Woyzeck. Die Handschriften
Woyzeck Handschrift 1
[H1,1]
Buden. Volk.
Marktschreier vor einer Bude.
[Marktschreier.] Meine Herren! Meine Herren! Sehn sie die Kreatur, wie sie Gott gemacht, nix, gar nix. Sehen Sie jezt die Kunst, geht aufrecht hat Rock und Hosen, hat ein Säbel! Ho! Mach Kompliment! So bist baron. Gieb Kuß! (er trompetet) Michel ist musikalisch. Meine Herren hier ist zu sehen das astronomische Pferd und die kleinen Kanaillevögele. Ist favori von alle gekrönte Häupter. Die rapräsentation anfangen! Man mackt Anfang von Anfang. Es wird sogleich seyn das commencement von commencement.
Soldat. Willst du?
Margreth. Meinetwegen. Das muß schön Dings seyn. Was der Mensch Quasten hat und die Frau hat Hosen.
[H1,2]
Das Innere der Bude.
Marktschreier. Zeig’ dein Talent! zeig deine viehische Vernünftigkeit! Beschäme die menschliche Societät! Meine Herren dieß Thier, wie sie da sehn, Schwanz am Leib, auf seinen 4 Hufen ist Mitglied von allen gelehrten Societäten, ist Professor an mehren Universitäten wo die Studenten bey ihm reiten und schlagen lernen. Das war einfacher Verstand! Denk jezt mit der doppelten raison. Was machst du wann du mit der doppelten Räson denkst? Ist unter der gelehrten société da ein Esel? (der Gaul schüttelt den Kopf) Sehn sie jezt die doppelte Räson! Das ist Viehsionomik. Ja das ist kein viehdummes Individuum, das ist eine Person! Ein Mensch, ein thierischer Mensch und doch ein Vieh, eine bête, (das Pferd führt sich ungebührlich auf) So beschäme die société! Sehn sie das Vieh ist noch Natur unverdorbne Natur! Lernen Sie bey ihm. Fragen sie den Arzt es ist höchst schädlich! Das hat geheißen Mensch sey natürlich, du bist geschaffen Staub, Sand, Dreck[.] Willst du mehr seyn, als Staub, Sand, Dreck? Sehn sie was Vernunft, es kann rechnen und kann doch nit an den Fingern herzählen, warum? Kann sich nur nit ausdrücken, nur nit expliciren, ist ein verwandter Mensch! Sag den Herren, wieviel Uhr es ist, Wer von den Herren und Damen hat eine Uhr, eine Uhr.
Unterofficier. Eine Uhr! (zieht großartig und gemessen eine Uhr aus der Tasche) Da mein Herr. (Das ist ein Weibsbild guckt sieben Paar lederne Hosen durch[)]
Margreth. Das muß ich sehn (sie klettert auf den 1. Platz. Unterofficier hilft ihr)
Unterofficier.
[Ein Viertel der Seite unbeschrieben]
[H1,3]
Margreth (allein). Der andre hat ihm befohlen und er hat gehn müssen, Ha! Ein Mann vor einem Andern.
[H1,4]
Der Casernenhof.
Andres. Louis.
Andres (singt).
Frau Wirthin hat n’e brave Magd
Sie sitzt im Garten Tag und Nacht
Sie sitzt in ihrem Garten
Biß daß das Glöcklein zwölfe schlägt
Und paßt auf die Soldaten.
Louis. Ha Andres, ich hab keine Ruh!
Andres. Narr!
Louis. Was meinst du? So red doch
Andres. Nu?
Louis. Was glaubst du wohl, daß ich hin bin?
Andres. Weils schön Wetter ist und sie heut tanzen.
Louis. Ich muß fort, muß sehen!
Andres. Was willst du?
Louis. Hinaus!
Andres. Du Unfriede, wegen des Menschs
Louis. Ich muß fort.
[H1,5]
Wirthshaus.
Die Fenster sind offen. Man tanzt. Auf der Bank vor dem Haus.
Louis (lauscht am Fenster). Er – Sie! Teufel! (er setzt sich zitternd nieder)
(Er geht wieder an’s Fenster) Wie das geht! Ja wälzt Euch übernander! Und Sie: immer, zu – immer zu.
Der Narr. Puh! Das riecht.
Louis. Ja das riecht! Sie hat rothe, rothe Backen und warum riecht sie schon? Kerl, was witterst du so?
Der Narr. Ich riech, ich riech Blut.
Louis. Blut? Warum wird es mir so roth vor den Augen! Es ist mir als wälzten sie sich in einem Meer von Blut, all miteinander! Ha rothes Meer.
[H1,6]
Freies Feld.
Louis. Immer! zu! – Immer zu! – Hisch! hasch, so ziehn die Geigen und die Pfeifen. – Immer zu! immer zu! Was spricht da? da unten aus dem Boden hervor, ganz leise was, was (er bückt sich nieder) Stich, Stich, Stich die Woyzecke todt, Stich, stich die Woyzecke todt. Was das zischt und wimmert und donnert.
[H1,7]
Ein Zimmer.
Louis und Andres.
Andres. He!
Louis. Andres!
Andres (murmelt im Sch[l]af[)].
Louis. He Andres!
Andres. Na, was is?
Louis. Ich hab keine Ruh, ich hör’s immer, wies geigt und springt, immer zu! immer zu! Und dann wann ich die Augen zumach, da blitzt es mir immer, es ist ein großes breit[es] Messer und das liegt auf einem Tisch am Fenster und ist in einer dunkeln Gaß und ein alter Mann sitzt dahinter. Und das Messer ist mir immer zwischen den Augen.
Andres. Schlaf Narr!
[H1,8]
Kasernenhof.
Louis. Hast nix gehört.
Andres. Er ist da vorbey mit einem Kameraden.
Louis. Er hat was gesagt.
Andres. Woher weißt du? Was soll ichs sagen. Nu, er lachte und dann sagte er ein köstlich Weibsbild! die hat Schenkel und Alles so fest!
Louis (ganz kalt). So hat er das gesagt?
Von was hat mir doch heut Nacht geträumt? War’s nicht von einem Messer? Was man doch närrische Träume hat.
Andres. Wohin Kamerad?
Louis. Meinem Officier Wein holen. – Aber Andres, sie war doch ein einzig Mädel.
Andres. Wer war?
Louis. Nix. Adies.
[H1,9]
Der Officier. Louis.
Louis (allein). Was hat er gesagt? So? – Ja es ist noch nicht aller Tag Abend.
[H1,10]
Ein Wirthshaus.
Barbier. Unterofficier.
Barbier.
Ach Tochter, liebe Tochter
Was hast du gedenkt,
Daß du dich an die Landkutscher
die Fuhrleut hast gehängt. –
Was kann der liebe Gott nicht. was? Das Geschehene ungeschehn machen. Hä hä hä! – Aber es ist einmal so, und es ist gut, daß es so ist. Aber besser ist besser.
(singt)
Brantewein das ist mein Leben
Brantwein giebt Courage
Und ein ordentlicher Mensch hat sein Leben lieb, und ein Mensch, der sein Leben lieb hat, hat keine Courage, ein tugendhafter Mensch hat keine Courage! Wer Courage hat ist ein Hundsfott
Unterofficier (mit Würde). Sie vergessen sich, in Gegenwart eines Tapfern,
Barbier. Ich spreche ohne Beziehungen, ich spreche nicht mit Rücksichten, wie die Franzosen sprechen, un[d] es war schön von Euch. – Aber wer Courage hat ist ein Hundsfott!
Unterofficier. Teufel! du zerbrochne Bartschüssel, du abgestandne Seifbrüh du sollst mir deinen Urin trinken, du sollst mir dein Rasirmesser verschlucken!
Barbier. Herr Er thut sich Unrecht, hab ich ihn denn gemeint, hab ich gesagt er hätt Courage? Herr laß er mich in Ruh! Ich bin die Wissenschaft. Ich bekomme für meine Wissenschaftlichkeit alle Woche einen halben Gulden. schlag Er mich nicht grad oder ich muß verhungern. Ich bin ein spinosa pericyclyda; ich hab einen lateinischen Rücken. Ich bin ein lebendiges Skelett, die ganze Menschheit studirt an mir –. Was ist der Mensch? Knochen! Staub, Sand, Dreck. Was ist die Natur? Staub, Sand, Dreck. Aber die dummen Menschen, die dummen Menschen. Wir müssen Freunde seyn. Wenn Ich keine Courage hätte gäb es keine Wissenschaft, keine Natur, keine amputation, exarticulation[.] Was ist das, mein Arm, Fleisch, Knochen, Adern? Was ist das Dreck? Worin steckt’s, im Dreck? Laß ich den Arm so abschneiden, nein, der Mensch ist egoistisch, aber haut, schießt sticht hinein, so, jezt. Wir müssen Freunde [seyn], ich bin gerührt. Seht ich wollte unsre Nasen wären zwei Bouteillen und wir könnten sie uns einander in die Häls gießen.
Ach was die Welt schön ist! Freund! mein Freund! Die Welt! (gerührt) seht einmal die Sonne kommt zwischen den Wolken hervor, als würd’ e potchambre ausgeschütt.
(er weint.)
[H1,11]
Das Wirthshaus.
(Louis sitzt vor dem Wirthshaus) Leute gehn hinaus.
