22. September 1836. An Johann Jakob Hess in Zürich

 Straßburg d. 22. September 1836

Euer Wohlgeboren

werden, wie ich hoffe, einen Fremden entschuldigen, der sich die Freiheit nimmt in einer für ihn höchst wichtigen Angelegenheit Ihre Güte in Anspruch zu nehmen.

Die politischen Verhältnisse Teutschlands zwangen mich mein Vaterland vor ungefähr anderthalb Jahren zu verlassen. Ich hatte mich der akademischen Laufbahn bestimmt. Ein Ziel aufzugeben, auf dessen Erreichung bisher all meine Kräfte gerichtet waren, konnte ich mich nicht entschließen und so setzte ich in Straßburg meine Studien fort, in der Hoffnung in der Schweiz meine Wünsche realisiren zu können. Wirklich hatte ich vor Kurzem die Ehre von der philosophischen Fakultät zu Zürich einmüthig zum Doctor kreirt zu werden. Nach einem so günstigen Urtheile über meine wissenschaftliche Befähigung konnte ich wohl hoffen auch als Privatdocent von der Züricher Universität angenommen zu werden und, im günstigen Fall, im nächsten Semester meine Vorlesungen beginnen zu können. Ich suchte daher bey den hiesigen Behörden um einen Paß nach. Dieße erklärten mir jedoch „es sey ihnen durch das Ministerium des Innern, auf Ansuchen der Schweiz, untersagt einem Flüchtling einen Paß auszustellen, der nicht von einer Schweizerbehörde die schriftliche Autorisation zum Aufenthalt in ihrem Bezirk vorweisen könne. In dießer Verlegenheit nun wende ich mich an Sie, hochgeehrtester Herr, als die oberste Magistratsperson Zürichs, mit der Bitte um die von den hiesigen Behörden verlangte Autorisation. Das beyliegende Zeugniß kann beweisen, daß ich seit der Entfernung aus meinem Vaterlande allen politischen Umtrieben fremd geblieben bin und somit nicht unter die Kategorie derjenigen Flüchtlinge gehöre, gegen welche die Schweiz und Frankreich neuerdings die bekannten Maaßregeln ergriffen haben. Ich glaube daher auf die Erfüllung einer Bitte zählen zu dürfen, deren Verweigerung die Vernichtung meines ganzen Lebensplanes zur Folge haben würde.

Sollten Euer Wohlgeboren gesonnen seyn, mich mit einer Antwort auf dieß Gesuch zu beehren, so bitte ich dieselbe unter der Adresse: Dr. Büchner bey Herrn Weinhändler Siegfried an der Douane zu Straßburg, an mich gelangen zu lassen.

Mit der grösten Hochachtung

Ihr
ergebenster
Dr. Büchner.

 

Zeittafel 21. September 1836