Lenz Dok 1
Johann Friedrich Oberlin: „Herr L......“; Waldersbach 1778
1778
Herr L......
Den 20 Jan. Kann er hieher. Ich Kannte ihn nicht. Im ersten blik sah ich ihn, den Haaren, u. hängenden Loken &c nach, für einen schreiner gesell an.– Seyen Sie Willkommen, sacht ich, ob Sie mir schon unbekannt. „– Ich bin ein Freund. K.... u. bringe e. Kampliment von ihm – „Der Name, wans beliebt? „Lenz, ha, ha, ist er nicht gedruckt? (ich erinerte mich einige Dramen gelesen zu haben, die einem HE dieses Namens zu geschrieben werden), – er antwortete – ja, aber belieben Sie mich nicht darnach zu beurtheilen. &c
Wir waren vergnügt untereinander, er zeichnete uns verschiedene Kleidungen der Liefl.... u. Russen Vor – wir sprachen von ihrer Lebensart &c
Wir logirten ihn in ds Besuch Zimmer im Schulhauß.
Die darauf folgende Nacht hörte ich e. Weile im Schlaf laut reden, ohne das ich micht ermuntern konte – endlich fuhr ich plötzlich zu samen, horchte, sprang auf, horchte wieder – da hörte ich mit Schuhlmeisters stimme laut sachen „allez donc au lit – qu'est-ce que c'est que ça – he, – dans l'eau, par un temps si froid – allez, allez au lit.
Eine Menge Gedanken durchdrang sich in meinem Kopf „vielleicht ist er ein Nachtwandler, u. hatte d. Unglück in die Brunbütte zu stürzen, man muß ihm also Feuer Thee &c. machen, um ihn zu erwärmen u. troknen.
Ich warf meine Kleider um mich, u. hinunter an das Schuhlhauß. Schuhlmeister u. seine Frau, noch vor schreken blas, sachte mir: „HE L.... hätte die ganze Nacht nicht geschlafen, wäre hin u. her gegangen, – aufs feld hinter dem Häuß – wieder hierein, endlich hinunter – an der Brunntrog. strekte die Hände ins Wasser stieg auf den Trog, strekte die hand ins Wasser, stürtzte sich hinein, u. pattsche drinn, wie e. Ende, – sie, Schuhlmeister u. seine Frau hätten gefürchtet, er wolte sich ertränken, riefen ihm zu – er wieder aus dem Wasser, sachte, er er wäre gewohnt sich im kalten Wasser zu baden, und ging wieder auf sein Zimmer. Gottlob, sachte ich, das es wieder nichts ist, HE K... liebt das kalte bad auch, u. HE. L. ist e. Freund v. HE. K..
Das war für uns alle der erste Schreken. Ich eilte zu rük um meine Frau auch zu beruhigen.
Von dem an Verrichteten er auch mein Bitten sein Baden mit mehrerer Stille.
Den 21sten. ritt er mit mir nach Belmont, wo wir die allgemeine Großmuttr, die 176. Abstämling erlebet, begraben. daheim communicirte er mir mit einer edlen Freymüthigkeit was ihm an meinem Vortrag &c mißfallen, wir waren Vergnügt bey ein ander, es war mir wohl bey ihm, er zeigte sich in allem als ein liebens würdiger Jüngling.
HE. K.... hatte mir sagen lassen, er würde, seiner Braut das Steinthal zu zeigen, zu uns Kommen, u. einem therlogen mit Bringen, der gerne hier, predigen möchte. Ich bin nun bald elf Jahre hier, anfangs waren meine Predigten vortreflich nach dem geschmack der Steinthäler seit dem ich aber dieser dieser guten Leuten Fehler kenne u. ihre äuserste Unwissenheit in allem, u. ins besondere in der Strache selbst in der man ihnen prediget, u ich mich daher so tief mir immer möglich herunter lassen, u. dem mir nun bekanten Bedürfnis meiner Zuhörer gemäs zu predigen mich bemühe – seit dem hat man bestandig dran auszusetzen. Bald heißt es, ich wäre zu scharf; bald, „so könnte es jeder, – bald meine Mägde hätten mir die predigt gemacht &c. Uberdieß macht das mir das Predigen oft mehr Mühe, als alle andern Theile meines Amtes zusammen genommen. Ich bin des wegen herzlich froh, wann bis weilen jemand anders für mich predigen will.
