WZ 250
Karl Baur: „Rezept aus der neuesten ästhetischen Küche“, in: „Frankfurter Ober-Postamts-Zeitung“, „Frankfurter Konversationsblatt“; Frankfurt a. M. 5. September 1835

Rezept aus der neuesten ästhetischen Küche.

Willst du ein Werk des Genies erzeugen,
Darfst deinen Kopf keiner Regel mehr beugen;
Regellos muß dir das All erscheinen,
Im Kleinen, im Großen, im Großen, im Kleinen.
Kein Glaube, kein Gott, eine Lüge die Welt,
Nur bunte Decke das Sternen-Zelt;
Das Jenseit ein eitler, thörichter Traum,
Das Diesseit ein hohler, luftiger Schaum;
Die Tugend ein leerer, ein flüchtiger Schall,
Gewissen – ein äffender Wiederhall,
Die Liebe recht fleischlich, ein Zeitvertreib,
Die Ehe zum Lachen, zum Spielen das Weib;
Nichts Großes und Heiliges weiter im Leben,
Kein Hoffen, kein Wünschen, kein würdiges Streben, –
Nicht Zucht, noch Sitte, nicht Schaam, noch Scheu,
Nur blitzig und witzig, nur frech und – neu!
Was sonst die Menschen mit Ehrfurcht begrüßen,
Du, reiß’ es zu Boden und tritt es mit Füßen!
Um Alles in Eine Lehre zu fassen:
Frei mußt du den Geist in dir wirken lassen,
Ganz sansculotte und ungenirt,
Als wärst du vom Teufel inspirirt.
Und bist du recht glühend vom höllischen Brand,
Und ist dir verkohlet so Herz als Verstand,
Dann Samiels zischende Feder zur Hand,
Die Erde gefegt mit dem Hexenbesen! –
So wirst du vergöttert und rasend gelesen.

B..r.

Überlieferung
Druck: B.r: Rezept aus der neuesten ästhetischen Küche, in: Frankfurter Konversationsblatt No 246, 5. September 1835, S. 4; Abb. in: Katalog Marburg 1987, S. 51

Erläuterung
Das Gedicht ist wahrscheinlich die Reaktion von Büchners Deutschlehrer Karl Baur auf seine Lektüre des gerade in Frankfurt a. M publizierten Dramas "Danton's Tod".