RALF BEIL


DAS WERK IM LEBEN, DAS LEBEN IM WERK
»MAN MUSS NUR AUG UND OHREN DAFÜR HABEN«
GEORG BÜCHNER IM SPIEGEL SEINER BRIEFE UND SCHRIFTEN

 

Drucknachweis
Erstdruck in: Georg Büchner. Revolutionär mit Feder und Skalpell, hrsg. von Ralf Beil und Burghard Dedner. [Katalog zur Ausstellung des Instituts Mathildenhöhe Darmstadt, 13. Oktober 2013 bis 16. Februar 2014]. Ostfildern 2013, S. 45–58.

 

Büchner ist ein vermeintlich schwerer Fall, gemessen an den klassischen Dichterheroen um 1800. Von Johann Wolfgang von Goethe ist ein ganzes dichterisches und lebensweltliches Universum überliefert, darunter allein in Weimar zwei komplett eingerichtete Häuser: sein Domizil am Frauenplan und das Gartenhaus an der Ill für Schäferstunden und -tage mit Christiane Vulpius. »Schiller hinterließ nicht nur Dramen, sondern auch zerrissene Strümpfe, einen ledernen Reisehut, teure Ringe, die er sich aus Venedig kommen ließ, [ . . . ] auch eine Weste [ . . . ] aus elfenbeinfarbener Seide.«1 Von Büchner haben wir nicht einmal seinen Polenrock2 – gerade einmal eine Locke und ein paar Porträtzeichnungen, Manuskriptseiten und Briefe liegen uns materialiter vor.

Umso interessanter scheint es, jenseits der materiellen Lebenszeugnisse die für ein nur 23-jähriges Leben am Ende doch überaus umfangreichen Überlieferungen von Georg Büchners Texten – ob durch Manuskripte aus eigener Hand, Druckfassungen oder Wiedergaben durch Dritte – gleichsam quer zu lesen. 3 Dies alles mit dem Ziel, eine Art Phantombild des Charakters von Georg Büchner zu entwerfen, aus Briefen, naturwissenschaftlich-philosophischen und politischen Schriften sowie literarischen Texten ein Profil des Menschen Büchner herauszukristallisieren und zugleich in der Konzentration auf die genuine Textüberlieferung einer klassischen Falle der Wissenschaft zumindest ein Stück weit zu entgehen: dem Spiegelkabinett der Rezeption, das eher die Akteure als Büchner selbst spiegelt. 4

Für Büchners äußere Erscheinung können wir uns immerhin an die aufschlussreichen Details eines behördeninternen Steckbriefs des Gießener Untersuchungsrichters Georgi halten, versandt zum Zwecke strafrechtlicher Verfolgung am 4. August 1834 an den damaligen hessischen Staatsminister du Thil. Doch was für ein Mensch war dieser Büchner? Was hat ihn umgetrieben? Was macht ihn aus – zu seinen Lebzeiten und für uns heute? Bestenfalls realisiert das folgende Mosaik 5 aus Spiegelscherben ein zwar zahlreich von Rissen und Sprüngen durchzogenes, vielfach gekittetes, aber am Ende doch zur Kenntlichkeit entstelltes Bild des Dichters, Revolutionärs und Naturwissenschaftlers Büchner.

AUG . . .

Ohne Zweifel war er ein Augenmensch. Visuelle Eindrücke von Naturerlebnissen werden in seinen Texten zu dramatisch aufgeladenen Wort-Gemälden. In einem frühen Brief an seine Familie notiert er das während einer Vogesen-Wanderung Gesehene:

im Süden hingen düstere Wetterwolken, die Luft war still. Plötzlich trieb der Sturm das Gewölke die Rheinebene herauf, zu unserer Linken zuckten die Blitze, und unter dem zerissenen Gewölk über dem dunklen Jura glänzten die Alpengletscher in der Abendsonne.
(Brief an die Eltern, Straßburg, 8. Juli 1833) 8. Juli 1833. An die Eltern in Darmstadt

Dieser Augenmensch 6 war mit einem nahezu fotografischen Gedächtnis ausgestattet, nicht nur für Naturerlebnisse, sondern ebenso für Texte und Bilder aller Art. Sonst hätte er kaum so viele virtuose Montagen in seinen Werken und Schriften realisieren können. In der Flugschrift Der Hessische Landbote, gerichtet an eine mit Bibelsprache geschulte Landbevölkerung, enthalten 19 Druckzeilen sage und schreibe 15 Anspielungen oder Umwertungen von Bibelstellen des Alten und Neuen Testaments mit deutlichen wörtlichen und inhaltlichen Anklängen. 7 Schon der Beginn des Landboten revidiert bildmächtig die Genesis:

Im Jahre 1834 siehet es aus, als würde die Bibel Lügen gestraft. Es sieht aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker am 5ten Tage, und die Fürsten und Vornehmen am 6ten gemacht, und als hätte er zu diesen gesagt: Herrschet über alles Gethier, das auf Erden kriecht, und hätte die Bauern und Bürger zum Gewürm gezählt.
(Der Hessische Landbote, 1834)
Der Hessische Landbote

Das regierungsfeindliche Pamphlet kommt im Gewand einer subversiven Sonntagspredigt daher. In Danton’s Tod, seinem einzigen zu Lebzeiten veröffentlichten Drama, finden sich zuhauf Textüberlagerungen und sprachliche Paraphrasen von Kunstwerken. So verwendet Büchner das Fragment eines historisch nachweisbaren Dialoges über Camille Desmoulins zur Charakterisierung von dessen Gegenspieler Robespierre, der diese kurioserweise in einem von Büchner frei erfundenen Zeitschriftenartikel von Camille Desmoulins über sich liest:

ROBESPIERRE. Dießer Blutmessias Robespierre [ . . . ] trägt seinen Kopf wie eine Monstranz.
ST. JUST. Ich will ihn den seinigen wie St. Denis tragen machen.
(Danton’s Tod, 1835, I/6)
Danton’s Tod

In diesen zwei Sätzen wird das Bild des im Mittelalters enthaupteten Märtyrers St. Denis, der nach dem Tod seinen Kopf auf den Händen getragen haben soll, mit Robespierres ebenso weihevoller wie steifer Körperhaltung und den Guillotinierungen in Permanenz während der Revolutionszeit kurzgeschlossen. Ein Impuls für die Auswahl dieses bildstarken Dialogfragments aus den historischen Dokumenten mag eine Heiligendarstellung gewesen sein, die Büchner unweit der Bibliotheksräume, in denen er seine Quellenstudien für Danton’s Tod betrieb, in der Gemäldegalerie des Schlossmuseums Darmstadt sehen konnte 8 – es wird heute im Hessischen Landesmuseum Darmstadt als St. Alban geführt. Noch markanter ist die Doppelspur von textlicher wie bildlicher Anspielung in einer Replik Camilles Desmoulins auf Danton:

CAMILLE. [ . . . ] wie lange soll die Menschheit im ewigen Hunger ihre eignen Glieder fressen? oder, wie lange sollen wir Schiffbrüchige auf einem Wrack in unlöschbarem Durst einander das Blut aus den Adern saugen?
(Danton’s Tod, 1835, II/1)
Danton’s Tod

Mit diesen beiden Fragen Camilles werden in direkter Folge die bildmächtig kannibalistischen Topoi »Ugolino im Hungerturm« und »Das Floß der Medusa« aufgerufen. Die ebenso ungeheuerliche wie reale Geschichte vom Kannibalismus auf dem Floß der Schiffbrüchigen der Medusa, die sich 1816 ereignet hatte – ein zeitgeschichtliches Pendant zu Dantes Ugolino 9 – ging damals um die Welt, noch befördert durch Géricaults Skandal- und Erfolgsgemälde gleichen Namens von 1819, das Büchner zumindest über Stiche bekannt gewesen sein muss. Selbst seine Dramenfigur Danton scheint von diesem Bildsehen und Bildsprechen infiziert und berichtet historisch Bezeugtes vom Revolutionskünstler Jacques Louis David:

[ . . . ] die Künstler gehn mit der Natur um wie David, der im September die Gemordeten, wie sie aus der Force auf die Gasse geworfen wurden, kaltblütig zeichnete und sagte: ich erhasche die letzten Zuckungen des Lebens in diesen Bösewichtern!
(Danton’s Tod, 1835, II/3) Danton’s Tod

. . . UND OHR

Georg Büchner war zugleich ein Ohrenmensch mit einem ausgesprochenen Sensorium für Umgebungsgeräusche, insbesondere aber musikalische Klänge und Klangräume. Ihn vermag eine schlichte, von seiner Verlobten gesungene Volksweise ebenso zu faszinieren wie der polyphone Raumklang von Chorstimmen und Orgelbass im Straßburger Münster.

Auf Weihnachten ging ich Morgens um vier Uhr in die Frühmette ins Münster. [ . . . ] Der Gesang des unsichtbaren Chores schien über dem Chor und dem Altare zu schweben und den vollen Tönen der gewaltigen Orgel zu antworten.
(Brief an die Eltern, Straßburg, Anfang Januar 1833)
Anfang Januar 1833. An die Eltern in Darmstadt

In den finalen Szenen von Danton’s Tod antworten die zur Guillotinierung auf den Revolutionsplatz gekarrten Gefangenen auf die die Carmagnole singenden und tanzenden Männer und Frauen mit dem Anstimmen der Marseillaise (IV/7), so wie dem heiteren, auf Hessisch intonierten Volkslied »Mädel ruck, ruck, ruck« des an der Guillotine beschäftigten Henkers das »Erndtelied« aus Brentanos Liedsammlung Des Knaben Wunderhorn folgt, gesungen von Lucile auf den Stufen der Guillotine: »Es ist ein Schnitter, der heißt Tod …« (IV/9). Diese beiden massiv musikalisch aufgeladenen Szenen sind kontrapunktiert durch eine erst existenzielle, dann geschwätzige Stille, in der am Anfang Lucile allein und dann drei Frauen aus dem Volk sich ihre Gedanken über das Sterben machen (IV/8). Der Schrei der Lucile, der die Welt nicht anhalten und den Tod nicht aufhalten kann, ist der Gravitationspunkt dieser ganz eigenen Choreografie menschlicher Stimm- und Kehllaute.

