder stirbt. Solche Männer waren es, die, wenn die ganze Welt feige ihren Nacken dem mächtig über sie hinrollenden Zeitrade beugte, kühn in die Speichen desselben griffen und es entweder in seinem Umschwunge mit gewaltiger Hand zurückschnellten oder von seinem Gewichte zermalmt einen rühmlichen Tod fanden, d. h. mit dem kleinen Reste des Lebens sich Unsterblichkeit erkauften. Solche Männer waren es, die ganze Nationen in ihrem Fluge mit sich fortrißen und aus ihrem Schlafe rüttelten, zu deren Füßen die Welt zitterte, vor welchen die Tyrannen bebten. Solche Männer, welche unter den Millionen, die gleich Würmern aus dem Schooß der Erde kriechen, ewig am Staube kleben und wie <HT3> Staub vergehn und vergessen werden, sich zu erheben, sich Unvergänglichkeit zu erkämpfen wagten, solche Männer sind es, die wie Meteore in der Geschichte, aus dem Dunkel des menschlichen Elends und Verderbens hervorstrahlen. Solche Männer zeugte Sparta, solche Rom. Doch wir haben nicht nöthig die Vorwelt um sie zu beneiden, wir haben nicht nöthig, sie wie die Wunder einer längstvergangnen Helden-Zeit zu betrachten, nein, auch unsre Zeit kann mit der Vorwelt in die Schranken treten, auch sie zeugte Männer, die mit einem Leonidas, Cocles, Scävola und Brutus um den Lorbeer ringen können. Ich habe nicht nöthig um solche Männer anzuführen auf die Zeiten Karls des Großen, oder der Hohenstaufen, oder der Freiheits-Kämpfe der Schweitzer zurückzugehen, ich brauche mein Augenmerk nur auf den Kampf zu richten, der noch vor wenig Jahren die Welt erschütterte, der die [Menschheit] <HT4> in ihrer Entwickelung um mehr denn ein Jahrhundert in gewaltigem Schwunge vorwärtsbrachte, der in blutigem aber gerechtem Vertilgungs-Kampfe die Greuel rächte, die Jahrhunderte hindurch schändliche Despoten an der leidenden Menschheit verübte[n], der mit dem Sonnen-Blicke der Freiheit den Nebel erhellte, der schwer über Europas Völkern lag und ihnen zeigte, daß die Vorsehung sie nicht zum Spiel der Willkühr von Despoten bestimmt habe. Ich meine den Freiheits-Kampf der Franken; Tugenden entwickelten sich in ihm, wie sie Rom und Sparta kaum aufzuweißen haben und Thaten geschahen, die nach Jahrhunderten noch Tausende zur Nachahmung begeistern können. Tausende solcher Helden könnte ich nennen, doch es genügt allein der Name eines L’Atour d’Auvergne, der wie ein Riesenbild in unsrer Zeit dasteht, hunderte solcher Thaten könnte ich anführen, doch nur eine und die Thermo<HT5>pylen hören auf die einzigen Zeugen einer großen That zu seyn.

Als die Franken unter Dumouriez den grösten Theil von Holland mit der Republik vereinigt hatten, lief die vereinigte Flotte der Holländer und Franzosen gegen die Engländer aus, die mit einer bedeutenden Seemacht die Küsten Hollands blokirten. An der Küste von Nordholland treffen die feindlichen Flotten aufeinander, ein verzweifelter Kampf beginnt, die Franken und Holländer kämpfen wie Helden, endlich unterliegen sie der Uebermacht und der Geschicklichkeit ihrer Feinde. In dießem Augenblick wird der Vainqueur, eins der Holländischen Schiffe, von drei feindlichen zugleich angegriffen und zur Übergabe aufgefordert. Stolz weißt die kühne Mannschaft, obgleich das Schiff schon sehr beschädigt ist, den Antrag ab und rüstet sich zum Kampf auf Leben und Tod. <HT6> Mit erneuerter Wuth beginnt das Gefecht, das Feuer der Engländer bringt bald das der Franken zum Schweigen. Noch einmal wird der Vainqueur zur Uebergabe aufgefordert, doch den Franken ist ein freier Tod lieber als ein sclavisches Leben, sie wollen nicht Leben, sie wollen Unsterblichkeit. Mit [dem] letzten Stück feuern sie auf die Feinde, schwenken noch einmal die Banner der Republik und versenken sich mit dem Ruf: es lebe die Freiheit! in den unermeßlichen Abgrund des Meeres. Kein Denkmal bezeichnet den Ort wo sie starben, ihre Gebeine modern auf dem Grunde des Meeres, sie hat kein Dichter besungen, kein Redner gefeiert, doch der Genius der Freiheit weint über ihrem Grabe und die Nachwelt staunt ob ihrer Größe.

Doch warum greife ich denn nach außen um solche Männer zu suchen, warum beachte <HT7> ich denn nur das Entfernte, warum nicht das, was mir am nächsten liegt? Sollte denn mein Vaterland, sollte denn Teutschland allein nicht Helden zeugen können?

