LZ 1338
Margarethe Reuss Tagebuch; Straßburg und Neuhof 30. Oktober 1831 – 28. Juli 1833
Einleitende Erläuterung:
Einen Monat nach seinem Abschied aus Straßburg, am 31. August 1833, schreibt Büchner an seinen Cousin Edouard Reuss, daß die in der „Nähe“ von Edouards Mutter Margarethe Reuss, deren Schwester Friderique Bauer und Tochter Pauline Reuss „verlebten Augenblicke zu den frohsten meines Lebens gehörten.“ 31. August 1833. An Edouard Reuss in Straßburg Über diesen Kreis um Büchners Straßburger Großtante wusste man nichts Genaueres, bis Reinhard Pabst die Tagebücher der Margarete Reuss in einem französischen Nachlass entdeckte. Er veröffentlichte 1995 den ersten Büchner betreffenden Eintrag vom 30. Oktober 1831. Die übrigen für Büchner relevanten Teile sollten in dem seinerzeit geplanten Band "Lebenszeugnisse" der Marburger Büchner Ausgabe erscheinen, der sich in gedruckter Form nicht mehr verwirklichen ließ. Ich bin Reinhard Pabst dankbar, dass er anstelle der Buchpublikation der Veröffentlichung dieser und anderer von ihm gefundener Dokumente im Büchnerportal zustimmt.
Das Tagebuch, das Margarete Reuss in ihrer Straßburger Stadtwohnung in der Rue des hallebardes nahe dem Münster bzw. auf dem Familiengut Neuhof vor Straßburg führte, vermittelt einen lebendigen Eindruck des außerordentlich geselligen Kreises der Margarete Reuss und ihrer Kinder und deren Familien. Zum weiteren Freundes- und Bekanntenkreis zählten insgesamt wohl um 100 Personen. Zu den Hauptaufgaben von Margarete Reuss zählte im Herbst 1831 die Pflege ihres schwerkranken Mannes bis zu dessen Tod am 24. November. Ab Ende 1831 selbst kränkelnd, widmete sie sich im folgenden einer umfangreicheren Renovierung sowohl des Neuhofs als auch der Stadtwohnung. Das Ausmaß dieses fast täglich zwischen Büro, Haus, Garten und Besuchen verteilten Pensums der Verfasserin lassen die Auszüge allerdings nicht erkennen.
In dem umfangreichen Tagebuch mit täglichen Eintragungen zwischen 1808 und 1843 haben sich die zwischen 1834 und 1836 angelegten Hefte nicht erhalten, so daß Zeugnisse zu Büchners Exilzeit 1835/36 leider fehlen.
Im folgenden Text wurden die Tageseinträge, die Büchner erwähnen, möglichst ungekürzt wiedergegeben. Sie sind im jeweiligen Umfang und mit ihren Alltagsschilderungen in etwa repräsentativ für die Aufzeichnungen der Jahre 1831-1833.
1831.
30 October. Morgens während die tante, Edouard u. Pauline in der Kirche waren kam George Büchner von Darmstadt an um hier Medicin zu studiren. Edouard hatte ihm ein logis bey Pfarrer Jäglé ausgemacht, allein vor der Hand bis sein Coffre kommt bleibt er noch bey uns. Nach der Kirche kam Caroline und Wieger u. nachmittag Julie. Mein Mann war heute sehr leidend.
[...]
7 November [Straßburg] Diesen Morgen brachten wir meinen Mann wieder unser 6 ins andre Bett. Er hatte nicht mehr so große Schmerzen daran [sc. am Bein] konnte jedoch es nicht allein von einem platz an den andern legen. Büchner Abends
[...]
Es folgen u.a. Einträge zum Tod von Ludwig Christian Reuss am 24. November und seiner Beerdigung.
[…]
26. December [1831] [Straßburg] [...] Nach unserm Frühstück beschäftigte ich mich die Bescheerung die Abends statt haben sollte zu rüsten. Lindauer kam um 11 Uhr speißte aber bei Kob, er kam nach dem Essen noch ein mal u. kündigte uns den Besuch von seiner Frau u. Marie auf den Neujahrstag an. Abends kamen die 3 Familien nacheinander an auch Büchner den ich dazu eingeladen u. dem pauline einen Beutel gestrickt hatte. Die Freude war groß, aber mein Herz vermißte wieder ein Herz mehr bey dieser Feyer, ach ich kann diese Familienfreude nie mehr ganz froh geniesen, zu theure Geliebte feierten sie sonst mit die ich jezt nie mehr dabey sehe. Ich nahm Himly einen Augenblick allein u. verkündigte ihm paulinens Entschluß welcher ihm große Freude verursachte u. so war diese Sache beendigt. Louis & ++ blieben beim Thee.
[...]
1832.
[...]