Georg Büchner hat – wie vor ihm schon Herder und Brentano – Volkslieder aus mündlicher Überlieferung gesammelt, die erst weit später im Druck vorlagen. Volkslieder sind in seinen Dramen Danton’s Tod und Woyzeck werkkonstitutiv. Je nach ihrer Platzierung kommentieren, konterkarieren oder verstören sie: so wie Andres' Gesang von den zwei Hasen zwischen Woyzecks Wahnvorstellungen in der Szene »Freies Feld. Die Stadt in der Ferne«. 10 Doch sie geben auch den Takt und Rhythmus der Gefühle und des Lebens für Büchner selbst an. Einer seiner letzten Wünsche an seine Geliebte wenige Wochen vor seinem Tod ist das Lernen und Singen von Volksliedern für ihn:

Lernst Du bis Ostern die Volkslieder singen, wenn’s Dich nicht angreift? [ . . . ] Ich bekomme halb das Heimweh, wenn ich mir eine Melodie summe.
(Brief an Wilhelmine Jaegle, Zürich, 20. Januar 1837)
20. Januar 1837. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg

»Man muß nur Aug und Ohren dafür haben« Lenz,11 lässt Georg Büchner Lenz im Kunstgespräch sagen, und dieser Lenz hört die Natur, Stimmen, Glocken und Gesänge auf geradezu übermächtige Weise: Der Text ist ebenso Pathografie einer Psychose wie Hörraum und Tonspur.12

Nur manchmal, wenn der Sturm das Gewölk in die Thäler warf, und es den Wald herauf dampfte, und die Stimmen an den Felsen wach wurden, bald wie fern verhallende Donner, und dann gewaltig heranbrausten, in Tönen, als wollten sie in ihrem wilden Jubel die Erde besingen, und die Wolken wie wilde wiehernde Rosse heransprengten, und der Sonnenschein dazwischen durchging und kam und sein blitzendes Schwert an den Schneeflächen zog, so daß ein helles, blendendes Licht über die Gipfel in die Thäler schnitt; oder wenn der Sturm das Gewölk abwärts trieb und einen lichtblauen See hineinriß, und dann der Wind verhallte und tief unten aus den Schluchten, aus den Wipfeln der Tannen wie ein Wiegenlied und Glockengeläute heraufsummte, und am tiefen Blau ein leises Roth hinaufklomm, und kleine Wölkchen auf silbernen Flügeln durchzogen, und alle Berggipfel scharf und fest, weit über das Land hin glänzten und blitzten, riß es ihm in der Brust [ . . . ]
(Lenz, 1835) Lenz

Dass Georg Büchner solche umfassend synästhetischen Naturerfahrungen nicht fremd sind, belegen einige an Wilhelmine gerichtete Zeilen aus dem Jahr 1834:

Eben komme ich von draußen herein. Ein einziger, forthallender Ton aus tausend Lerchenkehlen schlägt durch die brütende Sommerluft, ein schweres Gewölk wandelt über der Erde, der tiefbrausende Wind klingt wie sein melodischer Schritt.
(Brief an Wilhelmine Jaeglé, Gießen, etwa 8 März 1834)
Etwa 8. März 1834 an Wilhelmine Jaeglé in Straßburg

Bei der Arbeit an seinem Dramen-Erstling Danton’s Tod lässt Georg Büchner als ausgesprochener Augen- und Ohrenmensch seine Figur Camille kulturkritisch über den offenbar damals schon überkulturalisierten, seinen eigenen Sinnen entfremdeten Menschen klagen:

Ich sage Euch, wenn sie nicht Alles in hölzernen Copien bekommen, verzettelt in Theatern, Concerten und Kunstausstellungen, so haben sie weder Augen noch Ohren dafür. [ . . . ] Sezt die Leute aus dem Theater auf die Gasse: ach, die erbärmliche Wirklichkeit!Sie vergessen ihren Herrgott über seinen schlechten Copisten. Von der Schöpfung, die glühend, brausend und leuchtend, und in ihnen, sich jeden Augenblick neu gebiert, hören und sehen sie nichts.
(Danton’s Tod, 1835, II/3)
Danton’s Tod

Georg Büchner sieht und hört alles, ist mit vollem Körper- und Geisteseinsatz gleichermaßen in Politik, Naturwissenschaft, Literatur und Philosophie aktiv – mit äußerst wachem Sinn für das Leben jenseits von Theatern, Konzerten und Kunstausstellungen.

JENSEITS DER SCHMERZGRENZE

Büchner war ein Sinnenmensch mit hohem Realitätssinn – ohne falsche Scham und Doppelmoral. Anstands-, Pietäts- oder Schmerzgrenzen widersprechen nicht selten der Realität und haben deshalb für ihn nur bedingt Gültigkeit. Grenzüberschreitungen sind vorprogrammiert, zumal, wenn Literatur, wie in Büchners Fall, zuallererst das Leben einfangen soll: Das belegen seine Werke ebenso wie seine Briefe, hier zu Danton’s Tod.

Was übrigens die sogenannte Unsittlichkeit meines Buchs angeht, so habe ich Folgendes zu antworten; der dramatische Dichter ist in meinen Augen nichts, als ein Geschichtsschreiber, steht aber über Letzterem dadurch, daß er uns die Geschichte zum zweiten Mal erschafft und uns gleich unmittelbar, statt eine trockne Erzählung zu geben, in das Leben jener Zeit hinein versetzt, uns statt Charakteristiken Charaktere, und statt Beschreibungen Gestalten gibt. Seine höchste Aufgabe ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen. Sein Buch darf weder sittlicher noch unsittlicher sein, als die Geschichte selbst; aber die Geschichte ist vom lieben Herrgott nicht zu einer Lectüre für junge Frauenzimmer geschaffen worden, und da ist es mir auch nicht übel zu nehmen, wenn mein Drama ebenso wenig dazu geeignet ist.
(Brief an die Eltern, Straßburg, 28. Juli 1835)
28. Juli 1835. An die Eltern in Darmstadt

So spricht Danton in Erwartung seines Todes, und es ist nicht die einzige Stelle, die vom Gestank der Menschen und der Welt handelt:

Es ist mir, als röch’ ich schon. Mein lieber Leib, ich will mir die Nase zuhalten und mir einbilden du seyst ein Frauenzimmer, was vom Tanzen schwitzt und stinkt und dir Artigkeiten sagen.
(Danton’s Tod, 1835, IV/3)
Danton’s Tod

Stets ist das Reden der Figuren Büchners, und das selbst im Liebesdiskurs, grundiert von naturwissenschaftlichen, oder gar biochemischen Erkenntnissen. Nochmals Danton:

Da ist keine Hoffnung im Tod, er ist nur eine einfachere, das Leben eine verwickeltere, organisirtere Fäulniß, das ist der ganze Unterschied! [ . . . ] Und wenn ich ganz zerfiele, mich ganz auflöste – ich wäre eine Handvoll gemarterten Staubes, jedes meiner Atome könnte nur Ruhe finden bei ihr.
(Danton’s Tod, 1835, III/7)
Danton’s Tod

Der Liedermacher und Büchnerpreisträger Wolf Biermann hat Büchner einmal als Menschen »voller Hoffnung« und Widerspruch charakterisiert, der »sein Leben und Wohlleben aufs Spiel« setzte und zugleich – im Wissen darum, »dass es kein Heil auf der Welt gibt« – »absolut illusionslos, kalt und illusionslos« 13 war. Tatsächlich deutet einiges darauf hin, wenn Büchner seinen Gefangenen Payne, in der historischen wie dramatischen Realität Philosoph und Religionskritiker, den Pantheismus mit den Worten erledigen lässt:

Sie müssen mir zugestehen dass es gerade nicht viel um die himmlische Majestät ist, wenn der liebe Herrgott in jedem von uns Zahnweh kriegen, den Tripper haben, lebendig begraben werden oder wenigstens die sehr unangenehmen Vorstellungen davon haben kann.
(Danton’s Tod, 1835, III/1)
Danton’s Tod

Kurz darauf liefert derselbe Payne eine physiologische Begründung des Atheismus:

Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz; nur der Verstand kann Gott beweisen das Gefühl empört sich dagegen. Merke Dir es, Anaxagoras, warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riß in der Schöpfung von oben bis unten.
(Danton’s Tod, 1835, III/1)
Danton’s Tod

Reine Figurenrede, mögen Literaturwissenschaftler einwenden, aber in Büchners, der größeren Öffentlichkeit bislang wenig bekannten philosophischen Schriften finden sich ganz ähnliche lautende Passagen, so in der Vorlesung zu Spinoza. 14

Wenn man diese Definition von Gott eingeht, so muss man auch das Daseyn Gottes zugeben. Was berechtigt uns aber, dieße Definition zu machen? Der Verstand? Er kennt das Unvollkommne. Das Gefühl? Es kennt den Schmerz. 14a

Den an vollkommener Langeweile und schleichender Gefühllosigkeit leidenden Prinzen Leonce lässt Büchner in seiner aberwitzig-philosophischen Komödie Leonce und Lena auf Valerios gespielten Verzweiflungssatz »So wollen wir denn zum Teufel gehen« antworten:

Ach der Teufel ist nur des Contrastes wegen da, damit wir begreifen sollen, daß am Himmel doch eigentlich etwas sei.
(Leonce und Lena, 1836, I/3)
Leonce und Lena

WELTWISSEN

Büchner spürte den »Riß in der Schöpfung«, wusste um das Unvollkommne und den Schmerz. Gleichzeitig war er beseelt von einem Veränderungswunsch, der sich im Hessischen Landboten ebenso ausdrückt wie in seiner naturwissenschaftlichen Arbeit. Der Negativität der Welt und des Menschen steht die Befreiung des Lebens und der Natur von jeglichem Zweck gegenüber, gleichsam als biologische Konstante jenseits der Schlechtigkeit von Mensch und Welt. Schon während seiner Schulzeit formuliert Büchner in der Rezension eines Mitschüleraufsatzes über den Selbstmord diese Erkenntnis:

In der wahrhaft vortrefflichen Stelle, wo von dem letzten und erhabensten Motiv zum Selbstmord gesprochen wird [ . . . ] fand ich einen Ausdruck, dessen Erläuterung zwar nicht hierher zu gehören scheint, der aber doch bey näherer Beachtung einigen Bezug auf dießes Thema hat. Die Erde wird nämlich hier ein Prüfungsland genannt; dießer Gedanke war mir immer sehr anstößig, denn ihm gemäß wird das Leben nur als Mittel betrachtet, ich glaube aber, dass das Leben selbst Zweck sey, denn: Entwicklung ist der Zweck des Lebens, das Leben selbst ist Entwicklung, also ist das Leben selbst Zweck.
(Rezension eines Mitschüleraufsatzes über den Selbstmord, 1830/31)

Sechs Jahre später gehört diese Erkenntnis, auf die gesamte Natur erweitert, zu den zentralen philosophischen Axiomen seiner öffentlichen Probevorlesung über Schädelnerven, mit der er an der Universität Zürich seine Zulassung als Privatdozent im Fach Vergleichende Anatomie erhält.

