WZ 1660
Julian Schmidt: „Georg Büchner“, in: Die Grenzboten; Leipzig 1851

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Georg Büchner.

Nachgelassene Schriften von G. Büchner. Frankfurt a. M., Sauerländer.

Im Jahr 1835*) erschien von dem noch unbekannten Dichter ein Trauerspiel: Danton’s Tod. Gutzkow führte dasselbe durch eine höchst günstige Recension ein, und das junge Deutschland wetteiferte, in ihm den Propheten einer neuen Zeit zu verkünden. Der frühzeitige Tod Büchner’s in Zürich, im Februar 1837, in Folge eines Nervenfiebers, schnitt diese Hoffnungen ab. Er ist seitdem fast vergessen, die gegenwärtige Ausgabe seiner Werke macht aber mit Recht wieder auf ihn aufmerksam. Wir sehen nicht allein ein wirkliches, sehr bedeutendes Talent vor uns, sondern auch einen ganz eigenthümlichen Charakter, der als Typus der Zeit eine nähere Würdigung verdient.

Büchner ist 1813 in Darmstadt geboren, studirte seit 1831 in Straßburg Naturwissenschaften, verlobte sich daselbst, ließ sich 1834 als Student in Gießen in demagogische Umtriebe ein, wurde flüchtig (März 1835, gerade als er sein Stück an Gutzkow geschickt hatte), setzte in Straßburg seine Studien fort, und habilitirte sich im October 1836 als Privatdocent in Zürich. Das sein einfaches Leben, in welchem doch der Keim zu einer kleinen Tragödie liegt.

Wir beginnen mit seiner literarischen Thätigkeit.

Außer „Danton’s Tod“ enthält die Sammlung: Leonce und Lena,ein Lustspiel; Lenz, ein Novellenfragment, verschiedene Briefe und biographische <122> Notizen. Zwei andere Dramen, von denen in diesen Briefen die Rede ist, scheinen verloren gegangen zu sein.

Das Novellenfragment behandelt das Schicksal des unglücklichen Dichters Lenz, des Jugendfreundes von Goethe, auf welchen Tieck einige Jahre vorher durch die Ausgabe seiner dramatischen Schriften das Publicum wieder aufmerksam gemacht hatte. Büchner ehrte in ihm den Geistesverwandten. Das Fragment – wenn es anders so genannt werden kann, da es eigentlich eine vollständig abgeschlossene Erzählung enthält, beginnt mit einer Fußpartie, auf welcher der Dichter schon fast ganz wahnsinnig ist, und schließt mit dem vollständigen Wahnsinn. Ich setze den Anfang her. „Am 20. ging Lenz durchs Gebirg. Die Gipfel und hohen Bergflächen im Schnee, die Thäler hinunter grünes Gestein, grüne Flächen, Felsen und Tannen. Es war naßkalt, das Wasser rieselte die Felsen hinunter und sprang über den Weg. Die Aeste der Tannen hingen schwer herab in die feuchte Luft. Am Himmel zogen grünen Wolken, aber Alles so dicht, und dann dampfte der Nebel herauf und strich schwer und feucht durch das Gesträuch, so kurz, so plump. Er ging gleichgültig weiter, es lag ihm nichts am Weg, bald auf- bald abwärts. Müdigkeit spürte er keine, nur war es ihm manchmal unangenehm, daß er nicht auf dem Kopfe gehen konnte. Anfangs drängte es ihm in der Brust, wenn das Gestein so wegsprang, der grüne Wald sich unter ihm schüttelte, und der Nebel die Formen bald verschlang, bald die gewaltigen Glieder halb enthüllte; es drängte in ihm, er suchte nach etwas, wie nach verlornen Träumen, aber fand nichts.“ u. s. w. – Wenn das schon auf der ersten Seite so geht, so kann man sich vorstellen, wie bei gesteigertem Fieber die Empfindungen und Einfälle in buntem Wechsel sich drängen.

