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Wilhelm Schulz über: Nachgelassene Schriften von G. Büchner (1851).

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„Ein unvollendet Lied sinkt er in’s Grab,
„Der Verse schönsten nimmt er mit hinab.“

Diese Worte aus G. Herwegh’s glänzendem Gedichte „zum Andenken an G. Büchner“ sind dem einfachen Denksteine auf dessen Ruhestätte bei Zürich eingegraben. Man konnte keine passendere Inschrift wählen: die endlich erschienene Ausgabe seiner Werke läßt die reiche Fülle geistiger Schöpfungen ahnen, deren üppig schwellende Keime mit seinem frühzeitigen Tode zu Staub geworden.

Büchner starb als politischer Verbannter, noch nicht 24 Jahr alt, im Febr. 1837. Bis zu der Sammlung seiner Schriften sind also nahe an vierzehn Jahre verflossen. Doch wollen wir es als glücklichen Zufall preisen, daß dieses Labsal für schwer geprüfte Demokraten gerade jetzt erschienen ist, in der an ihren politischen Fehl- und Mißgeburten so jammervoll daniederliegenden Zeit. Freie Conferenzen und Büchner’s Poesie – welcher seltsame Contrast in der an schroffen Gegensätzen so überreichen Gegenwart! Aber gewiß, wo einmal der demokratische Geist so mächtig und urkräftig emporgesprudelt ist, wird man auch die nimmer versiegende Quelle desselben mit Dresdener Protokollen nicht mehr verstopfen können; auch der Schwarzenberg wird nur die Maus gebären.

Solche Werke, wie diejenigen Büchner’s, kommen nie zu spät. Und warum hätten sie früher kommen sollen? In einer spießbürgerlich genügsamen Zeit, wo E. Geibel’s in Zuckerwasser aufgeweichte Reminiscenzen zwanzig oder mehr Auflagen erlebten, hätten sie schwerlich die gebührende Anerkennung gefunden. Deutschland mußte erst die Schule des Unglücks und der tiefsten Erniedrigung durchmachen, um ihren ganzen Werth, um ihre volle Bedeutung würdigen zu lernen. Auch ragen sie an tausend Stellen so frisch und unmittelbar in unsere Gegenwart hinein, daß man sich wundert, <211> wie diese Prophezeiungen, Warnungen, Mahnungen, Schilderungen nicht aus der nächsten Vergangenheit stammen; etwa aus dem Jahr der Hoffnungen 1848, oder aus der folgenden Zeit der Schmach, der Schaam, des Grolls und des verbissenen Zorns auf der einen Seite, so wie jener reaktionären Wuth auf der anderen, die mit ihrer Frechheit ihre Heuchelei, mit ihrer Heuchelei ihre Frechheit zu verhöhnen scheint.

„Wenn man sieht“, so schreibt Büchner nach Erwähnung des Fieschi’schen Attentats im Jahre 1835, „wie die absoluten Mächte Alles wieder in die alte Unordnung zu bringen suchen, Polen, Italien, Deutschland wieder unter den Füßen! es fehlt nur noch Frankreich, es hängt ihnen immer wie ein Schwert über dem Kopf. So zum Zeitvertreib wirft man doch die Millionen in Kalisch nicht zum Fenster hinaus.“ Man füge noch Ungarn zu Polen, noch die Schweiz zu Frankreich; man setze statt der Millionen für jene Revue in Kalisch die hundert Millionen, welche durch die Kriegsrüstungen von 1850 verschlungen wurden, so stehen wir mitten in der allerneuesten Zeit. Damals, im Jahre 1835, schien zwar die Reaktion einige Millionen wirklich zum Fenster hinauszuwerfen. Ob sie auch jetzt das Zehnfache hinauswirft und gegen die demokratischen Staaten Europas den Schlag nicht wagt, ohne dessen Gelingen sie nichts gewonnen und bald Alles verloren hat? Sollte sie ihn nicht wagen, es wäre nur ein Beweis, daß alle Schamlosigkeit nicht gegen Feigheit, alle Heuchelei nicht gegen Thorheit schützt. Dann träte etwa ein, was Büchner bei Erwähnung des Streits zwischen Frankreich und der Schweiz im Jahre 1836 bemerkt: „Wie es damit gehen wird, weiß der Himmel. Doch hörte ich neulich Jemand sagen: ’Die Schweiz wird einen kleinen Knicks machen, und Frankreich wird sagen, es sei ein großer gewesen.’ Ich glaube, daß er Recht hat.“ Er hatte damals Recht. Indessen ist im Jahre 1851 schwerlich zu bezweifeln, daß die reaktionären Monarchien jede Gelegenheit benutzen werden, um den ersten „kleinen Knicks“, zu dem sich die seit 1847 doppelt ärgerlich gewordene Schweiz etwa verleiten ließe, zu einer dauernden Erniedrigung und Demüthigung zu machen.

Auf dieses Aergerliche, was schon der Bestand der republikanischen Schweiz für alle mit Civillisten, Apanagen und Besoldungen begnadigten Dynasten, Prinzen und Büreaukraten hat, weis’t Büchner in einem Schreiben aus Zürich mit den Worten hin: „Laßt euch nur nicht durch die Ammenmärchen in unsern Zeitungen stören. Die Schweiz ist eine Republik; und weil die Leute sich gewöhnlich nicht anders zu helfen wissen, als daß sie sagen, jede Republik sei unmöglich, so erzählen sie den guten Deutschen jeden Tag von Anarchie, Mord und Todtschlag. Ihr werdet überrascht sein, wenn Ihr mich besucht; schon unterwegs überall freundliche Dörfer mit schönen Häusern, und dann, jemehr Ihr Euch Zürich nähert, und gar am See hin, ein durchgreifender Wohlstand; Dörfer und Städtchen haben ein Aussehen, wovon man bei uns keinen Begriff hat. Die Straßen laufen hier nicht voll Soldaten, Accessisten und faulen Staatsdienern, man riskirt nicht von einer adeligen Kutsche überfahren zu werden; dafür überall ein gesundes, kräftiges Volk, und um wenig Geld eine einfache, gute, rein republikanische Regierung.“ Gewiß, es ist äußerst fatal für die passionirten Freunde der Monarchie, daß die freundlichen, wohnlichen, reinlichen Häuser des schweizerischen Landvolks, gegenüber den trübseligen, stroh<212>bedeckten, schmutzigen Spelunken der monarchisch beglückten Bauern, so hart an der Grenze eine unaufhörlich aufreizende republikanische Propaganda machen. Und wenn die schaarenweise in die Schweiz ziehenden schwäbischen Kornbauern etwa in ihrem „Merkur“ von schweizerischer Anarchie lesen, und ihre monarchische Ordnung damit vergleichen, müssen sie nicht endlich die unwiderstehliche Neigung bekommen, es zur angenehmen Abwechselung einmal mit dieser Anarchie zu probiren? Doch was hilft es, daß die planmäßig im monarchischen Auslande gegen die Schweiz verbreiteten Verläumdungen und Dummheiten fort und fort durch die Thatsachen Lügen gestraft werden? Kehren nicht im Jahre 1851, wo Deutschlands einzige Reichsconstitution die Reichsconfusion ist, ganz dieselben obligaten Redensarten wieder, die schon vor Jahrzehenden den armen belogenen Deutschen aufgetischt wurden? Vernahmen wir nicht sogar im Jahr der deutschen Volkserhebung 1848, von Seite constitutioneller Monarchisten im loyalistisch, lojolaistisch und lolaistisch dreifach gesegneten Baiern, jene merkwürdige Verwarnung gegen jede Republik, „weil die Republikaner, besonders die Schweizer, viel zu hohe Steuern bezahlen müßten?!“*) Und wozu dieser unerschöpfliche Aufwand diplomatischer Anschwärzungen, Verketzerungen und Sottisen zu Ehren des monarchischen Princips? Weiß ja doch jedes Kind, daß die Politik der Monarchen gegen die verhaßte Schweiz, gegen diese einzige demokratische Republik in Europa, wie sie unlängst der nordamerikanische Gesandte in Bern neben der nominellen französischen Republik so richtig bezeichnete, die alte und stets sich erneuernde Politik des Wolfs in der Fabel ist; nur mit dem Unterschiede, daß die Diplomatie unten, weil sie im Trüben fischen will, sich darüber beschwert, daß ihr die Schweiz von ihren Bergen her nur reines Wasser zufließen läßt, und daß – so hoffen wir – die Schweiz nicht das Schaf sein wird, das sich fressen läßt.