8 Januar. [Straßburg] Ich wollte heute zu Himly in die Kirche gehn, allein ein Anfang von Glatteis und ein entzündetes Auge hinderten mich daran so auch der Besuch von dem Laibischen Ehpaar u. Mad. Schweighaeuser – ich hatte Büchnern zum Essen heißen kommen u. Lindauer kam auch. Er war wieder sehr kleinmüthig. Als er fort war holte ich meine Rahm und vernähte meine Sorgen. Auch Fr. Vierling u. Charlotte kamen nach Tisch. Abends die gewöhnliche Theegesellschaft
[...]
6 Februar [1832]. [Straßburg] Julie u. Caroline. Der Heerd wurde gebracht. Abends kam Büchner u. brachte mir Briefe aus Darmstadt.
[...]
21 Februar [1832] [Straßburg] Morgens kam Julie, u. Abends Büchner u. die Dornin, wir trockneten unsre Wäsche meist am Ofen.
[...]
28 [Februar 1832] [Straßburg] [den ganzen Tag Wäsche gestreckt,] abends kam Büchner. {Morgens mit Pauline auf den Neuhof gegangen. Dann noch Wäsche gestreckt.}
[...]
6 May [1832] [Straßburg/Neuhof] Morgens in der kirche, D.r Redslob hielt eine vortrefliche Osterpredigt über den Text „Ich bin die Auferstehung und das Leben etc vermuthlich die die er am Ostern wegen der Krankheit seiner Frau nicht halten konnte. Nach der kirche kam Caroline, wir führten sie in Edouards Wohnung u. dann giengen wir zur Friderique. Dann gieng ich noch zur Pfr. Beck die ich aber nicht fand. Büchner kam zum Mittagessen u. nach tisch gieng er u. Edouard mit uns auf den Neuhof wo wir alles prächtig in Flor fanden. Spät u. müde kehrten wir nach Haus, und unsre gewöhnliche Theegesellschaft fand sich bald ein.
[...]
1 Julius. [Neuhof] Morgens saß ich eine Weile mit pauline im pavillon. Mittags kam Edouard mit Büchner, während dem Essen kam Lindauer mit Sophie, ein wenig später als wir kaum im Garten waren kam die Caroline mit ihren 7 kindern und der Susanne u. endlich kam auch noch Md.e Levrault, die ich überall herumführte[.] Die gieng zuerst fort, dann um 6 Uhr Lindauer mit seiner Sophie um 7 Uhr fuhr die Caroline fort mit ihrer Familie u. endlich nach 8 Uhr gieng auch Edouard und Büchner fort, wir begleiteten sie noch eine Strecke bis an Griesers Garten u. ertappten dann noch einen kirschendieb.
[...]
22 November [1832] [Straßburg] Heute wurden alle Fenster in unserm Bereich gewaschen. Ich fieng an kappenschneiden für in die Salles d’asyle. Abends kam Büchner. Dann gieng pauline mit mir zur Friderique die Kobischen u. Mlle. Stribeck waren auch da. Charles Kob besah unsre küche u. fand sie sehr nach seinem Geschmack. pauline zählte morgens die Wäsche.
[...]
1 Décember [1832]. [Straßburg od. Neuhof] Ein trauriger Gedächtnißtag, heute vor 10 Jahren gieng unser Auguste zu einem bessern Leben ein; ferne von uns, ohne daß ich ihn pflegen konnte, u. zu der Zeit wo er sich jetzt wieder mit uns u. bei uns établiren sollte! – –
Morgens brachte ich unser Contingent zu Md Spielmann den übrigen Tag gestreckt u. geflickt. Caroline u. Julie waren da. Abends kam Büchner
2 [Dezember] [Straßburg] Morgens in der Kirche Pfr. Edel predigte. Nach der Kirche an den pantoffeln genäht. Mittags Büchner nachtisch Mad. Strohl, dann Caroline u. Julie, später Himly mit seinen 3 kindern. Louis u. seine Frau beym Thee.
[...]
[26. Dezember 1832] […] die Eltern waren vergnügt, die kinder froh; wir blieben dann noch beisammen, himly war nach Haus gegangen die ander 3 herren aufs Cassino, wir tranken unsern Milchthee ganz behaglich. Louise Wieger hatte mir eine hübsche Cartonlade gebracht auf deren Deckel eine von ihr verfertigte Stickerei angebracht ist.
[...]
30 [Dezember 1832] [Straßburg] [...] Abends war der Theeverein bei Edouard, wo Scenen aus dem Pfingstmontag vorgelesen wurden. Mit Friderique bey Pfr. Edel.
[...]
1833.
[...]
2 Januar. [Straßburg ?] Heute sollte die Becker u. die Carline kommen, die erste kam aber allein, Carline ist krank. Den ganzen Tag halfen wir nähen. Abends kam Büchner dann Himly .
[...]
24 [Januar 1833] [Straßburg] Wieder am Teppich gearbeitet. Abends erwarteten wir die Hausbewohner allein Friderique kam uns zu Ihnen holen weil Musik gemacht wurde pauline wurde durch ein Geschenk von Felix erfreut. Büchner kam auch den Edouard aufs Cassino abholen.
[...]