Die Natur handelt nicht nach Zwecken, sie reibt sich nicht in einer unendlichen Reihe von Zwecken auf, von denen der eine den anderen bedingt; sondern sie ist in allen ihren Aeußerungen sich unmittelbar selbst genug. Alles, was ist, ist um seiner selbst willen da.
(Probevorlesung, 1836) Probevorlesung

Das Dramenfragment Woyzeck, das in eben jener Zeit parallel zu den naturwissenschaftlich-philosophischen Aktivitäten entsteht, wirkt im Rückblick wie die summa, die literarisch verdichtete Zusammenfassung von Büchners Weltwissen.

Mit 23 Jahren hat er intime Kenntnis von Mensch und Tier, Wissenschaft und Existenz – und einen kritischen Blick darauf. Den Barbier im Woyzeck lässt er sagen:

Was ist der Mensch? Knochen! Staub, Sand, Dreck. Was ist die Natur? Staub, Sand, Dreck.
(Woyzeck, 1836, H 1,10)
Woyzeck

Damit formuliert er fundamental verknappt und zugespitzt eine ähnliche Erkenntnis, wie sie Charles Darwin im Februar 1832 in sein Tagebuch notiert – am Beginn seiner fünf Jahre dauernden Weltreise:

Die häufig wiederholte Beschreibung, die stattliche Palme und andere edle Tropenpflanzen, danach die Vögel und schließlich der Mensch nähmen von den Koralleninseln im Pazifik Besitz, sobald sie entstanden sind, ist möglicherweise nicht ganz korrekt; ich fürchte es zerstört die Poesie dieser Geschichte, dass von Federn und Schmutz sich nährende Insekten und Spinnen die ersten Bewohner eines neu entstandenen Landes im Ozean sind. 15

Vom 27. Dezember 1831 bis zum 2. Oktober 1836 ist Darwin unterwegs auf der HMS Beagle, der Entwicklung von Mensch und Tier auf der Spur – parallel zu Büchners Studienjahren in Straßburg, Gießen und seiner Promotion in Zürich. 16 Erst nach dieser Reise entwickelt Darwin seine revolutionäre Evolutionstheorie. Im März 1837, kurz nach dem Tod Büchners, beginnt er mit ersten Notizen zur Entstehung der Arten durch Aufspaltung.

Am 19. Juli 1835 – Büchner lebt seit vier Monaten als politischer Flüchtling und Doktorand der Vergleichenden Anatomie erneut in Straßburg und erlebt den Gedanken an seine Weggefährten im Darmstädter Arresthaus als fortwährenden Alpdruck 17 – erreicht die HMS Beagle mit Darwin an Bord den Hafen von Lima. Aufgrund der politischen Wirren sieht er enttäuschend wenig vom Land, es bleibt ihm nur das »Schauspiel« der Politik zu beobachten:

Kein Staat in Südamerika hat seit der Unabhängigkeitserklärung unter der Anarchie mehr gelitten als Peru. Zur Zeit unseres Besuchs stritten vier Häuptlinge mit Waffengewalt um die Vorherrschaft in der Regierung: Gelangte einer eine Zeit lang zu großer Macht, verbündeten sich die anderen gegen ihn, doch kaum hatten sie den Sieg errungen, waren sie einander wieder Feind. Neulich wurde am Jahrestag der Unabhängigkeit das Hochamt durchgeführt, wobei der Präsident das Sakrament empfing: Während des Te deum laudemus wurde, statt dass ein jedes Regiment die peruanische Fahne zeigte, eine schwarze mit Totenkopf darauf enthüllt. Man stelle sich eine Regierung vor, unter der ein solches Schauspiel bei einem solchem Anlass befohlen wird, sinnbildlich für ihre Entschlossenheit, bis zum Tode zu kämpfen! Diese Sache geschah zu einer mir sehr unangenehmen Zeit, da sie mich daran hinderte, Exkursionen über die Stadtgrenzen hinaus zu unternehmen. 18

Während Darwin am Ende vor allem an geologischen, metrologischen und naturkundlichen Beobachtungen interessiert ist und auf seiner Weltreise Politisches äußerst nüchtern und distanziert bis sarkastisch wahrnimmt, 19 verbindet sich bei Büchner stets alles mit allem: Politik und Leben sind, nicht selten in einer ironischen, hier gynäkologisch grundierten Volte, unauflöslich verschlungen – und ein Seitenblick nach Indien ist ganz selbstverständlich.

Ein Mensch braucht höchstens eine Stunde um auf die Welt zu kommen, (wo die Civilisation und Aufklärung noch nicht so weit gekommen wie z. B. bei den Indiern 10 Minuten) ein deutscher Landtag deren 5 760, ein Mensch lebt 60 Jahr, ein Landtag 41 272; O Messias! Über seine Physiognomie kann ich Dir grade nichts sagen, sintemal es noch nicht entschieden, ob das Kind mit Kopf oder podex zuerst auf die Welt kommt.
(Brief an Edouard Reuss, Darmstadt, 31. August 1833)
31. August 1833. An Edouard Reuss in Straßburg

ADVOCATUS DIABOLI

Georg Büchner war ein Denker mit weitem Horizont, ein hellwacher und zugleich hochsinnlicher Intellektueller, ausgestattet mit einem massiven Unrechtsbewusstsein, ein eminent politischer Kopf und Widerspruchsgeist, stets bereit zu verbaler Provokation. Einen Handwerksburschen lässt er blasphemisch und antisemitisch zugleich im Woyzeck predigen:

Alles Irdische ist eitel, selbst das Geld geht in Verwesung über. – Zum Beschluß, meine geliebten Zuhörer laßt uns noch über’s Kreuz pissen, damit ein Jud stirbt.
(Woyzeck, 1836, H 4,11)
Woyzeck

Im Hessischen Landboten unterwandert er mit Verve und Martin-Luther-Ton Bibelsprache und Landesregierung gleichermaßen: Fürstentum wird Teufelswerk.

Diese Regierung ist nicht von Gott, sondern vom Vater der Lügen. [ . . . ] Aus Verrath und Meineid, und nicht aus der Wahl des Volkes ist die Gewalt der deutschen Fürsten hervorgegangen, und darum ist ihr Wesen und Thun von Gott verflucht; ihre Gerechtigkeit ist Schinderei. Sie zertreten das Land und zerschlagen die Person des Elenden. Ihr lästert Gott, wenn ihr einen dieser Fürsten einen Gesalbten des Herrn nennt, das heißt: Gott habe die Teufel gesalbt und zu Fürsten über die deutsche Erde gesetzt.
(Der Hessische Landbote, 1834)
Der Hessische Landbote

Die nüchterne Analyse des sturzbetrunkenen Handwerksburschen im Woyzeck, die sich aus anfänglichem Narrengerede herausschält, hat ebensolchen Bibelton und ist am Ende von ähnlich hellsichtig-ketzerischem Geist wie die revolutionäre Flugschrift:

Warum ist der Mensch? Warum ist der Mensch? – Aber wahrlich ich sage Euch, von was hätte der Landmann, der Weißbinder, der Schuster, der Arzt leben sollen, wenn Gott den Menschen nicht geschaffen hätte? Von was hätte der Schneider leben sollen, wenn er dem Menschen nicht die Empfindung der Schaam eingepflanzt, von was der Soldat, wenn er ihn nicht mit dem Bedürfniß sich todtzuschlagen ausgerüstet hätte?
(Woyzeck, 1836, H 4,11)
Woyzeck

War Büchner ein Revolutionär auf Lebenszeit, so kurz sie auch war? Zumindest dann, wenn man wie die spanische Künstlergruppe Democracia postuliert: »Die Wahrheit ist immer revolutionär.« 20

Georg Büchner hatte keine Zeit für die Entwicklung und Installierung von Künstlermythen zu seiner Person und seinem Werk, er hatte buchstäblich keine Zeit für weitschweifige »Dichtung und Wahrheit«. Seine Dichtung war bereits extrem verdichtete Wahrheit über Mensch, Zeit, Geschichte und Gesellschaft wie auch seine naturwissenschaftliche Forschung und philosophische Aktivität diese von ihm erkannten Wahrheiten beförderte.

ERNSTE SPIELE

Georg Büchner war dabei durchaus erfüllt von Ehrgeiz im Hinblick auf seine wissenschaftliche und universitäre Karriere. Ein Mann von ausgesprochener Selbstdisziplin – während seiner Dissertation in Straßburg, aber auch als Dozent in Zürich. Diszipliniert bis zur Erschöpfung von Körper und Geist gleichermaßen:

. . . das Mühlrad dreht sich als fort ohne Rast und Ruh. [ . . . ] Heute und gestern gönne ich mir jedoch ein wenig Ruhe und lese nicht; morgen geht’s wieder im alten Trab, du glaubst nicht, wie regelmäßig und ordentlich. Ich gehe fast so richtig, wie eine Schwarzwälder Uhr.
(Brief an Wilhelmine Jaeglé, Zürich, 20. Januar 1837)
20. Januar 1837. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg

Er war ein lachender Philosoph 21 voller Wortwitz und zugleich ein geistreicher Spieler, der sich in für andere schon ausweglosen Lagen immer noch sicher fühlte aufgrund seiner intellektuellen Überlegenheit. Davon zeugt während der turbulenten Landboten-Zeit mit ihren konspirativen Treffen und gewagten Undercover-Missionen zur Verteilung der Flugschrift die Episode der Gießener Hausdurchsuchung in seiner Abwesenheit, nach der sich Büchner direkt in die Höhle des Löwen zum zuständigen Universitätsrichter Conrad Georgi begibt und ihn in einem regelrechten Katz- und Mausspiel provoziert.