*) S. „Baiern und die Revolution“ von G. Diezel, II, S. 164.

„Es ist nicht im entferntesten daran zu denken“, sagt ein anderer Brief aus Straßburg im Juni 1836, „daß im Augenblick ein Staat das Asylrecht aufgibt, weil ein solches Aufgeben ihn den Staaten gegenüber, auf deren Verlangen es geschieht, politisch annulliren würde. Die Schweiz würde durch einen solchen Schritt sich von den liberalen Staaten, zu denen sie ihrer Verfassung nach natürlich gehört, lossagen und sich an die absoluten anschließen, ein Verhältniß, woran unter den jetzigen politischen Constellationen nicht zu denken ist. Daß man aber Flüchtlinge, welche die Sicherheit des Staates, der sie aufgenommen, und das Verhältniß desselben zu den Nachbarstaaten kompromittiren, ausweist, ist ganz natürlich und hebt das Asylrecht nicht auf. Auch hat die Tagsatzung bereits ihren Beschluß erlassen. Es werden nur diejenigen Flüchtlinge ausgewiesen, welche als Theilnehmer an dem Savoyer Zuge schon früher waren ausgewiesen worden, und diejenigen, welche an den letzten Vorfällen Theil genommen haben. Die Mehrzahl der Flüchtlinge bleibt also ungefährdet“ ... Leider ist es wahr, daß sich die Ausweisungen auf geradem und ungeradem Wege in neuester Zeit nicht immer auf Solche beschränkten, die sich gegen die Gesetze der Eidgenossenschaft verfehlt und dadurch des Asyl’s verlustig gemacht hatten. Aber sollten wirklich Nationalrath, Ständerath und Bundesrath der <213> demokratisch neugeborenen Schweiz in der mannhaften Behauptung eines Grundsatzes der Menschlichkeit und höheren Gerechtigkeit hinter jener so oft verhöhnten, verlachten und verachteten Tagsatzung zurückstehen wollen? Oder warten sie nur die von den Dresdener Conferenzlern auch in der Flüchtlingssache wohl bald dargebotene Gelegenheit ab, um sich gegen die Anmaßungen des Auslands in der gleichen ruhmvollen Hatung wie zur Zeit des Sonderbunds zu zeigen, wenn auch nicht um der Flüchtlinge, doch um der Ehre, der Selbstständigkeit und politischen Geltung der Schweiz selbst willen? Diese Frage wird sich bald entschieden bejahen lassen. Nie und nimmer werden es ja die neuen eidgenössischen Behörden dulden, daß künftig die lang bewahrte schweizerische Ehre und die erst ganz vor kurzem fertig gewordene „preußische Ehre“ auf gleicher Linie rangiren.

Büchner erwähnt des Armuthszeugnisses, das sich einige deutsche Regierungen mit dem Verlangen der Ausweisung von 7 oder 8 Flüchtlingen aus Straßburg ausgestellt hatten, weil von diesen ein bewaffneter Einfall in Deutschland zu besorgen sei. Und doch, da im Jahre 1836 das Revolutionsmachen sogar noch naiver als im Jahre 1848 betrieben wurde, konnten damals eher 7 als jetzt 700 Flüchtlinge auf den einfältigen Einfall eines solchen Einfalls gerathen. Von den schweizerischen Freischaarenzügen her und aus eigener bitterer Erfahrung haben die Flüchtlinge der neuesten Zeit wenigstens so viel gelernt, daß mit einem kleinen, zusammengewürfelten und jeder einheitlichen Leitung unfähigen Haufen gegen eine geordnete Heeresmacht so wenig ausgerichtet wird, als wollte man etwa eine rollende Lokomotive mit der Hand auffangen. Ohnehin scheint die Gefahr, die einem noch so schlechten Statusquo von Seite der Flüchtlinge drohen könnte, mit der Menge derselben im umgekehrten Verhältnisse zu stehen. „Eine genaue Bekanntschaft“ – so schrbt Büchner an seinen Bruder – „mit dem Treiben der deutschen Revolutionärs im Auslande hat mich überzeugt, daß auch von dieser Seite nicht das Geringste zu hoffen ist. Es herrscht unter ihnen eine babylonische Verwirrung, die nie gelös’t werden wird“. Sollten diese bedenklichen Symptome für die künftige Einheit Deutschlands auch jetzt wieder zum Vorschein kommen, so schlösse man nicht mit Unrecht, daß sich die früher schon höchst problematische Möglichkeit die Vereinigung einiger wenigen Flüchtlinge für irgend einen Zweck nach Maaßgabe ihrer gegenwärtigen größeren Anzahl noch bedeutend verringert hat. Um so viel größer wäre aber auch im Jahre 1851 die Thorheit der deutschen Fürsten, wollten sie nochmals die Flüchtlingssache zu einem schon wiederholt ausgepfiffenen internationalen Spektakelstücke verarbeiten. Und warum sollen sich ihrer Seits die Flüchtlinge gegen ihre angestammten Landesväter unnützer Weise außer Athem setzen? Sind doch die Vierunddreißig gerade jetzt so eifrig damit beschäftigt, ein jeder sich selbst und jedem seiner dreiunddreißig Kollegen das Grab zu graben. Wer könnte sie in diesem löblichen Werke stören wollen? Mögen doch die Todten ihre Todten begraben!

So wenig Büchner von einem schwachen Häuflein politischer Verbannter erwartete, so viel hoffte er schon 1831 von einem europäischen Kriege: „Es sieht verzweifelt kriegerisch aus. Kommt es zum Kriege, dann giebt es in Deutschland vornehmlich eine babylonische Verwirrung, und der Himmel weiß, was das Ende vom Liede sein <214> wird. Es kann Alles gewonnen und Alles verloren werden; wenn aber die Russen über die Oder gehen, dann nehme ich den Schießprügel, und sollte ich’s in Frankreich thun. Gott mag den allerdurchlauchtigsten und gesalbten Schafsköpfen gnädig sein; auf der Erde werden sie hoffentlich keine Gnade mehr finden“ ... Es kam damals zu keinem Kriege. Aber sind diese Worte im Jahre 1851 nicht ebenso, oder mehr noch wahr, als im Jahre 1831? Die letzten drei Jahre haben zugleich die Verhältnisse so eigenthümlich verschlungen, und die Parteien so scharf getrennt, daß für lange Zeit das Loos Europas durch den ersten Krieg entschieden werden muß, der von Seite der reaktionären Mächte gegen irgend eine bereits organisirte demokratische Macht geführt wird, die dem Stoße geordneter Heeresmassen von Anfang an mit dem Gegenstoße einer geordneten Heeresmasse zu begegnen vermag; die im Augenblicke der Krisis selbst gar nicht in die gefährliche Versuchung geführt wird, die kostbare Zeit mit Verfassungsmacherei und gesetzgeberischen Versuchen zu verderben; die wenigstens die erste Phase einer gelungenen Revolution schon hinter sich hat und deren Bedeutung also nicht erst vom glücklichen Zufalle abhängt, ob sich vielleicht während der revolutionären Verwirrung auch gerade die rechten organisatorischen Talente zur rechten Zeit und am rechten Platze vorfinden werden; die hiernach im Falle eines Kriegs gegen das Ausland im Stande ist, ihre ungetheilte Kraft auf den Krieg selbst verwenden zu können.

Dies gilt nicht ausschließlich von einem Kriege des republikanischen Frankreichs, dieses weitaus mächtigsten Staats auf dem europäischen Festlande, so lange es die republikanische Fahne aufrecht hält, gleichviel von wessen Händen sie heute oder morgen getragen werde. Wer dürfte bei der gegenwärtigen Lage der Dinge noch daran zweifeln, daß die französischen Heere schon seit Februar 1848 die europäische Republik in ihren rothen Hosen stecken haben; daß sie auch jetzt noch, und zwar ohne übermäßige Anstrengung die sämmtlichen Throne bis zu den Ostgrenzen Polens hin über den Haufen marschiren könnten? Nur viele Franzosen selbst zweifeln an der Macht des republikanischen Frankreichs. Dieser Zweifel ist noch Frankreichs Schwäche, er kann Europas Verderben werden und jene monarchischen Factionen, heißen sie Legitimisten, Orleanisten oder Imperialisten, sind darum nicht blos die Gegner der Republik, sie sind auch die Feinde der Macht und Größe Frankreichs, sie sind die Verräther ihres Vaterlands an das Ausland.

