11. Januar 1837. Von Eugène Boeckel nach Zürich

Paris den 11 Januar 1837.

Mein lieber, il vaut mieux tard que jamais, allein es ist zu bemerken daß ich Deine adresse erst vor 14 Tagen erhielt, diejenige welche mir Melle Jägle gab verlor ich auf d. Reise hieher. Seit meinem Aufenthalt in Strasburg hab ich nichts mehr von Dir erfahren. Du kannst Dir also denken wie begierig ich bin von Dir Nachricht zu erhalten. Ich hoffe Du wirst mit gutem Erfolg in Zürich aufgetreten seyn u. so Deinem Ziele nähergekommen. Schreibe mir doch wenn Du dieses Jahr nach Strasburg kommst, weil ich meine Reise darnach einrichten will, wenn Deine Vacanzen wie ich glaube im May statt haben so kann ich Dich auf jeden Fall sehn, aber früher werde ich wahrscheinlich nicht von hier fortgehn können. Ob ich durch die Schweiz nach Strasburg gehe ist noch ungewiß. Mit meinem Aufenthalt hier bin ich zufrieden, Du weißt übrigens daß ich ungefähr überall zufrieden bin. Im ganzen genommen hat es mir weit besser in Teutschland als in Frankreich gefallen. Ich gebe mich hier mit Syphilis, Auscultation u. Chirurgie ab, dies wären anziehende Studien für Dich. Die Auscultation seh ich als eine sehr wichtige Entdeckung an. Übrigens ist es hier ziemlich leicht viele Übung im Auscultiren zu erlangen. Die syphilitischen Kkht. werden besonders gut von Ricord behandelt. Für médecine operatoire sd. gute privatissima u. viele Cadaver’s vorhanden. Von der übrigen medizinischen Fakultät schreibe ich Dir nichts, weil Dich die praktische Medizin nicht intereßirt u. ich mich hier außschließlich mit abgebe.

Paris ist in Vergleich d. andern Städte welche ich gesehn, immens, grandios, u. reich. Es wundert mich nicht mehr daß man von Paris d. hyperbolischen Ausdruck braucht la capitale du monde, denn es ist hier auch so außerordentlich vieles vereinigt. Für Naturgeschichte, physiolog. u. Anatomie simple et comparée wäre eine Aufenthalt hier sehr intereßant für Dich. Die Gemälde Gallerie würde Dich auch größtentheils intereßiren; übrigens weißt Du wie wenig ich davon verstehe – Unterdessen bin ich jedoch ein außerordentlicher Liebhaber d. italienischen Oper, Laplache, Tamburini u. Delle Grisi sind unübertrefflich u. müßen durch ihren Gesang selbst einen Laien, Unkundigen ergreiffen. Du würdest hier gewiß öfters in die Oper gehn puritani, Il matrimonio secreto, Othello etc – Die französische Oper ist ziemlich gut – Im theatre français tritt die Delle Mars zuweilen auf. Die große Masse der übrigen Theater ist mittelmäßig od. schlecht u. gemein, zuweilen unerträglich. Die berühmte delle Ferrand, jezt Me Roy sah ich in d. opera-comique: Du wirst die tragische Geschichte dieser edlen Dame kennen; ich denke que les poils auront repoussé. Seit meinem Aufenthalt in Wien bin ich wider meine frühern Gewohnheiten ein ziemlich fleißiger Theater-Besucher worden. Aber freilich ein Theater wie das Burgtheater in Wien hab ich nicht wider gefunden. Nirgends ist es angenehmer sich ohne Zweck in den Straßen herumtreiben flaner als hier, von der Pracht u. dem Reichthum der superben Buden, Bazar’s hauptsächlich derjenigem im palais-royal hat man in andern Städten kaum eine Idee – An Spaziergängen hier fehlt es auch nicht hauptsächlich die boulevarts, d. jardin des tuileries, Luxembourg, jardin du roi u. dann noch einige breite schönen Straßen w. z. B. rue d. Rivoli, Castiglione, place Vendôme etc.

Viele excursionen habe ich noch nicht gemacht, theils weil ich viel zu thun habe, theils wegen des schlechten Wetters, ich verspare die weiten Ausflüge auf das Frühjahr. In Paris selbsten kann man für 6 sols überall in dem omnibus, hirondelles, Orléanaises etc. herumfahren, ein wohlfeiles u. zuweilen angenehmes Vergnügen. Den Arc d. triomphe, d. Obelisken, d. colonne Vendôme, den Platz d. bastille u. mehrere andere Merkwürdigkeiten habe ich öfters besucht. In den salon’s des palais-royal haben mich die historischen Gemählde aus der revolution am meisten intereßirt. Lese-Cabinet’s sind hier unzählige, in einigen hat man auch die allgemeine Zeitung. In d. Café’s wd. nicht geraucht. Dies ist etwas für Dich. Dagegen gibt es viele estaminets in welchen geraucht wd.

Lambossy ist schon lang von hier weg. Es hat ihm hier nicht gefallen, wahrschlch. weil er sich in der ungeheuren Masse verlor. held u. Schwebel sd. noch hier, lezterer wd. in einigen Wochen von hier absegeln um sich in Barr als Arzt zu etabliren. Sonstige Bekannte habe ich hier viele getroffen. Der dickbauchige pädagog liegt im Gloster in Strasburg, sauft Café, streicht sich den Bauch u. schneidet Gesichter, ich habe zwei mal an ihn geschrieben; natürlich ohne jemalen eine Zeile von ihm zu erhalten. Von einem Theologen muß man nicht zu viel begehren. Müntz welcher einige Zeit hier war ist leider Lücke abgereiset. Er hat eine Stelle als professeur du collège Lücke Schlettstadt. Selestat. Ich denke mich nächsten Sommer irgendwo zu etabliren, ich weiß nicht ob ich in Strasburg bleibe oder ob ich in den Oberrhein gehe, geschieht lezteres so sind wir ganz nahe bey einander.

Sehr theuer ist d. Aufenthalt in Paris nicht wenn man keine besondern Auslagen für Bücher od. Collegien od. sonstige Dinge hat so kann man mit 200 fr. monatlich leben. Die Zimmer sind etwas theuer. Das Mittagessen nicht so sehr wie man glaubt für 20 sols ißt man erträglich für 30 ziemlich gut.

Die Kleider sind hier sehr theuer, für ein. schwarzen Frack zahlte ich 100 fr. u. es gibt auch zu 150-200 fr – Im ganzen habe ich im Laufe des vorigen Jahres 4000 fr. gebraucht. Dies ist auch ein Beweggrund weswegen ich dieses Jahr dem Reisen ein Ende machen will, denn mein kleines Capital geht zu Grunde, u einige Tausend Franken will ich für mein établissement reserviren. Lange wd. sich nächstens verheurathen. Stöber hat seine fiancée, definitif aufgegeben wie man mir sagte; ds. arme Mädchen dauert mich. Sie wd. schwer eine andere Parthie machen können. Ich bin Dieu merci noch frei, theils weil ich es aus Grundsatz bleiben will, theils weil ich nicht weiß ob mich andere Leute wollen

Dein Eugène.

Adresse. Eug. Boeckel, D. M. quai st. Michel No 13. hôtel d. l’étoile du nord.