4. September 1836. Von Eugène Boeckel nach Straßburg

Würzburg den 4ten Sept. 1836.

Mein lieber Büchner, wo Du bist weiß ich nicht gewiß, u. darum muß ich auf’s neue mich an Deine Geliebte wenden (sous enveloppe) um Dir den Brief zukommen zu laßen – Ich ließ zwar Deine adresse bey Melle Jägle begehren, allein ich erhielt sie nicht, wie mein Bruder versichert durch die Nachläßigkeit v. Melle – Du wirst hoffentlich den Brief erhalten haben welchen ich Dir den 18ten Juni v. Wien aus schrieb, mit d. adresse bey Hr. Siegfried etc – Meine jetzige adresse ist bis Ende Oktobers – Würzburg. E. B. bey Hr. Broili erstes Distrikt No 262 – Bist Du noch in Straßburg so gebe meine adresse unserm vielgeliebten dickbauchigen Pädagog. – Vielleicht hat er wieder einmal Lust zu schreiben. Was freilich äußerst selten vorkömmt. Zweimal seit meiner Abreise v. Straßburg. Ich habe ihm 4 mal geschrieben. Jezt mache ich es aber wie d. pädagog, u. schreibe nicht mehr – Mit Dir mein lieber bin ich um so mehr zufrieden da ich aus der Kenntniß Deines Karakters kaum einen Brief zu hoffen wagte. Ich habe mich gänzlich geirrt, dies ist mir sehr lieb u. angenehm – Ich denke Du weißt daß ich den zehnten July v. Wien wegreisete über Graz nach Triest, eine angenehme gebirgige intereßante Gegend. V. Triest nach Venedig dann Verona, Mantua, Mayland u. über d. Garda-See, Roveredo, Trient u Botzen nach Inspruck, v. Inspruck nach Salzburg, dann München u. endlich Würzburg – Diese Reise wenigstens wirst Du nicht für langweilig u. trocken halten, wie die tournée durch die Hörsaale der teutschen Profeßoren. Ich würde Dir eine detaillirte Reise-Beschreibung machen, allein ich habe schon soviel davon geschrieben daß ich mich nicht dazu entschließen kann. An Baum schrieb ich v. Triest, an meinen Schwager v. Trient, an mein. Bruder v. München, u. an meine Schwester v. hier aus – In Teutschland befinde ich mich sehr wohl, es ist nicht halb so schlimm wie Du glaubst. Ich glaube es gibt keinen besser organisirten Staat in Europa wie Preußen beynahe in aller Beziehung – Die Regierung herrscht nach den bestehenden Gesetzen kraftvoll u. energisch, u. von eigentlichem Despotismus habe ich wenig od. nichts gesehn – Über Politik darf man sich, u. hauptsächlich Fremde, ziemlich freimüthig äußern, nur nicht gegen die bestehende Regierungs-Verfaßung. Was ich hauptsächlich in Preußen bewundere dies sind die militairischen Institutionen, es ist nicht zu läugnen das Preußen der erste u. best organisirte Militair-Staat der Erde ist, u. d. h. viel. Ich wünschte daß das preußische Militair-System nach Frankreich verpflanzt würde. Man unterscheidet in Preußen die National-Garde nicht von den Linien-Truppen. Die garde nationale bey uns wählt ihre Offiziere selbst, ich wollte gern auf dieses privilegium Verzicht leisten u. von der Regierung tüchtige Offiziere ernannt sehn – Denn mit unsern Wahlen werden wir nie tüchtige Offiziere bekommen. Nikolaus d. russische Fürst wird wohl einer der trefflichsten u. besten Fürsten seyn. Er hat viel gegen den hohen Adel zu kämpfen u. sucht einen eigentlichen Bürgerstand zu gründen – Wirklich arbeitet er an der Aufhebung der Leibeigenschaft. Was Polen betrifft so weißt Du wie sehr ich wünsche in aller Beziehung u. hauptsächlich als Franzose daß die Polen den Sieg davon getragen hätten. Aber an Nikolaus Stelle als Kaiser von Rußland hätte ich mir wahrhaftig auch nicht Polen entreißen laßen. Was er that war er dem Ruhme Rußlands u. seinem Throne schuldig.