Das Verletzen meiner heiligsten Rechte und das Einbrechen in alle meine Geheimnisse, das Berühren von Papieren, die mir Heiligthümer sind, empörten mich zu tief, als daß ich nicht jedes Mittel ergreifen sollte, um mich an dem Urheber dieser Gewaltthat zu rächen. Den Universitätsrichter habe ich mittelst des höflichsten Spottes fast ums Leben gebracht. Wie ich zurückkam, mein Zimmer mir verboten und mein Pult versiegelt fand, lief ich zu ihm und sagte ihm ganz kaltblütig mit der größten Höflichkeit, in Gegenwart mehrerer Personen: wie ich vernommen, habe er in meiner Abwesenheit mein Zimmer mit seinem Besuche beehrt, ich komme, um ihn um den Grund seines gütigen Besuches zu fragen etc. – Es ist Schade, daß ich nicht nach dem Mittagessen gekommen, aber auch so barst er fast und mußte diese beißende Ironie mit der größten Höflichkeit beantworten. Das Gesetz sagt, nur in Fällen sehr dringenden Verdachts, ja nur eines Verdachtes, der statt halben Beweises gelten könne, dürfe eine Haussuchung vorgenommen werden. Ihr seht, wie man das Gesetz auslegt. Verdacht, am wenigsten ein dringender, kann nicht gegen mich vorliegen, sonst müßte ich verhaftet sein; in der Zeit, wo ich hier bin, könnte ich ja jede Untersuchung durch Verabreden gleichlautender Aussagen und dergleichen unmöglich machen. Es geht hieraus hervor, daß ich durch nichts compromittirt bin und daß die Haussuchung nur vorgenommen worden, weil ich nicht liederlich und nicht sclavisch genug aussehe, um für keinen Demagogen gehalten zu werden. Eine solche Gewaltthat stillschweigend ertragen, hieße die Regierung zur Mitschuldigen machen; hieße aussprechen, daß es keine gesetzliche Garantie mehr gäbe; hieße erklären, daß das verletzte Recht keine Genugthuung mehr erhalte. Ich will unserer Regierung diese grobe Beleidigung nicht anthun.
(Brief an die Eltern in Darmstadt, 8. August 1834)
8. August 1834. An die Eltern in Darmstadt

So tief empört, voller Wut, Leidenschaft und Kampfeslust für seine Sache er im – von ihm selbst geschilderten – verbalen Austausch mit dem Universitätsrichter Georgi erscheint, so beschreibt ihn auch sein Straßburger Freund Alexis Muston: 22

in allem leidenschaftlich: gegenüber dem Studium, gegenüber der Freundschaft, in seiner Bewunderung und seiner Abneigung: Vergötterer der Französischen Revolution, Verächter Napoleons, sehnt mit seinem ganzen Wesen die Einheit der deutschen Völkerfamilie herbei . . . 23 LZ 1660 Alexis Muston, Journal d’étudiant

So wie Büchner seinen Gegnern mit kühlem Kopf und heißem Herzen gegenübertrat, so konnte er im Kreise seiner Freunde regelrecht sprühen vor Begeisterung – und sich zugleich mit heiligem Ernst für die von ihm als richtig erkannten Ziele einsetzen. Stets war er aufs Leidenschaftlichste der ganzen Komplexität des Menschen und der Welt auf der Spur. Er war ein visionärer Europäer, der von der europäischen Einheit ebenso wie von der deutschen schwärmte. 24 Die französische Sprache war für ihn die Sprache der Liebe, 25 der Wissenschaft, 26 des Broterwerbs 27 und des Quellenstudiums der französischen Revolution. 28 Seine Kenntnis des Französischen bis in feinste Verästelungen half ihm, diese noch nahe Geschichte mitsamt ihrer moralischen und blutigen Verwerfungen präzis Realität werden zu lassen. Seinen Eltern schrieb er, die bildstarke Ästhetik und Drastik des Dramas im Blick:

Im Fall es euch zu Gesicht kommt, bitte ich euch, bei eurer Beurteilung zu bedenken, daß ich der Geschichte treu bleiben und die Männer der Revolution geben musste, wie sie waren, blutig, liederlich, energisch und cynisch. Ich betrachte mein Drama wie ein geschichtliches Gemälde, das seinem Original gleichen muß.
(Brief an die Eltern, Straßburg, 5. Mai 1835)
5. Mai 1835. An die Eltern in Darmstadt

Immer war der Anspruch hoch, bei allen seinen Texten war er ganz nah an der Realität. Ob Danton’s Tod, Lenz oder Woyzeck, alle basieren auf zeitgeschichtlichen Quellen: Überlieferungen von Reden, Dialogen und Ereignissen der Revolution (Danton’s Tod), Tagebüchern (Lenz), historischen Kriminalfällen und medizinischen Gutachten (Woyzeck). Selbst Leonce und Lena hat seinen zeitgeschichtlichen Hintergrund 29 und Der Hessische Landbote ist nicht weit, auch wenn er hier im komödiantischen Gewand des Lustspiels erscheint:

Erkennt was man für Euch thut, man hat Euch grade so gestellt, daß der Wind von der Küche über Euch geht und Ihr auch einmal in Eurem Leben einen Braten riecht.
(Leonce und Lena, 1836, III/2)
Leonce und Lena

Alle selbst ernannten Moralaposteln schlägt Büchner mit ihren eigenen Waffen, stets denkt er sich intelligent und spielend in deren Positionen hinein:

Wenn man mir übrigens noch sagen wollte, der Dichter müsse die Welt nicht zeigen wie sie ist, sondern wie sie sein solle, so antworte ich, dass ich es nicht besser machen will, als der liebe Gott, der die Welt gewiß gemacht hat, wie sie sein soll.
(Brief an die Eltern, Straßburg, 28. Juli 1835)
28. Juli 1835. An die Eltern in Darmstadt

KLEIDERORDNUNGEN

Georg Büchner hatte ein eminentes Bewusstsein für Mode, Zeit und Raum, das ihn als Kosmopolit seiner Zeit, als frühen Weltbürger auszeichnet. Seine treffsichere Analyse der Kleiderordnung eines gewissen »Rousseau« – nicht zu verwechseln mit dem Philosophen gleichen Namens – ist dafür ein schlagender Beleg:

Wenn Ihr neulich bei hellem Wetter bis auf das Münster hättet sehen können, so hättet Ihr mich bei einem langhaarigen, bärtigen, jungen Mann sitzend gefunden. Besagter hatte ein rothes Barett um den Kopf, um den Hals einen Cashmir-Shawl, um den Cadaver einen kurzen deutschen Rock, auf die Weste war der Name »Rousseau« gestickt, an den Beinen enge Hosen mit Stegen, in der Hand ein modisches Stöckchen. Ihr seht, die Caricatur ist aus mehreren Jahrhunderten und Welttheilen zusammengesetzt: Asien um den Hals, Deutschland um den Leib, Frankreich an den Beinen, 1400 auf dem Kopf und 1833 in der Hand. Er ist ein Kosmopolit – nein, er ist mehr, er ist St. Simonist!
(Brief an die Eltern, Straßburg, frühestens 28. Mai 1833)
Frühestens 28. Mai 1833. An die Eltern in Darmstadt

Es ist kaum verwunderlich, dass Büchner so genau hingesehen hat. War er doch selbst keinesfalls Normalbürger und nicht immer dezent in der Wahl seiner eigenen Kleidung. Sein Bruder Wilhelm überliefert – nicht ohne Idealisierung des Dichters in der Familie – seine extravagante Erscheinung schon zu Schulzeiten.

Das blaue Aug, sein lockig Haar,
Die kühne Stirn mit den Apollo-Bogen,
Ein schlanker, grosser, junger Mann.
Geziert mit rother Jakobiner-Mütze
Im Polen-Rock, schritt stolz er durch die Strassen
Der Residenz, die Augenweide seiner Freunde!
30

Höchst zuverlässig, da aus unabhängiger Quelle, dem Ministerium des Inneren und der Justiz des Großherzogtums Hessen überliefert, wird Büchners textile Extravaganz bezeugt durch die im behördeninternen Signalement des stud. Med. Georg Büchner von Darmstadt vom 4. August 1834 erfassten Bekleidungsdetails des steckbrieflich wegen staatsfeindlichen Umtrieben Gesuchten: »Runder schwarzer Hut; Rock: blautüchner, eine Art Polonaise mit Schnüren auf Brust und Rücken, sog. Blattlitzen; Beinkleider: unbekannt; Stiefeln: gewöhnlich.« 31 War es Zufall, dass er einen Polenrock und das ebenfalls überlieferte Accessoire der Botanisiertrommel als Transportmittel und »Tarnung« wählte, um das Manuskript des Hessischen Landboten konspirativ von Butzbach nach Offenbach in die Druckerei zu bringen?

