18. Juni 1836. Von Eugène Boeckel nach Straßburg

Wien den 18ten Juni 36.

Wie sehr mich, Dein lang erwartetes liebes Schreiben freute kannst Du aus meiner schnellen Antwort sehn. Ich rechne es Dir doppelt hoch an wenn Du einmal Dich hinsetzest u. mir einen ordentlichen Brief schreibst, denn Du weißt wie wenig ich mir in dieser Hinsicht von Dir verspreche. Mit dem wohlbeleibten lustig, fidelgrämlichen pädagogen ist also gar nichts zu machen wie ich aus Deinem Brief ersehe. Sage ihm doch daß ich seinen Brief vom 2ten Juni empfangen, ich werde ihm nächstens antworten – Was Du von d. couverte u. der adresse meines Briefes sagtest, daran hast Du vollkommen recht peccavi; ich wollte Dir übrigens das Brief-Porto nicht vertheuern. Was das Lesen des Briefes anbetrifft traue ich es nicht jedem Frauenzimmer zu der Neugierde zu widerstehn, aber in diesem speziellen Fall hat mich doch nicht meine Menschen-Kenntniß verlaßen. Es soll Dir Freude machen durch meinen Fehler, diese Eigenschaft erkannt zu haben – Was Du von Deiner These mir schreibst freuet mich, ich hoffe Du läßt mir ein exemplar davon in Strasburg. Zu Deinem Beitritt zur société d’hist. nat. gratulire ich, Du hast also die Ehre der Collega d. prof. Duvernoy zu seyn. Ist Lauth bald profess. d. physiolog. wie steht es im übrigen mit unserer medizinischen Fakultät in Strasburg.

Was Du mir v. Stöber schreibst, ist sehr betrübend u. für mich bis jezt unglaublich, ich traue Christ mehr Gefühl zu – Wenn übrigens eine Erkältung eingetreten so frägt es sich ob nicht die Erkältung durch gegenseitige Entfernung u. Entfremdung kam – Was macht Apostel Petrus? Er wird mit 1100 Fr. in Weissenburg heirathen, u. er hat recht wenn es ihm Vergnügen macht.

Dein cousin ist ein liebenswürdiger, artiger, vernünftiger naiver Holländer. Er hat Anatomie u. physiolog. gut los, u. dabey hat er die praktische Medizin nicht vernachläßigt. Er macht uns vielen Spaß u. es thut mir leid daß ich mich auf ewig von ihm trennen muß. Er spricht originell, naïv holländisch Teutsch.

Die touren durch die teutschen Hospitäler u. Hörsääle ist für mich nicht so unangenehm wie Du glaubst. Was die Hörsääle betrifft, d. h. die theoretischen Colleg. so gehe ich nicht od. äußerst selten hinein, also fällt dieses weg. Zwei privatissima habe ich. Das eine bey Jäger, ophthalmolog. Operat. mit Uebung. am phantome, das andere bey Koletschka Anatom. patholog – Hier ist nur ein Hospital, Du kannst also denken welche unzahl v. Leiche[n] sich da vorfinden, so daß man in zwei Monaten alle möglich. Fälle d. Anat. patholog. u. viele Fälle med. forens. sehn kann – Diese privatiss. dauern v. 3 – 6-7 Uhr[.] Morgens besuche ich den Hospital, da giebt es viele Variationen u. intereßante Gegenstände. Abends gehe ich öfters in das treffliche Burgtheater, od. auf die superben promenaden rings um die Stadt herum – Sontags mache ich in Gesellschaft excursionen in die Gebirge in den schönsten Gegenden, Baden, Schönbrunn, Laxenburg, Dornbach etc. etc. Dabey habe ich hier eine angenehme intereßante Gesellschaft – die ungarischen Weine sind sehr gut, die Cotelettes, Boeuf’dêk, Schnitzel etc. etc. ebenfalls, es wird einem hier so behaglich zu Muthe daß es selbst Dir u. sogar d. pädagogen recht gefallen würde. Freilich würde dieser leztere mit ein. bedeutenden Bauch so groß wie der eines schwangeren Frauenzimmers zurückkehren – Nennst Du dies ein unangenehm Leben?