Ich halte den Versuch, den Wahnsinn darzustellen, wenn er etwas mehr sein soll, als das deutlich erkannte Resultat eines tragischen Schicksals, oder als eine vorübergehende Staffage, um die augenblickliche Stimmung auszudrücken, für den Einfall einer krankhaften Natur. Die Darstellung des Wahnsinns ist eine unkünstlerische Aufgabe, denn der Wahnsinn, als die Negativität des Geistes, folgt keinem geistigen Gesetz; die Willkür hat einen unermeßlichen Spielraum, und die hervorzurufenden Stimmungen contrastiren so gewaltsam mit einander, daß ein lebendiger Eindruck nicht möglich ist. Ueber das Widersinnige müssen wir lachen, und doch schaudert es uns vor diesem unheimlichen Selbstverlust des Geistes. Der Wahnsinn als solcher gehört in das Gebiet der Pathologie, und hat ebenso wenig das Recht, poetisch behandelt zu werden, als das Lazareth und die Folter. Am erträglichsten ist es noch, wenn der komische Effect die Hauptsache ist, wie z. B. in der Monographie eines werdenden Wahnsinnigen in den Pickwickiern; aber Gott behüte uns auch vor dieser Komik. Am schlimmsten ist es, wenn sich der Dichter so in die zerrissene Seele seines Gegenstandes versetzt, daß sich ihm selber die Welt im Fiebertraum dreht. Das ist hier der Fall.

<123>Es hängt das mit einer falschen ästhetischen Ansicht zusammen, die wir nicht genug bekämpfen können. „Die höchste Aufgabe des Dichters, sagt Büchner in einer Selbstrecension über Danton, ist, der Geschichte, wie sie sich wirklich begeben, so nahe als möglich zu kommen. Sein Buch darf weder sittlicher noch unsittlicher sein, als die Geschichte selbst ... Der Dichter ist kein Lehrer der Moral, er erfindet und schafft Gestalten, er macht vergangene Zeiten wieder aufleben, und die Leute mögen dann daraus lernen, so gut, wie aus dem Studium der Geschichte und der Beobachtung dessen, was im menschlichen Leben um sie herum vorgeht ... Sonst müßte man über einen Gott Zeter schreien, der eine Welt erschaffen, worauf so viele Liederlichkeiten vorfallen. Wenn man mir sagen wollte, der Dichter müsse die Welt nicht zeigen wie sie ist, sondern wie sie sein sollte, so antworte ich, dass ich es nicht besser machen will wie der liebe Gott, der die Welt gewiß gemacht hat, wie sie sein soll. Was die sogenannten Idealdichter anbetrifft, so finde ich, daß sie fast nichts als Marionetten mit himmelblauen Nasen und affectirtem Pathos, aber nicht Menschen von Fleisch und Blut gegeben haben, deren Leid und Freude mich mitempfindend macht, und deren Thun und Handeln mir Abscheu oder Bewunderung einflößt. Mit einem Wort, ich halte viel auf Goethe und Shakspeare, aber sehr wenig auf Schiller.“ –

Der Einwand, daß Gott doch wohl gewußt haben müsse, was er schuf, reicht nicht aus, denn für Gott ist die Welt Totalität, in der ein Unvollkommenes das Andere ergänzt. Der Dichter aber, der nur ein Fragment der Welt darstellt, kann sich mit dem Empirischen, dem Unvollkommenen nicht begnügen. Wenn die Dichtung ein Duplicat des Wirklichen gäbe, so wüßte man nicht, wozu sie da wäre. Sie soll erheben, erschüttern, ergötzen; das kann sie nur durch Ideale. Freilich leisten Marionetten mit himmelblauen Nasen diese Wirkung nicht; darum eben sind sie keine Ideale. Das bloße Wirkliche ist zu elend, um die Seele dauernd zu erregen. – Uebrigens ist dem Dichter auch nicht möglich, einen bloßen Abklatsch des Wirklichen zu geben; er muß idealisiren, er mag wollen oder nicht, und wenn er nicht nach der göttlichen Seite hin idealisirt, so idealisirt er nach der teuflischen, wie die ganze neue Romantik.

Wenn also auch Büchner über Lenz die gewissenhaftesten Studien gemacht hat, um in der Schilderung seines Wahnsinns so naturgetreu als möglich zu sein, so ist dieses Studium doch nur die Nebensache; eigentlich ist seine Productivität in der Reihenfolge der Seelenzustände, und in dem Rapport, in welchen dieselben zu den entsprechenden Stimmungen der Natur gesetzt werden. Wie lebhaft sein Gefühl in dem Herausfinden dieses Rapports war – die Eigenschaft eines krankhaft reizbaren Nervensystems – zeigen verschiedene halb im Scherz halb im Ernst geschriebene Stellen seiner Briefe.