HE. L.... nachdem er die Schuhlen der Conductrices u. anderes in Augenschein genommen, u. mir seine Gedanken freymüthig über alles mitgetheilt; äuserte mir seinen Wunsch für mich zu predig. Ich fracht ihn, ob er der Theologe ware, von dem mir HE K... hätte sagen lassen? Ja sagte er, u. ich ließ mirs um obiger Ursachen willen gefallen. Es geschahe den drauf folgend. Sontag den 25sten. Ich gieng vor den Altar, sprach d Abslution – u. HE L. hielt – auf der Kanzel einen Schöne Predigt, nur mit etwas zu Vieler Erschrokenheit.
HE. K... war mit seiner Braut auch in d. Kirche. Sobald er Konte, bat er mich mit ihn besonders zu gehen frachte mich mitbedeudener Mine, wie wie sich HE L... seit dem betragen u. was wir mit einander gesprochen hätten. Ich sachte ihm was ich nach davon wußte; HE K.. sachte; es wäre gut – Bald drauf war er auch mit HE L... allein. Es kann mir dieß alles etwas bedeuklich vor wollte da nicht fragen wo ich sahe das man geheimniß voll wäre, nahm mir aber vor meinen Unterricht weiter zu suchen.
HE K... lud mich freundschaftlich ein mit ihm zu seiner Hochzeit in d. Schweitz zu gehen. So grn ich lägst die Schweiz gesehen eine Pfennimger u andere Männer gekannt u. gesprochen hätte; so sehr meinem Leib u. Gemüth, (ich hatte einige harte Monate gehabt) eine Aufmunterung u. Stärkung durch e. Reise Wünschbar war; so unübersteigliche Schwierigkeit fand ich auf all zu vielen Seiten. HE K.... räumte eine großen Theil durch Mithheilung seines Reiseplans aus dem Weg, ich überlegte den Rest, u. fand Möglichkeit.
Am Montag den 26sten, nachdem ich meinen letzten damaligen Patienten begraben hatte, verreißte ich u. gieng den Nächsten Weg über Rhein. HE L..... solte die Kanzel; u. mein HE Amtsbruder die eigentlichen – Actus Pastorales, die den damalichen Umständen nach sparsam od gar nicht vorkommen solten versehen. Ich Kam nicht weiter als nach Köndringen u. Emmendingen, wo ich HE. u. am 2ten Ort HE zum ersten mahl sah u. besprach – so dann über nach Kolmar wo ich HE u. Kennen lerte u zurück ins
Ich hatte nun hinlänglichen Unterricht in Ansehung HE. L.... bekommen u. übrigens so viel Sabisfactionen von einer Reise, das so rar bey e. Steinthäler Pfarrer das Geld ist, ich sie nicht um huntert Thaler gäbe.
Uber meine unvermuthete Rückkünft vor HE L... betroffen, u etwas bestürzt, meine Frau aber entzükt und bald darauf, nach einicher Unterredung, auf HE L.. Ich hörte das in meiner Abwesenheit vieles, auf HE. L... Umstände passendes, u. für ihn nüzliches gesprochen worden ohngeachtet meine Frau die Umstände selbst, die ich erst auf meiner Reise erfuhr, nicht wußte.
Ich erfuhr ferner daß HE. L.... nach vorhergegangenen Eintägigem Fasten, Bestreichen das Gesichtes mit Asche, Begehrung eines alten Sackes den 3ten Hornung ein zu Foudaj verstorbenes Kind, so eben Friderika hieß, auf weken wolte. Welches ihm aber fehl geschlagen.
Er hatte eine Wunde am Fuß hieher gebracht, die ihn hinken machte, u. ihn nöthigte hier zu bleiben. Meine Frau verband sie ihm täglich, u. man konnte baldig Heilung hoffen. Durch das unruhige Hin u. her laufen aber, da er das Kind erweken wolte, verschlimmerte sich die Wunde so sehr, das man die Entzündung mit erweichenden Aufschlächen wehren mußte. Auf unsere u. HE. K.... häufige vorstellungen hatte er sein Baden eingestellt, um die Heilung, der Wunde zu befördern. In der Nacht aber zwischen dem 4ten u. 5. Horn. sprang er wieder in den Brunnen Trog, mit heftiger Bewegung, um, wie er hernach gestund, die Wunde aufs neue zu verschlimmern.