Nein, mein Vaterland ich habe nicht nöthig mich deiner zu schämen, mit Stolz kann ich rufen ich bin Teutscher, ich kann mit dem Franken, dem Römer und Sparter in die Schranken treten, mit freudigem Selbstbewußtseyn kann ich die Reihe meiner Ahnen überblicken und ihnen zujauchzen: seht, wer ist größer denn sie? Die Griechen kämpften ihren Heldenkampf gegen die Gesammtmacht Asiens, die Römer triumphirten über den Trümmern Karthagos, die Franken erkämpften Europas politische Freiheit, aber die Teutschen kämpften den schönsten Kampf, sie kämpften für Glaubens-Freiheit, sie kämpften für das Licht Aufklärung, sie kämpften für das, was dem Menschen das Höchste und heiligste ist. Dießer Kampf <HT8> war der erste Act, des großen Kampfes, den die Menschheit gegen ihre Unterdrücker kämpft, so wie die Französische Revolution der zweite war; so wie einmal der Gedanke in keine Fesseln mehr geschlagen war, erkannte die Menschheit ihre Rechte und ihren Werth und alle Verbesserungen, die wir jetzt genießen sind die Folgen der Reformation, ohne welche die Welt eine ganz andre Gestalt würde erhalten haben, ohne welche, wo jetzt das Licht der Aufklärung strahlt, ewiges Dunkel herrschen würde, ohne welche das Menschen-Geschlecht, das sich jetzt zu immer freieren, zu immer erhabneren Gedanken erhebt, dem Thiere gleich, seiner Menschen-Würde verlustig seyn würde.

Auf dießen Kampf kann ich mit Stolz blicken, von Teutschland ging durch ihn das Heil der Menschheit aus, er zeugte Helden, von deren Thaten eine allein alle Thaten des Alterthums <HT9> aufwiegt und der nur ein tausendjähriges Alter feht um von allen Zungen geprießen zu werden. – In den ersten Jahren des dreißigjährigen Krieges, als nach der Schlacht am weißen Berge bey Prag, alle mächtigen Teutschen Fürsten, besorgt für ihre Existenz, treulos die Sache der Protestanten verließen, waren es nur noch die kleineren Fürsten Teutschlands, die von einem höheren Gefühle geleitet ihr Leben und ihre Länder opferten um für Glauben und Freiheit ihr Blut zu versprützen. Unter ihnen ragt als das Muster eines Fürsten, Markgraf Friedrich von Baden hervor, gehorsam dem Rufe der Ehre und Pflicht riß er sich aus den Armen der Ruhe, übergab die Regierung seines Landes seinem Sohne und vereinigte sich an der Spitze von 20,000 Badensern mit <HT10> dem Heerhaufen des Grafen von Mansfeld. Ohne zu zaudern rückte das vereinigte Heer den Liguistischen entgegen, die unter Tilly in der Ober-Pfalz standen. Bey Wimpfen treffen sich die feindlichen Heere, die Badenser werfen sich, obgleich sie in wiederholten Gefechten einige Tage zuvor schon bedeutenden Verlust erlitten haben, muthig auf den ihnen weit überlegnen Feind. Ein blutiges Treffen beginnt, hier kämpft Fanatismus, dort die geläuterte Begeistrung für die heiligsten Rechte der Menschheit, Wuth ringt mit Tapferkeit, Taktik mit Helden-Muth. Doch was verma die Uebermacht, was Feldherrnkunst, was vermögen feile Söldner und wahnsinnige Fanatiker, gegen Männer, die mit ihren Leibern ihr Vaterland decken, die entschlossen sind zu siegen oder zu sterben? <HT11> An einem solchen Bollwerk brechen sich Tillys mordgewohnte Banden, ihre Schlachtreih’n wanken und sinken unter dem Schwerte ihrer erbitterten Gegner? Schon lächelt der Sieg den kühnen Helden des Glaubens und der Freiheit, schon wähnt sich Friedrich die Helden-Schläfe mit dem blutigen dem Sieger von mehr den zwanzig Schlachten entrissenen Lorbeer schmücken zu können. Doch einem größeren war dießer Lorbeer aufbehalten, ein größerer sollte Teutschland befreien, sollte die Menschheit rächen, noch sollte die Furie des Fanatismus, Teutschlands blühende Gauen verwüsten, noch einmal sollte Tillys finstrer Dämon siegen. Ein furchtbarer Donnerschlag vernichtet mit einmal die schönsten Hoffnungen, verfinstert wieder den rosigen Schimmer von Freiheit, der über Teutschlands Gefilden aufzublühen schien und zersplittert in den <HT12> Händen der Sieger das blutige Rachschwert. Wie vom Blitzstrahl getroffen entzünden sich Friedrichs Pulverwagen, der Himmel verfinstert sich, die Erde bebt und von der furchtbaren Kraft des entfesselten Elementes zerschmettert brechen sich die Schlachtreihn der Badenser. In die Lücken stürzt sich der ermuthigte Feind, er glaubt der Himmel streite für ihn, er glaubt ein Strafgericht Gottes zu sehen und würgt in fanatischer Wuth die zerstreuten und fliehenden Haufen der Feinde. Vergebens sucht Friedrich die Seinigen wieder zu sammeln, vergebens erfüllt er zu gleicher Zeit die Pflichten des Feldherrn und des Soldaten, vergebens stürzt er sich selbst dem andringenden Feinde entgegen. Von der Uebermacht gedrängt muß er endlich weichen und das blutige <HT13> Schlacht-Feld seinem glücklichen Gegner überlassen. Doch wohin soll er sich wenden? Schon ist er von allen Seiten umringt, schon überwältigt der Feind den letzten schwachen Widerstand, den ihm die Ueberreste des fliehenden Heeres entgegenstellen, und sein Untergang scheint unvermeidlich. Da werfen sich vierhundert Pforzheimer, an der Spitze ihren Bürgermeister Deimling dem Feinde entgegen; mit ihren Leibern decken sie, ein unerschütterliches Bollwerk, ihren Fürsten und ihre Landsleute. Vergebens bietet ihnen Tilly, betroffen von solcher Kühnheit und Seelengröße eine ehrenvolle Kapitulation an. Tausende brechen sich an der ehernen Mauer. Unerschütterlich stehen die Pforzheimer, Tausende stürmt der erbitterte Feind gegen das heldenkühne Häuflein, doch kein Wuth, keine Verzweiflung nur hohe Begeistrung und <HT14> Todesverachtung mahlt sich in ihren Zügen. Unablässig stürmt der Feind seine Schlachthaufen heran; doch das Vaterland steht auf dem Spiele, Freiheit oder Knechtschaft ist die große Wahl, keiner weicht, keiner wankt, wie Löwen streiten sie von ihren Leichenhügeln herab, Mauern sind ihre Reihen, ein Thurm jeder Mann, ein Bollwerk von Leichen umgibt sie. Endlich von allen Seiten angegriffen, erdrückt von der Uebermacht, sinken sie Mann an Mann unter Hügeln erschlagner Feinde nieder und winden sich sterbend die unvergängliche Lorbeer-Krone des Siegers und die unsterbliche Palme des Martyrers um die Heldenschläfe.