HL Dok 1.4.3. Verhörprotokolle Becker Nach sehr glaubwürdiger Versicherung kamen Büchner und Schütz schon gegen Ende Juni 1834 eines Abends zwischen 10–11 Uhr von Gießen nach Butzbach zu Carl Zeuner. Beide trugen Botanisirbüchsen und gingen in Zeuners Begleitung zu Weidig, worauf sie denn von diesem Empfehlungsschreiben und das Manuskript des Landboten erhielten und noch in derselben Nacht ihre Weiterreise antraten. 32

Es scheint jedenfalls nachgerade ein Treppenwitz der Literaturgeschichte, dass seine Erscheinung bei dieser nicht ungefährlichen Mission derjenigen von Peter Schlemihl gleicht, so wie sie Adalbert von Chamisso, Deutscher mit französisch-adligen Wurzeln, im Sommer des Jahres 1813, wenige Monate vor Büchners Geburt, geschützt vor den napoleonischen Kriegswirren im ländlichen Refugium, in Peter Schlemihls wundersamer Geschichte festgehalten hat. Auf den ersten Seiten gibt dort »ein wunderlicher Mann, der [ . . . ] eine ganz abgenützte schwarze Kurtka anhatte, eine botanische Kapsel darüber umgehangen«, 33 geheimnisvolle Blätter für den als Mittelsmann fungierenden Autor ab. 34 Auch in Chamissos Geschichte wird also in der Aufmachung mit einem russisch-polnischen Waffenrock und einer Botanisiertrommel ein vorerst geheimes Manuskript übermittelt, das zum Druck und zur Verbreitung an eine größere Öffentlichkeit bestimmt ist. Noch kurioser wird die Sache dadurch, dass Adalbert von Chamisso selbst eine solche Kurtka trug 35 und oft mit der Botanisiertrommel unterwegs war. 36 Für die Erstausgabe seiner wundersamen Geschichte ließ er einen Frontispiz in Form eines Ganzfigurenporträts von Schlemihl erstellen, 37 das seiner Kunstfigur Realität gab und zugleich mit gemeinsamen Merkmalen von Figur (Schlemihl) und Autor (Chamisso) spielte. 38

HERZDAME

Wir wissen nicht, ob Büchner Biertrinker 39 oder Nichtraucher war, 40 und auch über sein Liebesleben sind wir schlechter informiert als über seine politischen Aktivitäten. Eines jedoch steht definitiv fest: Er kannte – wie seine Figuren in Danton’s Tod – den Unterschied zwischen Liebe und Sex, Cœur und Carreau.

DANTON. Sieh die hübsche Dame, wie artig sie die Karten dreht! ja wahrhaftig sie versteht’s, man sagt sie halte ihrem Manne immer das coeur und anderen das carreau hin.
(Danton’s Tod, 1835, I/1)
Danton’s Tod

Ob auch Büchner seine Sexualität, wie es der hübschen Dame hier nachgesagt wird, ausgelebt hat, steht auf einem anderen Blatt. Seine Hoheit Prinz Tunichtgut Leonce, der grassierende Müßiggänger und Liebende aus Langeweile, versteht Promiskuität geradezu als sine qua non im Umgang mit dem anderen Geschlecht:

Mein Gott, wie viel Weiber hat man nöthig, um die Scala der Liebe auf und ab zu singen? Kaum daß Eine einen Ton ausfüllt.
(Leonce und Lena, 1836, I/3)
Leonce und Lena

So polyphon quantifizierend klingt sonst nur Don Giovannis Liebesregister in Mozarts Leporello-Arie:

In Italien sechshundertundvierzig,
Hier in Deutschland zweihundertdreißig,
Hundert in Frankreich und neunzig in Persien
Aber in Spanien, ja in Spanien schon tausendunddrei!
Hier ein schmuckes Kammerkätzchen,
Dort ein nettes Bürgerschätzchen,
Kammerzofen, Baronessen,
Hochgeborene Prinzessen,
Mädchen sind’s von jedem Stande,
Schön und hässlich, jung und alt.
41

Der unersättliche Liebhaber Don Giovanni stirbt am Ende der Oper reuelos in den Flammen der Hölle. Doch der gerade noch herzlos mit Rosetta spielende Schwerenöter Leonce ist schnell bekehrt. Schon am Anfang des zweiten Aktes trifft er unvermittelt auf seine Lena, und Adalbert von Chamisso, 42 frei aus dem Gedächtnis zitiert von Büchner, gibt das sprechende Motto dazu:

Wie ist mir eine Stimme doch erklungen, Im tiefsten Innern, Und hat mit Einemmale mir verschlungen All mein Erinnern!
(Leonce und Lena, 1836, II/1)
Leonce und Lena

Auch Georg Büchner lässt in seinen Briefen kaum Zweifel am Gleichklang der Seelen zwischen ihm und Wilhelmine aufkommen:

Seit vierzehn Tagen steht dein Bild beständig vor mir, ich sehe dich in jedem Traum. Dein Schatten schwebt immer vor mir, wie das Lichtzittern, wenn man in die Sonne gesehen. Ich lechze nach einer seligen Empfindung, die wird mir bald, bald, bei Dir.
(Brief an Wilhelmine Jaeglé, Gießen, etwas 8. März 1834)
Etwa 8. März 1834. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg

Zugleich besteht er seinem Freund Eugène Boeckel gegenüber, der als Arzt auf Studienreise von den Wiener Cholera-Toten und Opernsängerinnen gleichermaßen schwärmt, auf der Einhaltung von moralischer Dezenz und postalischer Etikette gegenüber seiner Geliebten und Verlobten:

à propos, sie hat mir Deine beyden Briefe, unerbrochen gegeben, dennoch hätte ich es passender gefunden Du hättest schicklichkeitshalber eine Couverte um Deinen Brief gemacht; konnte ein Frauenzimmer ihn nicht lesen, so war es unpassend ihn auch an ein Frauenzimmer zu adressiren; mit einer Couverte ist es etwas anderes. Ich hoffe Du verdenkst mir dieße kleine Zurechtweisung nicht.
(Brief an Eugène Boeckel, Straßburg, 1. Juni 1836)
1. Juni 1836. An Eugène Boeckel in Wien

Dabei scheint Büchner nicht verklemmt, sondern lediglich dezent. Geistreiche, hin und wieder durchaus erotische Anspielungen bestimmen den Umgang mit der Verlobten: Im Briefverkehr mit Wilhelmine schätzt er Rollenspiele der Liebe und setzt sie gern als kommunikatives Band zu ihr ein. Allein in den wenigen erhaltenen Briefen Büchners zwischen 1834 und 1837 sind drei Fälle überliefert, 43 in denen er sich und Wilhelmine wechselweise als Lazarus, der von Jesus erweckt werden muss (Siechender hofft auf Licht- und Heilsgestalt), als Sehnsuchtsbild des jungen Goethe in den wehen Gedanken der elsässischen Pfarrerstochter Friederike Brion (die vom Stürmer und Dränger verlassene Geliebte, verführt vom Wort 44) oder als junger mittelalterlicher Mönch Abaelard in Sehnsucht nach der – im Mittelalter einst vom Geliebten geschwängerten – hochadeligen Heloïse (Mönch der Arbeit sehnt sich nach seiner für die Liebe offenen Dame von Herzensadel) zeichnet. Beim letzten Bild kommt es jedoch zu einem markanten Wechsel:

Ich sehe dich immer so halb durch zwischen Fischschwänzen, Froschzehen etc. Ist das nicht rührender, als die Geschichte von Abälard, wie sich ihm Heloise immer zwischen die Lippen und das Gebet drängt? O, ich werde jeden Tag poetischer, alle meine Gedanken schwimmen in Spiritus.
(Brief an Wilhelmine Jaeglé, Zürich, 13. Januar 1837)
13. Januar 1837. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg

Der Naturwissenschaftler Büchner am Sezier- und Schreibtisch in Zürich scheint hier – Zeichen der neuen Zeit und der beginnenden Moderne – das zwischen Präparaten schwebende Bild seiner Geliebten selbst dem sonst so geschätzten Mittelalter und seinen Topoi vorzuziehen, 45 auch wenn oder gerade weil die humorvoll-ironische Brechung der Liebesvision als Spiritusumnebelung sofort auf den Fuß folgt. Überaus sprechend für Georg Büchners Humor, seinen Tiefsinn, seine Sinnenfreude, seinen Esprit und nicht zuletzt seine zärtliche Zuneigung zu Wilhelmine Jaegle ist sein letzter, (wohl schönster) Brief an sie aus Zürich 1837: 46

Mein lieb Kind, Du bist voll zärtlicher Besorgniß und willst krank werden vor Angst; ich glaube gar, Du stirbst – aber ich habe keine Lust zum Sterben und bin gesund wie je. Ich glaube, die Furcht vor der Pflege hier hat mich gesund gemacht; in Straßburg wäre es ganz angenehm gewesen, und ich hätte mich mit dem größten Behagen in’s Bett gelegt, vierzehn Tage lang, rue St. Guillaume Nro. 66, links eine Treppe hoch, in einem etwas überzwergen Zimmer, mit grüner Tapete! Hätt’ ich dort umsonst geklingelt? Es ist mir heut einigermaßen innerlich wohl, ich zehre noch von gestern, die Sonne war groß und warm im reinsten Himmel – und dazu hab’ ich meine Laterne gelöscht und einen edlen Menschen an die Brust gedrückt, nämlich einen kleinen Wirth, der aussieht, wie ein betrunkenes Kaninchen, und mir in seinem prächtigen Hause vor der Stadt ein großes elegantes Zimmer vermiethet hat. Edler Mensch! Das Haus steht nicht weit vom See, vor meinen Fenstern die Wasserfläche und von allen Seiten die Alpen, wie sonnenglänzendes Gewölk. – Du kommst bald? mit dem Jugendmuth ist’s fort, ich bekomme sonst graue Haare, ich muß mich bald wieder an Deiner inneren Glückseligkeit stärken und Deiner göttlichen Unbefangenheit und Deinem lieben Leichtsinn und all Deinen bösen Eigenschaften, böses Mädchen. Adio piccol[a] mia!
(Brief an Wilhelmine Jaeglé, Zürich, 27. Januar 1837)
27. Januar 1837. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg

ZAMPA

Ist es so unwahrscheinlich bei dem hier so explizit wie anspielungsreich genannten »lieben Leichtsinn« des »bösen Mädchens [ . . . ] piccol[a] mia«, dass Büchner selbst sich 1833 in ironisch-kokettem Spiel auf einer Zeichnung von August Hoffmann als Zampa inszeniert hat? Zuzutrauen wäre es ihm, nach allem, was wir von ihm wissen, nach allem, was er selbst von sich preisgegeben hat.47 Damals war die heute weniger bekannte Oper Zampa oder Die Marmorbraut des elsässischen Komponisten Ferdinand Herold von 1831 europaweit ein Bühnen- und Musikerfolg. 48 Wie so oft hat Büchner ein paar Zeilen aus einem größeren Ganzen zitiert und dadurch – ohne den Kontext – zugleich umgewertet als spielerische Botschaft an die Geliebte in der Ferne, mit der er längst verlobt war:

Wenn ein Mädchen mir gefällt,
Da hilft kein Widerstreben,
Die mein Herz sich hat erwählt,
Die muss sich mir ergeben.