Neben dem großen, aber noch so zweifelhaften und schwankenden Frankreich hat die kleine Schweiz eine europäisch wichtige Krisis glücklich überwunden. Und man macht sich wahrlich keine Illusionen, wenn man behauptet, daß die Schweiz bei einem Kampfe der Nothwehr gegen die noch mächtig scheinenden reaktionären s. g. Großstaaten die größeren Chancen des Siegs für sich hat, wenn sie zur rechten Zeit nicht sowohl mit den schon lange abgebrauchten propagandistischen Phrasen, als mit der hinreißenden Sprache der Thatsachen, mit Völker gewinnenden und Heere schaffenden Beschlüssen und Maaßregeln, an die Demokratie aller Länder Berufung einzulegen weiß; wenn sie es versteht, ihre bis zu den Grenzen Rußlands zerstreuten, aber zahllosen natürlichen Bundesgenossen unter der Fahne der Freiheit zu vereinigen. Freilich wäre die Schweiz nur schwach, wollte und könnte sie, im Widerspruche mit ihrer eigensten Natur, trotzig <215> herausfordernd und angreifend gegen das Ausland auftreten. Aber als letzte Veste der europäischen Freiheit mit ebenso besonnener Erwägung der Verhältnisse, als mit demokratischer Entschiedenheit muthig vertheidigt, wäre sie bald von allen Seiten her des Entsatzes gewiß.

Die früher so viel besagte europäische Pentarchie ist seit 1848 völlig zu nichte geworden. Das aus Widersprüchen zusammengesetzte und mühselig zusammengehaltene Oesterreich ist kein Großstaat mehr. Wohl mögen Schwarzenberg und andere österreichische Staatsmänner, von der Schuld der Dankbarkeit gegen das „rettende“ Rußland gedrückt, schon jetzt von einer allmähligen Emancipation aus den Klauen des gefährlichen Bundesgenossen auf dem Wege der materiellen Interessen, der Zoll- und Handelseinigung, sich träumen lassen. Vergebliches Mühen! Oesterreich bleibt doch nur ein Dutzend Ruthen in der Hand Rußlands: sie fallen auseinander, sobald sie dieses fallen läßt oder fallen lassen muß. Und gar Preußen! Dieses „unermeßliche“ Preußen hat sich, wie jener Berliner Cholerakranke, „reene weggebrochen“; es ist auf diese allerdings nicht sehr anständige Weise „in Deutschland aufgegangen.“ Gegenüber dem russischen Absolutismus ist dagegen auf Seite der Demokratie jeder Staat ein Großstaat, – sei es das mächtige Frankreich, sei es die kleine Schweiz, – der zuerst in der Lage ist, den Kampf für die Demokratie entschieden zu beginnen. Schon einmal, im Jahre 1847, hat sich die Fluth der Reaktion an den schweizer Bergen gebrochen. Warum sollte es nicht zum zweiten Male geschehen? Warum sollte sich nicht der Strom der Freiheit in seinem natürlichen Laufe von den Bergen herab über die Länder rings umher ergießen können? Warum sollte nicht zum zweiten Male von der Schweiz aus der Freiheit eine Gasse gebrochen werden? Gewiß, im offensiven Rückschlage ihrer Selbstvertheidigung könnte auch sie den Anstoß zu einer Bewegung geben, die unser Dichter schon im Jahre 1835 seinem Heimathlande mit den begeisterten Worten geweissagt hat:

„Der Herr, der den Stecken des fremden Treibers Napoleon zerbrochen hat, wird auch die Götzenbilder unserer einheimischen Tyrannen zerbrechen durch die Hände des Volks. Wohl glänzen diese Götzenbilder von Gold und Edelsteinen, von Orden und Ehrenzeichen, aber in ihrem Inneren stirbt der Wurm nicht, und ihre Füße sind von Lehm ... Also stand es bisher in Deutschland ... Ihr seid nichts, ihr habt nichts! Ihr seid rechtlos! Ihr müsset geben, was eure Presser fordern, und tragen, was sie euch aufbürden. So weit ein Tyrann blicket, verdorret Land und Volk. Aber wie der Prophet schreibt, so wird es bald stehen in Deutschland: der Tag der Auferstehung wird nicht säumen. In dem Leichenfelde wird sich’s regen und rauschen, und der Neubelebten wird ein großes Heer sein! Hebt die Augen auf und zählt das Häuflein eurer Feinde, die nur stark sind durch das Blut, das sie euch aussaugen, und durch eure Arme, die ihr ihnen willenlos leiht. Wohl drohen sie mit dem Rüstzeug und den Reisigen der Könige, aber ich sage euch: Wer das Schwert erhebt gegen das Volk, der wird durch das Schwert des Volkes umkommen. Deutschland ist jetzt ein Leichenfeld, bald wird es Paradies sein! ....

„Ihr bücktet euch lange Jahre in den Dornäckern der Knechtschaft; dann schwitzet ihr einen Sommer im Weinberge der Freiheit, und werdet frei sein bis ins tausendste <216> Glied. Ihr wühltet ein langes Leben die Erde auf, – dann wühlt ihr euren Tyrannen ein Grab. Ihr bautet die Zwingburgen, – dann stürzt ihr sie, und bauet der Freiheit Haus ...“

Was bei’m ersten Blicke in Büchner’s Schriften auffällt, ist der Reichthum seiner frischweg, meist scharf und kurz ausgesprochenen Gedanken, seine rücksichtslos kühne Wahrheitstreue, die jeden Mund und jedes Ding in seiner Sprache sprechen läßt, unbekümmert darum, ob diese hart oder minder hart in verwöhnte Ohren klinge. Ueberall die volle Wirklichkeit der Geschichte und Natur, bei dem geringsten Aufwande von Worten; nirgends die Spur von etwas Gemachtem und künstlich Herausgeputztem; nirgends auch nur ein einziges der gerade umlaufenden Mode- und Schlagworte, jener dürren Feigenblätter, womit andere Poeten schlecht genug ihre Blößen verbergen. Und doch mußte man ihn persönlich kennen, um eine Vorstellung dieses reichen Geistes zu haben. Wie er schrieb, sprach er auch. Durch und durch ein Dichter, hat er in seinem Leben nur wenige oder gar keine Verse gemacht. Er schüttelte die goldenen Früchte nur hin; sie auch noch in silbernen Schalen aufzufangen, dünkte ihm überflüssige Arbeit und Zeitverderb. Von jenen geistig Armen und Haushälterischen, die ihre guten Einfälle hellerweise in der Sparbüchse sammeln, um sich dann für einen Gulden Autorenruhm auf einmal zu kaufen, sagte er: sie kämen ihm vor, wie Leute, die ihre ausgekämmten Haare sorgfältig aufbewahrten, um sich daraus eine Perücke machen zu lassen. Mit dem Golde, das er jede Minute verzettelte und durch die Finger fallen ließ, hätte man einen ordinären Musenreiter, einen Dichterkönig Ludwig, Mensch und Thier, von Kopf zu den Füßen vergolden können.