Andres. Was machst du da?
Louis. Wieviel Uhr ist’s.
Andres. –––––
Louis. So noch nicht mehr? Ich mein es müßte schneller gehn und Ich wollt es wär übermorgen Abend
Andres. Warum?
Louis. Dann wär’s vorbey.
Andres. Was?
Louis. Geh deiner Wege.
[Andres.] Was sitzt du da vor der Thür
Louis. Ich sitze gut da, und ich weiß – aber es sitzen manche Leut vor die Thür und sie wissen es nicht; Es wird mancher mit den Füßen voran zur Thür n’aus getragen.
[Andres.] Komm mit!
[Louis.] Ich sitz gut so und läg noch besser gut so. Je kürzer je besser und je länger um so besser.
–––––
[Louis.] Wenn alle Leut wüssten wieviel Uhr es ist, sie würden sich ausziehn, und ein saubres Hemd anthun und sich die Hobelspän schütteln lassen.
[Andres.] Er ist besoffen.
Louis. Was liegt dann da üben[?] Es glän[z]t so. Es zieht mir immer so zwischen den Augen herum. Wie es glitzert. Ich muß das Ding haben.
[H1,12]
Freies Feld.
Louis (er legt das Messer in eine Höhle). Du sollst nicht tödten. Lieg da! Fort! (er entfernt sich eilig[)]
[H1,13]
Nacht. Mondschein.
Andres und Louis in einem Bett!
Louis (leise). Andres!
Andres (träumend). Da! halt! – Ja
Louis. He Andres.
Andres. Wie?
Louis. Ich hab keine Ruhe! Andres
Andres. Drückt dich der Alp?
Louis. Draußen liegt was. Im Boden. Sie deuten immer drauf hin und hörst du jezt, und jezt, wie sie in den Wänden klopfen eben hat einer zum Fenster hereingeguckt[.] Hörst du’s nicht, ich hör’s den ganzen Tag. Immer zu. Stich, stich die W[oyzecke todt!]
Andres. Leg dich Louis du mußt ins Lazareth. Du mußt Schnaps trinken und Pulver drin, das schneidt das Fieber.
[H1,14]
Margreth mit Mädchen vor der Hausthür.
Mädchen.
Wie scheint die Sonn St. Lichtmeßtag
Und steht das Korn im Blühn.
Sie gingen wohl die Straße hin
Sie gingen zu zwei und zwein
Die Pfeifer gingen vorn
Die Geiger hinter drein.
Sie hatten rothe S+k
1. Kind. S’ist nit schön.
2. [Kind.] Was willst du auch immer.
[Kind.] Was hast zuerst angefangen
[Kind.] Ich kann nit.
[Kind.] Warum?
[Kind.] Darum?
[Kind.] Aber warum darum?
[Kind.] Es muß singen.
[Kind.] Margrethchen sing du uns.
Margreth. Kommt ihr kleine Krabben!
Ringle, ringel Rosenkranz. König Herodes.
Großmutter erzähl.
Großmutter. Es war einmal ein arm Kind und hat kein Vater und keine Mutter war Alles todt und war Niemand mehr auf der Welt. Alles todt, und es ist hingangen und hat gerrt Tag und Nacht. Und wie auf die Erd Niemand mehr war, wollt’s in Himmel gehn, und der Mond guckt es so freundlich an und wie’s endlich zum Mond kam, war’s ein Stück faul Holz und da ist es zur Sonn gangen und wie’s zur Sonn kam war’s eine verwelkte Sonnenblume und wie’s zu den Sternen kam, warens kleine goldne Mücken die waren angesteckt wie der Neuntödter sie auf die Schlehen steckt und wies wieder auf die Erd wol[l]t, war die Erd ein umgestürzter Hafen und war ganz allein und da hat sich s hingesetzt und gerrt und da sitzt es noch und ist ganz allein
Louis. Margreth!
Margreth (erschreckt[:] Was ist).
Louis. Margreth wir wollen gehn s’ist Zeit,
Margreth. Wohinaus
Louis. Weiß ich’s?
[H1,15]
Margreth und Louis.
Margreth. Also dort hinaus ist die Sta[dt] s’ist [f]inster.
Louis. Du sollst noch bleiben. Komm setz dich.
Margreth. Aber ich muß fort.
Louis. Du würdest dir die Füße nicht wund lau[fen]
Margreth. Wie bist du denn auch?
Louis. Weißt du auch wie lang es jezt ist Margreth
Margreth. Um Pfingsten 2 Jahr
Louis. Weißt du auch wie lang es noch seyn wird?
Margreth. Ich muß fort der Nacht[t]hau fällt.
Louis. Frierts’ dich Margreth, und doch bist du warm[.] Was du heiße Lippen hast! (heiß, heißer Hurenathem und doch möcht’ ich de[n] Himmel geben sie noch einmal zu küssen)
Sterben und wenn man kalt ist, so friert man nicht mehr.
Du wirst vom Morgenthau nicht frieren.
Margreth. Was sagst du?
Louis. Nix. (schweigen)
Margreth. Was der Mond roth auf geht.
Louis. Wie ein blutig Eisen.
Margreth. Was hast du vor? Louis, du bist so blaß. Louis halt. Um des Himmels w[illen], He Hülfe
Louis. Nimm das und das! Kannst du nicht sterben. So! so! Ha sie zuckt noch, noch nicht noch nicht? Immer noch? (stößt zu)
Bist du todt? Todt! Todt! (es kommen Leute[,] läuft weg)
[H1,16]
Es kommen Leute.
1. P[erson]. Halt!
2. P[erson]. Hörst du? Still! Dort
1. [Person.] Uu! Da! Was ein Ton.
2. [Person.] Es ist das Wasser, es ruft, schon lang ist Niemand ertrunken. Fort s’ist nicht gut, es zu hören.
1. [Person.] Und jezt wieder. Wie ein Mensch der stirbt.
2. [Person.] Es ist unheimlich, so duftig – halb Nebel, grau und das Summen der Käfer wie gesprungne Glocken[.] Fort!
1. [Person.] Nein, zu deutlich, zu laut. Da hinauf. Komm mit.
[H1,17]
Das Wirthshaus.
Louis. Tanzt alle, immer zu, schwizt und stinkt, er holt Euch doch einmal Alle.
[(]singt[)]
Frau Wirthin hat ’ne brave Magd
Sie sitzt im Garten Tag und Nacht
Sie sitzt in ihrem Garten
Bis daß das Glöcklein zwölfe schlägt
Und paßt auf die Soldaten.
(er tanzt) So Käthe! setz dich! Ich hab heiß! heiß (er zieht den Rock aus) es ist einmal so, der Teufel holt die eine und läßt die andre laufen.
Käthe du bist heiß! Warum denn Käthe du wirst auch noch kalt werden. Sey vernünftig. Kannst du nicht singen?
[Käthe.]
Ins Schwabeland das mag ich nicht
Und lange Kleider trag ich nicht
Denn lange Kleider spitze Schuh,
Die kommen keiner Dienstmagd zu.
[Louis.] Nein, keine Schuh, man kann auch ohne Schuh in die Höll gehn.
[Käthe.]
O pfui mein Schatz das war nicht fein.
Behalt dein Thaler und schlaf allein.
[Louis.] Ja wahrhaftig, ich möchte mich nicht blutig machen.
Käthe. Aber was hast du an deiner Hand.
Louis. Ich? Ich?
Käthe. Roth, Blut (es stellen sich Leute um sie)
Louis. Blut? Blut?
Wirth. Uu Blut.
Louis. Ich glaub ich hab’ mich geschnitten, da an die rechte Hand.
Wirth. Wie kommt’s aber an den Ellenbogen?
Louis. Ich hab’s abgewischt.
Wirth. Was mit der rechten Hand an den rechten Ellbogen. Ihr seyd geschickt
Narr. Und da hat der Riese gesagt: ich riech, ich riech, ich riech Menschenfleisch. Puh. Der stinkt schon
Louis. Teufel, was wollt Ihr? Was geht’s Euch an? Platz! oder der erste [–] Teufel. Meint Ihr ich hätt Jemand umgebracht? Bin ich Mörder? Was gafft Ihr! Guckt Euch selbst an. Platz da (er läuft hinaus.)
[H1,18]
Kinder.
1. Kind. Fort. Margrethe!
2. Kind. Was is.
1. Kind. Weist du’s nit? Sie sind schon alle hinaus. Draußen liegt eine[.]
2. Kind. Wo?
1.) [Kind.] Links über die Lochschneis in die Wäldchen, am rothen Kreuz.
2.) [Kind.] Fort, daß wir noch was sehen. Sie tragen [sie] sonst hinein.
[H1,19]
Louis, allein.
Das Messer? Wo ist das Messer? Ich hab’ es da gelassen. Es verräth mich! Näher, noch näher! Was ist das für ein Platz? Was hör ich? Es rührt sich was. Still. Da in der Nähe. Margreth? Ha Margreth! Still. Alles still! (Was bist du so bleich, Margreth? Was hast du eine rothe Schnur um den Hals? Bey wem hast du das Halsband verdient, mit deiner Sünde? Du warst schwarz davon, schwarz! Hab ich dich jezt gebleicht. Was hängen deine schwarzen Haare, so wild? Hast du deine Zöpfe heut nicht geflochten?) Da liegt was! kalt, naß, stille. Weg von dem Platz, das Messer, das Messer hab ich’s? So! Leute – Dort. (er läuft weg)
[H1,20]
Louis an einem Teich.