Seit HE. K.... Besuch logirte HE L.... nicht mehr im Schul Haus sondern bey uns in dem Zimmer über der Kindsstübe; den Tag hin durch war er auf meiner Stube, wo er sich mit zeichnen u. mahlen der Schweizergegenden, mit durchblättern u. lesen der Biebel, mit Predigtschreiben, u. Unterredung mit meiner Frau beschäftigte.
den 5ten Horn., Kam ich von meiner Reise zuruck, er war wie ich oben gesacht anfangens darüber bestürzt, u. bedauerte sehr das ich nicht in der Schwiz gewesen. Ich erzehlte ihm, das HE Hofrath die Landgeistlichen so gläklich schätzt, u ihren Stand beneidens Werth hält, weil er so unmittelbar zur Beglückung des Nächsten als Weket &c. Es macht Eindruk auf ihn, Ich bediente micht dieses Augenbliks ihn zu ermahnen sich dem Wunsch seines HE. Vaters zu entwerfen – sich mit demselben auszusöhnen &c.
Da ich bey manchen Gelegenheiten Wahrgenommen, daß sein Herz von fürchterlicher Unruhe gemartert würde; sachte ich ihm, er würde so dann wieder zu Ruhe Kommen u. schwerlich ehender, Gott wüßte Seinem worte „Ehre Vater u. Mutter, Nachdruck zu geben. &c.
Alles was ich sachte, waren nur meistens Antworten auf abgebrochene oft Schwer zu verstehende Worte, die er in großer Beklemmung seines Herzen ausstieß. Ich merkte, das er bey Errinnerung gethaner, mir unbekannter Sünde schäuderte, an der Möglichkeit der Vergebung verzweifelt; ich antwortete ihm darauf; er hob seinen niederhängenden Kopf auf, blikte gen Himmel, rang die hände, sachte: ach – ach göttlicher Trost! – ach – göttlich – o – ich bete – ich bete an &c. Er sagte mir sodann ohne verwirrung, daß er nun Gottes Regirung erkenne u. preise, die mich so bald, ihn zu trösten, wieder heim geführt.
Ich gieng im Zimmer hin u her, packte aus, legte in Ordnung, stelte stelte mich zu ihm hin, er sachte mit freundlicher Mine: bester HE. Pf. Können sie mir doch nicht, sagen, was das Frauenzimmer macht, deßen Schiksal mir so zentnerschwer auf dem Herzen liegt? – ich sachte ihm, Wüßte von der ganzen sache nichts, ich wolte ihm in allem was ihn wahrhaftig beruhigen könnte, aus allem Kräften dienen, er müßte mir aber Ort u Personen nennen – Er antwortete nicht, stund in der erbarmlichsten Stellung, redete gebrochene worte: ach ist sie Tod? – lebt sie noch? – der Engel sie liebte mich – ja, sie liebte mich – ich liebte sie, sie wars würdig – o der Engel – verfluchte Eifersucht! ich habe sie aufgeopfert – sie liebte noch ein andern – aber sie liebte mich – ja herzlich – aufgeopfert – die Ehe hatte ich ihr versprochen – hernach verlaßen – o Verfluchte Eifersucht! – o gute Mutter – auch die liebte mich – ich bin eurer Mörder &c &c. Ich antwortete wie ich konte, sachte ihm unter andern, Vielleicht lebten diese Personen alle noch, u. vielleicht, vergnücht – es mag aber seyn, wie es, wolle so könnte, u. würde Gott, wann er sich zu ihm bekeret haben würde, diesen Personen, auf sein Gebet u. Tränen, so viel gutes erweisen, das der Nuzen, den sie so dann von ihm hätten, den Schaden so er ihnen zugefücht, leicht, u. vielleicht weit überwiegen würde. Er wurde ruhig u. gieng an sein mahlen.
HE. E..... hatte mir zu Emmendingen einige in Papier gepackte Gerten, nebst einen Brief für ihn mit gegeben. Eins mahls Kam er zu mir, auf die linke Schulter hatte er ein Stück Pelz, so ich, wann ich mich der Kälte lange aussetzen muß, auf den Leib zu legen gewohnt, bin – in der Hand hielt er die noch eingepackten Gerten er gab mir sie, mit Begehren, ich sollte ihn damit herumschlagen. Ich nahm die Gerten aus seiner Hand, drükte ihm einige Küße auf den Mund, u. sagte: dieß wären die Streiche die ich ihm zu geben hätte, er möchte ruhig seyn, seine Sachen mit Gott allein aus machen, allemögliche Schläge würden kein einzige seiner Sünden tilgen, dafür hätte Jesus gesorget zu dem möchte er sich doch wenden.Er gieng –
Beym NachtEssen war er, wie immer oft an ihm bemerket, etwas tiefsinnig – doch sprachen wir von allerley. Wir giengen endlich vergnügt von ein ander u zu Bette.