In der ganzen breiten Wüste neudeutscher Literatur sieht man sich wohl vergebens nach einem zweiten Bändchen von 300 Sedezseiten um, das gleich diesen „nachgelassenen Schriften“ des Bedeutenden so viel nach so vielen Seiten hin enthielte. Außer dem früher schon Erschienenen finden wir hier unter Anderem das Bruchstück einer vor der naturwissenschaftlichen Fakultät zu Zürich im Okt. 1836 gehaltenen Probevorlesung, und dicht nebenan das Bruchstück einer revolutionären Flugschrift aus dem Jahre 1834, des „hessischen Landboten“, der sich an die deutschen und zumal an die hessischen Bauern wendet. Dort handelt es sich um die „Grundansichten, die sich auf dem Gebiete der physiologischen und anatomischen Wissenschaften einander gegenüberstehen.“ Nachdem sich Büchner gegen die in England und Frankreich überwiegende teleologische Methode in Behandlung der Naturwissenschaften erklärt hat, da sie mit jeder Antwort auf ihre Fragen nach der Zweckmäßigkeit stets nur zu einer neuen Frage gelange; nachdem er hervorgehoben, daß die Natur in all’ ihren Aeußerungen sich unmittelbar selbst genügt, daß Alles, was ist, um seiner selbst willen da ist, und daß es das Ziel der philosophischen Methode sei, das Gesetz dieses Seins zu suchen, das „Gesetz der Schönheit, das in seiner Manifestation nach den einfachsten Rissen und Linien die höchsten und reinsten Formen hervorbringe“ – fährt er fort: „Die Frage nach einem solchen Gesetze führte von selbst zu den zwei Quellen der Erkenntniß, aus denen der Enthusiasmus des absoluten Wissens sich von je berauscht hat, der Anschauung des Mystikers und dem Dogmatismus des Vernunftphilosophen. Daß es bis jetzt gelungen sei, zwischen letzterem und dem Naturleben, das wir unmittelbar wahrnehmen, eine <217> Brücke zu schlagen, muß die Kritik verneinen. Die Philosophie a priori sitzt noch in einer trostlosen Wüste; sie hat einen weiten Weg zwischen sich und dem frischen, grünen Leben, und es ist eine große Frage, ob sie ihn je zurücklegen wird. Bei den geistreichen Versuchen, die sie gemacht hat, weiter zu kommen, muß sie sich mit der Resignation begnügen, bei dem Streben handle es sich nicht um die Erreichung des Ziels, sondern um das Streben selbst. War nun auch nichts absolut Befriedigendes erreicht, so genügte doch der Sinn dieser Bestrebungen, dem Naturstudium eine andere Gestalt zu geben; und hatte man auch die Quelle nicht gefunden, so hörte man doch an vielen Stellen den Strom in der Tiefe rauschen, und an manchen Orten sprang das Wasser frisch und hell auf.“

Der „hessische Landbote,“ mit dem Wahlspruch: „Friede den Hütten! Krieg den Palästen!“ zählt den Bauern in der allerfaßlichsten Sprache auf, wie viel sie für das Ministerium der Justiz zu bezahlen haben, damit sie „Urtheile spreche, von denen die Bauern nichts begreifen, nach Gesetzen, von denen sie nichts verstehen, nach Grundsätzen, von denen sie nichts wissen“; oder wie viel für das Ministerium der Finanzen, „das ihnen den Boden unter den Füßen, den Bissen zwischen den Zähnen besteuert; das in Fräcken beisammen sitzt, und dem nackt und gebückt stehenden Volke die Hände an Lenden und Schultern legt, um auszurechnen, wie viel es noch tragen kann“ etc. Und so hebt der Landbote seine „erste Botschaft“ an: „Im Jahre 1834 sieht es aus, als würde die Bibel Lügen gestraft. Es sieht aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker am fünften Tage, und die Fürsten und Vornehmen (Reichen) am sechsten geschaffen, und hätte zu diesen gesagt: Herrschet über alles Gethier, das auf Erden kriecht, – und hätte die Bauern und Bürger zum Gewürm gezählt. – Das Leben der Vornehmen (Reichen) ist ein langer Sonntag, sie wohnen in schönen Häusern, sie tragen zierliche Kleider, sie haben feiste Gesichter und reden eine eigene Sprache; das Volk aber liegt vor ihnen, wie Dünger auf dem Acker. Der Bauer geht hinter dem Pflug, der Vornehme aber geht hinter dem Bauer und treibt ihn mit den Ochsen am Pflug, er nimmt das Korn und läßt ihm die Stoppeln. Das Leben des Bauern ist ein langer Werktag; Fremde verzehren seine Aecker vor seinen Augen, sein Leib ist eine Schwiele, sein Schweiß ist das Salz auf dem Tische des Zwingherrn.“

Dort findet sich also Büchner so leicht im Gebiete der Wissenschaft zurecht, als hier im Gebiete des Volkslebens, bis in alle Einzelheiten der Denkweise des Volks hinein. Dort ist er Gelehrter mit den Gelehrten, hier Bauer mit den Bauern; dort spricht er die Sprache der Hochschule, aber mit jenem poetischen Anhauche, wie er selten aus dem Munde ordentlicher und außerordentlicher Professoren kommt, hier die Sprache der Dörfer und des gemeinen Lebens, die bei aller Faßlichkeit doch edel bleibt, die an keiner einzigen Stelle in das Gemeine herabsinkt. Und obgleich die Einen wie die Anderen nur ein Stück von ihm kennen lernten, hatten doch die Herren Mitglieder der naturwissenschaftlichen Fakultät zu Zürich ebenso gut Ursache, wie die armen Bauern des Vogelsbergs, des Hinterlandes und des Odenwalds, diesen Büchner für einen ganzen Kerl zu halten.

Es ist Jammerschade, daß von dem „hessischen Landboten“ – ein Meisterstück in seiner Art und unbedingt das Bedeutendste, was seit den s. g. Befreiungskriegen die revolutionäre und populäre Presse Deutschlands aufzuweisen hat – nur „der kleinste <218> Theil“ veröffentlicht werden konnte. Der Herausgeber erklärt dies zum Theil daraus, daß manche Stellen „noch heutzutage Staatsverbrechen involviren“ würden. Kann es denn nach dem offenen Bruche aller dem Volke gethanen Versprechungen, nach dessen Mißhandlung in Kurhessen, Schleswig-Holstein u. s. w. u. s. w. noch Staatsverbrechen auf Seite des deutschen Volks geben? Aber freilich, es gibt noch Stand-, Kriegs- und sonstige Gerichte, die frechweg nach der unrechten Seite hin verurtheilen und strafen. Wäre nur wenigstens der ganze Landbote im J. 1848 erschienen, wo sich doch eine Zeitlang das freie Wort auf Kosten der freien That breit genug machen durfte! Vielleicht wäre etwas weniger gesprochen und etwas mehr gehandelt worden, hätte man sich überzeugt, daß das Beste, was dem Volke gesagt werden konnte, schon vor vierzehn Jahren gesagt war.

Ein besonders wichtiger Beitrag für nähere Bekanntschaft mit Büchner sind die Briefe an seine Familie und an seine an Geist und Herz gleich ausgezeichnete Braut; so wie die einleitende und wohl gelungene Biographie. Aus der Letzteren lernen wir auch den mächtigen Einfluß kennen, den Büchner auf seine nähere Umgebung, zumal auf seine politischen Gesinnungsgenossen äußerte. Die Art, wie sich unter Anderen A. Becker über ihn ausspricht, gereicht dem Anerkannten, wie dem Anerkennenden, zu gleicher Ehre. Diese Mittheilungen verdanken wir zum Theil den politischen Untersuchungen. Also doch ein Vortheil derselben! Deutschland lernt zuweilen aus den gerichtlichen Protokollen einen hellen Kopf und ein frisches Herz kennen; aber freilich – nach seinem herkömmlichen Schicksale – nicht eher, als bis es zu spät ist, bis die Einen im Gefängnisse an Leib und Seele gebrochen und gerädert sind, bis die Anderen in der Verbannung mit Mühe und Noth sich durchkämpfen müssen. Im Gegensatze mit Danton ist es dann noch der beste Trost dieser Ausgewanderten, daß sie kein einziges ihrer 38 deutschen Vaterländer, und wäre es so winzig wie das souveräne Lichtenstein, „an den Schuhsohlen mit sich genommen haben.“

Die schon früher gedruckten Werke Büchner’s – Danton’s Tod, Leonce und Lena, das Novellenfragment Lenz – waren zerstreut in verschiedenen Zeiträumen veröffentlicht worden. Wie sie aber in rascher unmittelbarer Folge geschaffen sind, gehören sie auch so wesentlich zusammen, daß erst jede einzelne Schöpfung durch die anderen, daß erst der schöpferisch umfassende Geist des Dichters durch alle in’s rechte Licht gesetzt wird. Wie wunderbar Verschiedenes ist doch der einen Quelle fast gleichzeitig entsprungen! Hier die Novelle Lenz. Sie ist ein düsteres Nachtgemälde, denn auch in der Familie des glaubenssicheren Oberlin wird Einem ziemlich unheimlich zu Muthe. Mit erschütternder Wahrheit schildert sie in einer kranken Menschenseele die mit unerbittlicher Consequenz fortschreitende Entwicklung des Wahnsinns. Eine Vogesengegend, in den schärfsten und feinsten Umrissen mit allen Farben und Farbenschattirungen der wirklichsten Wirklichkeit dargestellt, ist der Boden, auf dem die innere Tragödie ihre Fäden äußerlich abspinnt; so daß Geist und Natur bald in trübseliger Harmonie zusammenstimmen, bald in schneidenden Contrasten auseinandergehen. Und nun gleich nebenan die durch und durch heitere, die keck lustige Humoreske Leonce und Lena!

