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[Karl Gutzkow]: „Danton’s Tod, von Georg Büchner“, in: „Phönix“, „Literatur-Blatt“; Frankfurt a. M. 11. Juli 1835

Danton’s Tod, von Georg Büchner.

Die Kritik ist immer verlegen, wenn sie prüfend an die Werke des Genies herantritt. Sie, die sonst so schnelle und wortreiche Base, blickt hier scheu und wählt ängstlich in ihren Ausdrücken, um das Würdige mit Würde zu empfangen. Die Kritik kann hier nicht mehr sein, als der Kammerdiener, der die Thür des Salons öffnet und in die versammelte Menge laut des Eintretenden Namen hineinruft; das Übrige wird das Genie selbst vollbringen. Es wird dem matten Gespräche plötzlich eine neue Wendung geben, es wird Ideen aus seinem Haupte schütteln. Das Genie bedarf keiner Empfehlung. Das fühlen wir, wenn wir von Georg Büchner reden, und treten auch im Folgenden nur abseits in einen Winkel, um die Sache für sich selbst reden zu lassen.

Eine tragische Katastrophe der französischen Revolution entwickelt sich in Büchner’s Danton vor unsern Augen. Die Autorität Robespierres ist im Steigen, und die zweite Reaktion gegen die Revolution beginnt. Die erste Reaktion war der Sturz der Gironde, die zweite der Sturz des Moderantismus. Die Revolution verschlang wie Saturn ihre eignen Söhne. Welch ein Unterschied aber schon in den verschiedenen Klassen dieser Rückwirkungen! Die Girondisten waren Männer, welche nicht durch Absichten und Systeme in die Revolution hineingerissen wurden, sondern durch einige Sympathien, durch einige Prinzipien und durch den erhabenen Enthusiasmus, welcher alle Gemüther in jenen sturmvollen Zeiten ergriffen und sich endemisch wie ein Fieber fortgepflanzt hatte. Die Girondisten starben mit ihren blumenreichen Reden, mit dem noblen Ernste und dieser vornehmen Geringschätzung, welche die Doktrin in der Theorie und das Jüste-Milieu oft in der Praxis zu begleiten pflegt; sie starben, weil sie die Revolution ohne die Massen wollten. Die Dantonisten hatten schon Blut an den Händen, das Blut des Septembers, das nicht vergossen wurde, um zu strafen, sondern um zu schrecken. Die Aristokraten in der Stadt, die Könige vor den Thoren hatten sie in eine chirurgische Verzückung versetzt, die mit lächelnder Miene ein faules Glied amputirt. Die Dantonisten hatten der Revolution ein Opfer gebracht, ihr Gefühl, ihre Humanität, ihre der Ruhe geweihten Nächte. Sie hatten so viel gethan, daß sie nicht glaubten, die Revolution verlange sie selbst noch als Opfer. Robespierre gab zwei Anklagen: die eine auf übertriebene Mäßigung, die andere auf Unsittlichkeit. Waren die Girondisten die Römer der Revolution gewesen, so waren die Dantonisten ihre Griechen. Man hatte die Charaktere guillotinirt, jetzt wollte man die Genialität guillotiniren. Danton war Alcibiades. Camille Desmoulins lebte nur in Athen. Alle seine Anschauungen gingen vom Ilissus aus: er nannte das Palaisroyal den Ceramikus, er wollte eine Republik, worin man patriotisch wäre wie Demosthenes, weise wie Sokrates und genial in den Sitten, wie die Kreise, die sich um Aspasia sammelten. Die dritte Phase der Revolution war die religiös-fanatische Robespierres. Die Revolution war ein Cultus geworden und hatte ihre Altäre, ihre Dogmen, ihre Ceremonie. Dem Blut-Messias Robespierre, wie ihn Camille nannte, stand St. Just zur Seite, die Apokalypse neben dem Evangelium.

Nichts bezeichnet die drei blutigen Epochen der französischen Republik besser, als die Begriffe, die zu verschiedenen Zeiten über die Revolution herrschten. Die Gironde hielt die Revolution für etwas, das man ersetzen könne, Danton für etwas, das man abschließen könne, Robespierre für eine Offenbarung, welche ganz außer dem Bereiche des menschlichen Willens läge, also für die Vorsehung und die Gottheit selbst. Aber alle sahen sie die Revolution als etwas Fertiges, Abgegränztes über ihrem Haupte: die ersten als eine Last, die zweiten als ein Hinderniß, die dritten als eine Idee, wie die Messiasidee, in welche sie sich hineinschoben, wie auch Christus nichts anders that, als eine Vorstellung seiner Nation adoptiren und sich selbst zum Substrat und Subjekt einer Thatsache machen. Eine Idee despotisirte hier die Menschen, die Menschen waren nur die Beamte eines Begriffes. Alle beriefen sich auf die Revolution, wie auf eine unsichtbare Gottheit, die sie doch warlich in Händen hatten, wie einen Hut, der mein ist!

