WZ 718
Karl Gutzkow: Vor- und Nachbemerkung zu „Leonce und Lena. Ein Lustspiel von Georg Büchner“, in: „Telegraph für Deutschland“; Mai 1838

Leonce und Lena.

Ein Lustspiel von Georg Büchner.Ich habe das Versprechen gegeben,*) einige der von Georg Büchner noch vorhandenen poetischen Reliquien zu veröffentlichen. Das Lustspiel Leonce und Lena erinnert stark an Pone de Leon von A. Brentano; derselbe zarte Elfenmährchenton, dasselbe bühnenwidrige Mondscheinflimmern der Charakteristik, dasselbe lyrische Übergewicht der Worte über die Handlung; nur ist Brentanos Witz keuscher, als Büchners. Büchner war derb in seinen Anspielungen und die politischen darunter kennt Brentano gar nicht. Auch dieses kleine Lustspiel ist wie Dantons Tod**) von G. Büchner nur ein schnell hingeworfener Versuch und würde, wenn man es ganz veröffentlichen wollte und – dürfte, nur die Hoffnungen andeuten, die man auf des jungen Dichters Zukunft setzen konnte. Ich will, indem ich den einfachen Gang des kleinen idyllischen Lustspiels verfolge, sehen, ob sich eine oder die andre Scene im Zusammenhang abdrucken läßt.

*)Siehe meine so eben erschienenen: Götter, Helden, Don Quixote S. 49.

**) Erschienen bei J. D. Sauerländer in Frankfurt a. M. K.G.

Die Vorrede, die G. Büchner zu seinem Lustspiel, das er verspätet an die Stuttgarter Preisrichter vor zwei Jahren einsandte, schrieb, besteht aus zwei Sätzen, die sehr naiv ausdrücken, daß er mit seiner Dichtung etwas zu verdienen hoffte. Sie heißt:

Alfieri: „e la fama?“
Gozzi: „e la fame?“

Die Personen des Stücks sind:

 

Die erste Scene des ersten Aktes stellt einen Garten vor, auf dessen Bänken sich der Kronprinz Leonce mit seinem Hofmeister entsetzlich ennüyirt. Er sagt ihm, daß er alle Hände voll mit seinem Müßiggang zu thun hätte, nachzählen müsse, wie oft er täglich ausspeie, und wie viel Sandkörner er mit zwei Fingern fassen könne. Auch forsche er darüber nach, wie er ohne Spiegel sich selber ins Gesicht sehen könne. Der Hofmeister bemitleidet ihn seines Müssiggangs wegen. Der Prinz verabschiedet ihn und setzt in einem Monolog, der folgendermaßen anfängt: „Die Bienen sitzen so träg auf den Blumen und der Sonnenschein liegt so faul auf dem Boden“ die Leiden der Langenweile auseinander, und wünscht nichts sehnlicher, als ein anderer Mensch zu werden. Wenn er den Hofmeister prügeln ließe, so müßte er ihn beneiden; der Mann hätte doch eine Abwechselung davon!

Nun tritt der Narr Valerio auf. Er ist betrunken und singt:

Frau Wirthin hat' ne brave Magd,
Sie sitzt im Garten Tag und Nacht,
Sie sitzt in ihrem Garten,
Bis daß das Glöcklein zwölfe schlägt
Und paßt auf die Solda – a – ten.

