WZ 568
Hermann Marggraff: Rezension zu „Dantons Tod“, in: Jahrbücher für Drama, Dramaturgie und Theater; Leipzig Juli 1837

Dramatische Literatur.

Dantons Tod. Dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft von Georg Büchner. Frankfurt am Main, Sauerländer. 1835.

Georg Büchner, der Dichter, und Georg Danton, sein Held, haben ein ziemlich ähnliches Schicksal gehabt, schon darin ähnlich, daß sie jetzt beide todt sind. Beide waren Männer von revolutionärer Gesinnung; Danton fiel durch die Guillotine, und es hätte nicht viel gefehlt, so wäre auch Büchner durch dasselbe oder ein ähnliches Todesinstrument entrafft worden. Danton wurde durch die Revolution, deren Capitano er gewesen, zum eigenen Verderben geführt; Büchner gehört zu denen, welche den gemessenen Fortschritt der Revolution von 1830 verderben halfen, zu jenen jungen Hitzköpfen, welche die Frankfurter Emeute ohne alles historisches Bewußtsein improvisirten, als ob in Frankfurt am Main, dessen Kellner so berühmt sind, wie seine Küche, eine große vaterländische Revolution losgehen könne. Dieses aufrührerische Improvisatorium von 1830, diese revolutionäre Solopartie, und das Tutti der französischen Revolution vom J. 1789, das Tutti der Marsailler Bluthymne — welch' ein Unterschied! — Paris und Frankfurt am Main! Danton und Georg Büchner! Und doch darf man glauben, daß in Büchner ein kleiner Danton eher steckt, als in der Bundesstadt Frankfurt ein großes revolutionäres Paris! — Unglücklicher Jüngling! Danton gab dem großen Last- und Frachtwagen der Pariser Revolution einen Anstoß, um von den blutbespritzten Rädern zermalmt zu werden; du schobst nur einen Karren vor dir her, und selbst dieser Karren war gewichtig genug, um Deine zarten revolutionären Glieder zu brechen.

Dieser seinen Irrthümern als Opfer gefallene Jüngling, hat uns ein Denkmal hinterlassen, welches mehr aus ordnungslos übereinandergeschichteten Bau- und Hausteinen besteht, als daß es aus dem Ganzen gehauen und gestochen wäre. Mit Recht nannte Büchner seinen Danton „dramatische Bilder“; dieses Product ist nichts, als ein genial dialogisirtes Fragment eines geschichtlichen Zeitabschnitts, welcher in seinen Tiefen und Schlüchten allerdings dramatisches Material, das gar nicht zu erschöpfen ist, einschließt, nur daß leider hundert Bergleute, welche die rohe Masse zu Tage fördern, auf einen echten Meister zu zählen sind, der die Masse kunstmäßig zu bearbeiten und aus dem Ausgeschöpften eine wirkliche Schöpfung hervorzubringen weiß. Büchner’s Produkt gewährt keinen Kunstgenuß, höchstens den Genuß des Schwindels.

Alles in diesem Drama ist gegeben, geworden. Die Charaktere stehen von vorn herein auf ihrer Spitze, keiner wird, keiner entwickelt sich. Wir finden hier nur die Wirkungen von Ursachen, die vor dem Drama und außer seinem Bereich liegen. Jede der hier zusammengeschaarten Personen, ist fertig, sogleich beim Auftreten. Die Geschichte hatte dem Dichter wacker vorgearbeitet; er durfte wenig hinzuthun; aber man muß sagen, daß Büchner alles dies Fertige mit großer Fertigkeit zur Anschauung gebracht und das auf die Spitze Gestellte mit wahrer Genialität auf dieser Spitze, ohne daß sie umbricht, gehalten hat. Danton ist mit ungemeiner Energie gezeichnet, liebenswürdig in all seiner Schreckhaftigkeit; so die übrigen Deputirten, welche vor dem Wohlfahrts-Ausschuß geopfert wurden. In ihnen ist die Wahrheit der Ueberzeugung, die Redlichkeit, die Unerschrockenheit des ehrlichen Bewußtseins; in ihnen lebt die Leidenschaft, die den Menschen menschlich macht, die Freundschaft, die Liebe, die Sinnlichkeit, die Poesie. Ein merkwürdiger Contrast gegen die Mitglieder des Wohlfahrts-Ausschusses, besonders gegen Robespierre und St. Just, die allein Stehenden, die jeder menschlichen Regung, selbst der Sinnlichkeit, unzugänglich, einer übermenschlichen Tugend nachstreben, und eben darum als lasterhaft, kaltherzig, blutgierig, sophistisch erscheinen müssen. Dieser Gegensatz ist meisterhaft durchgeführt. Die Sophistik kann es zu nichts Schreckenhaftern bringen, als hier ein St. Just und Robespierre, nur daß letzterer, wie Büchner ihn schildert, seiner Sophistik und daß er sich selbst belügt, sich halbweges bewußt erscheint, während St. Just an der Wahrheit seiner Sophismen durchaus nicht zweifelt und überall ehrlich zu Werke geht. „Soll eine Idee,“ sagt einmal St. Just, „nicht eben so gut, wie ein Gesetz der Physik vernichten dürfen, was sich ihr widersetzt? Soll überhaupt ein Ereigniß, was die ganze Gestalt der moralischen Natur, d. h. der Menschheit, umändert, nicht durch Blut gehen dürfen? – – Die Schritte der Menschheit sind langsam, man kann sie nur nach Jahrhunderten zählen, hinter jedem erheben sich die Gräber von Generationen. Ist es denn nicht einfach, daß zu einer Zeit, wo der Gang der Geschäfte rascher ist, auch mehr Menschen außer Athem kommen? – – Moses führte sein Volk durch das rothe Meer und in die Wüste, bis die alte, verdorbene Generation sich aufgerieben hatte, ehe er den neuen Staat gründete. Gesetzgeber! Wir haben weder das rothe Meer, noch die Wüste, aber wir haben den Krieg und die Guillotine“ etc. Auf diese in ihrer Art vortreffliche Rede, erfolgte allgemeiner Beifall und St. Just erhebt sich und ruft: „Alle geheime Feinde der Tyrannei, welche in Europa und auf dem ganzen Erdkreise den Dolch des Brutus unter ihren Gewändern tragen, fordern wir auf, diesen erhabenen Augenblick mit uns zu theilen,“ nach welchen Worten die Versammlung die Marseillaise anstimmt. Welch ein lächerlicher Pomp, womit der Dichter – wenn nicht die Geschichte – die gesetzgebende Versammlung hier bekleidet hat! welch widerliche Erhabenheit! Nein! wie Georg Büchner den Robespierre und St. Just gezeichnet und den taumelnden, grundsatzlosen Pariser Pöbel dargestellt hat, ist daran nicht zu zweifeln, daß der Revolutionär Büchner eben so wenig für den Wohlfahrts-Ausschuß Sympathie fühlte, als daß er je im Stande gewesen wäre, die Herrschaft des Pöbels für Volkssouveränität zu halten und letztere nach Kräften einzuführen.

