LZ 4640
Karl Gutzkow an Wilhelmine Jaeglé in Straßburg; Frankfurt a. M. 14. September 1837

Verehrteste!

Als ich das kürzlich angekommene Paquet erbrach, war es mir so ängstlich und feyerlich, als sollt’ ich den Deckel von einem Sarge heben, u. als in dem Moment (es war spät Abend) eine Musik unter meinem Fenster begann, dacht’ ich, ein Geist rausche an mir vorüber u. hielt lange inne, eh’ ich an die Manuscripte gieng. Das Lustspiel las ich noch den selben Abend, und fand darin Büchners feinen Geist wieder, wenn ich auch voraussehe, dß es Dinge enthält, die im Druck entweder gemildert oder besser ganz übergangen werden. Die Art, wie ich diesen Nachlaß behandeln muß, tritt mir immer deutlicher entgegen. Ich will Alles, was wir von Büchner auffinden können, in meine Darstellung verweben, so daß ich ihn überall da selbst reden lasse, wo seine Worte so eingerichtet sind, dß er sich ihrer dem Publikum gegenüber als der seinigen würde angenommen haben; das aber, was nicht für den Druck zunächst bestimmt war, verflecht’ ich in meine Darstellung. Das schöne Buch von Mundt, Charlotte Stieglitz, wenn Sie es kennen, soll mir als Vorbild gelten, nur mit dem Unterschied, daß jener einen krankhaft weiblichen, ich aber einen gesunden männlichen Stoff habe.

Ohne Ihre Hülfe komm’ ich natürlich zu keinem Ziele. Die Briefe sind mir vor allem wichtig. Sie sind so zart, so tief! Ich will davon öffentlich nur das benutzen, was auf seine Person geht. Für Sonstiges, was sie enthalten, ist die Zeit noch zu jung u frisch. Ueberaus wichtig aber ist, daß Sie mir an der Spitze der Briefexcerpte immer angeben, wann und wo sie geschrieben sind, wo möglich auch, in welcher Stimmung, unter welcher Constellation von Hoffnungen, Schwierigkeiten u dergl.

Welche Fragmente eines Drama versprechen Sie noch?

Lenz ist ein außerordentlich wichtiger Beitrag zur Literaturgeschichte, den ich vollständig abdrucken lasse; denn von dieser Berührung mit Oberlin hat man bisher nichts gewußt.

Da ich Vollständigkeit unserm Denkmale geben möchte, da mir das bezweckte Buch als ein denkwürdiger Beitrag zur Culturgeschichte unsrer Zeit vorschwebt u ich nichts übergehen möchte, was dazu beytragen kann, Büchnern als einen Repräsentanten der modernen Bildung und der Jugend Deutschlands auftreten zu lassen, so will ich an die Freunde Büchners eine Aufforderung ergehen lassen, mir von ihm zu erzählen, was sie wissen u mir seine Briefe anzuvertrauen; außerdem will ich in dem nahen Darmstadt die Eltern besuchen u mich, wenn ich nur einige biographische Vortheile davon ziehe, gern den mir unbekannten Gesinnungen dieser Familie aussetzen. Sollt’ ich das Ganze in Berlin ausarbeiten, was gegen den Winter doch geschehen könnte, so würd’ ich bereuen, die nächsten Anverwandten Büchners in meiner Nähe nicht um Rath gefragt zu haben. Die Mutter wird gewiß manches über den Knaben erzählen können, was für seine Zukunft, die ach, so früh abgeschnitten wurde, charakteristisch ist.

So lange von Berlin nicht die Cholera gewichen ist, können Sie mich noch immer hier vermuthen. Ich bitte Sie, mir rüstig im gemeinsamen Werke beizustehen. Geb’ ich den Riß zum Ganzen, so sind Sie doch der eigentliche Werkmeister. Ich sehe mit Spannung Ihrer nächsten Sendung entgegen u bitte um Bewahrung Ihres gütigen Wohlwollens für Ihren

ergebensten

Frankfurt a/M 14 Sept. 37                                                 K. Gutzkow

Adresse:
A Mlle. W. Jaeglé. / Rue Guillaume 66, à Strassbourg.

Überlieferung
H: GSA Weimar, Nachlaß Büchner; d1: Andler, S. 191 f.

Eingestellt Juni 2017