Wollen wir eine solche That beurtheilen, wollen wir sie gehörig würdigen und auffassen, so dürfen wir nicht die Wirkung allein, nicht die bloße That berücksichtigen, sondern <HT15> wir müssen hauptsächlich unser Augenmerk auf die Motive und die Umstände richten, welche eine solche That bewirkten, begleiteten und bestimmten. Sie sind die einzige Richtschnur, nach der man die Handlungen der Menschen messen und wägen kann. Nach der Wirkung aber und nach den Folgen, kann man nichts beurtheilen, denn jene ist oft die nämliche, dieße sind oft zufällig. Wenn man nun von dießem Gesichtspunkte aus die Aufopferung der Pforzheimer betrachtet, so wird man finden, daß es sehr wenige, vielleicht auch gar keine That gibt, welche sich mit der der Pforzheimer messen könnte. Tausende bluteten freilich schon für ihr Vaterland, Tausende opferten schon freudig das Leben für Rechte und Menschenfreiheit, aber keinen wird man unter dießen Tausenden finden, dessen Aufopferung an und für sich selbst <HT16> so groß, so erhaben sey als die der Pforzheimer. Sie trieb nicht Wuth nicht Verzweiflung zum Kampf auf Leben Tod, (dieß sind zwei Motive die den Menschen statt ihn zu erheben zum Thiere erniedrigen;) sie wußten, was sie thaten, sie kannten das Loos dem sie entgegengingen und sie nahmen es hin wie Männer und starben kalt und ruhig den Helden-Tod. Doch dieß ist das Geringste, was ihre That so sehr vor allen übrigen hervorhebt, die vierhundert Römer, die dreihundert Sparter opferten sich eben so kalt und ruhig. Aber die Römer, die Sparter waren von Helden gezeugt, waren zu Helden erzogen, kannten nur einen Zweck, nur ein Ziel – ihr Vaterland, ihre ganze Erziehung war nur die Vorbereitung zu einer solchen That. Doch wer waren die Pforzheimer?

<HT17> Einfache ruhige Bürger eilten sie aus den Armen der Ruhe auf das blutige Schlachtfeld, nicht gewohnt dem Tod in das Auge zu sehen, noch nicht vertraut mit dem hohen Gedanken der Aufopferung für das Vaterland. Ihre Tapferkeit war nicht Gewohnheit, ihre Aufopferung war nicht die Frucht des Gehorsams, sie war die Frucht der höchsten Begeistrung für das, was sie als wahr und heilig erkannt hatten. Ihnen drohte nicht Schmach nicht Schande, wenn sie sich dem Tode entzogen, ihnen traten nicht die strafenden Gesetze des Vaterlandes entgegen. Sie hatten freie Wahl, und sie wählten den Tod.

Dieß ist das große, dieß das erhabne an ihrer That; dieß zeugt von einem Adel der Gesinnung, der weit erhaben ist über die niedrige Sphäre des Alltagsmenschen, dem sein Selbst das Höchste ist sein Wohlseyn der einzige Zweck, der jedes höheren Gefühls unfähig und <HT18> verlustig der wahren Menschen-Würde, Vernunft nur gebraucht um thierischer als das Thier zu seyn. Dießer schändliche Egoismus ist eins der charakteristischen Kennzeichen der damaligen Zeit. Um so vielmehr sind daher die Pforzheimer zu bewundern, denn sie erhoben sich, indem der Gedanke und die Idee einer solchen That ganz eigenthümlich aus ihnen selbst entsprang, zugleich über ihre Nation und über ihr Zeitalter. Wie groß wie erhaben sind aber noch überdieß die Zwecke für welche sie starben, sie allein könnten schon auch ohne die angeführten Umstände, dießer That das Siegel der Unsterblichkeit aufdrücken. Dem Vaterland gaben sie den Vater wieder, mit ihrem Blute erkauften sie sein Leben, dieße That war groß, doch nicht beyspiellos; sie warfen sich gleich einer ehernen Mauer zwischen den Feind <HT19> und ihre Lands-Leute und deckten mit ihren Leibern ihren Rückzug, dieße That zeugt von hohem Seelen-Adel, aber schon Tausende thaten dasselbe; sie opferten sich für Glaubens-Freiheit, das heiligste Recht der Menschheit. (und nicht einmal für ihren eignen Glauben versprützten sie ihr Blut, nein sie starben für ihre noch ungebornen Nachkommen, sie starben für die Nachwelt. Dieß ist der erhabenste der gröste Gedanke für den man sich opfern kann, dieß ist Welterlöser-Tod.) Der Himmel war es und nach ihrer Meinung, die ewige Glückseeligkeit, für welche sie willig starben. Aber welche irdische Gewalt hätte denn auch in das innere Heiligthum ihres Gemüthes eindringen und den Glauben, der ihnen ja einmal aufgegangen war und auf den allein sie ihrer Seeligkeit Hoffnung gründeten, darin austilgen können? <HT20> Also auch ihre Seeligkeit war es nicht für die sie kämpften, dießer waren sie schon versichert. Die Seeligkeit ihrer Kinder, ihrer noch ungebornen Enkel und Nachkommen war es; auch dieße sollten auferzogen werden in derselben Lehre, die ihnen als allein heilbringend erschienen war, auch dieße sollten theilhaftig werden des Heils, das für sie angebrochen war. Dieße Hoffnung allein war es, welche durch den Feind bedroht wurde, für sie, für eine Ordnung der Dinge, die lange nach ihrem Tode über ihren Gräbern blühen sollte versprützten sie mit Freudigkeit ihr Blut. Bekennen wir auch gerne, daß ihr Glaubensbekenntniß nicht das einzige und ausschließliche Mittel war des Himmels jenseits des Grabes theilhaftig zu werden; so ist doch dieß ewig wahr, daß mehr Himmel diesseits des Grabes, ein muthigeres und fröhlicheres <HT21> Emporblicken von der Erde und eine freiere Regung des Geistes durch ihre Aufopferung in alles Leben der Folgezeit gekommen ist und die Nachkommen ihrer Gegner sowohl, als wir selbst ihre Nachkommen, die Früchte ihrer Mühen bis auf dießen Tag genießen. So also starben sie nicht einmal für ihren eignen Glauben, nicht für sich selbst, sondern sie bluteten für die Nachwelt.