Versteht sich, daß in diesem Lustspiele das Reich Popo, unter der Regierung Sr. Maj. des Königs Peter, ein specifisch deutscher Musterstaat ist. Sollte wohl gar schon der ahnende Geist des Dichters in der Vergangenheit des „mächtigsten rein deutschen Staats“ dessen glückliche Zukunft erkannt und geweissagt haben? Erst sehen wir die viel Hoffnung erweckende Herrschaft eines Königs, der sich zwar mit geringem Erfolge, aber mit desto größerem Eifer auf das „Denken“ verlegt; also eine keineswegs sehr gewöhnliche fürstliche Liebhaberei. Wahrscheinlich denkt er sieben und zwanzig Jahre lang darüber nach, ob er die versprochene Constitution geben soll. Aber er kann darüber mit seinem königlichen Gewissen nicht einig werden; denn alles Denken erregt ihm nur das gerechte Bedenken, daß er sich durch gemeines Worthalten an der die niedere Moral tödtenden höheren Moral seiner fürstlichen Collegen allzu schwer versündigen würde. Sein unmittelbarer Nachfolger ist ein „romantischer Kronprinz, der auch zuweilen denkt, aber nur darüber, „in welchem Weine er sich heute betrinken will.“ Am Schlusse octroyirt sein künftiger Staatsminister das künftige Glück des Staats: „Und es wird ein Decret erlassen, daß, wer sich Schwielen in die Hände schafft, unter Curatel gestellt wird; daß, wer sich krank arbeitet, criminalistisch strafbar ist; daß jeder, der sich rühmt, sein Brod im Schweiße seines Angesichts zu essen, für verrückt und der menschlichen Gesellschaft gefährlich erklärt wird; und dann legen wir uns in den Schatten und bitten Gott um Makkaroni, Melonen und Feigen, um musikalische Kehlen, classische Leiber und eine commode Religion.“ Das Beste ist, daß im gesegneten Deutschland dieses romantische Ideal, wenn nicht in den Staaten, doch in den Hofstaaten, schon lange vier und dreißig Mal verwirklicht ist; etwa mit Ausschluß der „classischen Leiber,“ aber mit besonderem Einschlusse der „commoden Religion.“ Für den großen Haufen der Unterthanen bleibt es freilich die günstigste Stellung, „wenn sie gerade so gestellt sind, daß der Wind von der Hofküche über sie geht und sie auch einmal in ihrem Leben einen Braten riechen.“

Von Büchner’s Schriften wurde bis jetzt „Danton’s Tod“ am meisten gelesen, beachtet, gerühmt und auf die unverständigste Weise getadelt. Namentlich ließ sich der herkömmliche Vorwurf der „Unsittlichkeit“ von Seite der Anhänger einer „kommoden Religion“ und einer eben so kommoden Moral vernehmen; von den Leuten, denen es „keine Kunst ist, ein ehrlicher Mann zu sein, wenn sie täglich Suppe, Gemüse und Fleisch zu essen haben,“ die ihre Moral als Manschetten tragen, um es der guten Gesellschaft recht deutlich zu zeigen, wie sauber eine Hand die andere gewaschen hat. Nun ja, vielleicht hätten im Danton, unbeschadet der geschichtlichen und psychologischen Wahrheit, so wie der Forderung der Schönheit, in der Summe der üppigen Auswüchse einige wenige wegbleiben dürfen! Aber es verlohnt sich nicht der Mühe, darüber ein Wort zu verlieren. Uebrigens hat Büchner selbst den Moralisten, bei denen nichts als das Maul moralisch ist, tüchtig eins auf’s Maul gegeben. (S. 264–66.) „Ich muß lachen,“ schreibt er auch an anderem Orte, „wie fromm und moralisch plötzlich unsere Regierungen werden; der König von ...... läßt unsittliche Bücher verbieten! da darf er seine Biographie nicht erscheinen lassen, denn die wäre das Schmutzigste, was je geschrieben worden!“ Büchner that also wohl daran, „seine Charaktere zu zeichnen, wie er sie der Natur und Geschichte angemessen hielt, und über die Leute zu lachen, die ihn für die Moralität und Immoralität derselben verantwortlich machen wollten.“

<220> Noch bei einer Gelegenheit hatte er einen schlimmeren Vorwurf, den des Hochmuths, von sich abzuwehren. Darauf erwidert er: „Ich verachte Niemanden, am wenigsten wegen seines Verstandes und seiner Bildung. .. Der Verstand nun gar ist eine sehr geringe Seite unseres geistigen Wesens und die Bildung nur eine sehr zufällige Form desselben. Wer mir eine solche Verachtung vorwirft, behauptet, daß ich einen Menschen mit Füßen träte, weil er einen schlechten Rock anhätte. Es heißt dies, eine Rohheit, die man Einem im Körperlichen nimmer zutrauen würde, in’s Geistige übertragen, wo sie noch gemeiner ist. Ich kann Jemanden einen Dummkopf nennen, ohne ihn deshalb zu verachten; die Dummheit gehört zu den allgemeinen Eigenschaften der menschlichen Dinge; für ihre Existenz kann ich nichts, es kann mir aber Niemand wehren, Alles, was existirt, bei seinem Namen zu nennen, und dem, was mir unangenehm ist, aus dem Wege zu gehen. Jemanden kränken, ist eine Grausamkeit, ihn aber zu suchen oder zu meiden, bleibt meinem Gutdünken überlassen. Daher erklärt sich mein Betragen gegen alte Bekannte; ich kränkte Keinen und sparte mir viel Langeweile; halten sie mich für hochmüthig, wenn ich an ihren Vergnügungen oder Beschäftigungen keinen Geschmack finde, so ist es eine Ungerechtigkeit. ... Man nennt mich einen Spötter. Es ist wahr, ich lache oft, aber ich lache nicht darüber, wie Jemand ein Mensch, sondern nur darüber, daß er ein Mensch ist, wofür er ohnehin nichts kann, und ich lache dabei über mich selbst, der ich sein Schicksal theile. Die Leute nennen das Spott, sie vertragen es nicht, daß man sich als Narr producirt und sie duzt; sie sind Verächter, Spötter und Hochmüthige, weil sie die Narrheit nur außer sich suchen. Ich habe freilich noch eine Art Spott, es ist aber nicht der der Verachtung, sondern des Hasses. Der Haß ist so gut erlaubt als die Liebe, und ich hege ihn im vollsten Maaße gegen die, welche verachten. Es ist deren eine große Zahl, die im Besitze einer lächerlichen Aeußerlichkeit, die man Bildung, oder eines todten Krams, den man Gelehrsamkeit heißt, die große Masse ihrer Brüder ihrem verachtenden Egoismus opfern. Der Aristokratismus ist die schändlichste Verachtung des heiligen Geistes im Menschen; gegen ihn kehre ich seine eigenen Waffen: Hochmuth gegen Hochmuth, Spott gegen Spott – Ihr würdet euch besser bei meinem Stiefelputzer nach mir umsehen; mein Hochmuth und Verachtung Geistesarmer und Ungelehrter fände dort wohl sein bestes Objekt. Ich bi[tt]e, fragt ihn einmal. .. Die Lächerlichkeit des Herablassens werdet Ihr mir doch wohl nicht zutrauen? Ich hoffe noch immer, daß ich leidenden, gedrückten Gestalten mehr mitleidige Blicke zugeworfen, als kalten vornehmen Herzen bittere Worte gesagt habe.“ Wie Viele gibt es denn in der gebildeten und gelehrten, der moralisch sich brüstenden, der fromm gesalbten oder human übertünchten Gesellschaft, die in ihren Busen greifen und mit gutem Gewissen das Gleiche von sich sagen dürften?