Abgesehen von dem falschen Gegenstand ist das Talent, welches an denselben verschwendet ist, im höchsten Grade anzuerkennen. Man sieht überall den wahren <124> Dichter, d. h. den lebhaft und mit einer gewissen Gewalt empfindenden Geist, der, was er darstellt, darstellen muß.

– Das Lustspiel: Leonce und Lena, ist unter Tieck’schem Einfluß geschrieben. Leonce ist Prinz Zerbino, König Peter ist König Gottlieb, auch die Nebenfiguren sind entlehnt. – Lenz war ein Wahnsinniger, Leonce leidet an der Modekrankheit des Spleens und der Blasirtheit. – „Ich habe alle Hände voll zu thun. Ich weiß mir vor Arbeit nicht zu helfen. Sehen Sie, erst habe ich auf den Stein 365 Mal zu spucken.“ U. s. w. – „Was die Leute nicht alles aus Langeweile treiben! Sie studiren aus Langeweile, sie beten aus Langeweile, sie verlieben, verheirathen und vermehren sich aus Langeweile und sterben endlich aus Langeweile, und – das ist der Humor davon – Alles mit den wichtigsten Gesichtern, ohne zu merken, warum? Alle diese Helden, diese Genies, diese Dummköpfe, diese Heiligen, diese Sünder, diese Familienväter sind im Grunde nichts als raffinirte Müßiggänger. Warum muß ich es gerade wissen? Warum kann ich nur nicht wichtig werden und der armen Puppe einen Rock anziehen und einen Regenschirm in die Hand geben, daß sie sehr rechtlich und sehr nützlich und sehr moralisch würde?“ – „Meine Herren, wißt ihr auch, was Caligula und Nero waren? Ich weiß es. – Mein Leben gähnt mich an, wie ein großer weißer Bogen Papier, den ich vollschreiben soll, aber ich bringe keinen Buchstaben heraus. Mein Kopf ist ein leerer Tanzsaal, einige verwelkte Rosen und zerknitterte Bänder auf dem Boden, geborstene Violinen in der Ecke, die letzten Tänzer haben die Masken abgenommen und sehen mit todtmüden Augen einander an. O ich kenne mich, ich weiß, was ich in einer Viertelstunde, was ich in acht Tagen, was ich in einem Jahre denken und träumen werde. Gott, was habe ich denn verbrochen, daß du mich, wie einen Schulknaben, meine Lection so oft hersagen läßt?“ – Nach diesen Stimmungen hat er sich auch das Ideal eines Frauenzimmers gebildet. „Unendlich schön und unendlich geistlos. Ein köstlicher Contrast: diese himmlisch stupiden Augen, dieser göttlich einfältige Mund, dieses schaafnasige griechische Profil, dieser geistige Tod in diesem geistigen Leib.“ – Als er dies Ideal gefunden, will er im höchsten Augenblick in’s Wasser springen; der Hanswurst hält ihn ab. „Mensch, du hast mich um den schönsten Selbstmord gebracht. Ich werde in meinem Leben keinen so vorzüglichen Augenblick dazu finden, und das Wetter ist vortrefflich. Jetzt bin ich schon aus der Stimmung. Der Kerl hat mir mit seiner gelben Weste und seinen himmelblauen Hosen Alles verdorben.“ – Endlich heirathet er, und das goldene Zeitalter beginnt: „Es wird ein Decret erlassen, daß wer sich Schwielen an die Hände schafft, criminalistisch strafbar ist; daß Jeder, der sich rühmt, sein Brod im Schweiß seines Angesichts zu essen, für verrückt und der menschlichen Gesellschaft gefährlich erklärt wird; und dann legen wir uns in den Schatten und bitten <125> Gott um Makronen, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, classische Leiber und eine kommende Religion!“ – –