Dieß ist der erhabenste Gedanke für den man sich opfern kann dieß ist Welt-Erlöser-Tod. Ja ihr Deimling, ihr Mayer, ihr Schober, ihr Helden, ein unvergängliches Denkmal habt ihr euch im Herzen aller Edlen erbaut, ein Denkmal, das über Tod und Verwesung triumphirt, das unbewegt steht im fluthenden Strome der Ewigkeit. Eure Gebeine deckt nicht Marmor, nicht Erz, kein Denkmal bezeichnet den Ort, wo ihr starbt, vergessen hat euch euer undankbares Vaterland, die Gegenwart <HT24> kennt euch nicht, aber die Bewundrung der Nachwelt wird euch rächen. Zu eurem Grabe rufe ich alle Völker des Erdbodens, rufe ich Vorwelt und Gegenwart, herzutreten und zeigen eine That, die größer, die erhabner ist, und sie müssen verstummen, und Teutschland wird es allein seyn das solche Männer zeugte, und einzig unerreicht prangt eure That mit unauslöschlichen Zügen in den Büchern der Weltgeschichte. ––––

Doch nicht dießer freudige Stolz auf meine Ahnen allein, bewegt mich an ihrem Grabe, auch ein tiefer Schmerz erfaßt mich bey ihrem Andenken. Nicht ihnen gilt dießer Schmerz, es wäre ja Thorheit über solchen Tod zu klagen, nur glücklich sind die zu preißen, welchen ein solches Loos zu Theil ward, denn sie haben sich das Höchste, haben sich Unsterblichkeit erkämpft. Ich kann nicht <HT25> weinen an ihrem Grabe, ich kann sie nur beneiden. Nicht ihnen gilt mein Schmerz, mein Schmerz gilt meinem Vaterlande.

O über euch Teutsche! In euren Gauen geschah die schönste, die herrlichste That, eine That, welche die ganze Nation adelt, eine That, deren Früchte ihr noch genießt, und vergessen habt ihr die Helden, die solches ausführten, die sich für Euch dem Tode weihten. Das Fremde staunt ihr an in kalter Bewundrung, während ihr aus dem Busen eures Vaterlandes glühende Begeistrung für alles Edle saugen könntet. Am todten Buchstaben der Fremden klebt ihr, doch ihr Geist ist ferne von euch, denn sonst würdet ihr wissen, was ihr eurem Vaterlande schuldig seyd. Eine Nation seyd ihr, an der sich noch Jahrhunderte die Völker bilden könnten und ihr werft eure Nationalbildung d. h. eure geistige Selbstständigkeit hin um kindisch zu werden. O Teutschland, Teutschland den Stab wirfst du von dir, der <HT26> dich stützen und leiten könnte für fremden Tand, an den Brüsten der fremden Buhlerin nährst du dich und ziehst schleichendes Gift in deine Adern, während du frische, kräftige Lebens-Milch saugen könntest aus deinem Busen. Du hast nicht mehr gegen Außen zu streiten, deine Freiheit ist gegen alle Anforderungen gesichert. Keines von jenen reißenden Raubthieren, die brüllend in der Welt umherirren um die anerschaffnen Rechtsame eines freien Volkes zu verschlingen, droht dir. Aber Teutschland darum bist du doch nicht frei; dein Geist liegt in Fesseln, du verlierst deine Nationalität, und so wie du jetzt Sclavin des Fremden bist, so wirst du auch bald Sclavin der Fremden werden.

Doch ich höre schon antworten: wie? sieh doch hin, in einer schönen Ordnung stehen alle Staaten, gleichmäßig sind alle Rechte abgewogen, Friede und Wohlstand blüht in <HT27> unsren Gefilden; sind wir nicht glücklich?