So da hinunter! (er wirft das Messer hinein) Es taucht in das dunkle Wasser, wie Stein! Der Mond ist wie ein blutig Eisen! Will denn die ganze Welt es ausplaudern? Nein es liegt zu weit vorn, wenn sie sich baden (er geht in den Teich und wirft weit) so jezt[,] aber im Sommer, wenn sie tauchen nach Muscheln, bah es wird rostig. Wer kann’s erkennen[?] hätt’ ich es zerbrochen. Bin ich noch blutig? ich muß mich waschen[.] Da ein Fleck und da noch einer.
[H1,21]
Gerichtsdiener. Barbier. Arzt. Richter.
Pol[izeydiener]. Ein guter Mord, ein ächter Mord, ein schöner Mord, so schön als man ihn nur verlangen thun kann[,] wir haben schon lange so keinen gehabt. ––
(Barbier, dogmatischer Atheist. Lang, hager, feig, possirlich, Wissenschaftler[)]
Woyzeck Handschrift 2
[H2,1]
Freies Feld. Die Stadt in der Ferne.
Woyzeck. Andres.
Andres und Woyzeck schneiden Stöcke im Gebüsch.
Andres (pfeift und singt).
Da ist die schöne Jägerei.
Schießen steht Jedem frei
Da möcht’ ich Jäger seyn
Da möcht ich hin.
Läuft dort e Has vorbey
Frägt mich ob ich Jäger sey
Jäger bin ich auch schon gewesen,
Schießen kann ich aber nit.
Woyzeck. Ja Andres, das ist er der Platz ist verflucht. Siehst du den leichten Streif, da über das Gras hin, wo die Schwämme so nachwachsen da rollt Abends der Kopf, es h[o]b ihn einmal einer auf, er meint es sey ein Igel, 3 Tage und 2 Nächte nur das Zeichen, und er war todt. (Leise) Das waren die Freimaurer, ich hab’ es haus.
Andres. Es wird finster, fast macht Ihr einem Angst. (er singt)
Woyzeck (Faßt ihn an). Hörst du’s Andres? Hörst du’s es geht! neben uns, unter uns, Fort, die Erde schwankt unter unsern Sohlen. Die Freimaurer! Wie sie wühlen!
(Er reißt ihn mit sich)
Andres. Laßt mich! Seyd Ihr toll! Teufel.
Woyzeck. [B]ist du ein Maulwurf, sind deine Ohren voller Staub? Hörst du das fürchterliche Getös am Himmel, Ueber der Stadt, Alles Gluth! Sieh nicht hinter dich. Wie es herauffliegt, und Alles daunter
Andres. Du machst mir Angst.
Woyzeck. Sieh nicht hinter dich! (Sie verstecken sich im Gebüsch)
Andres. Woyzeck ich hör nichts mehr.
Woyzeck. Still, ganz still, wie der Tod.
Andres. Sie trommeln drin. Wir müssen fort.
[Etwa drei Zeilen unbeschrieben]
[H2,2]
Die Stadt.
Louise. Margreth (am Fenster). Der Zapfenstreich geht vorbey.
Tambourmajor, voraus.
Louise. He! Bub! Sa! ra
Margreth. Ein schöner Mann!
Louise. Wie e Baum.
(Tambourmajor grüßt.)
Margreth. Ey was freundliche Auge, Frau Nachbar, so was is man nit an ihr gewöhnt.
Louise.
Soldaten, das sind schmucke Bursch
[Ein bis zwei Zeilen unbeschrieben]
Margreth. Ihr Auge glänze ja noch!
Louise. Was geht sies an! Trag sie ihr Auge zum Jud und laß sie sich putze, vielleicht glänze sie auch noch, daß man sie als 2 Knöpf verkaufe könnt.
Margreth. Sie! Sie! Frau Jungfer, ich bin e honette Person, aber Sie, es weiß jeder sie guckt siebe Paar lederne Hose durch.
Louise. Luder (schlägt das Fenster zu)
Komm mei Bu, soll ich dir singen[?] Was die Leut wollen! Bist du auch nur’n Hurenkind und machst deiner Mutter Freud mit deim unehrliche Gesicht.
Hansel spann deine sechs Schimmel an
Gieb ihn zu fresse auf’s neu
Kein Haber fresse sie,
Kein Wasser saufe sie
Lauter kühle Wein muß es seyn, Juchhe.
Lauter kühle Wein muß es seyn.
Mädel, was fangst du jetzt an
Hast ein klein’ Kind und kein Mann?
Ey was frag ich danach
Sing ich den ganzen Tag
Heyo popeo mei Bu, juchhe.
Giebt mir kein Mensch nix dazu.
(es klopft am Fenster) Bist du’s Franz? Komm herein.
Woyzeck. Ich kann nit. Muß zum Verles.
Louise. Hast du Stecken geschnitten für den Major.
Woyzeck. Ja Louisel.
Louise. Was hast du Franz, du siehst so verstört?
Woyzeck. pst! still! Ich hab’s aus! Die Freimaurer! Es war ein fürchterliches Getös am Himmel und Alles in Gluth! Ich bin viel auf der Spur! sehr viel!
Louise. Narr!
Woyzeck. Meinst? Sieh um dich! Alles starr fest, finster, was regt sich dahinter. Etwas, was wir nicht fassen begreifen still, was uns von Sinnen bringt, aber ich hab’s aus. Ich muß fort!
Louise. Dein Kind?
Woyzeck. Ah. Junge! Heut Abend auf die Messe. Ich hab wieder was gespart (ab)
Louise. Der Mann schnappt noch über, er hat mir Angst gemacht. Wie unheimlich, ich mag, wenn es finster wird gar nicht bleiben, ich glaub’ ich bin blind, er steckt einen an. Sonst scheint doch als die Latern herein. Ach wir armen Leute. (sie singt:[)]
und macht die Wiege knickknack
Schlaf wohl mein lieber Dicksack.
(Sie geht ab.)
[H2,3]
Oeffentlicher Platz. Buden. Lichter.
Alter Mann. Kind das tanzt:
Auf der Welt ist kein Bestand
Wir müssen alle sterben, das ist uns wohlbekannt!
[Franz.] He! Hopsa! Armer Mann, alter Mann! Armes Kind! Junges Kind! ++z+ und ++st! Hey Louisel, soll ich dich tragen? Ein Mensch muß noch d. +++ vo+ +ß ++d+, damit er essen kann. ++++ Welt! Schöne Welt!
Ausrufer. An einer Bude: Meine Herren, meine Damen, ist zu sehn das astronomische Pferd und die feinen Kanaillevögele, sind Liebling von allen Potentaten Europas und Mitglied von allen gelehrten Societäten; weissagen den Leuten Alles, wie alt, wie viel Kinder, was für Krankheit, schießt Pistol los, stellt sich auf ein Bein. Alles Erziehung, haben eine viehische Vernunft, oder vielmehr eine ganze vernünftige Viehigkeit, ist kein viehdummes Individuum wie viele Personen, das verehrliche Publikum abgerechnet. Es wird sein, die rapresentation, das commencement vom commencement wird sogleich nehm sein Anfang.
Sehn Sie die Fortschritte der Civilisation. Alles schreitet fort, ein Pferd, ein Aff, ein Canaillevogel. Der Aff’ ist schon ein Soldat, s’ist noch nit viel, unterst Stuf von menschliche Geschlecht!
Narr. Grotesk! Sehr grote[sk]
L++. Sind Sie auch ein Atheist! ich bin ein dogmatischer Atheist
++. Ist’s grote[sk]? Ich bin ein Freund vom grotesken. Sehn sie dort? was ein grotesker Effect.
L++. Ich bin ein dogmatischer Atheist.
Grote[sk].
[H2,4]
Handwerksbursche[n].
[Handwerksbursch.] Bruder! Vergißmeinnicht! Freundschaft – Ich könnt ein Regenfaß voll greinen. Wehmuth! wenn ich noch eine hätt! Es stockt mir, es reißt mir. Warum ist dieße Welt so schön? Wenn ich’s eine Aug zu mach und über meine Nas hinguck, so is Alles rosenroth. Brandewein, da ist mein Leben,
Ein Andrer. Er sieht Alles rosenroth, wann ein Kreuz über seine Nas guckt.
+ Bur[sch]. S’is keine Ordnung! Was hat der Laternenputzer vergessen mir die Augen zu fegen, s’is Alles finster. Hol der Teufel den lieben Herrgott! Ich lieg mir selbst im Weg und muß über mich springen. Wo is mein Schatten hingekommen. Keine Sicherheit mehr im Sta[a]t. Leucht mir einmal einer mit dem Mond zwischen die Beine ob ich meinen Schatten noch hab.
Fraßen ab das grüne, grüne Gras
Fraßen ab das grüne, grüne Gras
Bis auf den Ra – a – sen.
Sternschnuppe, ich muß den Sternen die Nas schneuzen.
Daß ich mit meinem Gesellen, die Handthierung, ist das recht, Schwein, eine Th++++eit, Thierischheit, V+higkeit eines sündigen Mannes ++++++s und empfiehlt sich mit mehr unerzeugten Kindern.