Um Mitternacht erwachte ich plözlich, er rannte durch den Hof rief mit harter etwas holer stimme einige Sylben die ich nicht verstund; seit dem ich aber weiß, daß seine Geliebte Friedrika hieß, Komt mirs vor, als ob es dieser Name gewesen wäre, mit äusserster Schnelle, Verwirrung u Verzweiflung ausgesprochen. Er stürzte sich (wie gewöhnlich) in den Brunnen Trog, pattschte drinn – wieder heraus hinauf in sein Zimmer – wieder hinunder in d Trog u. so einige mahl – endlich wurde er still. Meine Mägde die in dem Kindsstübgen unter ihm schliefen, sachten, sie hätten oft, insunderheit aber in selbiger Nacht ein brummeln gehöret das sie mit nichts als mit dem Thon einer Habergeise zu vergleichen wußtem. Vielleicht war es sein Winseln mit holer fürchter licher, Verzweiflender Stimme.
den 6ten. den Tag nach meiner Rückkunft hatte ich beschlossen nach Rothau zu HE. Pf. Schweigh. zu reiten, meine Frau um von langer gefangenschaft in Wartung HE. L..... etwas zu schnaufen, gieng mit. Sie war wirklich fort, u. ich, im Begrif auch abzureisen, – aber welch ein Augenblik! man klopft an meiner Thüre, HE L.... Tritt erein mit vorwerts gebogenen Leibe niederwärts hangendem Haupf, das Gesicht über u. über, u. das Kleid hier u. da mit Asche Verschmieret, mit der Rechten Hand an den linken Arm haltend. Er bat mich ihm den Arm zu ziehen, er hätte ihn verränket, er hätte sich zum fenster hinunter gestürzt, weil es aber niemand gesehen, möchte ichs auch niemand sachen.
Ich that was er wolte, u. schrieb eilend an Sébastin Scheideker, den Schuhlm. von Bellefosse., er solte herrunter kommen, HE. L.... hüten u. sich so verhalten – ich ritt fort – Sebastien Kamm u. richtete seine Kommißion unvergleichlich aus, stellte sich ob er mit uns hätte reden wollen, – sagte ihm, wann er wüßte, das er ihm nicht überlästig, oder von etwas abhielte, wünschte er sehr einige stunden seiner Gesellschaft zu seyn. HE. L.... nahm es mit besonderen Verknügen an, man unterhielt sich zu beyderseitiger Satisfaction, es wurde Mittag, HE. L.... bat Sébastien zum Essen, dieser nahms an. HE. L.... schlug einen Spatziergang, nach Foudaj vor, gut. Er besuchte das Grab des Kindes das er hatte erweken wollen Kniete zu Verschiedenen malen nieder. Küßete die Erde des Grabes, schien betend doch mit gr. Verwirrung, rieß etwas von der auf dem Grab stehenden Krone ab, als ein Andenken – gieng wieder zu rück gen Waldersbach – Kehrte wieder um, u. Sébastien immer mit. Endlich möchte HE. L.... die Absicht seines Begleitersrrathen, er suchte Mittel ihn zu entfernen, Sébast. schien ihm nach zu gehen, fand aber heimlich Mittel sein Bruder Scheidecker, Jean Martin von der gefahr zu benachrichtigen, u. nun hatte HE. L... zween Aufseher statt einem. Er zog sie waker herum, endlich gieng er nach Waldersbach. zurück – u da sie nahe am dorf waren kerte er wie ein blitz um u. sprang ungeachtet seiner Wunde am fuß wie ein Hirsch gen Fouday. Zurück.
Sébastien kamm zu uns um uns das vorgegangene zu berichten, u. sein Bruder sehte dem kranken nach Indem er ihn zu Fouday suchte, kammen 2 Krämmer und erzählten ihm, man hätte in einem Hauß einen fremden gebunden der sich für ein mörder ausgäbe u. der Justiz ausgeliefert seyn wolte, der aber gewiß kein Mörder seyn könnte, – – Scheidecker, Jean Martin lief in ds. Hauß, u. fand es so, ein junger Mensch hätte ihn auf sein ungestümmes Anhalten in der Angst gebunden. Scheidecker, Jean Martin band ihn los, u. brachte ihn glücklich nach Waldersbach. Er sahe Verwirt aus, da er aber sahe, das ich ihn wie immer freundschaftlich, u. liebreich empfieng u. behandelte, bekam er wieder Muth, sein Gesicht veranderte sich vortheilhaftig er dankte seinen beiden Begleider freundlich u. zärtlich, u. wir brachten den Abend vergnügt zu.
Ich bät ihn inständig nicht mehr zu baden, die Nacht ruhig im Bette zu bleiben, u wann er nicht schlafen konnte sich mit Gott zu unterhalten &c. Er versprachs – u. wirklich that ers die folgende nacht – unsere Mägde hörten ihn fast die ganze nacht hindurch beten.
