LZ 4210
Karl Eduard Eichwald: „Tagebuch meiner Reise“; Zürich Ende November 1836

Nach einer kleinen Ruhe ging ich zu Oken [...]. Er wohnt auf der Rennbahn im Hause des Bürgermeisters Hirzel im dritten Stock in ein paar kleinen Zimmern, woraus man schon sah, daß seine Lage nicht gerade die glänzendste sein mochte. Ich fand ihn am Sonnabend, den 26. November, mittags mit der Korrektur seiner Zoologie beschäftigt [...]. Folgen Bemerkungen über Okens allgemeine Zurückgezogenheit, seine Klagen über die Schweizer, seine Bibliothek und seine auffallend unbedeutende[n] Sammlungen aus der vergleichenden Anatomie sowie zu einer Diskussion mit Oken über die Anzahl der Kiembögen der Fische. So verlieren denn die großen Männer ungemein, wenn man sie in der Nähe sieht und hört. Wie er seine Zoologie schreibt, begreife ich nicht; er benutzt nur Kupferwerke und andere Handbücher, ohne sich bei einer großen Sammlung Rats erholen zu können, und obgleich die Züricher Universität einige recht hübsche Tiere hat, so scheint er sie doch nicht zu benutzen, weil Professor Schinz und nicht er die Aufsicht über sie hat ...

Späterhin sprachen wir über die Cholera [...]. Er liest allgemeine Naturgeschichte. Erst Mineralogie, die er jetzt vorträgt, ohne sich viel auf spezielle Beschreibungen einzulassen, sondern setzt nur die allgemeinen Kennzeichen der Ordnungen und Hauptgattungen auseinander, dann geht er zur Botanik über, die er in 2-3 Wochen beendigt, und zuletzt kommt er an die Zoologie, die er am ausführlichsten behandelt. Er selbst liest nicht vergleichende Anatomie; diese trägt ein junger Privatdozent Dr. Büchner (der vor kurzem über das Nervensystem der Fische geschrieben hat) vor; ich lernte ihn bei Oken kennen; er lobte ihn sehr und verspricht sich viel von ihm.

[...]

Überlieferung
d1: Otto Clemen: Ein Besuch bei Lorenz Oken in Zürich im November 1836, in: Archiv für Geschichte der Medizin 15 (1923), S. 147-152, hier S. 148-150; d2: Döhner 1967, S. 59; [H]: Karl Eduard Eichwald: Tagebuch meiner Reise durch Deutschland und Italien im Jahre 1836. 1. Teil nicht ermittelt, früher: Bibliothek des Kurländischen Provinzialmuseums in Mitau.

Text
Eigennamen in Kapitälchen d1.

Eingestellt Juli 2017