Wilhelmine hatte sich ihm wie auch immer – im Kuss oder mehr – ergeben, deshalb brauchte er bei ihr auch keine Uniform und »Schulterpolster«, um ihr »Frauenherz« zu erlangen, 49 sondern aus gegebenem Anlass nur eine Andeutung von Piratenbluse, Weste und Lederband um die Schultern.

So wie Georg schon als Schüler 1829 auf seinen Kritzelseiten Anzügliches aus Shakespeares Hamlet – »Ein junger Mann thut’s wenn er kann, beym Himmel s’ist nicht fein« – und Weihevolles aus Goethes Faust – »ach neige, du Schmerzensreiche, dein Antlitz gnädig meiner Noth« – zusammen mit einer Paraphrase des Lauterbacher Strumpfliedes, einem damals wohl brandneuen Gassenhauer, 50 collagiert, 51 so spielt er auch in den Briefen an seine Verlobte ohne Scheu vor Registerwechseln und ironischer Selbstdemontage mit sich, seiner Erscheinung und seiner Potenz. Mitte März 1834 schreibt er an Wilhelmine Jaeglé in Anspielung auf ein geplantes Wiedersehen an Ostern: »Mein Gesicht ist wie ein Osterei, über das die Freude rothe Flecken laufen lässt.« 52 Und notiert wenige Zeilen später:

Wie gefällt Dir mein Bedlam? Will ich etwas Ernstes thun, so komme ich mir vor, wie Larifari in der Komödie; will er das Schwerdt ziehen: so ist’s ein Hasenschwanz.
(Brief an Wilhelmine Jaeglé, Gießen, Mitte März 1834)
Mitte März 1834. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg

Hier paraphrasiert Büchner eine markante Szene aus Karl Friedrich Henslers heute weitgehend vergessenem, doch in den 1830er-Jahren oft aufgeführten Wiener Erfolgsstück Das Donauweibchen. Ein romantisch-komisches Volksmährchen mit Gesang in drei Aufzügen nach einer Sage der Vorzeit von 1792. Büchner war einerlei, ob etwas, dass ihn inspirierte, der Populär- oder Hochkultur entstammte, 53 mehr noch: Er setzte beides je nach Anlass gezielt für seine Zwecke ein. Das Korsaren-Zitat aus der damals ungemein beliebten Oper Zampa erscheint vor diesem Hintergrund kaum ungewöhnlich für Büchner – zumal jenseits erotischer Freibeuterei das Bild des Piraten als Mann der Revolte gegen die herrschenden Mächte schon durch Lord Byrons lyrische Erzählung The Corsair aus dem Jahr 1814 befördert worden war. 54 Das Zampa-Porträt, diese freiere Darstellung jenes etwas steifen Georg Büchner auf der Zeichnung August Hoffmanns aus ehemaligem Familienbesitz, 55 vereint beides in sich: den Ernst kühn zu nennender Entschlossenheit im Gesicht des blutjungen Mannes und den Schalk des amourösen Spiels im Notenblatt samt Text, das dieser 20-Jährige in der Hand hält.56

Der hier zu sehen ist, ist kein »König«, der »den ganzen Tag spazieren« fährt und »den Leuten die Hüte« verdirbt »durch’s viele Abziehen«, kein »Wissenschafter« des tumben »a priori« oder »a posteriori«, kein »Held« voller »Alexanders- und Napoleonsromantik«, dessen Heroismus »ohne Lieutenants und Rekruten nicht bestehen kann«, schon gar nicht eines »dieser nützliche[n] Mitglieder der menschlichen Gesellschaft« – »Lieber möchte ich meine Demission als Mensch geben« – und auch kein »Genie«:57

Die Nachtigall der Poesie schlägt den ganzen Tag über unserem Haupt, aber das Feinste geht zum Teufel, bis wir ihr die Federn ausreißen und in die Tinte oder Farbe tauchen.
(Leonce und Lena, 1836, I/3)
Leonce und Lena

Dieser Büchner ist ein Mensch aus Fleisch und Blut, voller Wenn und Aber – jedoch ohne Anführungsstriche.

Ich gehe meinen Weg für mich [ . . . ]; ich zeichne meine Charaktere, wie ich sie der Natur und der Geschichte angemessen halte, und lache über die Leute, welche mich für die Moralität oder Immoralität derselben verantwortlich machen wollen. Ich habe darüber meine eigenen Gedanken . . .
(Brief an die Eltern, Straßburg, 1. Januar 1836)
1. Januar 1836. An die Eltern in Darmstadt

EINS IM WIDERSPRUCH

Georg Büchner hat vieles in sich vereint, in sich vereinen müssen: Er hatte nicht immer die Wahl, doch er hat sich stets die Freiheit genommen, am Ende selbst über sein Leben zu entscheiden – und er hatte die Kraft, die Spannungen auszuhalten, die sich aus seinem Leben, seinen weit gefächerten Interessen, seine politischen Aktivitäten und existentiellen Erkenntnissen ergaben. »Büchner hat es geschafft, diesen Widerspruch in seiner Brust auszuhalten, zwischen begründeter Verzweiflung über die Geschichte und begründeter Hoffnung, weil man sich einmischt in seine eigenen Angelegenheiten.« 58 Er hat es geschafft, den Widerspruch auszuhalten zwischen zuweilen drastischer Darstellung von Sexualität und zarten Liebesbeweisen. Bis in seine letzten Tage ist er gleichzeitig fähig zu lakonisch-nüchterner Analyse des Straßenverkehrs und Staatswesens – »man riskirt nicht von einer adligen Kutsche überfahren zu werden«59 – sowie zu euphorischer Empathie einem »edlen Menschen« gegenüber: gerade weil er »aussieht wie ein betrunkenes Kaninchen«.60

Wem hier zwischen Kutsche und Kaninchen kein grundsätzlich neues Büchnerbild aufscheinen mag, der findet hoffentlich immerhin ein wesentlich komplettiertes vor. Es wäre bereits viel gewonnen, wenn Büchner als Mensch mit all seinen Facetten wahrgenommen würde – jenseits der Klischees und Verzerrungen eines Revolutionärs in Permanenz, eines längst überholten Naturwissenschaftlers oder eines allzu früh verstorbenen Dichtergenies.

Georg Büchners Schriften, ergänzt um die wenigen Bildzeugnisse Büchners, schenken uns das Porträt eines lebhaften, disziplinierten, ehrgeizigen, außerordentlich humorbegabten, ebenso emotionalen wie intelligenten jungen Mannes mit starkem Willen und großem Tatendrang. 61 In seinen Schriften erschließt sich die gesamte Sprachmacht und Bildgewalt des blutjungen Naturwissenschaftlers, Revolutionärs und Dichters, 62 der mit 23 Jahren Weltliteratur geschrieben hat, die bis heute gültig ist – und mehr noch: wahr im tiefsten Sinn des Wortes, aufwühlend und voller Veränderungskraft.


Anmerkungen

  • 1 Hubert Spiegel, »Fontane, Beuys und Schillers Knöpfe«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 80, 6. April 2013, S. 37.

  • 2 Das von der Familie authentifizierte, allerdings 1944 verbrannte und nur durch Reproduktionen überlieferte Porträt Büchners durch August Hoffmann zeigt – auch dies in Ergebnis der Forschungen aus Anlass der Ausstellung, zu der dieses Katalogbuch (s. Anm. 3) erscheint – keinen Polenrock. HL Dok 3.4.10. Steckbrief BüchnersDas Bekleidungsstück im Porträt weicht signifikant von der Beschreibung im behördeninternen Steckbrief des Untersuchungsrichters Conrad Georgi ab.

  • 3 Jan-Christoph Hauschild, der 1993 eine immerhin 694 Seiten starke Biografie über Georg Büchner geschrieben hat, propagiert noch im Juli dieses Jahres: »Das Grundproblem der Quellenlage bei Büchner ist der Mangel«; zit. nach: Klaus-J. Frahm, »Das Grundproblem ist der Mangel. Büchner: Kurzke und Hauschild im Streitgespräch«, in: Wiesbadener Tagblatt, 1. Juli 2013.

  • 4 So stehen sich in der exemplarischen Konfrontation der Büchner-Biografen Jan-Christoph Hauschild und Hermann Kurzke der Revolutionär und der romantische Schriftsteller unversöhnt gegenüber (Vgl. Frahm 2013 [wie Anm. 3]), wiewohl beide Lebensrollen Teil des einen Georg Büchner sind.

  • 5 Auch dies ist eine methodische Annäherung an Büchner – nur das hier im Gegensatz zu seinen Texten aus Transparenzgründen die Herkunft der Mosaiksteine jederzeit kenntlich gemacht wird. Zu Büchners Schreibstrategien vgl. das Kapitel »Büchners Schreibstrategien«, in: Georg Büchner. Revolutionär mit Feder und Skalpell, hrsg. von Ralf Beil und Burghard Dedner. [Katalog zur Ausstellung des Instituts Mathildenhöhe Darmstadt, 13. Oktober 2013 bis 16. Februar 2014]. Ostfildern 2013, S. 505-533

  • 6 Noch in einem seiner letzten Briefe an seine Verlobte bekennt er: »Jeden Abend sitz’ ich eine oder zwei Stunden im Casino; Du kennst meine Vorliebe für schöne Säle, Lichter und Menschen um mich.« (Brief an Wilhelmine Jaeglé, Zürich, 20. Januar 1837) 20. Januar 1837. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg

  • 7 Google Books hat diese Quellenforschung nachhaltig befördert. Vgl. Burghard Dedner, »Witz und Waffe – Zu Büchners Umgang mit Wörtern«, in: Georg Büchner. Revolutionär mit Feder und Skalpell (s. Anm. 5), S. 505 ff.

