2.3. Die Frankfurter „Union“
Die zwischen Legalität und Konspiration angesiedelte Frankfurter „Union“ nahm ihren Ausgang von der lokalen Sektion des in Vorbereitung des Hambacher Festes im Winter 1832 gegründeten „Vaterlandsvereins“[1]. Prominente Mitglieder waren nach dem Frankfurter Wachensturm am 3. April 1833 die Schriftsteller Johann Christoph Freyeisen (als Präsident), Wilhelm Sauerwein und Friedrich Funck sowie der Advokat Friedrich Siegmund Jucho und der Arzt Carl Bunsen. Neben ihnen standen in führender Position auch eine Reihe von Handwerkern und Bediensteten. Die „Union“ folgte dem Organisationsmodell der französischen „société des droits de l’homme“. Kleinste Einheit war die Sektion, die höchstens zwölf Mitglieder umfasste; nur die Sektionsleiter sollten zu anderen Sektionsleitern (begrenzten) Kontakt haben. Wie viele Sektionen die „Union“ umfasste, ist unsicher. Die Schätzungen schwanken zwischen etwa 50 und über 1.000. Ortsvereinen in Höchst, Mainz und Hanau, möglicherweise auch in Darmstadt und Freiburg. Auch die Darmstädter Handwerker Christian Kahlert , Wilhelm Wetzel und Johann Georg Müller, Die Gesellschaft der Menschenrechte in Darmstadt die am Wachensturm beteiligt waren und später Büchners Darmstädter Sektion der „Gesellschaft der Menschenrechte“ beitraten, gehörten möglicherweise zu den Mitgliedern der „Union“. Zeitleiste August 1833Dass Büchner zu einer Darmstädter Gruppe dieser Art Kontakt hatte, zeigt seine Beteiligung an einer Falschaussage zugunsten des in den Wachensturm verwickelten Studenten Christian Kriegk.
Die „Union“ propagierte intern das Recht auf Gewaltanwendung gegen politische Unterdrückung und veranstaltete deshalb mit den Mitgliedern Exerzier- und Schießübungen. Um breitere Unterstützung in der Bevölkerung zu schaffen, publizierte sie eine Reihe illegaler Flugschriften, vor allem das in Einzelnummern erscheinende Bauernconversationslexikon. Sie warb bewusst Mitglieder aus der Berufsgruppe der Handwerker an und verlagerte die Agitationstätigkeit auf das Land, speziell auf die Dörfer im Umkreis Frankfurts. 2.1. Sozialrevolutionäre Gesellschaften in Frankreich Mit dieser Veränderung und Verbreiterung ihres Aktionsbereichs folgte die „Union“ dem Programm der französischen „Société des droits de l’homme“, zu der sie Verbindungen unterhielt. Umgekehrt trug eine der Pariser Sektionen der "droits de l'homme" den Namen "Section de Francfort".
Am 2. Mai 1834 unternahm die "Union" den groß angelegten, aber scheiternden Versuch einer Gefangenenbefreiung. Hierauf und auf andere seit Januar 1834 sichtbare Aktionen der „Union“ reagierten die Behörden in der üblichen Form von Repressionen, Verboten und Verhaftungen, die bis Anfang November 1834 das Ende des Geheimbundes herbeiführten. Nachdem Friedrich Funck am 8. März 1834 verhaftet worden war, flohen die Schriftsteller Freyeisen und Sauerwein und weitere Mitglieder in die Schweiz. Von den verbleibenden Leitern wurde Carl Bunsen am 25. Oktober 1834, Friedrich Siegmund Jucho wenig später verhaftet.
Der „Oberhessische Preßverein“ Jucho war ab Ende 1833 wichtigster Ansprechpartner für die Gruppe um Friedrich Ludwig Weidig und dann auch für den „Oberhessischen Preßverein“.
HL Dok 2.1.1. Verhörprotokoll Borck Er stellte für Weidig den Kontakt zu der Druckerei Carl Preller in Offenbach, in der die von Weidig verfassten Hefte des Leuchters und Beleuchters für Hessen und danach der Hessische Landbote gedruckt wurden. Einleitung zu Der Hessische Landbote Weidig weihte Jucho schon auf seiner Reise ins Rhein-Main-Gebiet im Juni 1834 in das Landboten-Projekt ein.