O, ihr Thoren trägen Herzens den Ruf von vierthalbtausend Jahren zu fassen! Blickt doch in das große Buch der Weltgeschichte, das offen vor euch liegt, blickt doch hin und antwortet noch einmal, sind wir nicht glücklich? Was ist denn das, was die Staaten vom Gipfel ihrGröße herabwirft? Der Verlust ihrer geistigen Selbstständigkeit ist es. Denn so wie ein Volk sich einmal über dem Fremden vergißt, so wie es seinen Nationalcharakter, das Band das es knüpft und zusammenhält, so wie es einmal in geistiger Bildung der Sclav eines Andern wird, so geht auch leicht die politische Freiheit unter, auf die ihr stolz jetzt pocht, so trägt es den Keim des Verderbens in sich und wird, ein leeres Schatten-Bild die Beute jedes feindlichen Zufalls; versunken und vergessen geht es unter und steht mit Verachtung gebrandmarkt vor <HT28> den Augen der strengrichtenden Nachwelt. Dieß Teutsche, dieß wird euer Loos seyn; wenn ihr euch jetzt zu neuem, kräftigen Leben wieder erhebt, wenn ihr nicht bald wieder anfangt Teutsche zu werden, wenn ihr euch eure Nationalität, rein und geläutert von allem Fremden wieder erwerbt, werden eure Nachkommen sich eures gebrandmarkten Namens schämen und untergehen werdet ihr ein Spott der Nachwelt und der Gegenwart. –

Denket, daß in meine Stimme sich mischen die Stimmen eurer Ahnen aus der grauen Vorwelt, die mit ihren Leibern sich entgegengestemmt haben der heranströmenden Römischen Weltherrschaft, d. mit ihrem Blute erkauft haben die Unabhängigkeit der Berge, Ebnen und Ströme. Sie rufen euch zu: vertretet und überliefert unser Andenken eben so ehrenvoll und unbescholten der Nachwelt, wie es <HT29> auf euch gekommen und wie ihr euch dessen und der Abstammung von uns gerühmt habt. Auch mischen sich in ihre Stimmen die Geister eurer spätern Vorfahren, die da fielen im heiligen Kampfe für Religions und Glaubens-Freiheit. Rettet auch unsre Ehre, rufen sie euch zu, laßt unsre Kämpfe nicht zum eitlen vorrüberrauschenden Possenspiele werden, zeigt, daß das Blut, was wir für euch versprützten, in euren Adern wallt. Es mischen sich in dieße Stimmen, die Stimmen eurer noch ungebornen Nachkommen.

Wollt ihr die Kette zerreißen lassen, rufen sie euch zu, die euch an eure Ahnen binde, wollt ihr das Andenken eurer Vorfahren, das ihr rein und makellos erhalten habt, besudelt und befleckt uns überliefern, wollt ihr uns die Nachkommen freier Männer zu Sclaven werden lassen? Teutsche! die Waage hängt, in jener Schale liegt, waseure Vorfahren an dem Römer verachtet und an seinen Cäsaren gehaßt, in dießer das ehrwürdige Kleinod eurer biedern Vorältern, die durch so mancher Helden Blut im Laufe achtzehn stürmischer Jahrhunderte gegründete, behauptete, befestigte Nationalität und Selbstständigkeit. Dort liegt Gold neben Fesseln, hier der seltne Ruhm zugleich die stärkste und beste Nation zu seyn. Wählet. –

––––––

 

 

 

Schülerschriften und Schulhefte
<CR1>

 

Kato

Groß und erhaben ist es den Menschen im Kampfe mit der Natur zu sehen, wenn er gewaltig sich stemmt gegen die Wuth der entfesselten Elemente und vertrauend der Kraft seines Geistes nach seinem Willen die rohen Kräfte der Natur zügelt. Aber noch erhabner ist es den Menschen zu sehen im Kampfe mit seinem Schicksale, wenn er es wagt einzugreifen in den Gang der Weltgeschichte, wenn er an die Erreichung seines Zwecks sein Höchstes, sein Alles setzt. Wer nur einen Zweck und kein Ziel bey der Verfolgung desselben sich vorgesteckt, giebt den Widerstand nie auf, er siegt – oder stirbt. Solche Männer waren es, welche, wenn die ganze Welt feige ihren Nacken dem mächtig über sie hinrollenden Zeitrade beugte, kühn in die Speichen desselben griffen, und es entweder in seinem Umschwunge mit gewaltiger Hand zurückschnellten, oder von seinem Gewichte zermalmt einen rühmlichen Tod fanden, d. h. sich mit dem Reste des Lebens Unsterblichkeit erkauften. Solche Männer, die unter den Millionen, welche aus dem Schooß der Erde kriechen, ewig am Staube kleben und wie Staub vergehn und vergessen werden, sich zu erheben, sich Unvergänglichkeit zu erkämpfen wagten, solche Männer sind es, die gleich Meteoren aus dem Dunkel des menschlichen Elends und Verderbens hervorstrahlen. Sie durchkreuzen wie Kometen die Bahn der Jahrhunderte; so wenig die Sternkunde den Einfluß der einen, ebenso wenig kann die Politik den der andern berechnen. In ihrem excentrischen Laufe scheinen sie nur Irrbahnen zu beschreiben, bis die großen Wirkungen dießer Phänomene beweisen, daß ihre Erscheinung lange vorher durch jene Vorsehung angeordnet war, deren Gesetze eben so unerforschlich, als unabänderlich sind. –

<CR2> Jedes Zeitalter kann uns Beyspiele solcher Männer aufweisen, doch alle waren von jeher der verschiedenartigsten Beurtheilung unterworfen. Die Ursache hiervon ist, daß jede Zeit ihren Maaßstaab an die Helden der Gegenwart oder Vergangenheit legt, daß sie nicht richtet nach dem eigentlichen Werthe dieser Männer, sondern daß ihre Auffassung und Beurtheilung derselben stets bestimmt und unterschieden ist durch die Stufe, auf der sie selbst steht. Wie fehlerhaft und beschränkt eine solche Beurtheilung sey, wird Niemanden entgehen: für einen Riesen paßt nicht das Maaß eines Zwergs; eine kleine Zeit darf nicht einen Mann beurtheilen wollen, von dem sie nicht einen Gedanken fassen und ertragen könnte. Wer will dem Adler die Bahn vorschreiben, wenn er die Schwingen entfaltet und stürmischen Flug’s sich zu den Sternen erhebt? Wer will die zerknickten Blumen zählen, wenn der Sturm über die Erde braust und die Nebel zerreist, die dumpfbrütend über dem Leben liegen? Wer will nach den Meinungen und Motiven eines Kindes wägen und verdammen, wenn Ungeheures geschieht, wo es sich um Ungeheures handelt? Die Lehre dießer Beobachtung ist: man darf die Ereignisse und ihre Wirkungen nicht beurtheilen, wie sie äußerlich sich darstellen, sondern man muß ihren innren tiefen Sinn zu ergründen suchen, und dann wird man das Wahre finden. –