Es ist der Geist des alten Hamlet, der in diesen frostigen, mit einer wahren Leichenbittermiene vorgetragenen Späßen sein Wesen treibt. Wir Deutschen haben für dies unheimliche Bild stets die wunderlichsten Sympathien gehegt. Wir schwärmten unsere eigene stofflose Unendlichkeit an; wir wiegten uns mit einer gewissen schadenfrohen Selbstzufriedenheit in diesem gemischten Gefühl der Größe und Erbärmlichkeit. Hamlet gab uns die Phrasen, mit unserm eignen Schatten zu coquettiren. Wir berauschten uns an dem Wahnsinn dieser glaubenlosen Welt, die von dem Geist nichts wissen will, und daher überall Gespenster sieht. Wir waren hochmüthig in unserm Nichts, und bildeten uns etwas darauf ein, in sophistischer Freiheit mit diesem Erdball und seinen Mächten spielen zu können, deren Quelle wir nirgend anders sahen, als in unseren eignen Gedanken. Es ist ein Spiel der Freiheit, mit dem unheimlichen Abgrund des eignen Innern zu scherzen, und darum angenehm; aber auch bedenklich. Denn wie die Realität sich in Visionen verliert, so bemächtigen sich die Visionen der Wirklichkeit. Wo das Leben zu einem bloßen Schein herabsinkt, wird es ein Reich des Bösen.

Dies bringt mich auf die schlimmste Seite von Büchner’s Thätigkeit. – Gutzkow hat ungefähr gleichzeitig in seinem Nero den Leonce geschildert, dem das Schicksal einer Welt in die Hände gegeben ist. Von den zahllosen andern Faust-Don Juan-Hamleten habe ich an einem andern Ort gesprochen. – Aber Nero hat schon durch seine Ferne eine phantastische Färbung; im Danton hat Büchner denselben Charakter in sehr bestimmte, bewegte Verhältnisse gesetzt. Danton spricht und benimmt sich gerade wie Leonce, aber es wird uns viel unheimlicher dabei, denn wir fühlen Leben und Zusammenhang heraus.

Was dieses Drama im Allgemeinen betrifft, so widerstrebt es nach der damals bei geistreichen Leuten als Katechismus anerkannten Tieck’schen Marotte allen Gesetzen der Kunst. Es enthält eine Menge episodischer Figuren und Handlungen, die weder zum Verständniß des Ganzen etwas beitragen, noch an sich einen selbstständigen Werth beanspruchen dürfen. Die einzelnen Scenen sind lose an einander gefädelt, der Ausgang ist ein vollkommen leerer, ja verrückter. Ueberhaupt ist Danton’s Tod kein dramatischer Abschluß. Wir werden unten, an Griepenkerl’s Robespierre, die eigentlich dramatische Katastrophe der Revolution nachzuweisen suchen. – In der Schilderung der Zeit, die eigentlich bei einem solchen Sujet das Schwerste ist, weil das unbetheiligte Publicum die wahnsinnigen Tiraden und die abnorme Handlungsweise, die nur aus einem, bereits Jahre fortdauernden Fieber zu begreifen ist, ohne weitere Vorbereitung als Ordnung des Tages anerkennen soll, hat es sich Büchner leicht gemacht, ungefähr wie Göthe im Götz; er excerpirt die Quellen, aber bei dem unendlich viel schwierigeren Material mit weniger Geschick. Mit Ausnahme von Danton sind alle Figuren Mosaikarbeit.