Den folgenden Morgen,den 7. Kam er mit vergnügter Mine auf mein Zimmer. Ich hofte, wir würden bald am Ende unserer gegenseitigen Qual seyn. Aber leider, der Erfolg zeigte was anders.
Nachdem wir verschiedenes gesprochen hatten. sagte er mit ausnehmender Freundlichkeit „liebster HE. Pf. das Frauenzimmer von dem ich Ihnen sagte, ist gestorben, – ja gestorben – o du Engel &c. Woher wissen Sie das? – „Hieroglyphen – Hieroglyphen – u. dann gen Himmel geschaut u. wieder – „ja – gestorben – Hieroglyphen, –
Er schrieb einige Briefe, gab mir sie so dann zumit Bitte ich mögte noch selbst einige Zeilen drunter setzen.
Ich hatte mit meiner Predigt zu thun, u. stekte die Briefe indessen in meine Tasche. In dem einen an eine Adeliche Dame in W....r schiener sich mit Abbadona zu vergleichen, er redete vom „Abschied“ – der Brief war mir unverstandlich, auch hatte ich nur einen Augenblik Zeit ihn zu übersehen ehe ich ihn von mir gab.
In dem andern an die Mutter seiner Geliebten, sagt er, er Könne ihr diessmahl mehr nicht sagen, als daß ihre Friederika nun ein Engel seye, u. sie würde Satisfacttion bekommen.
Der Tag gieng vergügt u. gut hin. Gegen Abend wurde ich nach Bellefosse zu e. Patienten gehohlt, da ich zurük Kam, Kam mir HE L.... entgegen. Es war gelind Wetter u. Mondschein. Ich bat ihn nicht weit zu gehen, u. seines Fußes zu schonen. Er Versprachs.
Ich war nun auf meinem Zimmer u. wolte ihm jemand nachschiken, als ich ihm die Stieg herauf in sein Zimmer gehen hörte – einen Augenblik drauf plazte etwas im Hof mit so so starkem Schall, das es mir unmöglich von den fall eines Menschen herkommen zu können schien. Die Kindsmagd kam, Todtblaß u. am ganzen leib zitterend zu meiner Frau „HE L... hätte sich zum Fenster hinaus gestürzt – meine Frau rief mir mit verwirter Stimme, – ich sprang – u. da war HE. L... schon wieder in seinem Schlafzimmer. Ich hatte nur einen Augenblik Gelegenheit einer Magd zu sagen: Vite, chez l'homme Juré qu'il me donne deux hommes – u drauf zu HE. Lentz.
Ich führte ihn mit freundlichen worten auf mein Zimmer, er zitterte vor Frost am ganzen Leib, am ober leib hatte er nichts an als das hemd, welches zerrißen u sammt der unter kleidung über u. über Kotigt war – wir wärmten ihm ein Hemd u. Schlafrok. u. trokneten die seinigen. Wir fanden das er in der Kurzen Zeit die er aus gegangen war wieder mußte Versucht haben sich zu ertränken, aber Gott hatte auch doieder gesorgt. Seine ganze Kleidung war durch u. durch naß.
Nun, dachte ich, hast du mich genug betrogen, nun ists aus, du must bewacht seyn. Ich wartete mit groster Ungeduldt auf die 2 begehrten Mann bey jedem Geräusch fuhr ich auf, in hofnung sie wärens, aber vergebens – ich schrieb indessen an meiner Predigt fort u hatte HE. L... Ofen, einen schritt weit von mir sitzen – Keinen Augenblik traute ich von ihm, ich mußte harren, meine Frau die um mich besorgt war, blieb auch. Ich hätte so gerne wieder nach den begehrten Männern geschikt Konnte aber durch aus nicht mit meiner Frau od. sonst jemand davon reden; laut hätte ers Verstanden – heimlich das wolten wir nicht, weil die geringste Gelegenheit zu Argwohn auf solche Personen allzu heftig Eindruk macht.
Um halb neun giengen wir zum Essen – es wurde wie natürlich wenig geredet, meine Frau zitterte vom schreken u HE. L... vor frost u. verwirrung.
Nach Kaum viertelstündigen Beysamensitzen fragte er mich, ob er nicht hinauf in mein Zimmer dürfte? – Was wollen sie machen mein lieber? etwas lesen – gehen Sie in Gottes nahmen – er gieng – u. ich, mich stellend als ob ich genug gegessen, folgte ihm.