Darauf philosophirt er über die Ameisen und sagt: „Die Ameisen sind ein nützliches Ungeziefer, und doch sind sie wieder nicht so nützlich, als wenn sie gar keinen Schaden thäten.“ Er bewundert die schöne Natur ringsherum und schlürft so viel Blumenduft ein, daß der Prinz fürchtet, seine Bienen könnten verhungern, weil er ihnen die duftige Nahrung entzieht. Valerio meint auch, das schöne Gras würde andre begeistern, daß sie darauf weiden möchten; er aber möchte bloß ein Mensch bleiben, um Thiere zu verzehren, die von so herrlichem Grase gemästet wären. Als ihm der Prinz darauf antwortete, er scheine auch an Idealen zu leiden, sagt Valerio: Was man in einer Welt solle, wo es rein unmöglich wäre, von einem Kirchthurm zu springen, ohne sich den Hals zu brechen. Valerio spricht mit den Blumen – man sieht, wie lyrisch dies Alles ist und wie Recht Herr von Alvensleben hat, der neuen Literatur ihre totale Unfähigkeit für das Drama vorzuwerfen – und sagt unter andern: „Ach lieber Herr Medikus Kantharide, ich bin um einen Erbprinzen verlegen!“ – ein Witz, den zu verstehen, man Arzt seyn muß, was Büchner war. Genug, Valerio und der Kronprinz lieben sich, weil sie beide müssig gehen und schließen ewige Freundschaft.

Die zweite Scene setzen wir her:

Wir lernen eine Freundin des Prinzen kennen, Rosette. Der Prinz ordnet ihren Empfang mit folgenden Befehlen an:

Es entspinnt sich ein zartes Gespräch, in welchem Leonce hinlänglich offenbart, daß er nur mit Rosetten spielt, und Rosette, daß sie darüber sehr unglücklich ist. Sie singt ihm folgende zarte Verse

Leonce fühlt, daß er ein Römer ist, der sich zum Dessert an dem Farbenspiel gequälter Fische ergötzt. Daß Rosetta weint, beneidet er ihr, als einen feinen Epikuräismus.

Rosetta, von ihm zu sehr gequält, geht, Leonce verfällt in partielle Geistesabwesenheit, in welche der unter einem Tisch hervorkriechende Valerio einstimmt. So trifft sie der Staatsrath.

Leonce findet diese Aussicht, König zu werden, jedoch zu entsetzlich und entschließt sich, namentlich auch, um der beabsichtigten Heirath zu entgehen, zur Flucht nach Italien. Valerio verspricht, ihn zu begleiten. Der Prinz ruft aus:

In der vierten Scene lernen wir die Prinzessin Lena kennen, die mit ihrer Gouvernante in einem Garten auftritt. Ihr ist der Gedanke des Heirathens so schrecklich wie ihrem ihr unbekannten Verlobten. Sie ist über und über mit Steinen besäet und singt doch:

Ihr Unglück ist nicht grade das Heirathenmüssen, sondern daß man einen Nagel durch zwei Hände schlägt, die sich gar nicht gesucht haben.

Ihre Gouvernante sinnt etwas aus, das wir im zweiten Akt erfahren werden.

Der zweite Akt, über welchen G. Büchner Chammissos Verse setzte:beginnt mit der Ankunft des Prinzen und Valerios auf freiem Felde. Ein Wirthshaus steht im Hintergrunde, als dankbare Belohnung für die rastlose Wanderung.

Das ist Georg Büchners Leonce und Lena! Unsre grassirenden Bühnendichter könnten ruhig schlafen, selbst wenn der Dichter noch lebte; er würde ihnen keinen Schaden zugefügt haben! Das Ganze ist ein Hauch, ein Klang; es duftet und läutet, aber „Mise en Scene“ ist damit nicht möglich, selbst wenn A. Lewald käme. Erreichte Büchner auch nicht die klassische Höhe eines Angely, eines Nestroy, einer Birchpfeiffer, so haben wir doch in ihm ein bescheidenes Talent entdeckt, welches allenfalls mit untergeordneten Kräften, etwa mit Achim von Arnim und mit Clemenz Brentano verglichen werden dürfte.!

Überlieferung
Druck: K. G.: Leonce und Lena. Ein Lustspiel von Georg Büchner, in: Telegraph für Deutschland, Nr. 76–80, Mai 1838, S. 601 (vgl. MBA VI, S. 35–47, Paralleldruck mit der Fassung von 1850).