<126> Aber Danton ist eine wirkliche Gestalt von Fleisch und Blut. Ein Hamlet mit einer Vorgeschichte, und das ist ein wesentlicher Fortschritt. Er hat sich im Vollgefühl seiner Kraft in die Revolution eingelassen, aber das Blut, das er selber und Andere vergossen, hat ihm Ekel gemacht; er sucht sich in sinnlichen Ausschweifungen zu betäuben, aber die Stimme seines Gewissens läßt sich immer von Neuem hören; er hofft mitunter, daß mit dem Tode Alles zu Ende sein wird, und doch scheut er wieder den Tod, und doch ist er wieder zu schlaff, einen Schritt zu thun, um seinem Verderben zu entgehn. „Das ist sehr langweilig“, sagt er zu Camille, als dieser ihn treibt, „immer das Hemd zuerst und dann die Hosen darüber zu ziehen und des Abends in’s Bett und Morgens wieder heraus zu kriechen, und einen Fuß immer so vor den andern zu setzen, da ist gar kein Absehen, wie es anders werden soll. Das ist sehr traurig, und daß Millionen es schon so gemacht haben, und daß Millionen es wieder so machen werden, und daß wir noch obendrein aus zwei Hälften bestehen, die beide das Nämliche thun, so daß Alles doppelt geschieht, das ist sehr traurig.“ – Das ist ganz Leonce. Du sprichst in einem kindischen Tone, bemerkt Camille. – „Sterbende werden kindisch ... Es war mir zuletzt langweilig, immer im nämlichen Rocke herumzulaufen, und die nämlichen Falten zu ziehen. Das ist erbärmlich. So ein armseliges Instrument zu sein, auf dem die Saite immer nur einen Ton angibt. Ich wollte mir’s bequem machen. Ich hab‘ es erreicht, die Revolution setzt mich in Ruhe, aber auf andere Weise, als ich dachte.“ – Und Frankreich bleibt seinen Henkern? – „Was liegt daran? Die Leute befinden sich ganz wohl dabei! Sie haben Unglück; kann man mehr verlangen, um gerührt, edel, tugendhaft oder witzig zu sein, oder um überhaupt keine Langeweile zu haben? Ob sie nun an der Guillotine oder am Fieber oder am Alter sterben! Es ist doch vorzuziehen, sie treten mit gelenken Gliedern hinter die Coulissen und können im Abgehen noch hübsch gesticuliren und die Zuschauer klatschen hören.“ – Endlich kurz vor seinem Tode: – Was willst du denn? – „Ruhe.“ – Die ist in Gott. – „Im Nichts ... Aber Etwas kann nicht zu Nichts werden! und ich bin Etwas, das ist der Jammer! Die Schöpfung hat sich so breit gemacht, da ist nichts leer. Alles voll Gewimmels. Das Nichts hat sich ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen, die Welt das Grab, worin es verfault.“ U. s. w.

Wäre diesem Blasirten gegenüber die selbstgewisse „Tugend“ der Fanatiker in scharfem Lichte dargestellt, so wäre der Contrast gewiß sehr poetisch. Aber Büchner zersetzt mit dem Scheidewasser seines Skepticismus auch die härtesten Gestalten. Selbst Robespierre sieht Gespenster, wenn er allein ist. – „Es ist lächerlich, wie meine Gedanken einander beaufsichtigen .... Ich weiß nicht, was in mir das Andere belügt – –. Die Nacht schnarcht über der Erde und wälzt sich im wüsten Traum. Gedanken, Wünsche, kaum geahnt, wirr und gestaltlos, die scheu vor des Tages Licht sich verkrochen, empfangen jetzt Form und Gewand <127> und stehlen sich in das stille Haus des Traumes. Sie öffnen die Thüren, sie sehen aus den Fenstern, sie werden halbwegs Fleisch, die Glieder strecken sich im Schlaf, die Lippen murmeln. – Und ist nicht unser Wachen ein hellerer Traum, sind wir nicht Nachtwandler u. s. w. .. Die Sünde ist im Gedanken. – „ – Das ist zu fein subtilisirt für die dramatische Gestalt, obgleich an sich, auch psychologisch, nicht unwahr.

Wir kommen jetzt an die ethische Seite des Dramas. – Auf jeden Unbefangenen macht es den Eindruck, daß die Revolution etwas Entsetzliches und Verabscheuungswürdiges sei. Auch in den Briefen an seine Braut, die gerade in dieser Zeit sehr trübe sind, spricht sich dieser Eindruck aus. „Ich studirte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherschen unmöglich. – Ich gewöhnte mein Auge ans Blut. Aber ich bin kein Guillotinemesser. Das muß ist eins von den Verdammungsworten, womit der Mensch getauft worden. Der Ausspruch: es muß ja Aergerniß kommen, aber wehe dem, durch den es kommt, ist schauderhaft. Ich mag dem Gedanken nicht weiter nachgehen.“ –