Ich glaubte erst dießes vorausschicken zu müssen, um bey der Behandlung eines so schwierigen Themas zu zeigen, von welchem Standpunkte man bey der Beurtheilung eines Mannes, man bey der Beurtheilung eines alten Römers ausgehen müsse, um zu beweisen, daß man einen Kato nicht den Maaßstaab unsrer Zeit anlegen, daß man seine That nicht nach neueren Grundsätzen und <CR3> Ansichten beurtheilen könne.

Man hört nehmlich so oft behaupten: subjectiv ist Kato zu rechtfertigen, objectiv zu verdammen d. h. von unserm, vom christlichen Standpunkte aus ist Kato ein Verbrecher, von seinem eignen aus ein Held. Wie man aber diesen christlichen Standpunkt hier anwenden könne, ist mir immer ein Räthsel geblieben. Es ist ja doch ein ganz eigner Gedanke, einen alten Römer nach dem Katechismus kritisiren zu wollen. Denn da man die Handlungen eines Mannes nur dann zu beurtheilen vermag, wenn man sie mit seinem Charakter, seinen Grundsätzen und seiner Zeit zusammenstellt, so ist nur ein Standpunkt und zwar der subjective zu billigen und jeder andre, zumal in diesem Falle der christliche, gänzlich zu verwerfen. So wenig als Kato Christ war, eben so wenig kann man die christlichen Grundsätze auf ihn anwenden wollen; er ist nur als Römer und Stoiker zu betrachten. Dießem Grundsatze gemäß werde ich alle Einwürfe, wie z. B. „es ist nicht erlaubt sich das Leben zu nehmen, das man sich nicht selbst gegeben,“ oder „der Selbstmord ist ein Eingriff in die Rechte Gottes“ ganz und gar nicht berücksichtigen und nur die zu widerlegen suchen, welche man Kato vom Standpunkte des Römers aus machen könnte, wobey es unumgänglich nothwendig ist, vorerst eine kurze, aber getreue Schilderung seines Charakters und seiner Grundsätze zu entwerfen. –

Kato war einer der untadelhaftesten Männer, den die Geschichte uns zeigt. Er war streng, aber nicht grausam; er war bereit, Andern viel größere Fehler zu verzeihen, als sich selbst. Sein Stolz und seine Härte waren mehr die Wirkung seiner Grundsätze, als seines Temperaments. Voll unerschütterlicher Tugend, wollte er lieber tugendhaft seyn, als scheinen. <CR4> Gerecht gegen Fremde, begeistert für sein Vaterland, nur das Wohl seiner Mitbürger, nicht ihre Gunst beachtend, erwarb er sich um so größren Ruhm, je weniger er ihn begehrte. Seine große Seele faßte ganz die großen Gedanken: Vaterland, Ehre und Freiheit. Sein verzweifelter Kampf gegen Cäsar war die Folge seiner reinsten Ueberzeugung, sein Leben und sein Tod den Grundsätzen der Stoiker gemäß, die da behaupteten:

„Die Tugend sey die wahre, von Lohn und Strafe ganz unabhängige Harmonie des Menschen mit sich selbst, die durch die Herrschaft über die Leidenschaften erlangt werde; diese Tugend setze die höchste innre Ruhe und Erhabenheit über die Affectionen sinnlicher Lust und Unlust voraus; sie mache den Weisen nicht gefühllos, aber unverwundbar und gebe ihm eine Herrschaft über sein Leben, die auch den Selbstmord erlaube.“

Solche Gefühle und Grundsätze in der Brust, stand Kato da, wie ein Gigant unter Pygmäen, wie ein Heros einer untergegangnen Heldenzeit, wie ein ungeheurer, unbegreiflicher Riesenbau, erhaben über seine Zeit, erhaben selbst über menschliche Größe. Nur ein Mann stand ihm gegenüber. Er war Julius Cäsar. Beide waren gleich an Geisteskräften, gleich an Macht und Ansehn, aber beyde ganz verschiednen Charakters. Kato der letzte Römer, Cäsar nichts mehr als ein glücklicher Katilina; Kato groß durch sich selbst, Cäsar groß durch sein Glück, mit dem grösten Verbrechen geadelt durch den Preis seines Verbrechens. Für zwei solcher Männer war der Erdkreis zu eng. Einer mußte fallen und Kato fiel, nicht als ein Opfer der Ueberlegenheit Cäsars, sondern seiner verdorbenen Zeit. Anderthalbe hundert Jahre zuvor hätte kein Cäsar gesiegt. –

<CR5> Nach Cäsars Siege bey Thapsus hatte Kato die Hoffnung seines Lebens verloren; nur von wenigen Freunden begleitet begab er sich nach Utika, wo er noch die letzten Anstrengungen machte, die Bürger für die Sache der Freiheit zu gewinnen. Doch als er sah, daß in ihnen nur Sclavenseelen wohnten, als Rom von seinem Herzen sich losriß, als er nirgends mehr ein Asyl fand für die Göttin seines Lebens, da hielt er es für das Einzigwürdige, durch einen besonnenen Tod seine freie Seele zu retten. Voll der zärtlichsten Liebe sorgte er für seine Freunde, kalt und ruhig überlegte er seinen Entschluß, und als alle Bande zerrissen, die ihn an das Leben fesselten, gab er sich mit sichrer Hand den Todesstoß und starb, durch seinen Tod einen würdigen Schlußstein auf den Riesenbau seines Lebens setzend. Solch’ ein Ende konnte allein einer so großen Tugend in einer so heillosen Zeit geziemen!