  • 8 Das Gemälde ist das erste Mal schriftlich nachgewiesen in: Franz Hubert Müller, Beschreibung der Gemäldesammlung in dem Grossherzoglichen Musäum zu Darmstadt, Darmstadt 1820, Nr. 175, S. 181. Es gelangte zwischen 1807 und 1819 nach Darmstadt und fand definitiv Aufstellung im Schloss, da Müller in seiner Beschreibung nur die tatsächlich ausgestellten Gemälde erwähnt. Für diese Information danke ich Theo Jülich, Direktor des Hessischen Landesmuseums Darmstadt.

  • 9 Dante dramatisiert den realen Hungertod von Ugolino della Gherardesca (um 1220–1289) und seinen Kindern in seiner Göttlichen Komödie wie folgt: »Ich biss vor Jammer mich in beide Hände, / Und jene, wähnend, dass ich es aus Gier / Nach Speise tat’, erhoben sich behende / Und schrien: Iss uns, und minder leiden wir! / Wie wir von dir die arme Hüll’ erhalten, / Oh, so entkleid’ uns, Vater, auch von ihr.« Dante Aligheri, Commedia, übersetzt von Carl Streckfuß, Leipzig 1876, Inf. XXXIII, zit. nach: http://de.wikipedia.org/wiki/Ugolino_ della_ Gheradesca, 21. 8. 2013. Diese Zeilen wurden zum Auslöser einer reichen Bildtradition rund um Ugolino und seine Kinder im Hungerturm.

  • 10 Woyzeck, 1836, H 4,1. In Brentanos Liedsammlung Des Knaben Wunderhorn trägt das Lied von Andres den bezeichnenden Titel »Weltende«. Woyzeck

  • 11 Lenz, in: Marburger Büchner Ausgabe Bd. VI, S. 37

  • 12 Vgl. Nora Eckert, »Büchners Klangwelt – Über Musik und Akustisches bei Büchner«, in: Georg Büchner. Revolutionär mit Feder und Skalpell (s. Anm. 5), S. 307 ff.

  • 13 »… wir bewunderten an dem Büchner, dass er so beides war, absolut illusionslos, kalt und illusionslos, und voller Hoffnung, dass er das fertig brachte, so ganz und gar zu wissen, dass es kein Heil auf der Welt gibt, das wir den schrecklichen Fatalismus der Geschichte, wie er es nannte, erleiden [ . . . ], aber das er trotzdem einer war, der voller Hoffnung lebte, denn nur wenn man Hoffnung hat auf eine Veränderung der Gesellschaft, mischt man sich ja ein und setzt auch sein Leben und sein Wohlleben aufs Spiel.« Wolf Biermann, in: Wolf Biermann, Gert Heidenreich, Lokaltermin in Goddelau, Dezember 1995, Hr2kultur, Live-Mittschnitt der Veranstaltung. Ich danke Hans Sarkowicz für die Bereitstellung dieser Quelle.

  • 14 Mein Dank geht an Burghard Dedner für den Hinweis auf diese philosophische Parallelstelle.

  • 14a Spinoza-Skript, 1835, H 1; zit. nach Marburger Büchner Ausgabe IX.2, S. 12.

  • 15 Charles Darwin, Die Fahrt der Beagle, Hamburg 2007, S. 36–37.

  • 16 Während Darwin auf Weltreise ist, absolviert Büchner ein Weltstudium ähnlich umfänglicher Art: von direkten und indirekten Steuern (Hessischer Landbote) über die Schädelnerven der Barben (Mémoire) und Rituale großherzoglicher Hochzeitsfeierlichkeiten (Leonce und Lena ) bis hin zur Widerlegung von Gottesbeweisen (Spinoza-Skript ).

  • 17 Vgl. Brief an die Eltern, Straßburg, 16. Juli 1835) 16. Juli 1835. An die Eltern in Darmstadt Das Arresthaus ist, damals brandneu, gerade erst im Mai 1835 fertiggestellt worden und insbesondere für die Inhaftierung politischer Gefangener gedacht.

  • 18 Darwin 2007 (wie Anm. 15), S. 484. Zur unterschiedlichen Wahrnehmung politischer Ereignisse im Zeichen schwarzer Fahnen vgl. Darwins »Schauspiel« mit Büchners »Comödie« des Einzugs von Romarino in Straßburg. (Brief an die Eltern, Straßburg, nach 4. Dezember 1831) Nach 4. Dezember 1833. An die Eltern in Darmstadt

  • 19 »Nachdem wir Südamerika verlassen hatten, bezahlte er [der Präsident] die Strafe in der üblichen Weise, indem er besiegt, gefangen genommen und erschossen wurde.« Darwin 2007 (wie Anm. 15), S. 485.

  • 20 Vgl. Christoph Schütte, »Wenn alles irritierend offen bleibt«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 155, 8. Juli 2013, S. 36.

  • 21 Vgl. Burghard Dedner, »›Bei diesem genialen Cynismus‹ – Büchner als lachender Philosoph«, in: Georg Büchner. Revolutionär mit Feder und Skalpell (s. Anm. 5), S. 393 ff.

  • 22 Auch wenn der Büchner-Biograf Hermann Kurzke ebenfalls ausgiebig Alexis Muston zitiert: Seine Thesen – Büchner, das Genie, der Christ, der Unglückliche, der Sozialromantiker, der sexuell Freizügige mit Hang zum Sakralen sowie erdrückendem Vater und kalter Engelsmutter, so zusammenfassend Friedmar Apel, »Ein göttlicher Funke hat in ihm gewirkt«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 15. Februar 2013 – erscheinen doch einigermaßen aus der Luft gegriffen und sind vielfach sogar von ihm selbst als »Imaginationen ohne Beleg« gekennzeichnet, so die sprechende Notiz in seinen Fußnoten. Vgl. Hermann Kurzke, Georg Büchner. Geschichte eines Genies, München 2013, S. 529, Fußnoten 24 und 45, oder S. 539, Fußnoten 5 (»Es folgen Imaginationen.«) und 23. Peter Laudenbachs Rezension in der Süddeutschen Zeitung weist zu Recht auf die eklatanten Mängel dieser Biografie hin: Peter Laudenbach, »Es ging um heiße Weiber. Friede den Hütten: Hermann Kurzke versucht sich in seiner Biografie an einer erbaulichen Deutung Georg Büchners«, in: Süddeutsche Zeitung, 14. August 2013.

  • 23 LZ 1660 Alexis Muston, Journal d’étudiant »passionné en tout: pour l’étude, pour l’amité, dans ses admirations et ses antipathies: idolâtre de la revolution française, contempteur de Napoléon, aspirant de tout son être à l’unité de la famille allemande . . . «; zit. nach: Alexis Muston, »Journal d’étudiant«, in: Heinz Fischer, Georg Büchner und Alexis Muston. Untersuchungen zu einem Büchner-Fund, München 1987, S. 272.

  • 24 LZ 1660 Alexis Muston 1833 »Repartis de bonne heure; causé St Simonisme, renovation sociale et religieuse, république universelle, états-unis de l’Europe, et autres utopies, don’t quelques unes peut-être deviendront des réalités«; zit. nach: ebd., S. 284.

  • 25 Es war jene Sprache, die ihn aufs Besondere mit der Straßburger Geliebten verband: »Je baise les petites mains, en goûtant les souvenirs doux de Strasbourg.« (Brief an Wilhelmine Jaeglé, Gießen, Nach Mitte Januar 1834)Nach Mitte Januar 1834. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg

  • 26 Sein Mémoire sur le système nerveux du barbeau wurde in der Schriftenreihe der »Société d’histoire naturelle de Strasbourg« veröffentlicht.

  • 27 Im Mai und Juni 1835 übersetzt Büchner die Victor-Hugo-Dramen Lucrèce Borgia und Marie Tudor für den Frankfurter Verlag Sauerländer.

  • 28 So hat Büchner Robespierre und andere Quellen weit besser übersetzt als etwa der Historiker von Unsere Zeit. Während dort ein Satz aus Robespierres Rede mit den Worten »Unter solchen Umständen bedarf es allerdings des Muthes und der Seelengröße.« (Unsere Zeit, bearbeitet von Carl Strahlheim, E. F. Wolters, Stuttgart 1828, Band XII, S. 98) kolportiert wird, zitiert Büchner Robespierre wörtlich nach der französischen Überlieferung dieser Rede: » . . . il nous faut à tous quelque courage et quelque grandeur d’âme.« (Adolphe Thiers, Histoire de la révolution francaise, Lecointe, Paris 1828, Band VI, S. 208) und übersetzt treffend: »Wir Alle haben etwas Mut und Seelengröße nöthig.« (Danton’s Tod, II/7) Danton’s Tod. Nicht umsonst ist Büchners Danton’s Tod das Revolutionsstück auf französischen Bühnen geworden und geblieben – bis heute.

  • 29 Zur höfischen Sitte des Schauessens, dass Büchner ironisch in ein Schauriechen verwandelt, vgl. Heinrich Küntzel und Friedrich Metz, Chronik der Feierlichkeiten, welche auf Veranlassung der hohen Vermählung Seiner Hoheit des Erbgroßherzogs Ludwig von Hessen mit Ihrer Königl. Hoheit der Prinzessin Mathilde von Bayern [ . . . ] Statt fanden, 1834; wieder abgedruckt in Marburger Büchner Ausgabe VI, S. 363.

  • 30 Wilhelm Büchner, Einblattdruck ohne Ort, ohne Jahr, Goethe- und Schiller-Archiv, Weimar. Das behördeninterne »Signalement des stud. Med. Georg Büchner von Darmstadt« bestätigt den Polenrock – für die Gießener Zeit – und die sehr gewölbte Stirn, vermerkt jedoch bei der Augenfarbe grau.

  • 31 Vgl. ebd.

  • 32 Friedrich Noellner zu August Becker im Verhör über den Transport des Landboten-Manuskripts, Sommer 1837.