Mach kein Loch in die Natur.
Warum hat Gott die Menschen geschaffen? Das hat auch seinen Nutzen, was würde der Landmann, der Schuhmacher der Schneider anfangen, wenn er für die Menschen keine Schuhe, keine Hosen machte, warum hat Gott den Menschen das Gefühl der Schamhaftigkeit eingeflößt, damit der Schneider leben kann. Ja! Ja! Also! darum! auf daß! damit! oder aber, wenn er es nicht gethan hätte, aber darin sehen wir seine Weisheit, daß er die viehgische Schöpfung der menschlichen b++foh+en hätte, weil die Menschlichkeit sonst das Viehische aufgefressen hätte. Dießer Säugling, dießes schwache, hülflose Geschöpf, jener Säugling, – Laßt uns jezt über das Kreuz pissen, damit ein Jud stirbt[.] Brandewein das ist mein Leben, Brandwein, giebt Courage.
[H2,5]
Unterofficier. Tambourmajor.
[Unterofficier.] Halt, jezt. Siehst du sie! Was ein Weibsbild.
Tambourmajor. Teufel zum Fortpflanzen von Kürassierregimentern und zur Zucht von Tambourmajors.
Unterofficier. Wie sie den Kopf trägt, man meint das schwarze Haar müsse ihn abwärts ziehn, wie ein Gewicht, und Augen, schw[arz]
Tambourmajor. Als ob man in einen Ziehbrunnen oder zu einem Schornstein hinunter guckt. Fort hinter drein.
Louisle. Was Lichter,
Franz. Ja die Bou++, eine große schwarze Katze mit feurigen Augen. Hey, was ein Abend.
[H2,6]
Woyzeck. Doctor.
Doctor. Was erleb’ ich. Woyzeck? Ein Mann von Wort? Er! er! er?
Woyzeck. Was denn Herr Doctor.
Doctor. Ich es gesehn hab! er auf die Straß gepißt hat, wie ein Hund. Geb’ ich ihm dafür alle Tag 3 Groschen und Kost? Die Welt wird schlecht sehr schlecht, schlecht, sag’ ich, O! Woyzeck das ist schlecht.
Woyzeck. Aber Herr Doctor wenn man nit anders kann?
Doctor. Nit anders kann, nit anders kann. Aberglaube, abscheulicher Aberglaube, hab’ ich nit nachgewiesen, daß der musculus constrictor vesicae dem Willen unterworfen ist, Woyzeck der Mensch ist frei, im Menschen verklärt sich die Individualität zur Freiheit – seinen Harn nicht halten können! Es ist Betrug Woyzeck. Hat er schon seine Erbsen gegessen, nichts als Erbsen, nichts als Hülsenfrüchte, cruciferae, merk’ er sich’s.
Die nächste Woche fangen wir dann mit Hammelfleisch an. Muß er nicht auf’s secret? Mach er. Ich sag’s ihm. Es giebt eine Revolution in der Wissenschaft. Eine Revolution! Nach gestrigem Buche, 0,10 Harnstoff, salzsaures Ammonium, R+sdi+.
Aber ich hab’s gesehen, daß er an die Wand pißte, ich streckte grad meinen Kopf hinaus, zwischen meiner Valnessia und Myand+++. Hat er mir Frösch gefangen? Hat er Laich? Keinen Süßwasserpolypen, keine Hydra, Veretillen, Cristatellen? Stoß er mir nicht an’s Mikroskop, ich hab eben den linken Backzahn von einem Infusionsthier darunter. Ich sprenge sie in die Luft, alle miteinander. Woyzeck, keine Spinneneier, keine Kröten? Aber an die Wand gepißt! Ich hab’s gesehen, (tritt auf ihn los) Nein Woyzeck, ich ärger mich nicht, ärgern ist ungesund, ist unwissenschaftlich. Ich bin ruhig, ganz ruhig und ich sag’s ihm mit der grösten Kaltblütigkeit. Behüte wer wird sich über einen Menschen ärgern! einen Menschen, Wenn es noch ein Proteus wäre, der einem krepirt! Aber er hätte doch nicht an die Wand pissen sollen.
Woyzeck. Ja die Natur, Herr Doctor wenn die Natur aus ist.
Doctor. Was ist das wenn die Natur ist?
Woyzeck. Wenn die Natur aus ist, das ist, wenn die Natur ist?
Wenn die Welt so finster wird, daß man mit den Händen an ihr herumtappen muß, daß man meint sie verrinnt wie Spinnweb’[.] Das ist, so wenn etwas ist und doch nicht ist, Wenn alles dunkel ist und nur noch ein rother Schein im Westen, wie von einer Esse.
Wenn (schreitet im Zimmer auf und ab)
Doctor. Kerl er tastet mit seinen Füßen herum, wie mit Spinnenfüßen.
Woyzeck (steht ganz grad). Haben Sie schon die Ringe von den Schwämmen auf dem Boden gesehn, lange Linien, dann Kreise, Figuren, da steckt’s! da! Wer das lesen könnte.
Wenn die Sonn im hellen Mittage steht und es ist als müsse die Welt auflodern, Hören sie nichts? wenn, wie ++, wenn als die Welt spricht, sehen sie die langen Linien, und das ist als ob es einem mit fürchterlicher Stimme anredete.
Doctor. Woyzeck! er kommt ins Narrenhaus, er hat eine schöne fixe Idee, eine köstliche alienatio mentis, seh’ er mich an, was soll er thun, Erbsen essen, dann Hammelfleisch essen, sein Gewehr putzen, das weiß er Alles und da zwischen die fixen Ideen, die V+++g+g, das ist brav Woyzeck, er bekommt ein Groschen Zulage die Woche, meine Theorie, meine neue Theorie, kühn, ewig jugendlich. Woyzeck, ich werde unsterblich. Zeig’ er seinen Puls! ich mu[ß] ihm morgens und Abends den Puls fühlen.
[H2,7]
Straße.
Hauptmann. Doctor.
[(]Hauptmann keucht die Straße herunter, hält an, keucht, sieht sich um)
Hauptmann. Wohin so eilig geehrtester Herr Sargnagel?
Doctor. Wohin so langsam geehrtester Herr Exercirzagel.
Hauptmann. Nehmen Sie Sich Zeit wer[th]ester Grabstein.
Doctor. Ich stehle meine Zeit nicht, wie sie werthester
Hauptmann. Laufen Sie nicht so Herr Doctor ein guter Mensch geht nicht so schnell[.] Hähähä, ein guter Mensch (schnauft) ein guter Mensch, sie hetzen sich ja hinter dem Tod drein, sie machen mir ganz Angst.
Doctor. Pressirt, Herr Hauptmann, pressirt,
Hauptmann. Herr Sargnagel, sie schleifen sich ja so ihre kleinen Beine ganz auf dem Pflaster ab, Reiten Sie doch nicht auf ihrem Stock in die Luft.
Doctor. Sie ist in 4 Wochen todt, ein cancer aquaticus, im siebenten Monat, ich hab’ schon 20 solche Patienten gehabt, in 4 Wochen richt sie sich danach
Hauptmann. Herr Doctor, erschrecken sie mich nicht, es sind schon Leute am Schreck gestorben, am puren hellen Schreck,
Doctor. In 4 Wochen, dummes Thier, sie giebt ein interessantes Präparat. Ich sag ihr, 4
Hauptmann. Daß dich das Wetter, ich halt sie beym Flügel ich lasse sie nicht[.]
Teufel, 4 Wochen? Doctor, Sargnagel, Todtenhemd, ich so lang ich da bin 4 Wochen, und die Leute Citronen in den Händen, aber sie werden sagen, er war ein guter Mensch, ein guter Mensch.
Doctor. Ey guten Morgen Herr Hauptmann (den Hut und Stock schwingend) Kikerikei! Freut mich! Freut mich! (hält ihm den Hut [hi]n) was ist das Herr Hauptmann, das ist Hohlkopf? Hä?
Hauptmann (macht eine Falte). Was ist das Herr Doctor, das ist eine Einfalt! Hähähä! Aber nichts für ungut. Ich bin ein guter Mensch – aber ich kann auch wenn ich will Herr Doctor, hähäh, wenn ich will. Ha Woyzeck, was hetzt er sich so an mir vorbey. Bleib er doch Woyzeck. er läuft ja wie ein offnes Rasirmesser durch die Welt, man schneidt sich an ihm, er läuft als hätt er ein Regiment Kosacken zu rasiren und würde gehenkt über dem letzten Haar nach einer Viertelstunde – aber, über die langen Bärte, was wollt ich doch sagen? Woyzeck – die langen Bärte
Doctor. Ein langer Bart unter dem Kinn, schon Plinius spricht davon, man muß es den Soldaten abgewöhnen, die, die,
Hauptmann (fährt fort). Hä? über die langen Bärte? Wie is Woyzeck hat er noch nicht ein Haar aus einem Bart in seiner Schüssel gefunden? He er versteht mich doch, ein Haar von einem Menschen vom Bart eines Sapeur, eines Unterofficier, eines – eines Tambourmajor? He Woyzeck? Aber Er hat eine brave Frau. Geht ihm nicht wie andern.
Woyzeck. Ja wohl! Was wollen Sie sagen Herr Hauptmann?