Wir sassen, ich schrieb – er – durchblätterte meine französische Biebel mit furchtbarer Schnelle – endlich stille – ich ging einen Augenblik in die Stubkammer, ohne im allergeringsten, mich aufzuhalten, nur etwas zu nehmen. das in dem Pult lag – meine Frau stund in wendig der Kammer an der Thür u. beobachtete HE. L.... ich faßte den Schritt wieder heraus zu gehen, da schrie meine Frau mit gräßlicher, holer, gebrochener Stimme „Herr Jesus, er will sich erstechen! – in meinem leben hab ich keinen solchen Ausdruck eines Tödlichen, Verzweifelten Schrekens gesehen, als in dem Augenblik in den Verwilderten gräßlich verzogenen Gesichtszügen meiner Frau.
Ich war haussen. Was wollen Sie doch immer machen mein Lieber! – er legte die Scheere hin – Er hatte mit scheußlich starren Blicken um hergeschauet, u. da er niemand in der verwirrung erblickte die Scheere still an sich gezogen, mit fest zusammen gezogener Faust sie gegen das Herz gsetzet – alles dieß so schnell, daß nur Gott den Stoß so lange aufhalten konnte, bis das Geschrey meiner Frau ihn erschrekte, u etwas zu sich selber brachte. Nach einigen Augenbliken nahm ich die Scheere, gleichsam als in Gedanken, u. wie ohne Absicht auf ihm hin weg dann da er mich feyerlich versichern wolte, daß er sich nicht damit umzubringen gedacht hätte, wolte ich nicht thun, als ob ich ihm gar nicht glaubte.
Weil alle vorige vorstellungen wieder seine Entleibbungssucht nichts bey ihm gefruchtet hatten, Versuchte ichs auf e. andre art. Ich sagte ihm: Sie waren bey uns durch aus fremd, wir Kannten sie ganz u. gar nicht, ihren Nahmen hatten wir ein einzigmal aussprechen hören, ehe sie gekont, – wir nahmen Sie mit Liebe auf, meine Frau pflegte ihren kranken Fuß mit so großer Geduld &c. – u. Sie erzeigen uns so viel böses, stürzen uns aus e. schreken in den andern Er ward gerührt, sprang auf, wolte meine Frau um verzeihung beten, sie aber fürchte sich nun noch so viel vor ihm, sprang zur Thüre hinaus, er wolte nach, sie aber hielt die Thüre zu.
Nun jammerte er, er hätte mir meine Frau umgebracht – das Kind umgebracht, so sie Trüge, – alles, alles bring er um, wo er hin käme &c Nein, mein Freund, meine Frau Lebt noch, u. Gott kan die schädlichen folgen des Schrekens wohl hemmen, auch würde ihr kind nicht davon sterben, noch Schaden leiden, meine Frau hätte in andern Schwangerschaften auch Schreken nagenden verdruß, Kummer &c ausgestanden, u Gott hätte doch ihren Kindern dabey unvergleichlich wohl erhalten, – er würde es, ich hofte es gewiß, nun wied thun – er möchte sich also nur an Gott dabey wenden &c – er wurde wieder ruhiger – Es war bald zehn Uhr.
Indeß hatte meine Frau in die Nachbarschaft um schleunige Hülfe geschikt Man war in den Bettern, doch Kamm der Schuhlmeister, that als ob er mich was zu fragen hätte, erzälte mir was aus dem Kalender – u. HE. L... der indessen wieder munterer wurde, nahm auch theil am discurs. u. so wie wann durch aus nichts vorgegangen wäre.
Endlich, endlich – winkte man mir, daß die 2 begerten Manner angekommen – o wie war ich froh! – es war Zeit, dann eben begerte HE. L..... zu bette zu gehen. Ich sagte ihm: Lieber freund, wir lieben Sie, Sie sind davon überzeugt, u. Sie lieben uns, das wissen wir eben so gewiß durch Ihr Entleibbung würden sie ihren Zustand verschlimmeren, nicht verbessern, es muß uns also an ihrer Erhaltung gelegen seyn, Nun aber sind Sie, wann Sie die Melancholie überfält, Ihrer nicht meister, ich habe daher 2 Männer gebeten, in Ihrem Zimmer zu schlafen (wachen dachte ich) damit Sie Gesellschaft, u wo es nöthig, Hülfe hätten – Er ließ sichs gefallen.
