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Wilhelm Baum : Brief an Eugen Boeckel; Zürich 1. Oktober 1837

Zürich den 1. Octob. 37.

Wer schon vorgearbeitet hat hat gut nacharbeiten. Ich denke mein erster u hauptsächlicher Vorarbeiter Stahl wird Dir u andern, Deinem lieben Bruder und Zeysolff & das wichtigste u vielleicht noch mehr als dieß, von dem Ausflug ins Glarner Land, in , Unterwalden, Schwitz u Zug erzählt haben. Darin hat er mir also vorgearbeitet, u wenn er auch den Sturm auf d. Vierwaldstätter See etwas zu schauerlich geschildert u die Wellen zu hoch hat aufsteigen laßen so will ich späterhien die nöthigen Berichtigungen mündlich nachholen. Ich habe mit ihm vier der angenehmsten u martervollsten Tage verlebt. Er hat sich zwar auch abgemartert um mich abzumartern, aber „es war mir zum Heil es riß mich nach oben“ nähmlich in die schönsten u grandiosesten Gegenden die er nach seinem eigenen Geständniß in der Schweitz gesehen. Aber ich stand wirklich in Gefahr eine wahre Indigestion zu bekommen von dem vielen Neuen, Unerwarteten daß ich in so wenigen Tagen an meinen Augen wie ein Schattenspiel an der Wand mußte vorbeyfliegen laßen. Ich kann Dich versichern, mein Lieber, größeres habe ich nicht gesehen, größeres im Raume werde ich schwerlich sehen. Noch immer bin ich in Zürich, werde auch wahrscheinlich noch einige Zeit (das heißt wahrlich viel gesagt{)} hier bleiben[) denn ich habe hier für meinen Zweck so unendlich vieles u mannigfaltig dahien ein schlagendes gefunden, daß ich wohl, wenn ich alles erschöpfen wollte, für ein ganzes Jahr Beschäftigung hier fände. Dein Schwager u Deine Schwester in Bern, denen Du, glaube ich, meine Ankunft viel früher gemeldet, werden denken ich müsse wohl gestorben oder verdorben seyn, das letzere wäre in der Schweitz leicht möglich.

Ich habe hier schon unter den Gelehrten u Züricher Statsmännern die ausgedehntste Bekanntschaft gemacht. Bey den Gelehrten aller Facultäten habe ich mich wohl u behaglich gefunden, wenn Du einige Patriciertheologen ausnimmst die in ihrer Theologie eben so beschränkt waren als in ihrem Benehmen. Schönlein wollte ich schon einige mal hören, u sehen, aber immer hatte ich das Unglück die Stunde zu verfehlen. Auf dem Naturaliencabinet lernte ich den Ornitologen Schinz kennen, ein höchst artiger anspruchloser Mann, der das Cabinet besonders mit einer schönen u [++] reichen Sammlung Vögel versorgt hat. Beym hinausgehen [s]zeigte Prof. Orelli, ein Philologe von der zahmsten u zugleich geistreichsten Art, auf ein schwarzbraunes langes Ding das einem jungen Kirschbaumstam von etwa 5 Schuh höhe [glich] u bemerkte dieß sey ein Elephantenpenis – ich erwiederte daß könne unmöglich so seyn, dar rief er den Prof. Schinz der berichtigte den Irrthum u machte den Elephantenpenis zu einem Wallfischpenis das leuchtete mir beßer ein. Größere Freundschaft habe ich von ältern Männern noch selten in d. Grade erfahren als hier. Besonders muß ich hier auszeichnen den Prof. Orelli, den berühmten Herausgeber des Cicero. Die Theologen sind hier etwas humaner, wenigstens gegen Fremde, als bey uns. Er vergeht selten ein Abend wo ich nicht [in] Gesellschaft mit den Lehrern der akademie, oder vielmehr der Universität bin u zwar mit den Ausgezeichnetern. Oken lernte ich letzhien kennen; eine kleine, magere, ausgetroknete Personalität mit kleinem [zus] von oben nach unten zusamen gedrücktem Gesicht, gescheit hervorstehender Nase, voll klaren u scharfen Verstandes. Ein man der sich in alle diese Cantonsfraubasereyen nicht mischt, nicht weil er keinen Sinn dafür hat, sondern weil er sie verachtet. Auch sagte er mir es seye hier kein beßeres Mittel den politischen sowohl als gelehrten Gegnern zu antworten als stille zu schweigen u sie zu verachten. Die Stadt ist im ganzen viel zu schön gelegen u ihre nächsten Umgebungen sind viel zu reizend als daß ein Fremder, wenigstens, anhaltende Stuhl u Stubenstudien, in den ersten Monaten darin machen könnte. Was wunder wenn man sich hier gefeßelt fühlte u man würde sich gefeßelt fühlen wenn Menschengemüther u Menschenseelen nicht noch schöner wären als die Gestaden des See’s u die fernherfunklenden Eisberge. –