Was die politischen Verhältniße anbelangt so kümmere ich mich wenig darum, od. vielmehr sie geniren mich nicht, denn Fremde können sich in dieser Rücksicht nicht beklagen, sie sind in sehr vieler Hinsicht hier so frei wie in Frankreich – Wenn Du übrigens Dich einige Zeit in Oestreich aufhalten würdest, so könntest Du Dich überzeugen daß die hiesige Regierung unter ihrer jetzigen Form nothwendig u. wohlthätig für das Land ist, gänzlich den Bedürfnißen u. Begriffen der Untertanen angemeßen, denn sie ist durch die öffentliche Meinung sanctionirt. Es wäre lächerlich u. unsinnig einem Volk daß sich glücklich fühlt u. zufrieden ist eine Form aufzuzwingen die ihm zuwider ist u. nicht für dasselbe paßt.

sed absint politica – Mit d. Cholera hier geht es schlecht sie macht progresse, noch niemalen seit mein. hiesigen Aufenthalt war sie so heftig wie jezt, u. hauptsächlich in der Vorstadt wo ich wohne, u. den zwei zunächst gelegenen. Es ist aber nicht nöthig mein Lieber daß Du dieses meiner Familie mittheilst, da man in Strasburg noch nicht an die Cholera gewohnt ist so ist es noch dasselbst ein rechtes Schreckbild, hier sind die Leute vernünftiger in dieser Beziehung. Heute beläuft sich die Anzahl der Cholera-Kranken im Hospital auf 60-70 – 30 darunter sind übrigens mehr od. minder leichte Fälle. Nur Cholerine, die ächt karakteristischen exemplare sind in geringerer Anzahl – Ich bleibe hier bis Mitte Julys[,] wo ich July u. August zubringe weiß ich noch nicht bestimmt, wahrscheinlich in Triest Venedig u. Mayland – Sept. u. Oct. in Würzburg, wenn Du v. Strasburg weg bist so schicke Deine adresse an meinen Bruder – Schreibe ich Dir unterdeßen so schreibe ich Dir über Strasburg mit ein. Couverte.

Bis jezt bin ich keineswegs gesonnen sobald definitivement in’s Elsaß zurückzuke[hren,] ich werde später wo möglich v. Paris aus suchen weiter zu kommen. Ich bin das [Reisen] noch keineswegs müde, auch wäre es noch zu frühe, denn es sind kaum 6 Mon[ate, seit] ich von zu Haus weg bin.

Lambossy hat soutenirt wie ich v. Baum erfahren, er wird hoffentlich nächsten Winter in Paris seyn wo ich ihn zu treffen hoffe. Von meinen hiesigen Bekannten werde ich 6-8 wieder in Paris sehn, einige gehn nach Berlin, mehrere davon siehst Du vielleicht in Zürich. Dieses Jahr gehe ich bestimmt nicht nach d. Schweiz, vielleicht später v. Paris aus si diis placet. Vor dem November dieses Jahres komme ich auch nicht nach Strasburg wenn ich überhaupt hinkomme also muß ich darauf Verzicht leisten Dich diese[s] Jahr zu sehn – Ist Baum nicht zu bewegen nächsten Winter nach Paris zu kommen, er hat freilich eine Kette am Fuß u. dies ist verflucht unangenehm.

Was Du mir über den Leichtsinn schreibst, daran hast Du vollkomm[en] recht, wer nicht leichtsinnig ist soll sich Mühe geben es zu werden, es trägt viel zu den Anehmlichkeiten dieses Lebens bey; ich habe mir ziemlich Mühe gegeben diesen Grundsätzen gemäß zu denken u. es ist mir auch so ziemlich gelungen. Was die Identität des Leichtsinnes u. des Gottes-Vertrauen betrifft so ist es blos wahr für einige Menschen[,] die größere Anzahl sind eben blos leichtsinnig, wenigstens kommt es mir so vor, u. ich glaube der pädagog wird hierin meiner Meinung seyn. Die Anspielung des leztern in Beziehung d. Geschichte Lambossy auf Wien ist sehr verzeihlich aber vielleicht nicht gegründet – Meinen Bruder Charles kannst Du gelegentlich fragen ob er den Brief erhielt den ich ihm den 17ten Juni schrieb – Grüße Freund Lambossy u. Heidenreich – Ich muß enden um in’s josephinum zu gehn, die superben italienischen Wachspräparaten (Anatomia) zu sehn, Samstags ist das Cabinet offen u. ich habe bis jezt noch keinen versäumt hin zu gehn. Lebe wohl[.] Wenn Du Deine Mutter früher od. später siehst so grüße Sie vielmal von mir so wie die übrigen Mitglieder Deiner Familie, Delle Wilhelm. nicht zu vergeßen

– Dein Eugène –