Man wundere sich nicht, daß ich so sagte mit ihm umgieng Er zeigte immer großen Verstand, u. ein aus nehmend Theil nahmendes Herz – wann die Anfälle der Schwermuth überstanden waren, schien alles so sicher, u. er selbst war so liebens würdig, daß man sich fast ein Gewißen machte, ihn zu argwohnen, oder zu scheniren. Mannoch das zärtlichste Mitleiden hinzu, das seine unermeßliche Quaal, deren Zeuge wir nun so oft gewesen, uns ein floßen mußte. Dann fürchterlich u höllisch war es was er ausstund, u. es durchbohrte u. zerschnitte mir das Herz, wan ich an seiner Seite, die Folgen der Principien die so manche heutige Mode bücher einflößen, die Folgen seines Ungehorsam gegen seinen Vater, seiner herumschweifenden Lebensart, seiner unzwekmäsigen Beschäftigungen, seines häufigem Umgang mit Frauenzimmern – durch empfinden müßte.
Es war mir schreklich, u ich empfand eigene, nie empfundene Marter, wann er auf den Knien liegend, seine Hand in meiner seinen Kopf auf meinem Knie gestützt – seine blaßes, mit Kaltem Schweiß bedektes Gesicht in meinem Schlafrok verhült am ganzen Leib bebend u zitterend – wann er so nicht beichtete, aber die Ausflüße seines gemarterten Gewißens, u. unbefriedigten Sehnsucht nicht zu rück halten Konnte. Er war mir um so viel bedaurens würdiger, ja schwehrer ihm zu seiner Beruhigung bey zu Kommen war, da unsere zu seiner Beruhigung bey zu Kommen war, da unsere gegenseitigen Principien einander gewaltig zu wieder, wenigstens von ein ander verschieden schienen.
Nun wieder zur Sache: Ich sagte, er ließe sichs gefallen 2 Mann auf seinem Zimmer zu haben. Ich begleitete ihn hinein der eine seiner Wächter durchschaute ihn mit starren, erschrokenen Augen. Um diesen etwas zu beruhigen, sagte ich dem HE. L..... nun vor den 2 Wachtern auf französisch was ich ihm Vorhin schon auf meinem Zimmer gesagt hatte, nehmlich, daß ich ihn liebte, so wie er mich, daß, daß ich sein Erhaltung wünschte, u wünschen müßte, das er selbst sähe, daß ihm die Anfälle seiner Melancholie fast keine Macht mehr über sich ließen ich hätte daher diese 2 Bürcher gebeten, bey ihm zu schlafen, damit er Gesellschaft u im Fall der der Noth, Hülfe hatte. Ich Beschloß dieß mit einigen Küßen, die ich dem unklücklichen Jüngling von ganzem Herzem auf seinen Mund abdruckte u. gieng mit zerschlagenen, zitternden Gliedern zur Ruhe.
Da er im Bett war, sagte er unter anderm zu seinen Wächtern, écoutez, nous ne voulons point faire de bruit, si vous avez un couteau, donnez le moi tranquilement et sans rien craindre. Nachdem er oft deswegen in sie gesetzt, u. nichts zu erhalten war, – so fieng er an sich den Kopf an die Wand zu stossen.
Während dem Schlaf hörten Wir ein öfteres Poltern, das uns bald zu, bald abzunehmen schien – u. woran wir endlich erwachten. Wir glaubten, es wäre auf der Bühne, konten aber keine Ursach davon errathen.
Es schlug drey – u. das Poltern währte fort, wir schellten, um ein Licht zu bekommen, unsere Leute waren alle in fürcherlichen Träumen versenkt u. hatten Mühe, sich zu ermuntern endlich erfuhren wir, daß das Poltern von HE – L.... Käme, u. zum Theil von den Wachtern, die weil sie ihn nicht aus den Händen lassen dürften, durch Stampfen auf den Boden Hülfe begerten.
Ich eilte in sein Zimmer, so bald er mich sahe, ließ er nach, sich den Wächtern aus den Händen ringen zu wollen, die Wächter ließen dann auch nach ihn fest zu halten, ich winkte ihnen, ihn frey zu laßen, saß auf sein Bette redete mit ihm, u. auf sein Begeren für ihn zu betten, betete ich mit ihm. Er bewegte sich ein klein wenig, u. eins mals schmiß, er seinen Kopf mit groster Gewalt an die Wand, die Wächter sprangen zu, hielten ihn wieder.
Ich gieng ließ einen dritten Wachter rufen, da HE L..... den dritten sahe, spottete er ihrer, sie würden alle 3 nicht stark genug für ihn seyn.
