18. Dezember 1836. Von Ernst Büchner nach Zürich
Darmstadt den 18ten Dezemb. 1836.
Lieber Georg!
Es ist schon lange her daß ich nicht persönlich an dich geschrieben habe. Um dich einigermaßen dafür zu entschädigen, soll dir das Christkindlein diese Zeilen bescheeren und ich zweifele nicht daran, daß sie dir eine angenehme Erscheinung seyn werden. Meine Besorgniß um dein künftiges Wohl war bisher noch zu groß und mein Gemüth war noch zu tief erschüttert, durch die Unannehmlichkeiten alle, welche du uns durch dein unvorsichtiges Verhalten bereitet und gar viele trübe Stunden verursacht hast, als daß ich mich hätte entschließen können, in herzliche Relation mit dir zu treten; wobei ich jedoch nicht ermangelt habe, dir pünctlich die nöthigen Geldmitteln, bis zu der dir bekannten Summe, welche ich zu deiner Ausbildung für hinreichend erachtete, zufließen zu laßen. –
Nach dem du nun aber mir den Beweis geliefert, daß du diese Mittel nicht muthwillig oder leichtsinnig vergeudet, sondern wirklich zu deinem wahren Besten angewendet und ein gewisses Ziel erreicht hast, von welchem Standpuncte aus du weiter vorwärts schreiten wirst, und ich mit dir über dein ferneres Gedeihen der Zukunft beruhigt entgegen sehen darf, sollst du auch so gleich wieder den gütigen und besorgten Vater um das Glück seiner Kinder in mir erkennen.
Um dir hiervon sogleich einen Beweis zu geben, habe ich deinem Wunsche “V. Froriep’s Notizen„ von mir zu erhalten, alsbald entsprochen, welche längstens bis zum 24ten d. M. per Kiste und ganz franco bei dir eintreffen werden. Dieselben sind als eine kleine Bibliothek zu betrachten und werden dir vielen Nutzen gewähren. Bis iezt ist der 50ste Band im Erscheinen. Ich besaß nur 26 Bände welche mich, ohne Einband, 93 fl. 36 x. kosteten u diese mache ich dir zum Weihnachtsgeschenk. Die Bände 29-46, welche du ebenfalls iezt erhälst, habe ich für deine dereinstige Rechnung mit deinen Geschwistern um 20 fl. 52 x erkauft und um diesen 3theil Preis sollst du durch mich die Fortsetzung u eben so die fehlenden Bände 27 u 28 erhalten. Sollten dir meine anatomischen Tafelen von Weber, welche dir schon genau bekannt sind und die ich iezt vollständig habe nöthig seyn, so will ich dir auch diese schicken, oder wenn du sonst Bücher nöthig hast, so mache mir solche namhaft und bemerke mir genau den Ladenpreis, um welchen du solche in Zürich würdest erhalten können. Auch findest du in der Kiste unter anderem 2 Exemplare meiner Nadelgeschichte, die mir beim Packen als altes Papier in die Hände fielen. Vieleicht kannst du deinen Schülern gelegentlich eine Erzählung davon machen. So dann legte ich auch eine Beilage zu unsrer Zeitung in die Kieste, worin eine Concurrenzeröffnung von Zürich aus bekannt gemacht wird. Hättest du früher meinen so wohlgemeinten Rath befolgt und dich mehr mit Mathematik beschäftigt, so könntest du vieleicht iezt mit concurriren. Doch dieß sey blos nebenher bemerkt. Deine Abhandlung hat mir recht viel Freude gemacht, und nicht weniger war ich erfreut über deine Creirung zum doctor der Philosophie, so wie überhaupt über deine gute Aufnahme in Zürich. Sey nur recht vorsichtig in deinem Benehmen und in deinen Äußerungen gegen u über jederman. Bedenke stets daß man Freunde nöthig hat u daß auch der geringste Feind schaden kann. Ich bin recht begierig zu hören, wie es dir bisher mit deinen Vorlesungen ergangen und worauf besonders dein weiterer Plan gerichtet ist. Zoologie u vergleichende Anatomie sind Felder worin noch viel zu kennen ist und wer Fleiß darauf verwendet dem kann es nirgends fehlen, merks tibi. Auch Kaups systematische Beschreibung des Thierreichs, wovon das 10 Heft erschienen ist, könnte ich dir schicken. –
Bei uns ist alles wohl u es werden die nöthigen Vorbereitungen zur Weinachten gemacht. Deine weitere Bescheerung findest du eben falls in der Kiste. In Reinheim ist kürzlich Oheim’s jüngstes Kind, ein schöner Knabe von 1 ½ J. gestorben. Deine Mutter wollte meinem Brief noch einige Zeilen beilegen, bei dem theuren Porto aber, wollen wir es unterlaßen, zumal du per Kiste Briefe erhälst. Mutter u Tante Helene sitzen oben bei der Großmutter, welche iezt beinahe völlig blind ist. Im Frühling soll das eine Auge operirt werden. Mathilde u Louise sind in der Oper “die Stumme„. Louis ist wahrscheinlich mit Anfertigung von Weinachtsgeschenken beschäftigt u Alexander liest wie gewöhnlich sehr emsig die Geschichte. Dieser wird ein ruhiger Gelehrter werden in allem Ernste. Endlich ich sitze am Schreibtische u schreibe in diesem Augenblicke am Ende meines Briefes meinen Namen.
E Büchner