Hauptmann. Was der Kerl ein Gesicht macht! er steckt ++++++st++ct, in den Himmel nein, muß nun auch nicht in der Suppe, aber wenn er sich eilt und um die Eck geht, so kann er vielleicht noch auf Paar Lippen eins finden, ein Paar Lippen, Woyzeck, ich habe wieder die Liebe gefühlt, Woyzeck.
Kerl er ist ja kreideweiß.
Woyzeck. Herr Hauptmann, ich bin ein armer Teufel, – und hab sonst nichts –auf der Welt Herr Hauptmann, wenn Sie Spaß machen –
Hauptmann. Spaß ich, daß dich Spaß, Kerl!
Doctor. Den Puls Woyzeck, den Pul[s], klein, hart hüpfend, ungleich.
Woyzeck. Herr Hauptmann, die Erd ist höllenheiß, mir eiskalt, eiskalt, die Hölle ist kalt, wollen wir wetten.
Unmöglich. Mensch! Mensch! unmöglich.
Hauptmann. Kerl, will er erschossen, will ein Paar Kugeln vor den Kopf haben[?] er ersticht mich mit seinen Augen, und ich mein es gut [mit] ihm, weil er ein guter Mensch ist Woyzeck, ein guter Mensch.
Doctor. Gesichtsmuskeln starr, gespannt, zuweilen hüpfend, Haltung aufgerichtet gespannt.
Woyzeck. Ich geh! Es ist viel möglich. Der Mensch! es ist viel möglich.
Wir haben schön Wetter Herr Hauptmann[.] Sehn sie so ein schönen, festen grauen Himmel, man könnte Lust bekommen, einen Kloben hineinzuschlagen und sich daran zu hängen, nur wegen des Gedankenstrichels zwischen Ja, und nein[,] ja – und nein, Herr Hauptmann ja und nein? Ist das nein am ja oder das ja am nein Schuld. Ich will drüber nachdenken,
(geht mit breiten Schritten ab[,] erst langsam dann immer schneller)
Doctor [(]schießt ihm nach[)]. Phänomen, Woyzeck, Zulage.
Hauptmann. Mir wird ganz schwindlich vor den Menschen, wie schnell, der lange Schlegel greift aus, es läuft der Schatten von einem Spinnenbein. und der Kurze, das zuckelt. Der lange ist der Blitz und der kleine der Donner. Hähä, hinterdrein. Das hab’ ich nicht gern! ein guter Mensch ist dankbar und hat sein Leben lieb, ein guter Mensch hat keine courage nicht! ein Hundsfott hat courage! Ich bin blos in Krieg gangen um mich in meiner Liebe zum Leben zu befestigen. Von der Angst zur Angst, von da zum Krieg von da zur courage, wie man zu so Gedanken kommt, grotesk! grotesk!
[H2,8]
Woyzeck. Louisel.
Louisel. Guten Tag Franz.
Franz (sie betrachtend). Ach bist du’s noch! Ey wahrhaftig! nein man sieht nichts, man müßt’s doch sehen! Louisel du bist schön!
Louisel. Was siehst du so sonderbar Franz, ich fürcht mich.
Franz. Was n’e schöne Straße, man läuft sich Leichdörner, es ist gut auf der Gasse stehn, und in Gesellschaft auch gut.
Louisel. Gesellschaft?
Franz. Es gehn viel Leut durch die Gasse, nicht wahr und du kannst reden mit wem du willst, was geht das mich [an]! Hat er da gestanden? da? da? Und so bey dir? so? Ich wollt ich wär er gewesen.
Louisel. Ey er? Ich kann die Leute die Straße nicht verbieten und machen, daß sie ihr Maul mitnehmen wenn sie durchgehn,
Franz. Und die Lippen nicht zu Haus lassen[.] Es wär Schade sie sind so schön? Aber die Wespen setzen [s]ich gern drauf.
Louisel. Und was ne Wiesp hat dich gestochen, du siehst so verrückt wie n’e Kuh, die die Hornissen jagen.
Franz. Mensch! (geht auf sie los)
Louisel. Rühr mich an Franz! Ich hätt lieber ein Messer in den Leib, als deine Hand auf meiner! Mein Vater hat mich nicht angreifen gewagt, wie ich 10 Jahr alt war, wenn ich ihn ansah.
Woyzeck. Weib! – Nein es müßte was an dir seyn! Jeder Mensch ist ein Abgrund, es schwindelt einem, wenn man hinabsieht. Es wär! Sie geht wie die Unschuld. Nein Unschuld du hast ein Zeichen an dir. Weiß ich’s? Weiß ich’s? Wer weiß es?
[H2,9]
Louisel, (allein.) Gebet.
Und ist kein Betrug in seinem Munde erfunden. Herr Gott!
Woyzeck Handschrift 3
[H3,1]
Der Hof des Professors.
Studenten unten, der Professor am Dachfenster.
[Professor.] Meine Herrn, ich bin auf dem Dach, wie David, als er die Bathseba sah; aber ich sehe nichts als die culs de Paris der Mädchenpension im Garten trocknen. Meine Herrn wir sind an der wichtigen Frage über das Verhältniß des Subjectes zu[m] Object, wenn wir nur eins von den Dingen nehmen, worin [sich] die organische Selbstaffirmation des Göttlichen, auf einem der hohen Standpunkte manifestirt und Ihre Verhältnisse zum Raum, zur Erde, zum Plan[et]arischen untersuchen, meine Herrn, wenn ich dieße Katze zum Fenster hinauswerfe, wie wird dieße Wesenheit sich zum centrum gravitationis und dem eignen Instinct verhalten. He Woyzeck, (brüllt) Woyzeck!
Woyzeck. Herr Professor sie beißt.
Professor. Kerl, er greift die Bestie so zärtlich an, als wär’s seine Großmutter.
Woyzeck. Herr Doctor ich hab’s Zittern.
Doctor (ganz erfreut). Ey, Ey, schön Woyzeck. (reibt sich die Hände) (Er nimmt die Katze.) Was seh’ ich meine Herrn, die neue Species Hühnerlaus, eine schöne Spezies, wesentlich verschieden, enfoncé, der Herr Doctor (er zieht eine Loupe heraus) Ricinus, meine Herrn – (die Katze läuft fort.) Meine Herrn, das Thier hat keinen wissenschaftlichen Instinct, Ricinus, herauf, die schönsten Exemplare, bringen sie ihre Pelzkragen[.] Meine Herrn, sie können dafür was anders sehen, sehen sie der Mensch, seit einem Vierteljahr ißt er nichts als Erbsen, bemerkten sie die Wirkung, fühlen sie einmal was ein ungleicher Puls, da und die Augen.
Woyzeck. Herr Doctor es wird mir dunkel. [(]Er setzt sich.)
Doctor. Courage Woyzeck noch ein Paar Tage, und dann ist’s fertig, fühlen sie meine Herrn fühlen sie, (sie beta[s]ten ihm Schläfe, Puls und Busen)
à propos, Woyzeck, beweg den Herren doch einmal die Ohren, ich hab es Ihnen schon zeigen wollen, Zwei Muskeln sind bey ihm thätig. Allon[s] frisch!
Woyzeck. Ach Herr Doctor!
Doctor. Bestie, soll ich dir die Ohren bewegen; willst du’s machen wie die Katze. So meine Herrn, das sind so Uebergänge zum Esel, häufig auch in Folge weiblicher Erziehung. und die Muttersprache, Wieviel Haare hat dir deine Mutter zum Andenken schon ausgerissen aus Zärtlichkeit, Sie sind dir ja ganz dünn geworden, seit ein Paar Tagen, ja die Erbsen, meine Herren.
[H3,2]
Der Idiot. Das Kind. Woyzeck.
Karl (hält das Kind vor sich auf dem Schooß). Der is in’s Wasser gefallen, der is ins Wasser gefallen, wie, der is in’s Wasser gefallen.
Woyzeck. Bub, Christian,
Karl (Sieht i[h]n sta[r]r an). Der is in’s Wasser gefallen,
Woyzeck (will das Kind liebkosen, es wendet sich weg und schreit). Herrgott!
Karl. Der is in’s Wasser gefallen.
Woyzeck. Christianchen, du bekommst en Reuter, sa sa. (das Kind wehrt sich) (zu Karl) Da kauf dem Bub en Reuter,
Karl (sieht i[h]n starr an).
Woyzeck. Hop! hop! Roß.
Karl (jauchzend). ho! hop! Roß! Roß (läuft mit dem Kind weg.)
Woyzeck Handschrift 4
[H4,1]
Freies Feld. Die Stadt in der Ferne.
Woyzeck und Andres schneiden Stöcke im Gebüsch.
Woyzeck. Ja Andres; den Streif da über das Gras hin, da rollt Abends der Kopf, es hob ihn einmal einer auf, er meint es wär’ ein Igel. Drei Tag und drei Nächt und er lag auf den Hobelspänen (leise) Andres, das waren die Freimaurer, ich hab’s, die Freimaurer, still!
Andres (singt).
Saßen dort zwei Hasen
Fraßen ab das grüne, grüne Gras
Woyzeck. Still! Es geht was!
Andres.
Fraßen ab das grüne, grüne Gras
Bis auf den Rasen.
Woyzeck. Es geht hinter mir, unter mir (stampft auf den Boden) hohl, hörst du? Alles hohl da unten. Die Freimaurer!