Ich befahl ins geheim, mein Wägel ein zurichten, zu deken, noch 2 Pferde zu suchen außer dem meinigen, beschikte dem Séb. Scheideker, Schuhlm. von Bellef. u. Jean David, Schuhlm. von Solb, zween Verständige, entschloßene Männer, u. beyde von HE. L.... geliebt, – Jean George, Kirchenpfleger von Valdersbach, Kam auch – es wurde lebendig im Hauß, ob es schon noch nicht Tag war – HE L.... merkte was, u. so sehr er bald List bald Gewalt angewendet hatte, los zu kommen, den Kopf zu verschmettern ein messer zu bekommen, &c – so ruhig schien er auf ein mal.
Nach dem ich alles bestellt hatte, gieng ich zu HE L.... sagte ihm „damit er besere verpflegung nach seinen Umständen haben könte, hatte ich einige Männer gebeten ihn nach Straßb. begleiten, u. mein Wägel stünde ihm hiebey zu diensten.
Er lag ruhig, hatte nur Einen einzigen Wächter bey sich sitzen – auf meinen Vortrag jammerte er bat mich nur noch 8 Tage mit ihm Gedult zu haben – (man mußte weinen wann man ihn sahe) – doch sprach er, er wolle es überlegen.
Eine Viertelstunde darauf ließ er mir sagen, Ja er wollte Verreisen – stund auf, Kleidete sich an, war ganz vermüthig, pakte zusamen, dankte jedem ins besondere aufs Zärtichste, auch seinen Wächtern – suchte meine Frau, u. Mägde auf, die sich vor ihm verstekt u. stille hielten, weil kurtz vorher noch, so bald er nur eine Weiber Stimme hörte oder zu hören glaubte, in grössere Wuth gerieth – nun fragte er nach allen, dankte allen. bat alle um Vergebung – kurtz, nahm von jedem so rührenden Abschied daß aller Augen in Thränen gebadet stunden.
Und so reißte dieser bedaurens würdige Jüngling von uns ab – mit drey Begleitern u. 2 Fuhrleuten. – Auf der Reise wandet er nirgends Keine Gewalt an, da er sich übermannt sahe, aber wohl List, besonders zu Ensisheim wo sie über Nacht blieben; aber die beiden Schuhlmeister erwiederten seine listige Höflichkeit mit der ihrigen u. alles gieng vortreflich wohl aus –. Auf der Rückreise wurde durch ein Ungklück ein Rad meims Wägls in hundert Stüke zerschmettert – u. so endigt sich, hoffentlich für uns, diese schrekenvolle Geschichte.
So oft wir reden, wird von uns geurtheilet, will geschweigen, wann wir handeln. Hier schon fällte man verschiedene Urtheile von uns, die Einen sagten „wir hätten ihn gar nicht aufnehmen solleen, – die andern „wir hätten ihn nicht so lange behalten – u. die dritten „wir hätten ihn noch nicht fort schiken sollen
So wird es, denke ich, zu Strasburg auch seyn, Jeder urtheilet nach seinem besonderen Temparament, (und anders Konte er nicht) – u. nach der Vorstellung die er sich von der ganzen Sache macht, die aber unmöglich getreu u. richtig seyn kan, wenigstens müßen unendlich viele Ketten gleiche drinn fehlen, ohne die man Kein richtig Urtheil fällen kan, die aber außer uns nur Gott bekant seyn, u werden können weil es unmöglich wäre sie getreu zu bschreiben, u. doch oft in Einem Blick, in einem Ton der nicht beschrieben werden kan, etwas stekt, das mehr deudirt, als vorhergegangenen erzehlbare Handlungen.
Alles was ich auf die nun zu erwartenden, einander zu wieder laufenden, u. sich selbst bestreitenden Urtheile, antworten werden ist: Was wir hierin gethan, haben wir als vor Gott gethan, u. so wie wir jedes mal allen Umstäden nach glaubten, daß es das beste wäre.
Ich empfahl den Bedaurens würdigen Patienten der Fürbitte meiner Gemeinen u. empfehle ihn in der nemlichen Absicht jedem der dieß ließt.
Überlieferung
Handschrift: Archives municipales de Strasbourg. Fonds Oberlin; Druck: MBA V, S. 230–241; hier nach: Burghard Dedner, Hubert Gersch, Ariane Martin (Hrsg.), „Lenzens Verrückung“, Chronik und Dokumente zu J. M. R. Lenz vom Herbst 1777 bis Frühjahr 1778, Tübingen 1999, S. 147–159. Erstdruck in: Erwinia. Ein Blatt zur Unterhaltung und Belehrung in Verbindung mit Schriftstellern Deutschlands, der Schweiz und des Elsasses, hrsg. von August Stöber, Straßburg 1838/39 (in den Nummern 1 - 3, Januar 1839).