10. Juni 1836. Von Karl Gutzkow nach Straßburg

Mein lieber Freund!

Sie geben mir ein Lebenszeichen u wollen eines haben. Allmälig kehr’ ich auch wieder unter die Menschen zurück, u lerne vor erträglicher Gegenwart die Vergangenheit vergessen. Es geht mir gut, u es würde noch besser gehen, wenn mir in meiner Resignation nicht die Zeit lang würde.

Sie scheinen die Arzeneykunst verlassen zu wollen, womit Sie, wie ich höre, Ihrem Vater keine Freude machen. Seyen Sie nicht ungerecht gegen dies Studium; denn diesem scheinen Sie mir Ihre hauptsächliche Force zu verdanken, ich meine, Ihre seltene Unbefangenheit, fast möcht’ ich sagen, Ihre Autopsie, die aus allem spricht, was Sie schreiben. Wenn Sie mit dieser Ungenirtheit unter die deutschen Philosophen treten, muß es einen neuen Effekt geben. Wann werden Sie nach Zürich abgehen?

Die Flüchtigen in der Schweiz spielen nun auch mit dem jungen Deutschl. Komödie. Dadurch wird der Name, hoff’ ich, von mir u meinen Freunden mit der Zeit abgewälzt, wie fatal es mir auch im Augenblick ist, daß der wunderliche Titel auf diese neue Weise adoptirt wurde. Mit der Zeit wird es ein pappener Begriff werden u sich abnutzen, was immer gut ist unter Umständen, wie die heutigen, wo die Massen schwach sind u das Tüchtige nur aus runden u vollkommenen Individualitäten geboren werden kann. So werden auch Sie gewiß die Berührungen vermeiden, welche sich in der Schweiz genug darbieten u meinem Ihnen schon früher oft genug gegebenen Zurufe folgen, daß Sie Ihre ungeschwächte Kraft der Literatur opfern.

Von Ihren „Ferkeldramen“ erwarte ich mehr als Ferkelhaftes. Ihr Danton zog nicht: vielleicht wissen Sie den Grund nicht? Weil Sie die Geschichte nicht betrogen haben: weil einige der bekannten heroice Dicta in Ihre Comödie hineinliefen u von den Leuten drin gesprochen wurden, als käme der Witz von Ihnen. Darüber vergaß man, daß in der That doch mehr von Ihnen gekommen ist, als von der Geschichte u machte aus dem Ganzen ein dramatisirtes Capitel des Thiers. Schikken Sie mir, was Sie haben; ich will sehen, was sich thun läßt.

Von mir ist soeben eine Schrift erschienen: Ueber Göthe im Wendepunkte zweyer Jahrhunderte. Hätt’ ich schon meine Freyexempl. würd’ ich Ihnen eines schikken. Also künftig!

Ihr Gutzkow

Frkft a/M 10/6 36