Andres. Ich fürcht mich.
Woyzeck. S’ist so kurios still. Man möcht’ den Athem halten. Andres!
Andres. Was?
Woyzeck. Red was! (starrt in die Gegend.) Andres! Wie hell! Ein Feuer fährt um den Himmel und ein Getös herunter wie Posaunen. Wie’s heraufzieht! Fort. Sieh nicht hinter dich (reißt ihn in’s Gebüsch)
Andres (nach einer Pause). Woyzeck! hörst du’s noch?
Woyzeck. Still, Alles still, als wär die Welt todt.
Andres. Hörst du? Sie trommeln drin. Wir müssen fort.
[H4,2]
Marie (mit ihrem Kind am Fenster). Margreth.
Der Zapfenstreich geht vorbey, der Tambourmajor voran.
Marie (das Kind wippend auf dem Arm). He Bub! Sa ra ra ra! Hörst? Da kommen sie
Margreth. Was ein Mann, wie ein Baum.
Marie. Er steht auf seinen Füßen wie ein Löw.
(Tambourmajor grüßt.)
Margreth. Ey, was freundliche Auge, Frau Nachbarin, so was is man an ihr nit gewöhnt.
Marie (singt).
Soldaten, das sind schöne Bursch
[Ein bis zwei Zeilen unbeschrieben]
Margreth. Ihre Auge glänze ja noch.
Marie. Und wenn! Trag sie ihr Auge zum Jud und laß sie sie putze, vielleicht glänze sie noch, daß man sie für zwei Knöpf verkaufe könnt.
Margreth. Was Sie? Sie? Frau Jungfer, ich bin eine honette Pers[o]n, aber sie, sie guckt 7 Paar lederne Hose durch.
Marie. Luder! (schlägt das Fenster [zu].) Komm mein Bub. Was die Leut wollen. Bist doch nur en arm Hurenkind und machst deiner Mutter Freud mit deim unehrliche Gesicht. Sa! Sa! (singt.)
Mädel, was fangst du jezt an
Hast ein klein Kind und kein Mann
Ey was frag ich danach
Sing ich die ganze Nacht
Heyo popeio mein Bu. Juchhe!
Giebt mir kein Mensch nix dazu.
Hansel spann deine sechs Schimmel an
Gieb ihn zu fresse auf’s neu
Kein Haber fresse sie
Kein Wasser saufe sie
Lauter kühle Wein muß es seyn Juchhe
Lauter kühle Wein muß es seyn.
(es klopft am Fenster)
Marie. Wer da? Bist du’s Franz? Komm herein!
Woyzeck. Kann nit. Muß zum Verles.
Marie. Was hast du Franz?
Woyzeck (geheimnißvoll). Marie, es war wieder was, viel, steht nicht geschrieben, und sieh da ging ein Rauch vom Land, wie der Rauch vom Ofen?
Marie. Mann!
Woyzeck. Es ist hinter mir gegangen bis vor die Stadt. Was soll das werden?
Marie. Franz!
Woyzeck. Ich muß fort (er geht.)
Marie. Der Mann! So vergeistert. Er hat sein Kind nicht angesehn. Er schnappt noch über mit den Gedanken. Was bist so still, Bub? Furchst’ Dich? Es wird so dunkel, man meint, man wär blind. Sonst scheint d[och] als die Latern herein. ich halt’s nicht aus. Es schauert mich. (geht ab)
[H4,3]
Buden. Lichter. Volk.
[Eineinhalb Seiten unbeschrieben]
[H4,4]
Marie sitzt, ihr Kind auf dem Schooß, ein Stückchen Spiegel in der Hand.
(bespiegelt sich) Was die Steine glänze! Was sind’s für? Was hat er gesagt? – Schlaf Bub! Drück die Auge zu, fest, (das Kind versteckt die Augen hinter den Händen) noch fester, bleib so, still oder er holt dich (singt)
Mädel mach’s Ladel zu
S’ kommt e Zigeunerbu
Führt dich an deiner Hand
Fort in’s Zigeunerland.
(spiegelt sich wieder) S’ist gewiß Gold! Unsereins hat nur ein Eckchen in der Welt und ein Stückchen Spiegel und doch hab’ ich einen so rothe[n] Mund als die großen Madamen mit ihren Spiegeln von oben bis unten und ihren schönen Herrn, die ihnen die Händ’ küssen; ich bin nur ein arm Weibsbild. – (das Kind richtet sich auf) Still Bub, die Auge zu, das Schlafengelchen! wie’s an der Wand läuft (sie blinkt mit dem Glas) die Auge zu, oder es sieht dir hinein, daß du blind wirst.
(Woyzeck tritt herein, hinter sie. Sie fährt auf mit den Händen nach den Ohren)
Woyzeck. Was hast du?
Marie. Nix.
Woyzeck. Unter deinen Fingern glänzt’s ja.
Marie. Ein Ohrringlein; hab’s gefunden.
Woyzeck. Ich hab’ so noch nix gefunden, Zwei auf einmal.
Marie. Bin ich ein Mensch?
Woyzeck. S’ist gut, Marie. – Was der Bub schläft. Greif’ ihm unter’s Aermchen der Stuhl drückt ihn. Die hellen Tropfen steh’n ihm auf der Stirn; Alles Arbeit unter der Sonn, sogar Schweiß im Schlaf. Wir arme Leut! Das is wieder Geld Marie, die Löhnung und was von mein’m Hauptmann.
Marie. Gott vergelt’s Franz.
Woyzeck. Ich muß fort. Heut Abend, Marie. Adies.
Marie (allein nach einer Pause). ich bin doch ein schlecht Mensch. Ich könnt’ mich erstechen. – Ach! Was Welt? Geht doch Alles zum Teufel, Mann und Weib.
[H4,5]
Der Hauptmann. Woyzeck.
Hauptmann auf einem Stuhl, Woyzeck rasirt ihn.
Hauptmann. Langsam, Woyzeck, langsam; ein’s nach dem andern; Er macht mir ganz schwindlich. Was soll ich dann mit den zehn Minuten anfangen, die er heut zu früh fertig wird? Woyzeck, bedenk’ er, er hat noch seine schöne dreißig Jahr zu leben, dreißig Jahr! macht 360 Monate, und Tage, Stunden, Minuten! Was will er denn mit der ungeheuren Zeit all anfangen? Theil er sich ein, Woyzeck.
Woyzeck. Ja wohl, Herr Hauptmann.
Hauptmann. Es wird mir ganz angst um die Welt, wenn ich an die Ewigkeit denke[.] Beschäftigung, Woyzeck, Beschäftigung! ewig das ist ewig, das ist ewig, das siehst du ein; nun ist es aber wieder nicht ewig und das ist ein Augenblick, ja, ein Augenblick – Woyzeck, es schaudert mich, wenn ich denk, daß sich die Welt in einem Tag herumdreht, was eine Zeitverschwendung, wo soll das hinaus? Woyzeck, ich kann kein Mühlrad mehr sehn, oder ich werd’ melancholisch.
Woyzeck. Ja wohl, Herr Hauptmann.
Hauptmann. Woyzeck er sieht immer so verhetzt aus, Ein guter Mensch thut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat. – Red’ er doch was Woyzeck. Was ist heut für Wetter?
Woyzeck. Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm; Wind.
Hauptmann. Ich spür’s schon, s’ist so was Geschwindes draußen; so ein Wind macht mir den Effect wie eine Maus. (pfiffig) Ich glaub’ wir haben so was aus Süd-Nord.
Woyzeck. Ja wohl, Herr Hauptmann.
Hauptmann. Ha! ha! ha! Süd-Nord! Ha! Ha! Ha! O er ist dumm, ganz abscheulich dumm. (gerührt) Woyzeck, er ist ein guter Mensch, ein guter Mensch – aber (mit Würde) Woyzeck, er hat keine Moral! Moral das ist wenn man moralisch ist, versteht er. Es ist ein gutes Wort. Er hat ein Kind, ohne den Segen der Kirche, wie unser hochehrwürdiger Herr G[ar]nisonsprediger sagt, ohne den Segen der Kirche, es ist nicht von mir.
Woyzeck. Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum ansehn, ob das Amen drüber gesagt ist, eh’ er gemacht wurde. Der Herr sprach: lasset die Kindlein zu mir kommen.
Hauptmann. Was sagt er da? Was ist das für n’e kuriose Antwort? Er macht mich ganz confus mit seiner Antwort. Wenn ich sag: er, so mein ich ihn, ihn,
Woyzeck. Wir arme Leut. Sehn sie, Herr Hauptmann, Geld, Geld. Wer kein Geld hat. Da setz einmal einer seinsgleichen auf die Moral in die Welt[.] Man hat auch sein Fleisch und Blut. Unsereins ist doch einmal unseelig in der und der andern Welt, ich glaub’ wenn wir in Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen.
Hauptmann. Woyzeck er hat keine Tugend, er ist kein tugendhafter Mensch[.] Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg, wenn es geregnet hat und den weißen Strümpfen so nachsehe, wie sie über die Gassen springen, – verdammt Woyzeck, – da kommt mir die Liebe. Ich hab auch Fleisch und Blut[.] Aber Woyzeck, die Tugend, die Tugend! Wie sollte ich dann die Zeit herumbringen? ich sag’ mir immer du bist ein tugendhafter Mensch, (gerührt) ein guter Mensch, ein guter Mensch.