  • 33 Adelbert von Chamisso, Peter Schlemihls wundersame Geschichte, Frankfurt am Main 2003, S. 10.

  • 34 Das Titelblatt der Erstausgabe von 1814 verzeichnet: »Peter Schlemihl’s wundersame Geschichte mitgetheilt von Adelbert von Chamisso und herausgegeben von Friedrich Baron de la Motte Fouqué. Mit einem Kupfer. Nürnberg bei Johann Leonhard Schrag. 1814.«

  • 35 Vgl. Thomas Betz und Lutz Hagestedt, »Wort- und Sacherläuterungen«, in: Chamisso 2003 (wie Anm. 33), S. 159.

  • 36 Chamisso, der seinen Schlemihl eine Weltreise mit Siebenmeilenstiefeln machen lässt, tritt 1815 – 16 Jahre vor Darwin – eine reale Weltreise als Naturforscher an. Vgl. Adalbert von Chamisso, Reise um die Welt, Berlin 2012.

  • 37 Statt eines runden, schwarzen Hutes trägt Schlemihl-Chamisso eine Nordsternbundmütze.

  • 38 Vgl. Betz / Hagestedt 2003 (wie Anm. 33), S. 160. »Die erst 1927 veröffentlichte Originalzeichnung trägt die Notiz: »Peter Schlemiel [!], wie er Sonnabend, den 26. September in Cunersdorf gesehen worden ist und nach dem Leben gezeichnet von Fr. Lpd.«, ebd.

  • 39 LZ 1410 Studentenverbindung „Eugenia“Zwar war die Studentenverbindung Eugenia, den Sitzungsprotokollen nach zu urteilen, durchaus trinkfreudig, doch immer wenn »Freund Büchner« dazu kam, wurde es bald politisch. Vgl. August Stoeber u. a., Sitzungsprotokolle der Studentenverbindung Eugenia, 1831/32, in: Georg Büchner. Revolutionär mit Feder und Skalpell (s. Anm. 5), S. 161 ff.

  • 40 Der Braten verschlingende Valerio macht dem gelangweilt-lebensmüden Prinzen Leonce jedenfalls Lust auf diese elementaren Vergnügen jenseits jeder Etikette: »Das schmatzt. Der Kerl verursacht mir ganz idyllische Empfindungen; ich könnte wieder mit dem Einfachsten anfangen, ich könnte Käs essen, Bier trinken, Tabak rauchen.« (Leonce und Lena, 1836, I/3) Leonce und Lena .

  • 41 Wolfgang Amadeus Mozart, Don Giovanni [1787], Stuttgart 1988, 1. Aufzug, 5. Auftritt, S. 27–28. Das Libretto, den italienischen Originaltext nach historischen Vorbildern, schrieb Lorenzo da Ponte, der 1749 geboren wurde, Büchner um ein Jahr überlebte und im Alter von 89 Jahren starb.

  • 42 Der Narr Valerio treibt sein anspielungsreiches Spiel auch mit Chamissos Peter Schlemihl, wenn er seinen Schatten verdoppelt, statt ihn zu verlieren: »Ich werde mich wenigstens in den Schatten meines Schattens stellen.« Leonce und Lena, 1836, II/1. Leonce und Lena (wie Anm. 6), S. 204.

  • 43 Vgl. Tilman Fischer, »›Man nennt mich einen Spötter‹ – Selbstporträt in Briefen«, in: Georg Büchner. Revolutionär mit Feder und Skalpell (s. Anm. 5), S. 153 ff.

  • 44 »Fast ausgelöscht ist sein Gesicht, / Doch seiner Worte Kraft noch nicht« (J. M. R. Lenz, zitiert von Georg Büchner im Brief an Wilhelmine Jaeglé, Gießen, Mitte März 1834). Mitte März 1834. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg

  • 45 »Ich komme dem Volk und dem Mittelalter immer näher, jeden Tag wird mir’s heller . . . « (Brief an Wilhelmine Jaeglé, Zürich, 20. Januar 1837) Nach Mitte Januar 1834. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg

  • 46 Dieser Brief kommt auch ganz ohne pietistisch grundierte Liebesformeln aus, die Literaturwissenschaftler in manchen seiner früheren Briefe an Wilhelmine Jaeglé konzidieren.

  • 47 Vgl. Hubert Spiegel, »Der roter Korsar von Darmstadt. Sensationsfund mit Fragezeichen: Zeigt diese Zeichnung wirklich Georg Büchner?«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28. Mai 2013, Nr. 121, S. 25.

  • 48 Bis heute hat die Bundeswehr einen Marsch aus Zampa im Repertoire. Für diese Information danke ich Martin Apelt, Schauspieldirektor am Staatstheater Darmstadt.

  • 49 »et puis me faudra-t-il du fer à cheval pour faire de l’impression à un coeur de femme?« (Brief an Wilhelmine Jaeglé, nach Mitte März 1834) Nach Mitte März 1834. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg Seine Sentenz zeugt – im Gegensatz zum Tambourmajor im Woyzeck – von einem Männerbild jenseits von Epauletten und dem damit einhergehenden Imponiergehabe.

  • 50 Der Schlager ist – nach ersten Internetrecherchen – bislang vor 1829 nicht nachweisbar.

  • 51 Vgl. die Kritzelseite Büchners mitsamt ihrer Transkription, S. 110.

  • 52 Georg Büchner, Brief an Wilhelmine Jaeglé, Gießen, Mitte März 1834 Mitte März 1834. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg

  • 53 Damit war er seiner Zeit weit voraus – abgesehen davon, dass sich die Definitionen von Hoch- und Populärkultur immer wieder verschieben: Märchen wurden durch die Brüder Grimm zu einem Teil der Hochkultur, manches Singspiel, das heute eher der Volks- oder Populärkultur zugerechnet wird, war zu seiner Entstehungszeit in der Wahrnehmung der Zeitgenossen »Hochkultur«.

  • 54 Vgl. Paul Wright, »General Introduction«, in: Selected Poems of Lord Byron, Wordsworth Editions, Ware 2006, S. X. Für den Hinweis auf Lord Byron danke ich Florian Balke.

  • 55 Im Gegensatz zu den wenigen Indizien, mit denen sich Archäologen oder Kunsthistoriker mitunter begnügen müssen, sind hier die Indizien für ein Porträt Georg Büchners doch weit dichter gesät: Die Provenienz des Blattes aus dem Nachlass von August Hoffmann steht außer Zweifel. Der Künstler war Georg Büchner nicht nur bekannt, sondern sogar weitläufig mit ihm verwandt. Von August Hoffmann liegt bereits ein durch die Familie authentifiziertes Porträt Büchners vor, signiert mit »A. H.«, jedoch nicht datiert. Das eigenhändig vom Künstler signierte und auf 1833 datierte Zampa-Porträt kann zwischen August und Oktober sowie im Dezember dieses Jahres entstanden sein, da sowohl Büchner als auch Hoffmann zu dieser Zeit in Darmstadt waren. Auf exakte Tage im Juli 1833 datierte Ansichten Darmstadts sowie weitere Zeichnungen aus dem Nachlass belegen dies. Der Theatermaler Hoffmann arbeitete zudem ab Ende 1833 an den Dekorationen zur Fürstenhochzeit 1834, die 1835 den zeitgeschichtlichen Hintergrund für Büchners Lustspiel Leonce und Lena abgab. Die einschlägigen Porträts von Zampa-Tenören jener Zeit sind von anderer Ausprägung und Allüre. Und – last not least – kommt auch der Georg Büchner durchaus ähnliche Bruder Wilhelm kaum als Porträtierter infrage: Wilhelm war 1833 erst 17 Jahre alt und hatte als Apothekerlehrling in Zwingenberg keinen – zumindest keinen bisher bekannten – Anlass zu einem solchem Porträt, während Georg – fern von der Straßburger Verlobten, kurz vor der Erfindung der Fotografie – Gründe genug dafür hatte, zumal er selbst ein Porträt von Wilhelmine besaß.

  • 56 Die Botschaft muss also lauten: Selbst wenn am Ende bisher nicht vorliegende Belege gegen eine Darstellung Büchners sprechen sollten und die Zeichnung von August Hoffmann wider Erwarten kein Rollenporträt von Georg Büchner darstellt – entscheidend ist, dass er die Disposition dazu gehabt hätte, dass ihm dieses Spiel in dieser Form grundsätzlich zuzutrauen ist.

  • 57 Sämtliche Zitate entstammen dem Dialog von Leonce und Valerio über mögliche Beschäftigungsfelder des Prinzen. (Leonce und Lena, I/3). Leonce und Lena

  • 58 Biermann 1995 (wie Anm. 13).

  • 59 (Brief an die Eltern, Zürich, 20. November 1836) 20. November 1836. An die Eltern in Darmstadt

  • 60 (Brief an Wilhelmine Jaeglé, Zürich, 27. Januar 1837) 27 Januar 1837. An Wilhelmine Jaeglé in Straßburg

  • 61 Gymnasialdirektor Carl Dilthey wurde vom gelangweilt-gequälten Schüler Büchner in dessen Kritzelseiten zwar mit den ungehörigen Worten »O du gelehrte Bestie lambe me in podice« bedacht, LZ 1190 Carl Dilthey, Exemtionsschein Diltheys Maturitätsausweis von 1831 jedoch war von tiefer Einsicht in die Fähigkeiten von Büchner geprägt und nachgerade prophetisch in seinem Schlusssatz: »Vielmehr berechtigt uns sein bisheriges Benehmen zu der Hoffnung, dass er nicht blos durch seinen Kopf, sondern auch durch Herz und Gesinnung das Gute zu fördern, sich angelegentlichst bestreben werde.« Am Ende war nur seine Konstitution zu schwach für all dies.

  • 62 Büchners Leben und Werk erscheinen im Rückblick gleichsam als kommunizierende Röhren. Dies gilt auch für seine extrem unterschiedlichen Tätigkeitsfelder – von der exakten Naturwissenschaft bis zur exaltierten Lustspieldichtung. All seine Aktivitäten befruchten sich gegenseitig. Die Methoden und Arbeitsweisen sind je unterschiedlich, doch die Inhalte wandern – unaufhörlich.

 

****