Was aber das Tadelnswertheste an diesem Produkte bleibt, ist der fortgesetzte, fast durch nichts gemilderte Schrecken, der sich durch das Ganze hindurchzieht und den Gedanken an ein Kunstwerk gar nicht aufkommen läßt, ein Schrecken, der noch durch die Absichtlichkeit vermehrt wird, womit der Verf., wie es scheint, seinen eignen Unglauben, der an Gott, an einem versöhnlichen Gotte, an einem ewigen Leben verzweifelt, durch seine Helden predigen läßt. Alle diese gefangenen Deputirten, welche in den Tod geführt werden, leben als Gottesleugner und gehen in den Tod mit der Ueberzeugung, daß sie im nächsten Augenblick Nichts sein werden. Was hilft in diesem Falle in poetischen Produkten die historische Beglaubigung, die wenigstens in Bezug auf Danton's bis zum letzten Augenblicke festgehaltenen Unglauben vorhanden ist? – Die Polemik gegen jede moralische und religiöse Ueberzeugung, ist hier gar zu wild, wüst und cynisch – cynisch oft selbst der Sprache nach. Diese Sprache, zuweilen spröde und dunkel, sonst lakonisch schlagfertig, stolz, republikanisch kurz, männlich fest, an echt französischem Pathos und prägnanten Bildern reich, verliert sich nicht selten in's Gemeine und „stinkt“ dann, um mit einem Lieblingsausdruck des Verfassers zu reden. So z. B. Camilla.Vielleicht, daß Einem der Tod das Leben langsam aus den Fiebern martert, mit Bewußtsein vielleicht, sich wegzufaulen! Philippeau.Von Blumen, die versetzt werden, unterscheiden wir uns nur dadurch, daß wir über dem Versuch ein wenig stinken. Danton. Eine erbauliche Aussicht! Von einem Misthaufen auf den andern! etc. Bei diesem genialen Cynismus wird dem Leser zuletzt ganz krankhaft pestartig zu Muthe und unheimlich; er schließt die Augen, er hält die Ohren, die Nase zu; seine Gefühls-, seine Geschmacksnerven werden afficirt –; jeder Sinn wird aufs empörendste beleidigt und möchte außer Thätigkeit gesetzt sein. Lucile Camilla, Desmoulins Gattin, eine rührende Gestalt, tritt in zu wenigen Momenten auf, um als freundlicher Gegensatz wirksam zu sein; da freut man sich, Perlen zu finden vom reinsten Wasser, wie diese: Camilla.(spricht von Lucile) Sie können die Hände nicht hinlegen, das Licht der Schönheit, das von ihrem süßen Leibe sich ausgießt, ist unlöschbar. Sieh, die Erde würde nicht wagen, sie zu verschütten, sie würde sich um sie wölben, der Grabdunst würde wie Thau an ihren Wimpern funkeln, Krystalle würden wie Blumen um ihre Glieder sprießen, und helle Quellen im Schlaf hinmurmeln. Oder Danton:Doch hätte ich anders sterben mögen, so ganz mühelos, so wie ein Stern fällt, wie ein Ton sich selbst aushaucht, sich mit den eigenen Lippen todtküßt; wie ein Lichtstrahl in klaren Fluthen sich begräbt. – Wie schimmernde Thränen sind die Sterne durch die Nacht gesprengt; es muß ein großer Jammer in dem Auge sein, von dem sie abträufelten. –

Jedenfalls darf die Lesewelt auf den Nachlaß dieses genialen Menschen, der nun leider todt ist und seine auch in diesem merkwürdigen Produkt begangenen Irrthümer nicht mehr gut machen kann, gespannt sein. Ich denke, er hat an Gutzkow einen wackern und umsichtigen Biographen, Testamentvollstrecker und Manuscriptenordner.

H. Mff.

Überlieferung
Druck: H Mff: Dantons Tod, in: Jahrbücher für Drama, Dramaturgie und Theater 1 (1837), S. 160–162.