Woyzeck. Ja Herr Hauptmann, die Tugend! ich hab’s noch nicht so aus. Sehn Sie wir gemeinen Leut, das hat keine Tugend, es kommt einem nur so die Natur, aber wenn ich ein Herr wär und hätt ein Hut und eine Uhr und en anglaise und könnt vornehm reden, ich wollt schon tugendhaft seyn. Es muß was Schöns seyn um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl.
Hauptmann. Gut Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber du denkst zuviel, das zehrt, du siehst immer so verhetzt aus. Der Diskurs hat mich ganz angegriffen. Geh’ jezt und renn nicht so; langsam hübsch langsam die Straße hinunter.
[H4,6]
Marie. Tambour-Major.
Tambour[-]Major. Marie!
Marie (ihn ansehend, mit Ausdruck). Geh’ einmal vor dich hin. – Ueber die Brust wie ein Stier und ein Bart wie ein Löw .. So ist keiner .. Ich bin stolz vor allen Weibern.
Tambour-Major. Wenn ich am Sonntag erst den großen Federbusch hab’ und die weißen Handschuh, Donnerwetter, Marie, der Prinz sagt immer: Mensch, er ist ein Kerl.
Marie (spöttisch). Ach was! (tritt vor ihn hin.) Mann!
Tambour-Major. Und du bist auch ein Weibsbild, Sapperment, wir wollen eine Zucht von Tambour-Major’s anlegen. He? (er umfaßt sie)
Marie (verstimmt). Laß mich!
Tambourmajor. Wild Thier.
Marie (heftig). Rühr mich an!
Tambour. Sieht dir der Teufel aus den Augen?
Marie. Meinetwegen. Es ist Alles eins.
[H4,7]
Marie. Woyzeck.
Franz (sieht sie starr an, schüttelt den Kopf). Hm! Ich seh nichts, ich seh nichts. O, man müßt’s sehen[,] man müßt’s greifen können mit Fäusten.
Marie (verschüchtert). Was hast du Franz? Du bist hirnwüthig Franz.
Franz. Eine Sünde so dick und so breit. (Es stinkt daß man die Engelchen zum Himmel hinaus räuchern könnt.) Du hast ein rothen Mund, Marie. Keine Blase drauf? Adieu, Marie, du bist schön wie die Sünde – Kann die Todsünde so schön seyn?
Marie. Franz, du red’st im Fieber.
Franz. Teufel! – Hat er da gestanden, so, so?
Marie. Dieweil der Tag lang und die Welt alt ist, können viel Menschen an einem Platz stehn, einer nach dem andern.
Woyzeck. Ich hab ihn gesehn.
Marie. Man kann viel sehn, wenn man 2 Augen hat und man nicht blind ist und die Sonn scheint.
Woyzeck. Mit seinen Armen.
Marie (keck). Und wenn auch.
[H4,8]
Woyzeck. Der Doctor.
Doctor. Was erleb’ ich Woyzeck? Ein Mann von Wort.
Woyzeck. Was denn Herr Doctor?
Doctor. Ich hab’s gesehn Woyzeck; er hat auf Straß gepißt, an die Wand gepißt wie ein Hund. Und doch 2 Groschen täglich. Woyzeck das ist schlecht, die Welt wird schlecht, sehr schlecht.
Woyzeck. Aber Herr Doctor, wenn einem die Natur kommt.
Doctor. Die Natur kommt, die Natur kommt! Die Natur! Hab’ ich nicht nachgewiesen, daß der musculus constrictor vesicae dem Willen unterworfen ist? Die Natur! Woyzeck, der Mensch ist frei, in dem Menschen verklärt sich die Individualität zur Freiheit. Den Harn nicht halten können! (schüttelt den Kopf, legt die Hände auf den Rücken und geht auf und ab) Hat er schon seine Erbsen gegessen, Woyzeck? – Es giebt eine Revolution in der Wissenschaft, ich sprenge sie in die Luft. Harnstoff, 0,10, salzsaures Ammonium, Hyperoxydul.
Woyzeck muß er nicht wieder pissen? geh’ er einmal hinein und probir er’s.
Woyzeck. Ich kann nit Herr Doctor.
Doctor (mit Affect). Aber auf die Wand pissen! Ich hab’s schriftlich, den Akkord in der Hand[.] Ich hab’s gesehn, mit dießen Augen gesehn, ich streckte grade die Nase zum Fenster hinaus und ließ die Sonnenstrahlen hinein fallen, um das Niesen zu beobachten, (tritt auf ihn los) Nein Woyzeck, ich ärger mich nicht, Aerger ist ungesund, ist unwissenschaftlich. Ich bin ruhig ganz ruhig, mein Puls hat seine gewöhnlichen 60 und ich sag’s ihm mit der grösten Kaltblütigkeit! Behüte wer wird sich über einen Menschen ärgern, einen Menschen! Wenn es noch ein proteus wäre, der einem kre[pir]t! Aber er hätte doch nicht an die Wand pissen sollen –
Woyzeck. Sehn sie Herr Doctor, manchmal hat man so n’en Character, so n’e Structur. – Aber mit der Natur ist’s was anders, sehn sie mit der Natur (er kracht mit den Fingern) das ist so was, wie soll ich doch sagen, z. B.
Doctor. Woyzeck, er philosophirt wieder.
Woyzeck (vertraulich). Herr Doctor haben sie schon was von der doppelten Natur gesehn? Wenn die Sonn in Mittag steht und es ist als ging die Welt im Feuer auf hat schon eine fürchterliche Stimme zu mir geredt!
Doctor. Woyzeck, er hat eine aberratio
Woyzeck (legt den Finger an die Nase). Die Schwämme Herr Doctor. Da, da steckts. Haben sie schon gesehn in was für Figuren die Schwämme auf dem Boden wachsen. Wer das lesen könnt.
Doctor. Woyzeck er hat die schönste aberratio, mentalis partialis der zweiten Species, sehr schön ausgeprägt, Woyzeck er kriegt Zulage. Zweiter species, fixe Idee, mit allgemein vernünftigem Zustand, er thut noch Alles wie sonst, rasirt seinen Hauptmann!
Woyzeck. Ja, wohl.
Doctor. Ißt seine Erb[s]en?
Woyzeck. Immer ordentlich Herr Doctor. Das Geld für die menage kriegt meine Frau.
Doctor. Thut seinen Dienst,
Woyzeck. Ja wohl.
Doctor. Er ist ein interessanter casus, Subject Woyzeck er kriegt Zulage. Halt er sich brav. zeig er seinen Puls! Ja.
[H4,9]
Hauptmann. Doctor.
Hauptmann. Herr Doctor, die Pferde machen mir ganz Angst; wenn ich denke, daß die armen Bestien zu Fuß gehn müssen. Rennen Sie nicht so. Rudern Sie mit ihrem Stock nicht so in der Luft. Sie hetzen sich ja hinter dem Tod drein. Ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat, geht nicht so schnell. Ein guter Mensch. (Er erwischt den Doctor am Rock) Herr Doctor erlauben sie, daß ich ein Menschen[l]eben rette, sie schießen
Herr Doctor, ich bin so schwermüthig[,] ich habe so was schwärmerisches, ich muß immer weinen, wenn ich meinen Rock an der Wand hängen sehe, da hängt er.
Doctor. Hm, auf[ge]dunsen, fett, dicker Hals, apoplectische Constitution. Ja Herr Hauptmann sie können eine apoplexia cerebralis kriechen, sie können sie aber vielleicht auch nur auf der einen Seite bekommen, und dann auf der einen gelähmt seyn, oder aber sie können im besten Fall geistig gelähmt werden und nur fort vegetiren, das sind so o[h]ngefähr ihre Aussichten auf die nächsten 4 Wochen. übrigens kann ich sie versichern, daß sie einen von den interessanten Fällen abgeben und wenn Gott will, daß ihre Zunge zum Theil gelähmt wird, so machen wir die unsterblichsten Experimente.
Hauptmann. Herr Doctor erschrecken Sie mich nicht, es sind schon Leute am Schreck gestorben, am bloßen hellen Schreck. – Ich sehe schon die Leute mit den Citronen in den Händen, aber sie werden sagen, er war ein guter Mensch, ein guter Mensch – Teufel Sargnagel
Doctor [(hält ihm den Hut hin)]. Was ist das Herr Hauptmann? das ist Hohlkopf
Hauptmann (macht eine Falte). Was ist das Herr Doctor, das ist Einfalt.
Doctor. Ich empfehle mich, geehrtester Herr Exercirzagel
Hauptmann. Gleichfalls, bester Herr Sargnagel. –
[Eine dreiviertel Seite unbeschrieben]
[H4,10]
Die Wachtstube.
Woyzeck. Andres.
Andres (singt).
Frau Wirthin hat n’e brave Magd
Sie sitzt im Garten Tag und Nacht
Sie sitzt in ihrem Garten ...
Woyzeck. Andres!
Andres. Nu?
Woyzeck. Schön Wetter.
Andres. Sonntagso[nn]wetter und Musik vor der Stadt. Vorhin sind [d]ie Weibsbilder hinaus, die Menscher dämpfen, das geht.
Woyzeck (unruhig). Tanz, Andres, sie tanzen
Andres. Im Rössel und im Sternen.