So verschieden nun die Beurtheilungen dieser Handlung sind, eben so verschieden sind auch die Motive, die man ihr zum Grunde legt. Doch ich denke, ich habe nicht nöthig, hier die zurückzuweisen, welche von Eitelkeit, Ruhmsucht, Halsstarrigkeit und dergleichen kleinlichen Gründen mehr reden (solche Gefühle hatten keinen Raum in der Brust eines Kato!) oder gar die zurückzuweisen, welche mit dem Gemeinplatz der Feigheit angezogen kommen. Ihre Widerlegung liegt schon in der bloßen Schilderung seines Charakters, der nach dem einstimmigen Zeugniß aller alten Schriftsteller so groß war, daß selbst Vellejus Paterculus von ihm sagt: homo virtuti simillimus et per omnia ingenio diis, quam hominibus propior.

Andre, die der Wahrheit schon etwas näher kamen und auch bey den Mei<CR6>sten Anhänger fanden, behaupteten, der Beweggrund zum Selbstmord sey ein unbeugsamer Stolz gewesen, der nur vom Tode sich habe wollen besiegen lassen. Wahrlich, wäre dieß das wahre Motiv, so liegt schon etwas Großes und Erhabnes in dem Gedanken, mit dem Tode die Gerechtigkeit der Sache, für die man streitet, besiegeln zu wollen. Es gehört ein großer Charakter dazu, sich zu einem solchen Entschluß erheben zu können. Aber auch nicht einmal dieser Beweggrund war es – es war ein höherer. Katos große Seele war ganz erfüllt von einem unendlichen Gefühle für Vaterland und Freiheit, das sein ganzes Leben durchglühte. Diese beyden Gedanken waren die Centralsonne, um die sich alle seine Gedanken und Handlungen drehten. Den Fall seines Vaterlandes hätte Kato überleben können, wenn er ein Asyl für die andre Göttin seines Lebens, für die Freiheit, gefunden hätte. Er fand es nicht. Der Weltball lag in Roms Banden, alle Völker waren Sclaven, frei allein der Römer. Doch als auch dieser endlich seinem Geschicke erlag, als das Heiligthum der Gesetze zerrissen, als der Altar der Freiheit zerstört war, da war Kato der einzige unter Millionen, der einzige unter den Bewohnern einer Welt, der sich das Schwert in die Brust stieß, um unter Sclaven nicht leben zu müssen; denn Sclaven waren die Römer, sie mochten in goldnen oder ehernen Fesseln liegen {–} sie waren gefesselt. Der Römer kannte nur eine Freiheit, sie war das Gesetz, dem er sich aus freier Ueberzeugung als nothwendig fügte; diese Freiheit hatte Cäsar zerstört, Kato war Sclave, wenn er sich dem Gesetz der Willkühr beugte. Und war auch Rom der Freiheit nicht werth, so war doch die Freiheit selbst werth, daß Kato für sie lebte <CR7> und starb. Nimmt man diesen Beweggrund an, so ist Kato gerechtfertigt; ich sehe nicht ein, warum man sich so sehr bemüht einen niedrigern hervorzuheben; ich kann nicht begreifen, warum man einem Manne, dessen Leben und Charakter makellos sind, das Ende seines Lebens schänden will. Der Beweggrund, den ich seiner Handlung zu Grunde lege, stimmt mit seinem ganzen Charakter überein, ist seines ganzen Lebens würdig, und also der wahre. –

Diese That läßt sich jedoch noch von einem andern Standpunkte aus beurtheilen, nämlich von dem der Klugheit und der Pflicht. Man kann nämlich sagen: „handelte Kato auch klug? hätte er nicht versuchen können, die Freiheit, deren Verlust ihn tödtete, seinem Volke wieder zu erkämpfen? Und hätte er, wenn auch dieses nicht der Fall gewesen wäre, sich nicht dennoch seinen Mitbürgern, seinen Freunden, seiner Familie erhalten müssen?

Der erste Einwurf läßt sich widerlegen durch die Geschichte. Kato mußte bey einigem Blick in sie wissen und wußte es, daß Rom sich nicht mehr erheben könne, daß es einen Tyrannen nöthig habe, und daß für einen despotisch beherrschten Staat nur Rettung in dem Untergang sey. Wäre es ihm auch gelungen, selbst Cäsarn zu besiegen, Rom blieb dennoch Sclavin; aus dem Rumpfe der Hyder wären nur neue Rachen hervorgewachsen. Die Geschichte bestätigt diese Behauptung. Die That eines Brutus war nur ein leeres Schattenbild einer untergegangnen Zeit. Was hätte es also Kato genützt, wenn er noch länger die Flamme des Bürgerkrieges entzündet, wenn er <CR8> auch Roms Schicksal noch um einige Jahre aufgehalten hätte? Er sah, Rom und mit ihm die Freiheit war nicht mehr zu retten.