Auch unseres Büchners frühes Grab habe ich letzhien besucht – noch wächst kein Gras, aber Blumen darauf von lieber Hand gepflanzt u von Mad Orelli gepflegt. Er hoffte einst zuversichtlich ich würde ihn hier besuchen u bey ihm hausen können. Ich kann Dir nicht sagen wie es ergriff das schöne noble Angesicht mir jetz da unten unter dem Grunde zu denken durchwühlt von Moder u Ungeziefer. Der Kirchhof wo er liegt heißt zum Krautgarten u verdient in jeder Beziehung diesen prosaischen Namen über den er selbst, wie er das konnte u pflegte auf eine witzige Weise, wenn er lebte, [sich>] lustig machen würde. Er liegt mitten in der Stadt ou à peu près u man sieht nichts als Hinterhäuser, verbrämt mit cabinets inodores u rundscheibigten Kammerfe[nster]n von denen aus die müden Knechte u Mägde den kleinen Ort der Ruhe mit geheimem Schauer betrachten. Sein Andenken ist unter den Professoren schon ziemlich erblaßt. Das ist das Loos des Schönen auf der Erde! Nur colossale Felsen [bl] wie die in dem Rheinstrom bey Schaffhausen, bleiben in dem Zeitenstrohme stehen, kleinere Steine u wäre es der herrlichste Kristall werden nur in der Tiefe mit fortgerissen (in einigen Gemüthern stille bewahrt) u am Ufer findet ihn das Auge des Künstlers u hebt ihn auf zur Bearbeitung. Diesen Künstler hat B. gefund, wie ich höre, Gutzkow wird eine gewiß geistreiche Biographie v. ihm schreib u ihm dadurch ein Denkmal setzen denn dasjenige das auf seinem Grabe steht, wird in kurzer Zeit verwittert seyn. –

So eben erhalte ich einen Brief v. Cunitz der mir schreibt daß Du meinen Zweiten Brief erwarten [willst] um dann in einem einzigen auf alle Beyde zu antworten das heiße ich mir nun einmal mit Zeit Federn u Dinte gegeitzt, u nicht gleiches mit Gleichem vergolten. [D☻]Was Du willst das Dir die Leute tun && d. h. antworte auf jeden Brief separatim; was Du willst das Dir die Leute nicht tun && d. h. gebe nicht auf 2 Briefe eine Antwort. Doch ich denke Du wirst mir dafür ein voll gerüttelt Maaß geben u somit will ich mich zufried stellen. Aber wirklich habe ich schon längst lechzend einen Brief von Dir erwartet u dachte nun ich will nicht Stillschweigen mit Stillschweigen vergelten u lieber Kohlen auf Deine träge Hand sammlen. Ich bin hier nicht immer so beschäftigt als ich seyn sollte denn es ist hier [mei] für meinen Beza u anderes erstaunlich viel vorhanden. So daß ich mich in Bern gar nicht lange aufzuhalten brauche. Bis zum 16 Octob. werde ich noch hier seyn, wiewohl die Wichtigkeit der Sache es noch länger erheischte. Aber es ist hier entsetzlich theuer zu leben auch zwingen mich die täglichen Gesellschaften zu vielen Ausgaben die die vornehmen Professoren wohl machen können, die meinem Beutel aber entsetzlich wehe thun. Ich will sehen ob ich hier meine unglückseeligen Methodisten verkaufen kann – das gibt dann vielleicht wieder ein kleinen Succurs. Ich sollte Briefe schreiben an so viele Leute, m. Onkel, Herrenschn. u and. bin aber wahrlich noch nicht dazu gekommen. Grüße unsere Bekannten. Vor allen Deinen lieben Bruder u s. Frau. Hoffmann soll arbeiten oder ich schicke einen Züricher Donnerkeil auf ihn. Lebe wohl mein Lieber es grüßt u küßt Dich Dein WB

Überlieferung
H: ZB Zürich, Nachlaß Boeckel, Ms. Z XII 384, Nr. 10; d: Strohl 1936a, S. 80-84.

Eingestellt Juli 2017