WZ 570
Karl Gutzkow: Brief an Wilhelmine Jaeglé , in Straßburg; Frankfurt a. M. 30. August 1837

Geehrtes Fräulein!

In den Erinnerungen, welche mich an den so frühvollendeten Büchner ketten, fehlte mir bis jezt jener Theil seines Lebens, dessen Mittelpunkt Sie waren. Mußt’ ich in dem Augenblicke erst mit ihm bekannt werden, wo Büchner nicht mehr ist! Verzeihen Sie mir, wenn ich nicht sogleich an den Zweck Ihres Briefes komme, u. das trostlose Faktum, welches Niemand herber fühlen kann, als Sie, noch einmal so herb wieder ausspreche! wie ich Ihnen Beruhigung geben kann, weiß ich nicht. Für gewöhnliche Trostgründe ist Ihre Bildung zu hoch; u besondre kann ich nicht ersinnen. Ich denke: dß Büchner nicht mehr ist, daß er mitten, ja noch vor seinem Anlaufe zum höchsten starb; das ist ein ewiger Flor, den man von seinem Namen nicht fortnehmen kann, {niemals} u selbst nach der Verjährung nicht; daß er aber Ihnen starb, das würd’ ich, wenn ich mich in Ihr so schmerzlich bewegtes Innre versetzen könnte, mit frommer, hingebender Entsagung tragen, wie Etwas, das Ihnen aufgespart war, wie etwas, das auch ohne Folgen für Sie sein sollte, wie ein Begegniß, welches zwar ewig einen melancholischen Nachhall für Sie haben wird, Sie aber nicht hindern sollte, mit jenem höhern verklärten Lächeln, welches oft ja auch durch Thränen bricht, wieder an der Lust des Lebens, an Allem, was grüne, rothe u. lebende Farbe trägt, wieder Antheil zu nehmen. Das mußt’ ich wenigstens voranschikken, wenn ich die Sache mit Büchners Nachlaß nun ganz praktisch, ohne alle weitre Störung der gemüthlichen Rücksichten, anfasse.

Vertrauen Sie mir Alles an, was Sie von Büchner haben! Ich bin gewiß, daß ich das kleine Denkmal, was ich ihm schon zu setzen versuchte, damit noch zu einem größern, seines Namens würdigeren ausbauen kann. Sind wirklich noch Produktionen, fertige u Fragmente, vorhanden, haben Sie Briefe, die Sie einer fremden Discretion (aber der meinigen, der Discretion eines Freundes!) anvertrauen könnten, Briefe, aus denen sich Gemüthszustände u Ideen entnehmen ließen; so geben Sie mir dies Material; ich will es sichten, ordnen, u in die literarische Welt als ein Ganzes einführen! Einen Buchhändler werd’ ich schon aufbringen, der mit mir gemeinschaftlich verführe.

Eine Zuschrift von der Art, wie Sie andeuten, hab’ ich nicht erhalten. Die Irrthümer, die ich aus Unkenntniß begieng, müßten Sie mir andeuten, überhaupt sich nicht die Mühe verdrießen lassen, mir bei der Arbeit behülflich zu seyn. Wollen Sie das? dann schicken Sie mir, was Sie haben, auch Büchners Züricher Dissertation, damit das Gemälde vollständig wird u auch bald begonnen werden kann. Die Censur ist allerdings ein Stein des Anstoßes; in meinem Nachrufe an Büchner hat sie stark aufgeräumt u die originellsten Stellen aus seinen Briefen an mich weggestrichen; allein da wir ein Buch geben u dies ohnedieß stärker als 20 Bogen werden dürfte, so wird sie milder verfahren –

Ein vorläufiges Hinderniß, schnell an unser Werk, welches recht eigentlich eines der Liebe u Freundschft ist, zu gehen, kann vielleicht auf kurze Zeit eine Reise abgeben, die ich in Begriff bin, nach Berlin zu machen. Allein schicken Sie mir Ihre Sendung zeitig, d. h. bald nach Empfang dieser Zeilen, so nehm’ ich sie mit u widme ihrer Durchsicht grade die Muße, die ich in Berlin haben werde, u versuche ohnedieß, in Leipzig einen Verleger für das Ganze zu gewinnen. Kömmt die Sendung nach meiner Abreise an, so wird sie mir von den Meinigen nachgeschickt werden.

Den Schluß Ihres Briefes betreffend, so muß ich wohl erröthen, wenn mir eine Dame sagt, dß sie das Morgenblatt mit seinem Beiblatte lese. Wie Sie an dem Schmerz, einen so theuern Freund verloren zu haben, leiden u er Ihnen immer {unauslöschlich} im Wege stehen wird; so hab’ ich mein Kreuz zu [+++h] tragen, den schlechtesten Ruf, den mir gewisse Feinde zu machen wußten u den ich im Augenblick, wo ich ihn erhielt, durch meine damals in der That excentrischen Schriften, die auf die Masse nicht berechnet u mir selbst vielleicht allein nur klar u werth waren, nicht einmal widerlegen konnte. [Gras] Gras darf ich über meinem Leid nicht wachsen lassen; ich muß Blumen darauf pflanzen, {eine} ganz neue Vegetation, muß arbeiten u schaffen, um meinen Ruf zu überwinden. Vielleicht mach ich ihn so vergessen. Ich spreche nur von dem, wofür ich gelte; nicht von dem, was ich bin. Das konnten Sie von Büchner hören. Er hatte einen hellen Blick; er wußte wohin die Seinigen wollten u welche Wege in die Irre, welche in die Wahrheit führten!

Das Papier ist zu Ende. Ich schließe mit Dank für Ihr Vertrauen, erwarte Ihren fernern Entschluß u zeichne mit Hochachtung

Ihren ergebensten Diener

Fft. 30/8 37                                                                        K Gutzkow

Adresse:
Mademoiselle W. Jaeglé / Rue St. Guillaume 66 à Strassbourg

Überlieferung
H: GSA Weimar, Nachlass Büchner; d1: Andler, S. 190 f.