Büchner hatte mit Eifer die Geschichte der französischen Revolution studirt. Allein darum ist es nicht minder zum Erstaunen, daß er seinen Danton „in höchstens fünf Wochen“ schrieb. Er mußte ihn seinem Genie abstehlen, denn er war in der seltsamen Lage, wenigstens äußerlich den in medicinische Fachstudien versunkenen Studenten zu spielen, der noch in dem wohl zu bestehenden Examen das höchste Ziel <221> seines Lebens erkennt. Er schuf seinen Danton im eigentlichsten Sinne auf der Flucht, in einer Zeit der höchsten Aufregung, Spannung und Besorgnisse, da er vor der nachforschenden Justiz im Verstecke gehalten wurde und jeden Augenblick erwartete, von der pseudonymen Gerechtigkeit als Staatsverbrecher gepackt zu werden, um sich durch Vernehmungen zu Protokoll einige Jahre lang geistig aushungern, um sich von der schreibenden geheimen Justiz langsam hinrichten, um sich mit ihren Gänsefedern wahnsinnig oder zu Tode kratzen zu lassen. Kein Wunder, daß er sich später seinen Sohn Danton von Kopf zu Füßen betrachtete und darüber an Gutzkow schrieb: „Was ich daraus machen soll, weiß ich selbst nicht; nur das weiß ich, daß ich alle Ursache habe, der Geschichte gegenüber roth zu werden; doch tröste ich mich mit dem Gedanken, daß Shakespeare ausgenommen, alle Dichter vor ihr und der Natur wie Schulknaben dastehen.“ „Für Danton“, so schrieb er auch, „sind die darmstädtischen Polizeidiener meine Musen gewesen.“ Das beste Zeichen des ächten Dichtergenius! Er wurde doch von den Musen verfolgt, wie sonst meist die unglücklichen Musen von den Poeten verfolgt werden.

Eine Kritik über den Robespierre R. Griepenkerls in dieser Zeitschrift *), sagt von Büchner, er habe den Tod Dantons dramatisch dargestellt und die psychologischen Motive desselben richtig gewürdigt; allein bei allem Talent, bei aller Kühnheit in seinem Versuche sei das Drama mißlungen, da er in die psychologische Entwicklung des Charakters den weiten Umfang der Geschichte hineingezogen und dadurch die Oekonomie des Kunstwerks zerstört habe. Sehr wahr! Das ist ja die alte Forderung an das Drama, daß ohne langweiligen Umweg das Wort gleich Fleisch werde, daß uns der Kampf des Menschen gegen das vom individuellen Menschengeiste mit geschaffene Schicksal in bestimmter, anschaulicher und darum scharf begrenzter Handlung vor Augen geführt werde. Im Danton läßt Danton nur handeln. Auch Robespierre, St. Just brauchen nur einige Reden zu halten, damit für sie gehandelt werde. Das Revolutionstribunal formulirt nur ihre Worte mit anderen Worten zu einem Beschlusse, weil doch auch die Revolution nicht ganz und gar den juristischen Hokuspokus entbehren mag, und im Hintergrunde arbeitet Samson, im Taglohn seiner Arbeitsherren, mit einer Maschine aus der Species derjenigen, womit die Köpfe abgehackt werden. Diese Theilung der Arbeit, in die sich die ewige Arbeit der Weltgeschichte, ganz besonders die der neuesten Zeit, nothwendig zersplittert, so daß sie nur in ihren massenhaften Wirkungen bewegt und erschüttert, wird stets den Versuch scheitern lassen, sie in den Käfig eines Dramas einzufangen und sie leibhaftig vor Lesern oder Zuschauern zu produciren. In diesem Sinne aber sind sogar die eigentlich geschichtlichen Dramen Shakespeare’s, den übrigen gegenüber, keine eigentlichen Dramen; und doch sind sie etwas Rechtes. Auch im Lustspiele „Leonce und Lena“ liegt die komische Kraft nicht sowohl in den Situationen und thatsächlichen Verwicklungen, als in dem behaglichen Gerede, womit die Leute sich selbst und ihre seltsamen Gelüste zum Besten geben. Dennoch ist der sorgenbefreiende Humor, der darin sprudelt, nicht minder ergötzlich. Ebenso tritt uns in Danton’s Tod, mit der <222> gesprochenen Selbstbiographie einiger Hauptträger der Revolution und mit den Volksscenen, eine in engen Rahmen gefaßte Reihe von Bildern entgegen, die uns ein gut Stück Revolutionszeit so unmittelbar vor Augen rücken, wie es nur der Dichter, nie aber der Historiker vermag. Seien wir also keine ästhetischen Philister, die sich allzu viel um den Namen bekümmern. Wer Danton’s Tod kein Drama, wer Leonce und Lena kein Lustspiel heißen will, mag sie anders heißen. Aechte und rechte Poesie bleiben sie doch.

*) Erster Jahrg. B. II. S. 173.

Keiner wußte es besser, als Büchner selbst, daß er kein Shakespeare war. Aber wenn irgend Einer, so hatte er das Zeug dazu es zu werden. Denn in Dem, was er nur geschrieben, hatte er seinen reichen Geist bei weitem nicht ausgeschöpft; ja er hatte damit noch lange nicht sein Können auch nur andeutend offenbart. Und aus tausenderlei Zeichen, aus seiner Gabe, bald tragisch erschütternde Auftritte, bald die seltsamsten und lustigsten Verwicklungen nur so als beiläufige Zugabe zur Unterhaltung zu improvisiren, leuchtete deutlich genug hervor, daß er mit voller dramatischer Schöpfungskraft ausgerüstet war. In ihm hätte Deutschland seinen Shakespeare bekommen, wie es 1848 beinahe seine Freiheit und seine Einheit bekommen hätte. Aber es hat so wenig Diese verdient, als Jenen. Das vormärzliche Deutschland – das nachmärzliche hätte es noch schlimmer gemacht – hat seinen Dichter nicht blos nicht erkannt; dieses Deutschland – oder nenne man es lieber die unselige Verdrehtheit und Zerrissenheit der socialen Zustände – hat ihn auch um’s Leben gebracht.

Vor Allen erkannte und fühlte er aufs schmerzlichste jene Kluft, welche die Menschen, mögen sie immerhin derselben Nation angehören, in allen Gebieten unserer s. g. Civilisation in zwei Völker spaltet, von denen keines das andere versteht: in Reiche und Arme, in Gebildete und Ungebildete. Oft sehnte er sich aus der flachen Menschenwüste hinaus und hielt es für ein besseres Loos, als das ihm zugefallene, wenn er, als Beduine geboren, auf flinkem Rosse die sandige Wüste durchfliegen, wenn er die Natur in allen Adern fühlen durfte. Er wußte es, daß wir uns die glatte, gestriegelte Haut an der harten Rinde des Volkslebens eher abschinden, als aus dieser Haut herausspringen und mit dem Volke Volk sein können. Er wußte es auch, wie schwer es dem Volke wird, hinter der eingebeizten Kultur hindurch die wenigen Herzen zu erkennen, die noch warm für seine Leiden schlagen. Er fühlte es, daß wir ganz verschiedene Sprachen reden; daß unsere geträumte propagandistische Wirksamkeit auf die Massen meist blutwenig zu bedeuten hat; daß ein alles Anstands baarer deutscher Bauer, dem etwa bei dem Namen seines allergnädigsten Landesherrn ein unartikulirter Ton entwischt, damit beim Volke immer noch eine wirksamere Propaganda macht, als ein deutscher Professor, der eine glänzende Rede gegen die Tyrannen hält. Das ist jene Kluft, die sich selbst der kecke Humor unsers Dichters nicht zu verstecken vermochte; in die schon mancher Curtius stürzte, ohne sie schließen zu können. Sie hat auch Büchner verschlungen.