31 [Januar 1833] [Straßburg] An die tante u. an die Lindauer geschrieben; der lezten vorgeschlagen dem Julius das französische zu lehren und papparbeiten machen zu lassen. Meine Monatsrechnungen in Ordnung gebracht. Abends Büchner, u. Friderique u. Mimi.
[...]
12 Februar [Straßburg] Wieder an den Hemdern geflickt. Julie war da u. Abends Büchner.
[...]
21 [März 1833] [Straßburg] Morgens Büchner besucht. Dann zu Jayser u. zu Julie, pauline war schon früher dort gewesen, dann noch zu Caroline. Lindauer kam nachmittag [...].
[...]
31 [März 1833] [Straßburg] Morgens in der Kirche Dr. Redslob predigte über die Worte „Heute noch wirst du mit mir im paradiese seyn“ Nach tisch (Büchner sollte mit uns essen vergaß es aber) giengen wir mit Himlys in ihren Garten [...].
[...]
21 [April 1833] Sonntag [Neuhof] Am Sack genäht. Edouard u. Büchner kamen zum Essen, nachmittag eine promenade in den Wald gemacht. Carline Ahne kam auch um die Woche über da zu nähen. Abends begleiteten wir die beiden noch ein wenig.
[...]
1 [März 1833] Mai [Neuhof] Morgens zeitig kam Büchner [++] gieng in den Wald botanisiren u. kam zum Mittagessen. Nachtisch kam Julie mit ihren kindern u. Auguste Wieger. Wir begleiteten sie Abends bis an die steinerne Brücke.
[...]
19 [Mai 1833] [Neuhof] Ganz frühe kamen die beyden Himly u. die 3 ältesten Wieger, um 7 Uhr langten dann in der Chaise die Julie u. Caroline mit ihren übrigen kindern u. einer Magd an. Die 4 grosen knaben giengen nach dem Frühstück in den Wald. Wir verbrachten einen sehr angenehmen gemüthlichen Tag durch den jedoch meine reminiscenzen wie dunkle Wolken zogen. gleich nach tisch kam Besuch v. Md. Werner u. H u. Mades Greiner, dann kam Himly . Später kam Mossler. Himly, Julie, Caroline u. die beiden Mädchen giengen dann zu Fuß heim, ich packte die 8 knaben mit der Magd in die Chaise u. schickte sie den Eltern nach Büchner u. Boeckel kamen endlich auch noch von einem botanischen Spaziergang u. beschloßen die Reihe der heutigen Besuche.
20 [Mai 1833] Edouard gieng sehr früh Morgens in die Stadt, ich gab ihm den Auftrag mit Ehrmann zu sprechen u. ihn zu bitten mich zu besuchen. Wir kamen noch vor 9 Uhr in die Stadt. Ehrmann kam erst um 10 Uhr. [...]
12 [Junius 1833] [Neuhof] Wie gestern. Abends kam Büchner.
13 [Junius 1833] Wieder geflickt. Morgens kam Edouard.
[...]
23 [Junius 1833] [Neuhof] Edouard kam erst heute zu uns u. brachte Büchner und einen Universitaetsfreund Wulfes mit ein sehr artiger vernünftiger Mann, sie blieben bis 5 Uhr u. wir hatten ihnen eine angenehme Unterhaltung zu danken.
[...]
14 [Julius 1833] [Neuhof?] Morgens Edouard, Wulfes u. Büchner, zum Frühstück. Gegen Mittag die Familie Reuss u. Emilie Ensfelder. Der Regen erlaubte uns nicht uns viel im Garten aufzuhalten. Nachtisch spielten die jungen Charrades en actions wobei es viel zu lachen gab.
[...]
28 [Julius 1833] [Neuhof] Morgens kam Edouard mit Büchner, wir blieben allein es ist heute der Abschiedsbesuch v. Büchner gewesen. Der Abschied that uns allen leid denn es ist ein guter herzlicher Mensch. Sie giengen erst spät fort. Nachts sahen wir noch die herrliche Beleuchtung des Münsters vom Pavillon aus.
Text
Eine Besonderheit von Margarethe Reuss’ Handschrift besteht darin, daß sowohl in deutscher wie z. T. in lateinischer Schreibweise die Buchstaben B, F, P, T und W als Groß- bzw. Kleinbuchstaben so gut wie nicht unterscheidbar sind. Da die sonst geläufig und orthographisch geregelt schreibende Geschäftsfrau kaum beabsichtigte, deutsche Namen und Substantive mit diesen Anfangsbuchstaben klein (oder Verben groß) zu schreiben, sind diese Fälle in der Transkription regulär wiedergegeben. Nur in den Fällen von P/p und K/k, für die gelegentlich auch differenzierte Buchstaben vorkommen, ist der Befund diplomatisch verzeichnet, auch wenn es der Intention der Schreiberin widersprechen dürfte. – Das Wort nicht, in H öfter als kreisförmiges Kürzel, wurde stillschweigend aufgelöst.
Überlieferung
Handschrift im französischen Privatbesitz. d1 (des Eintrags vom 30. Oktober 1831) Reinhard Pabst, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Nr. 87, 12. April 1995, S. 35.