Woyzeck. Tanz, Tanz.
Andres. Meinetwegen.
Sie sitzt in ihrem Garten
bis daß das Glöcklein zwölfe schlägt
Und paßt auf die Solda – aten.
Woyzeck. Andres, ich hab keine Ruh.
Andres. Narr!
Woyzeck. Ich muß hinaus. Es dreht sich mir vor den Augen. was sie heiße Händ haben. Verdammt Andres!
Andres. Was willst du?
Woyzeck. Ich muß fort.
Andres. Mit dem Mensch.
Woyzeck. Ich muß hinaus, s’ist so heiß da hie.
[Etwa drei Zeilen unbeschrieben]
[H4,11]
Wirthshaus.
Die Fenster offen, Tanz. Bänke vor dem Haus. Bursche[n].
1.) Handwerksbursch.
Ich hab ein Hemdlein an
das ist nicht mein
Meine Seele stinkt nach Brandewein, –
2. Handwerksbursch. Bruder, soll ich dir aus Freundschaft ein Loch in die Natur machen? Verdammt[.] Ich will ein Loch in die Natur machen. Ich bin auch ein Kerl, du weißt, ich will ihm alle Flöh am Leib todt schlagen.
1. Handwerksbursch. Meine Seele, meine Seele stinkt nach Brandewein. – Selbst das Geld geht in Verwesung über. Vergißmeinnicht. Wie ist dieße Welt so schön. Bruder, ich muß ein Regenfaß voll greinen. Ich wollt unsre Nasen wären zwei Bouteillen und wir könnten sie uns einander in den Hals gießen.
Die andern im Chor.
Ein Jäger aus der Pfalz,
ritt einst durch einen grünen Wald,
Halli, halloh, Gar lustig ist die Jägerei
Allhier auf grüner Heid
Das Jagen ist mei Freud.
(Woyzeck stellt sich an’s Fenster. Marie und der Tambourmajor tanzen vorbey, ohne ihn zu bemerken)
Marie (im Vorbeytanzen[:] immer, zu, immer zu).
Woyzeck (erstickt). Immer zu. – immer zu. (fährt heftig auf und sinkt zurück auf die Bank) immer zu immer zu, (schlägt die Hände in einander) dreht Euch, wälzt Euch, Warum bläßt Gott nicht [die] Sonn aus, daß Alles in Unzucht sich übernanderwälzt, Mann und Weib, Mensch und Vieh. Thut’s am hellen Tag, thut’s einem auf den Händen, wie die Mücken. – Weib. –
Das Weib ist heiß, heiß! – Immer zu, immer zu, (fährt auf) der Kerl! Wie er an ihr herumtappt, an ihrem Leib, er rührt sie an –
1.) Handwerksbursch (predigt auf dem Tisch). Jedoch wenn ein Wandrer, der gelehnt steht an den Strom der Zeit oder aber sich die göttliche Weisheit beantwortet und sich anredet: Warum ist der Mensch? Warum ist der Mensch? – Aber wah[r]lich ich sage Euch, von was hätte der Landmann, der Weißbinder, der Schuster, der Arzt leben sollen, wenn Gott den Menschen nicht geschaffen hätte? Von was hätte der Schneider leben sollen, wenn er dem Menschen nicht die Empfindung der Schaam eingepflanzt, von was der Soldat, wenn [er] ihn nicht mit dem Bedürfniß sich todtzuschlagen ausgerüstet hätte? Darum zweifelt nicht, ja ja, es ist lieblich und fein, aber Alles Irdische ist eitel, selbst das Geld geht in Verwesung über. – Zum Beschluß, meine geliebten Zuhörer laßt uns noch über’s Kreuz pissen, damit ein Jud stirbt.
[H4,12]
Freies Feld.
Woyzeck.
Immer zu! immer zu! Still Musik. – (reckt sich gegen den Boden) He was, was sagt ihr? Lauter, lauter, stich, stich die Zickwolfin todt? stich, stich die Zickwolfin todt. Soll ich? Muß ich? Hör ich’s da noch, sagt’s der Wind auch? Hör ich’s immer, immer zu, stich todt, todt.
[H4,13]
Nacht.
Andres und Woyzeck in einem Bett.
Woyzeck (schüttelt Andres). Andres! Andres! ich kann nit schlafen, wenn ich die Augen zumach, dreh’t sich’s immer und ich hör die Geigen, immer zu, immer zu. und dann sprichts’ aus der Wand[,] hörst du nix?
Andres. Ja, – laß sie tanzen – Gott behüt uns, Amen,
(schläft wieder ein)
Woyzeck. Es zieht mir zwischen den Augen wie ein Messer.
Andres. Du mußt Sch[na]ps trinken und Pulver drein, das schneidt das Fieber.
[H4,14]
Wirthshaus.
Tambour-Major. Woyzeck. Leute.
Tambour-Major. Ich bin ein Mann! (schlägt sich auf die Brust) ein Mann sag’ ich.
Wer will was? Wer kein besoffner Herrgott ist der laß sich von mir. Ich will ihm die Nas ins Arschloch prügeln. Ich will – (zu Woyzeck) da Kerl, sauf, der Mann muß saufen, ich wollt die Welt wär Sch[n]aps, Schnaps
Woyzeck pfeift.
Tambour Major. Kerl, soll ich dir die Zung aus dem Hals ziehn und sie um den Leib herumwicklen? (sie ringen, Woyzeck verliert) soll ich dir noch soviel Athem lassen als ein Altweiberfurz, soll ich?
Woyzeck (sezt sich erschöpft zitternd auf eine Bank).
Tambour Major. Der Kerl soll dunkelblau pfeifen.
Ha.
Brandewein das ist mein Leben
Brandwein giebt courage!
Einer. Der hat sein Fett.
Andrer. Er blut.
Woyzeck. Eins nach dem andern.
[H4,15]
Woyzeck. Der Jude.
Woyzeck. Das Pistolchen ist zu theuer.
Jud. Nu, kauft’s oder kauft’s nit, was is?
Woyzeck. Was kost das Messer.
Jud. S’ist gar, grad! Wollt Ihr Euch den Hals mit abschneiden, nu, was is es? Ich gäb’s Euch so wohlfeil wie ein andrer, Ihr sollt Euren Tod wohlfeil haben, aber doch nit umsonst. Was is es? Er soll einen ökonomischen Tod haben
Woyzeck. Das kann mehr als Brod schneiden.
Jud. Zwei Groschen.
Woyzeck. Da! (geht ab)
Jud. Da! Als ob’s nichts wär. Und es is doch Geld. Der Hund.
[H4,16]
[Marie. Das Kind. Der Narr.]
Marie (allein[,] blättert in der Bibel). Und ist kein Betrug in seinem Munde erfunden. Herrgott. Herrgott! Sieh mich nicht an. (blättert weiter:[)] aber die Pharisäer brachten ein Weib zu ihm, im Ehebruche begriffen und stelleten sie in’s Mittel dar. – Jesus aber sprach: so verdamme ich dich auch nicht. Geh hin und sündige hinfort nicht mehr. (schlägt die Hände zusammen). Herrgott! Herrgott! Ich kann nicht. Herrgott gieb mir nur soviel, daß ich beten kann. (das Kind drängt sich an sie) Das Kind, giebt mir einen Stich in’s Herz. Fort! Das brüht sich in der Sonne!
Narr (liegt und erzählt sich Mährchen an den Fingern). Der hat die goldne Kron, der Herr König. Morgen hol’ ich der Frau Königin ihr Kind. Blutwurst sagt: komm Leberwurst (er nimmt das Kind und wird still)
[Marie.] Der Franz ist nit gekommen, gestern nit, heut nit, es wird heiß hie (sie macht das Fenster auf.) Und trat hinein zu seinen Füßen und weynete und fing an seine Füße zu netzen mit Thränen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen und küssete seine Füße und salbete sie mit Salben. (schlägt sich auf die Brust) Alles todt! Heiland, Heiland ich möchte dir die Füße salben
[H4,17]
Kaserne.
Andres. Woyzeck[,] kramt in seinen Sachen.
Woyzeck. Das Kamisolchen Andres, ist nit zur Montour, du kannst’s brauchen Andres. Das Kreuz is meiner Schwester und das Ringlein, ich hab auch noch ein Heiligen, zwei Herzen und schön Gold, es lag in meiner Mutter Bibel und da steht:
Leiden sey all mein Gewinst,
Leiden sey mein Gottesdienst,
Herr wie dein Leib war roth und wund
So laß mein Herz seyn aller Stund.
Meine Mutter fühlt nur noch, wenn ihr die Sonn auf die Händ scheint! Das thut nix.
Andres (ganz starr, sagt zu Allem: ja wohl).
Woyzeck (zieht ein Papier hervor). Friedrich Johann Franz Woyzeck, geschworner Füsilir im 2. Regiment, 2. Bata[i]llon 4[.] Compagnie, geb. Mariae Verkündigung[,] ich bin heut den 20. Juli alt 30 Jahre 7 Monat und 12 Tage.
Andres. Franz, du kommst in’s Lazareth. Armer du mußt Schnaps trinken und Pulver drin das tödt das Fieber.
Woyzeck. Ja Andres, wann der Schreiner die Hobelspän hobelt, es weiß niemand, wer sein Kopf drauf legen wird.