Noch leichter läßt sich andre Einwurf, als hätte Kato sich seinem, wenn auch unterjochtem Vaterlande, dennoch erhalten müssen, beseitigen. Es giebt Menschen, die ihrem größeren Charakter gemäß mehr zu allgemeinen großen Diensten für das Vaterland, als zu besondern Hülfsleistungen gegen einzelne Nothleidende verpflichtet sind. Ein solcher war Kato. Sein großer Wirkungs-Kreis war ihm genommen, seinen Grundsätzen gemäß konnte er nicht mehr handlen. Kato war zu groß, als daß er die freie Stirne dem Sclavenjoche des Usurpators hätte beugen, als daß er, um seinen Mitbürgern eine Gnade zu erbetteln, vor einem Cäsar hätte kriechen können. Kleineren Seelen überließ er dieß; doch wie wenig durch Nachgeben und Fügsamkeit erreicht wurde, kann Ciceros Beyspiel lehren. Kato hatte einen andern Weg eingeschlagen, noch den letzten großen Dienst seinem Vaterlande zu erweisen; ja sein Selbstmord war eine Aufopferung für dasselbe! Wäre Kato leben geblieben, hätte er sich mit Verläugnung aller seiner Grundsätze dem Usurpator unterworfen, so hätte dieses Leben die Billigung Cäsars enthalten; hätte er dieß nicht gewollt, so hätte er in offnem Kampf auftreten und unnützes Blut vergießen müssen. Hier gab es nur einen Ausweg, er war der Selbstmord. Er war die Apologie des Kato, war die furchtbarste Anklage des Cäsar. Kato hätte nichts größres für sein Vaterland thun können, denn diese That, dieses Beyspiel hätte alle Lebensgeister der entschlafnen Roma wecken müssen. Daß sie ihren Zweck verfehlte, daran ist <CR9> nur Rom, nicht Kato schuld. –

Dasselbe läßt sich auch auf den Einwurf erwiedern, als hätte Kato sich seiner Familie erhalten müssen. Kato war der Mann nicht, der sich im engen Kreise des Familienlebens hätte bewegen können, auch sehe ich nicht ein, warum er es hätte thun sollen; seinen Freunden nützte sein Tod mehr, als sein Leben; seine Porcia hatte einen Brutus gefunden, sein Sohn war erzogen; der Schluß dieser Erziehung war der Selbstmord des Vaters, er war die letzte große Lehre für den Sohn. Daß derselbe sie verstand, lehrte die Schlacht bey Philippi.

Das Resultat dieser Untersuchung liegt in Ludens Worten: „wer fragen kann, ob Kato durch seine Tugend nicht Rom mehr geschadet habe, als genützt, der hat weder Roms Art erkannt, noch Katos Seele, noch den Sinn des menschlichen Lebens.

Nimmt man nun alle diese angeführten Gründe und Umstände zusammen, so wird man leicht einsehen, daß Kato seinem Charakter und seinen Grundsätzen gemäß so handlen konnte und mußte, daß nur dieser eine Ausweg der Würde seines Lebens geziemte und daß jede andre Handlungsart seinem ganzen Leben widersprochen würde. –

Obgleich hierdurch nun Kato nicht allein entschuldigt, sondern auch gerechtfertigt wird, so hat man doch noch einen andern, keineswegs leicht zu beseitigenden, Einwurf gemacht; er heißt nämlich: „eine Handlung läßt sich nicht dadurch rechtfertigen, daß sie dem besondern Charakter eines Menschen gemäß gewesen ist. Wenn der Charakter selbst fehlerhaft war, so ist es die Handlung auch. Dieß ist bey Kato der Fall. Er hatte nämlich nur eine sehr einseitige Entwicklung der Natur. Die Ursache, warum mit seinem Charakter die <CR10> Handlung des Selbstmords übereinstimmte, lag nicht in seiner Vollkommenheit, sondern in seinen Fehlern. Es war nicht seine Stärke und sein Muth, sondern sein Unvermögen, sich in einer ungewohnten Lebensweise schicklich zu bewegen, welches ihm das Schwert in die Hand gab. –“

So wahr auch diese Behauptung klingt, so hört bey näherer Betrachtung doch ganz auf, einen Flecken auf Katos Handlung zu werfen. Diesem Einwurf gemäß wird gefordert, daß Kato sich nicht allein in die Rolle des Republikaners, sondern auch in die des Dieners hätte fügen sollen. Daß er dieß nicht konnte und wollte, schreibt man der Unvollkommenheit seines Charakters zu. Daß aber dieses Schicken in alle Umstände eine Vollkommenheit sey, kann ich nicht einsehen, denn ich glaube, daß das das große Erbtheil des Mannes sey, nur eine Rolle spielen, nur in einer Gestalt sich zeigen, nur in das, was er als wahr und recht erkannt hat, sich fügen zu können. Ich behaupte also im Gegentheil, daß grade dieses Unvermögen, sich in eine seinen heiligsten Rechten, seinen heiligsten Grundsätzen widersprechende Lage zu finden, von der Größe, nicht von der Einseitigkeit und Unvollkommenheit des Kato zeugt.

Wie groß aber seine Beharrlichkeit bey dem war, was er als wahr und recht erkannt hatte, kann uns sein Tod selbst lehren. Wenig Menschen werden je gefunden worden seyn, die den Entschluß zu sterben mit soviel Ruhe haben fassen, mit soviel Beharrlichkeit haben ausführen können. Sagt auch Herder verächtlich: „jener Römer, der im Zorne sich die Wunden aufriß!“ so ist doch dieß ewig und sicher wahr, daß grade der Umstand, daß Kato leben blieb und doch nicht zurückzog, daß grade der Umstand die That nur noch großartiger macht.

<CR11> So handelte, so lebte, so starb Kato. Er selbst der Repräsentant Römischer Größe, der letzte eines untergesunknen Heldenstamms, der gröste seiner Zeit! Sein Tod der Schlußstein für den ersten Gedanken seines Lebens, seine That ein Denkmal im Herzen aller Edlen, das über Tod und Verwesung triumphirt, das unbewegt steht im fluthenden Strome der Ewigkeit! Rom, die Riesin stürzte, Jahrhunderte gingen an seinem Grabe vorüber, die Weltgeschichte schüttelte über ihm ihre Loose, und noch steht Katos Namen neben der Tugend und wird neben ihr stehn, so lange das große Urgefühl für Vaterland und Freiheit in der Brust des Menschen glüht! –