4.2. Straßburg zur Zeit Georg Büchners

Die Stadt Straßburg, in der Georg Büchner sich in den Jahren 1831 bis 1833 und 1835 bis 1836 aufhielt, kann im Vergleich mit anderen oberrheinischen Städten wie Freiburg, Mannheim oder Karlsruhe durchaus als Metropole bezeichnet werden. Im Jahr 12 v.Chr. von dem römischen Feldherrn Drusus als militärischer Außenposten unter dem Namen „Argentoratum“ gegründet, vermutlich schon seit dem 4. Jh. n. Chr. Bischofssitz und seit dem Jahr 1262 Freie Reichsstadt des Heiligen Römischen Reichs, war Straßburg seit dem Mittelalter eines der wichtigsten Handelszentren der Region. 1681 wurde Straßburg unter Louis XIV. von französischen Truppen besetzt und 1697 im Frieden von Rijswijk Frankreich zugesprochen. Die Französische Revolution fand in Straßburg breite Unterstützung. Am 21. Juli 1789 wurde das Rathaus von der Bevölkerung gestürmt, 1790 die kirchlichen Güter konfisziert. Während des Ersten Kaiserreichs erlebte die Stadt als Hauptumschlagplatz des unter der Kontinentalsperre besonders florierenden Handels zwischen Frankreich und den süddeutschen Staaten eine wirtschaftliche Blüte. Auch ein überwiegender Teil des gesamten Nord-Süd-Verkehrs zwischen den Niederlanden und der Schweiz wurde über den Straßburger Rheinhafen abgewickelt.

Zwar verblasste dieser Glanz nach 1815, als Straßburg erneut Grenzstadt wurde. Die französische Schutzzollpolitik erschwerte den internationalen Handel, der Rheinhafen verlor die Lagergenehmigung für Transitgüter und der Güterumschlag sank auf einen Tiefpunkt. Dennoch blieb die Hauptstadt des Département Bas-Rhin an der Grenze zwischen Deutschland und Frankreich sowohl in wirtschaftlicher als auch in politischer und kultureller Hinsicht auch weiterhin ein Anziehungspunkt und erlebte einen fortgesetzten Zuzug aus Frankreich wie auch aus den deutschen Ländern. Um das Jahr 1825 waren 41,2 % der Einwohner gebürtige Straßburger, 34,7 % waren aus umliegenden Départements zugezogen, 5,1 % aus dem außerelsässischen Frankreich und 11,4 % aus Baden, der Pfalz und dem restlichen Deutschland. Zu nennen sind dabei auch die zahlreichen politischen Flüchtlinge, die, ebenso wie auch Georg Büchner im Jahr 1835, vor dem Zugriff der deutschen Behörden in Straßburg Zuflucht suchten und ohne größere bürokratische Hürden aufgenommen wurden. Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik in Straßburg

Nicht nur in sprachlicher und kultureller, sondern auch in konfessioneller Hinsicht blieb Straßburg, das sich seit 1532 offiziell zum Protestantismus bekannt, seit der Zugehörigkeit zum katholischen Frankreich im Verlauf des 18. Jahrhunderts aber auch eine signifikante und von der französischen Regierung nachdrücklich geförderte Zunahme der katholischen Konfession erfahren hatte, auch im 19. Jahrhundert eine gemischte Stadt. Von den rund 60.000 Einwohnern gehörten um die Mitte der 1820er Jahre rund 27.000 dem katholischen und rund 21.000 dem protestantischen Glauben an. Dem entsprachen zwei verschiedene Schulsysteme, die bis zum katholischen Lyzeum auf der einen und zum protestantischen Gymnasium auf der anderen Seite führten. Insbesondere unter den Protestanten, die einen Großteil der theologischen Lektüre aus Deutschland bezogen und deren Pastoren fast ausschließlich auf Deutsch predigten, blieben die deutsche Sprache und eine kulturelle Orientierung nach Deutschland vorherrschend. Das prägte auch die Straßburger Universität, an der Georg Büchner 1831 sein Studium aufnahm. Während insbesondere die theologische Fakultät im wesentlichen auf den deutschen Sprach- und Kulturraum ausgerichtet blieb, waren die naturwissenschaftliche und medizinische Fakultät vornehmlich an der Tradition der französischen Naturwissenschaften orientiert, ihr Lehrkörper überwiegend aus nicht-elsässischen Franzosen zusammengesetzt. Während also Georg Büchners familiäres und Freundesumfeld ebenso wie seine Kontakte zu den Mitgliedern der theologischen Studentenverbindung „Eugenia“

Die Studentenverbindung „Eugenia“

in Straßburg eher elsässisch-deutsch geprägt waren, hatte sein naturwissenschaftlich-medizinisches Studium also eine vorwiegend französische Ausrichtung.

Text: Maximiliane Jäger-Gogoll (Juni 2014)