Büchner, von mehr als mittlerer Größe, von schlankem und feinem, aber nicht unkräftigem Wuchse, in manchen Leibesübungen wohl erfahren, hatte doch etwas eigenthümlich Zartes und Weiches. Seiner äußeren Erscheinung nach, war er das voll<223>ständigste Gegentheil von Robert Blum; und er, der bittere Hasser jeder Art von Aristokratie, mit einer Haut, so fein und so durchsichtig, daß sie das altadeligste Fräulein auf jedem Hofballe gern noch bis über die äußersten Grenzen des Anstands hinaus zur Schau getragen hätte, hatte doch etwas Vornehmes und Aristokratisches in seinem Ansehen. Hätte nicht die mächtige, breite Stirne den außerordentlichen Geist verkündigt, so hätte er für einen deutschen Prinzen passiren können, der im gerechten Ueberdrusse an seiner höchst überflüssigen prinzlichen Existenz aus Verzweiflung unter die Demokraten gegangen ist. Aeußerst mäßig in all’ seinen Genüssen hatte er doch mehr Sinn für die feineren; und bei aller Freundschaft für das Volk würde er es kaum so leicht wie Prinz Heinrich gelernt haben, „mit jedem Kesselflicker in seiner eigenen Sprache zu trinken.“ Der eine und andere, deutsche Flüchtling seiner Zeit mochte ihn darum kaum für demokratisch vollwichtig gelten lassen, da er nicht eben so viel Bier und Tabaksdampf als Andere vertrug; ja sogar des entfernten volksverrätherischen Versuchs, Glaçéhandschuhe tragen zu wollen, konnte er wohl verdächtig gehalten werden.

Je mehr ihm Alles fehlte zu einem Wühlhuber gemeinen Schlags, um so mehr war er Demokrat in jedem Pulsschlag seines Herzens, in jedem Gedanken seines Hirns. Ein unabhängiger Geist in der höchsten Potenz, der sich von allen, auch von allen demokratisch gefärbten Vorurtheilen losgerissen hatte, wollte er zugleich seine äußere Selbstständigkeit und Unabhängigkeit nur sich selbst und seiner eigenen Kraft verdanken. Man muß staunen, mit welchem Ernste und Eifer er Alles arbeitete und schuf, während er äußerlich mit den höchsten Aufgaben des Menschengeistes nur zu spielen schien, und Keinen in die stille Werkstätte seines rastlosen Geistes blicken ließ, damit ihn Keiner auffordern möge, dem in allen Nerven aufgeregten ermattenden Körper einige Ruhe zu gönnen.

Zwei oder wahrscheinlich drei dramatische Schöpfungen; die Sammlung der Notizen zu seinem Novellenfragmente und dessen Ausarbeitung; die Uebersetzung von V. Hugo’s „Tudor“ und „Borgia,“ das Studium der englischen Sprache, die eifrigste Fortsetzung naturwissenschaftlicher Studien und Forschungen, zumal in der vergleichenden Anatomie, woraus seine von Sachkennern als ausgezeichnet anerkannte Abhandlung: Sur le système nerveux du barbeau hervorging; das gleichzeitige Studium der Philosophie, die vollständige Ausarbeitung einer Geschichte der älteren griechischen Philosophie, und die eines vollständigen Lehrcursus über „die philosophischen Systeme der Deutschen seit Cartesius und Spinoza“ – das Alles drängte er in die anderthalb Jahre seines Exils in Straßburg, besonders in das letzte Halbjahr seines dortigen Aufenthalts zusammen. Diese Thätigkeit seines übermächtigen Geistes mußte endlich diesen Körper aufreiben. Mit einer flüchtigen Bemerkung auf seinem Todesbette: „Hätte ich in der Unabhängigkeit leben können, die der Reichthum gibt, so konnte etwas Rechtes aus mir werden“ – wies er selbst auf den tieferen, auf den socialen Grund seines frühzeitigen Todes. Aber selbst seine nächste Umgebung konnte sein baldiges Ende nicht ahnen; denn Büchner, der Proletarier der geistigen Arbeit und das Opfer derselben, hatte sich lächelnd zu Tode gearbeitet.

<224> Der Mittelpunkt seiner Ueberzeugungen und aller Richtungen seines Strebens war die aufrichtigste, die ächt demokratische, man kann sagen die religiöse Achtung vor dem Volke. Aus Achtung vor demselben hätte er ihm auch nicht schmeicheln können. Seine Liebe zum Volke aber schuf ihm die helle und scharfe Einsicht in das Volksleben; nicht in das auf allgemeine Begriffe abgezogene und zum beliebigen Gebrauche zurechtgelegte, sondern in das wirkliche und leibhaftige, in die täglich wiederkehrenden Bedürfnisse, Wünsche und Gelüste der Massen, in ihre damit zusammenhängenden Ansichten und Vorurtheile. Die bunten Flitter einer verdrehten Bildung, an denen nicht das Volk, nur der Pöbel der „guten Gesellschaft“ sich ergötzt, erkannte Büchner als die hohlen Blasen, die aus der unergründlichen Tiefe des Volksgeistes nur auf die Oberfläche steigen, um sich von diesem loszureißen; um ein kurzes Sonderleben zu spielen und bald mit etwas mehr oder weniger Geräusch zu zerplatzen. Wie tief diese Ansicht in ihm wurzelte, zeigte sich in seinen eigenen poetischen Werken, wie in seinen Urtheilen über Dichter und Gedichte, in seinen philosophisch-religiösen, vor Allem in seinen socialpolitischen Ansichten.

Als Poesie galt ihm nur das, was entweder dem Volke unmittelbar entsprungen war, oder was von dem auch im künstlerischen Gebiete als souverän von ihm anerkannten Volke thatsächlich genehmigt, aufgenommen und durch seinen Mund lebendig fortgepflanzt wurde. Ganze Dichterschaaren, welche stolzen oder zierlichen Schrittes, seit Klopstock der neudeutschen Poesie den Takt geschlagen, über die Toiletten spaziert sind, wogen ihm das eine Lied nicht auf: „So viel Stern’ am Himmel stehen“; und alle Körner’sche, Schenkendorff’sche und Arnd’sche Schlachtgesänge nicht den „Prinz Eugenius, der tapfere Ritter“, oder das „Ich hatt’ einen Kameraden“. Nur eitle Anmaßung dünkte ihm jene s. g. poetische Verschönerung, Verklärung und Idealisirung des Lebens in anderer Weise, als durch Hervorhebung und Abspiegelung seiner bedeutendsten Momente, also der allerwirklichsten Wirklichkeit, die nach Beseitigung des breiten verhüllenden Beiwerks zufälliger Anhängsel noch übrig bleibt. In seiner Geringschätzung der „s. g. Idealdichter, die fast nichts als Marionetten mit himmelblauen Nasen und affectirtem Pathos, aber nicht Menschen von Fleisch und Blut gegeben haben, deren Leid und Freude mich mit empfinden macht, und deren Thun und Handeln mir Abscheu oder Bewunderung einflößt“, mochte er zuweilen eine ächte Perle nur um der zierlich ausgeschnitzten Schale willen bei Seite werfen. Wie er aber zugleich den Geist und das Herz hatte, in wenigen Worten seine ganze Meinung sagen zu können; so hatte er auch, um alle Lehrbücher der Aesthetik unbekümmert, seine ganze Auffassung der künstlerischen Aufgabe in den Worten ausgesprochen, die er seinem Lenz in den Mund legt: „Ich verlange in Allem – Leben, Möglichkeit des Daseins, und dann ist’s gut; wir haben dann nicht zu fragen, ob es schön, ob es häßlich ist. Das Gefühl, daß, was geschaffen ist, Leben hat, steht über diesen Beiden, und ist das einzige Kriterium in Kunstsachen. Uebrigens begegnet es uns nur selten: in Shakespeare finden wir es, und in den Volksliedern tönt es uns ganz, in Göthe manchmal entgegen. Alles übrige kann man in’s Feuer werfen. Die Leute können auch keinen Hundsstall zeichnen. Da wollte man idealistische Gestalten, aber Alles, was ich davon <225> gesehen, sind Holzpuppen. Dieser Idealismus ist die schmählichste Verachtung der menschlichen Natur.“