HL Dok 6.3.11. Verhörprotokolle Flach Auch nach August 1834 suchten die Butzbacher Handwerker und Weidig-Schüler Carl Flach und Carl Zeuner Jucho mehrfach in Frankfurt auf, um sich über die Verteilung des Landboten oder den Ankauf einer Druckerpresse abzustimmen.
HL Dok 2.4.10. Eichelberg, Politische Erinnerungen Die Reste der „Union“ und der am 3. Juli 1834 gegründete „Oberhessische Preßverein“ kooperierten nochmals im Januar 1835. Man beschloss, ein von Funck geschriebenes Manuskript zum Bauernconversationslexikon mit den Artikeln „Freiheit“ und „Fürst“ zu drucken, um Funck und Jucho von dem Vorwurf der Mittäterschaft an dem Lexikon zu entlasten. Funcks Manuskript gelangte durch die Hände von Pfarrer Heinrich Christian Flick in Petterweil, Carl Flach in Butzbach und Gustav Clemm zu dem Studenten Theodor Sartorius in Gießen und am 18. Januar 1835 zu Eichelberg in Marburg. Alle eben Genannten waren auch am Landboten-Projekt beteiligt. Das Manuskript wurde in Marburg überarbeitet und gedruckt, aber vor der Verteilung von der Polizei beschlagnahmt.
Zentrales Ziel des älteren „Vaterlandsvereins“ und dann der „Union“ war die „Wiedergeburt“ bzw. die „Republikanisierung“ Deutschlands. Verhöraussagen von Angehörigen betonen die Orientierung der „Union“ an Frankreich. „[D]er Zweck aller dieser Vereine“, so eine Aussage, „sey die Einführung einer republikanischen Verfassung für Deutschland, wo möglich die Vereinigung Frankreichs und Deutschlands in einer gemeinsamen Republik, so daß das Reich Carls des Großen wieder hergestellt würde.“ Zu den Basistexten der Sektionen gehörte „eine in Straßburg gedruckte revolutionäre Flugschrift ‚die Rechte des Menschen und des Bürgers‘."
Das Bauernconversationslexikon äußerte sich auch zu Steuerfragen – so z. B. in dem Artikel „Abgaben“ – in einer Weise, die dem fiskalischen Programm des Hessischen Landboten entspricht. Man könne, so heißt es dort, die Steuerlast erleichtern,
„indem man die Urheber der hohen Steuern, die Fürsten, abschafft. Sind diese ihrer angemaßten Gewalt entkleidet, sind an ihre Stelle treue Haushalter mit mäßigem Lohn gesetzt, so fallen damit die entsetzlichen Abgaben zur Bestreitung des üppigen Hoflebens weg. Ist dann das Volk Herr im Lande, so fallen auch die Ausgaben für die zahllosen kleinen Tagdiebe weg, welche als Spürhunde zur Belauerung der Bürger gefüttert werden.Es fallen ferner die Ausgaben für die großen Tagdiebe weg, welche unter dem Namen von Gesandten und Diplomaten in der Regel nichts anders treiben, als Volksverrath.“[2]
Im Artikel „Republik“ heißt es:
„Die Erziehung der Fürsten zu ihrem Beruf, meinen die Dummköpfe, sey der große Vorzug der Erblichkeit. Wir sehen die Früchte davon. Der Eine ist ein Mörder, der Andere ein Dieb oder Betrüger, der Dritte ein Ehebrecher, der Vierte ein Trunkenbold, Alle aber sind von dem Wahn besessen, daß sie von Gott und Rechtswegen über das Volk zu herrschen haben‹ – einem Wahn, von dem sie nichts anderes heilen wird als der Strang.“ (Bauernconversationslexicon 1834)
Anmerkungen
Text: Burghard Dedner (Juni 2014; zuletzt bearbeitet Juli 2017)