Und in dieser Stimmung stand er an der Spitze einer ziemlich verbreiteten geheimen Gesellschaft, welche Brandpamphlete in die Hütten des Volks schleuderte, um einen Krieg der Armen gegen die Reichen zu erregen. Er theilte nicht die Illusionen des ehemaligen Liberalismus, das Volk für blos politische Ideen in Bewegung setzen zu können. „Für die große Classe, schreibt er noch Ende 1836 an Gutzkow, giebt es nur zwei Hebel, materielles Elend und religiöser Fanatismus. Jede Partei, welche diese Hebel anzusetzen versteht, wird siegen. Unsere Zeit braucht Eisen und Brod – und dann ein Kreuz oder sonst so was. Ich glaube, man muß in socialen Dingen von einem absoluten Rechtsgrundsatz ausgehen, die Bildung eines neuen geistigen Lebens im Volke suchen, und die abgelebte moderne Gesellschaft zum Teufel gehen lassen. Zu was soll ein Ding, wie diese, zwischen Himmel und Erde herumlaufen? Das ganze Leben derselben besteht nur in Versuchen, sich die entsetzlichste Langeweile zu vertreiben. Sie mag aussterben, das ist das einzig Neue, was sie noch erleben kann.“ – Die eigne Stimmung wird der Gesellschaft imputirt.

Schlug ihm nicht das Gewissen, jenes Gewissen, das er in Danton mit so tiefer Empfindung nachgefühlt? – Die Sache war arg genug. Wir können aus den mitgetheilten Fragmenten, namentlich dem „Landboten“ (von Büchner verfaßt, <128> von Weidig dem größern Publicum appretirt) schließen, daß die Partei kein Mittel scheute, auch nicht das der Lüge (die Darstellung des Steuersystems als eines Diebstahls an den Armen ist von Seiten eines gebildeten Mannes eine Lüge), um aufs Volk zu wirken, und daß sie vor den blutigsten Consequenzen nicht zurückbebte. – Und noch dazu eine Revolution heraufbeschwören aus Langeweile und Blasirtheit!! Hamlet-Leonce an der Spitze eines Jacobinerclubbs kommt mir vor wie Nero, als er Rom anzündete, um einen schauerlich schönen Anblick zu haben. – Es fällt mir nicht ein, die Schuld dem Einzelnen aufzubürden, aber es ist ein böses Zeichen für die Zeit; es ist das Unheimliche an jener skeptischen Selbstbeschauung, die uns die Romantik gelehrt; das böse Wesen jenes Pessimismus, der eigentlich aus aristokratisch frühreifer Ueberbildung hervorgeht, und der nachher in unserer sogenannten Demokratie seinen Bodensatz gelassen hat. Ob ich meine Blasirtheit mit demokratischen oder pietistischen Phrasen beschönige, darauf kommt am Ende wenig an. –

Hätte sich Büchner bei längerem Leben zu einer gesunderen, männlicheren Weltanschauung, zu einer reineren Poesie durchgearbeitet? Ich glaube es; er überragt, trotz seiner Jugend, fast alle Poeten seiner Schule an Talent wie an Tiefe des Gefühls. Mit Gewißheit läßt sich noch darüber nichts ausmachen. Es ist in seinem Denken schon etwas so frühreif Fertiges, sein Skepticismus und selbst seine Exaltation haben so wenig Jugendliches, daß man sich die weitere Entwickelung nicht recht vorstellen kann. Er würde immer in der Reihe der Reflexionsdichter geblieben sein, der Hippel, Arnim, Kleist, Grabbe, Hebbel, jener Dichter, bei denen das schärfste, kälteste Denken hart an die unheimlichen Nebel der Wahnsinns streift. J. S.

*) Es ist immer zweckmäßig, sich bei solchen Gelegenheiten von Zeit zu Zeit den chronologischen Zusammenhang einer bestimmten literarischen Richtung ins Gedächtniß zu rufen. – Es erschienen: Leop. Schefer’s Novellen 1825 – Heine’s Reisebilder; Immermann’s Cardenie und Celinde 1826; Victor Hugo’s Cromwell 1827; Lenz‘ Schriften, herausgegeben von Tieck 1828; Kerner’s Seherin von Prevorst; Grabbe’s Faust und Don Juan 1829; Börne’s Briefe aus Paris 1832; Gutzkow’s Mahaguru 1833; Wienbarg’s ästhetische Feldzüge 1834; Gutzkow’s Wally und Nero; Mundt’s Madonna 1835; Lenau’s Faust, Immermann’s Epigonen 1836; Immermann’s Münchhausen; Gutzkow’s Blasedow 1838.

Überlieferung
Druck: J. S.: Georg Büchner, in: Die Grenzboten, Zeitschrift für Politik und Literatur 10 (1851), S. 121–128.