Die Oestreicher sind zufrieden u. glücklich sie verehren ihren Kaiser als ein von Gott eingeseztes Oberhaupt was brauchen sie mehr. Zudem wäre eine andere Verfaßung als die absolute der Ruin der östreichischen Monarchie bey diesen heterogenen Massen ist es eine Unmöglichkeit eine konstitutionelle Verfaßung zu bilden – Die Italiener verdienen in aller Beziehung ihr Loos, jezt wünschen sie daß die Franzosen sie von der östreichischen Herrschaft befreien. Wenn die Franzosen ein Jahr daselbst wären würden sie die Östreicher wieder zurückrufen – Denn die Italiener thaten niemalen selbst etwas, sie schauten zu wie sich die Teutschen u. Franzosen um Italien schlugen – Meiner Ansicht nach ist die östreichische Regierung eine wahre Wohlthat für Italien, wo östreich herrscht kann man wenigstens mit Sicherheit reisen – Du siehst daß ich meine politischen Ansichten in mancher Rücksicht erweitert u. geläutert habe.

Ich wünschte die adresse Deines cousin’s zu haben also sobald Du dieselbe erfährst schreibe mir. Bis Ende Oktobers hieher, wenn Du später meine adresse nicht kennst so kannst Du die Briefe immer Eug. Boeckel, librairie Treuttel et Würz à Strasbg. adressiren. Ich reise von hier aus nach Paris über Straßburg. Vielleicht komme ich auch nach Darmstadt, ich wünsche also zu wißen ob ich Anfangs November Deine Familie in Darmstadt antreffe. Dich werde ich leider in keinem Fall weder in Darmstadt noch in Strasburg treffen, aber im August u. September 37. werden wir uns aller Wahrscheinlichkeit nach sehn – In München hat es mir sehr gut gefallen, ich finde diese Stadt verdient in aller Beziehung den Nahmen des neuen Athens, auch ist der Zudrang der Fremden so groß daß man viele Mühe hat in einem ordentlichen Gasthof unterzukommen. Ich wäre sehr gerne 8 Tage in München geblieben u. hätte auch noch hinlänglich Zeit u. Geld dazu gehabt, aber v. Salzburg aus reisete ich mit einer Lücke intereßanten, schönen, liebenswürdigen Dame, diese blieb nur drei Tage in München u. reisete dann über Würzburg nach Frankfurt. Sie redete mir zu mitzureisen, u. schönen jungen Damen kann ich nichts abschlagen also blieb ich auch nur drei Tage in München. Hier mußte ich mich leider von meiner angenehmen Reisegefährtin trennen – Das privatissimum bey D’Outrepont hat seit sechs Tagen angefangen ich bin ganz damit zufrieden, an Gelegenheiten aller Art etwas zu lernen fehlt es nicht. Ich habe hier eigentlich nur einen Bekannten u. lebe viel zurückgezogener u. regelmäßiger als in Wien, auch hat man durchaus diese vielen Zerstreuungen nicht wie in Wien, ich studiere hier Me Lachapelle, einzelne Abhandlungen v. D’Outrepont über Geburtshülfe, Wigand etc. dann einige Schriften über Cholera – In Strasburg hoffe ich Deine dissertatio vorzufinden. held war einige Tage hier, ich wurde allenthalben gefragt ob ich diesen jungen Windbeutel kenne. Er soll sich oft geäußert haben die hiesigen Institutionen mögen gut seyn für die Studirenden, aber er docteur en médecine wiße hier nichts zu lernen. Lambossy ist in Paris. Schwebel wird nächstens auch dort eintreffen – In Hoffnung bald einen Brief von Dir zu erhalten schließe ich den meinigen.

Dein Freund Eugène

Adr. E. B. D. M. bey Hr. Broili, erstes Distrikt No 262 in Würzburg.