Georg Büchner’s Auffassung der französischen Revolution verräth eine tiefe Kenntniß derselben. Seine Charakteristiken der Tendenzen und der Personen sind meisterhaft. Seine Gemälde sind skizzenartig hingeworfen; aber die Umrisse der Kohle sind so scharf, daß unsrer Einbildungskraft sich von selbst eine Welt verzaubert. Danton, Robespierre, St. Just, Camille Desmoulins – sind vortrefflich gezeichnet – so wie in allen Nebenparthien, in den Volksscenen und dem Gespräche der untersten Klassen sich die Vertrautheit mit seinem Gegenstande zu erkennen gibt. Warum sollte er dies auch nicht! Unsre Jugend studirt die Revolution, weil sie die Freiheit liebt und doch die Fehler vermeiden möchte, welche man in ihrem Dienste begehen kann.

Man darf sagen, daß in Büchner’s Drama mehr Leben, als Handlung herrscht. Die Handlung selbst ist eine abgeschlossene, schon da, als der Vorhang aufgeht. Der Stoff ist so undramatisch, wie Maria Stuart. Schiller wollte eine Tragödie geben, und gab die Dramatisirung eines Prozesses: Büchner gibt statt eines Dramas, statt einer Handlung, die sich entwickelt, die anschwillt und fällt, das letzte Zucken und Röcheln, welches dem Tode vorausgeht. Aber die Fülle von Leben, die sich hier vor unsern Augen noch zusammendrängt, läßt den Mangel der Handlung, den Mangel eines Gedankens, der wie eine Intrigue aussieht, weniger schmerzlich entbehren. Wir werden hingerissen von diesem Inhalte, welcher mehr aus Begebenheiten, als aus Thaten besteht, und erstaunen über die Wirkung, welche eine Aufführung dieser Art auf dem Theater machen müßte, eine Aufführung, die unmöglich ist, weil man Haydns Schöpfung nicht auf der Drehorgel leiern kann.

Wir nähern uns dem besondern künstlerischen Verdienste dieser Produktion, von welchem wir gestehen müssen, daß es die Auffassung des Stoffes noch bei Weitem zu übertreffen scheint. Wer so sehr an der Fähigkeit der Deutschen, sich mit Geist, Grazie, kurz mit Styl auszudrücken, verzweifeln muß, wie der Herausgeber einer kritischen Revüe der täglich aufwuchernden literarischen Erscheinungen, muß bei der Beurtheilung eines Buches, wie Danton’s Tod von Büchner ist, eine Freude empfinden, die viel zu nüancirt und zusammengesetzt ist, als daß ich sie hier ganz wiedergeben könnte. In Bildern und Antithesen blitzt hier alles von Witz, Geist und Eleganz. Keine verrenkten Gedanken strecken ihre lange Gestalt gen Himmel und schlottern wie gespenstische Vogelscheuchen am Winde hin und her. Keine ungebornen Embryone stehen in Spiritusgläsern um uns herum und beleidigen das Auge durch ihre Unschönheit, sie mögen auf noch so tiefe Entdeckungen zu deuten scheinen. Es ist Alles ganz, fertig, abgerundet. Staub und Schutt, das Atelier des Geistes sieht man nicht. Ich wüßte nicht, worin anders das Kennzeichen eines literarischen Genies besteht. Als ein solches muß man Georg Büchner mit seiner Ideenfülle, seiner erhabenen Auffassung, mit seinem Witz und Humor begrüßen. Was ist Immermanns monotone Jambenclassicität, was ist Grabbe’s wahnwitzige Mischung des Trivialen mit dem Regellosen gegen diesen jugendlichen Genius!

Ich bin stolz darauf, der Erste gewesen zu sein, der im literarischen Verkehr und Gespräch den Namen Georg Büchner’s genannt hat.

Überlieferung
Druck: Danton's Tod von Georg Büchner, in: Literatur-Blatt Nro 27, Phönix. Frühlings-Zeitung für Deutschland Nro 162, 11. Juli 1835, S. 645 f.

Leicht veränderter Wiederabdruck in:
Karl Gutzkow: Beyträge zur Geschichte der neuesten Literatur, 1836, Bd. I, S. 154 f.