An die „welterlösende deutsche Philosophie“ hatte Büchner mit seiner unwandelbaren Ueberzeugung, daß nur der Drang der Massen Umänderungen herbeiführen könne, keinen starken Glauben. So eifrig er sich damit beschäftigte, bildete er sich doch nicht ein,

„er könnte was lehren,
„die Menschen zu bessern und zu bekehren.“

„Ich werde,“ schrieb er an Gutzkow, „ganz dumm im Studium der Philosophie; ich lerne die Armseligkeit des menschlichen Geistes wieder von einer neuen Seite kennen.“ Und in einem Briefe an seine Eltern: „Ich habe mich jetzt ganz auf das Studium der Naturwissenschaften und der Philosophie gelegt, und werde in Kurzem nach Zürich gehen, um in meiner Eigenschaft als überflüssiges Mitglied der Gesellschaft meinen Mitmenschen Vorlesungen über etwas ebenfalls höchst Ueberflüssiges, nämlich über die philosophischen Systeme der Deutschen seit Cartesius und Spinoza, zu halten.“

Jede Zeile seiner Schriften gibt davon Zeugniß, daß er in seinen religiösen Ansichten und in denen über Religion freier war, als irgend Einer. Aber seine durch und durch skeptische Natur ließ ihn auch seinen Zweifel bezweifeln und bewahrte ihn vor jenem Hochmuthe, der sich mit dem Dünkel der Untrüglichkeit als Dogmatiker der Verneinung dem der Bejahung entgegenstellt. Sein poetischer Sinn, sein genialer Tiefblick ließen ihn unter der Hülle der religiösen Vorstellungen, die ja auch eine Art Volkspoesie sind, die ewigen Wahrheiten erkennen, welche die Menschheit bewegen; und mußte er zuweilen lachen über die schlecht geflickten Löcher im alten Priestergewande, über die mit vergeblicher Sorgfalt zugebürsteten fadenscheinigen und abgeschossenen Stellen, so wurde sein Spott doch nie zum hochmüthig verletzenden Hohne. Am allerwenigsten hätte er es mit seinem gesunden Menschenverstande vereinigen können, auf die Volksmasse und mit ihr wirken zu wollen und sie etwa mit den Worten zu apostrophiren: „Ihr Esel, die ihr Alle seid, neben mir, dem vorurtheilsfreien Hochgebildeten, der den alten Schmutz und Plunder eures Aberglaubens schon lange von sich geworfen hat.“ Zwar sind selbst im Jahre der Reden 1848 nicht „buchstäblich genau solche bewegende Ansprachen“ an das Volk vorgekommen, aber doch wohl manche, aus denen sich diese gute Meinung der Redner und Schreiber von sich selbst heraushören ließ und gewiß auch vom Volke herausgehört wurde. Vor solch’ unzeitiger Aufklärungssucht, die am Ende doch nichts in’s Klare stellt, als ihre eigene Thorheit, wäre Büchner schon durch seine Achtung vor dem Volke bewahrt geblieben, die ihn gewiß selbst da nicht verließ, als er einmal unter dem Siegel des Briefgeheimnisses das deutsche Volk den „ewigen Maulaffen“ nannte, der sich von den Fürsten das „elende“ konstitutionelle „Kinderspielzeug,“ die „blecherne Flinte und den hölzernen Säbel“ hinwerfen ließ, „womit nur ein Deutscher die Abgeschmacktheit begehen konnte, Soldatchens zu spielen“; oder wenn er die Hände zusammenschlug „über die alle Berechnung zu Schanden machende deutsche Indifferenz.“ Für ihn gab es nur zwei Weltzöpfe, die ihm gleich widerwärtig waren: der himmelstürmend in die Höhe gereckte, <226> weltweisheitliche Kulturzopf, wie ihn jene Pharisäer der Bildung tragen, die, wie die Weinschmecker bei der Probe, jedes ihrer kostbaren Worte schlürfend und schmatzend im Munde herumwerfen, um sich am vollen Wohlgeschmack der feinen Blume ihrer Kultur zu laben, und die sich im Herzen Glück wünschen, daß sie nicht sind und schmecken, wie das „rohe ungebildete Volk“; und dann der Zopf der besonderen Bevorzugung von oben herab, der politische und kirchliche Vongottesgnadenzopf, den Jesuitismus und Pietismus in christlicher Demuth herabhängen lassen, um sich das zur Erde gefallene Manna mit dem Schwanze zusammenzukehren, und es unter fortgesetzten Bücklingen für die besondere himmlische Begnadigung den armen Brüdern in Christo vor’m Maule wegzufressen.

In der Politik scheint Büchner keine Kinderjahre gehabt zu haben. Das Studium der Geschichte der französischen Revolution hatte frühe sein Urtheil gereift. Er trat also, ohne erst noch auf konstitutionellen und sonstigen Steckenpferden umherzutraben, sogleich als Mann auf, mit einer Welt- und Menschenkenntniß, wie sie bei einem zwanzigjährigen Studenten wohl schwerlich schon zum zweiten Male vorgekommen ist. Auch von Seite der Opposition ließ er sich nicht zum Besten halten. Er hatte es bald erkannt, daß zuweilen hundert sogenannte Demokraten in den Spiegel hinein- und ebenso viele Aristokraten heraussehen. Wie wenig ihm das hohle Gepränge der Freiheitsmänner imponirte, zeigt schon seine flüchtige Bemerkung über Romarino’s Empfang in Straßburg. (S. 238). Vor den Kammerhelden der Opposition, vor den patriotisch Toastirenden, die bei politischen Zweckessen eine Ewigkeit lang im Vorgeschmacke der Freiheit schwelgen möchten, die „in’s Feuer gehen, wenn es von einer brennenden Punschbowle kommt,“ hatte er ganz und gar nicht den damals noch herkömmlichen Respekt. Und nach einer Mittheilung seines Biographen über seine Beurtheilung Gagern’s dürfte man sogar schließen, daß der prophetische Geist des Dichters schon vor einem halben Menschenalter die Misère Gotha vorausgesehen habe.

Von den nach abstrakten Grundsätzen der Kleidermacherkunst verfertigten Staatsformen, wollte Büchner nichts wissen. Was Camille Desmoulins in Danton sagt, war auch seine Meinung: „die Staatsform muß ein durchsichtiges Gewand sein, das sich dicht an den Leib des Volkes schmiegt. Jedes Schwellen der Adern, jedes Spannen der Muskeln, jedes Zucken der Sehnen, muß sich darin ausdrücken. Die Gestalt mag nun schön oder häßlich sein, sie hat einmal das Recht, zu sein wie sie ist, wir sind nicht berechtigt, ihr ein Röcklein nach Belieben zuzuschneiden.“ Um so mehr machte es ihm Spaß, den illusionswüthenden Deutschen den Spaß an ihren Constitutionen verderben zu helfen; an diesen mit Wind gefüllten, oben monarchisch und unten demokratisch zugeschnürten Würsten, womit die deutschen Finanzminister so trefflich nach der Speckseite warfen und die erst mit Hülfe der Dresdener Conferenzen völlig platzen mußten, um es Alle merken zu lassen, daß sie von Anfang an nur aus Haut bestanden. In seinem hessischen Landboten erzählte Büchner auch den Bauern von diesen Verfassungen, dem „leeren Stroh, woraus die Fürsten die Körner für sich ausgeklopft haben;“ von den Landtagen, „diesen langsamen Fuhrwerken, die man wohl ein- oder zweimal der Raubgier der Fürsten und ihrer Minister in den Weg schieben, woraus man aber nimmermehr eine feste Burg für deutsche Freiheit bauen kann“; von den Wahlgesetzen, „die nichts als Verletzungen der Bürger- und Menschenrechte der meisten Deutschen sind.“ Er erzählte ihnen von jener gnädigst „geschenkten“ verfassungsmäßigen „Freiheit,“ von dem geschenkten Gaule, dem das Volk nicht in, sondern höchstens auf das Maul sehen durfte, um sich mit schönen Worten abspeisen zu lassen; mit jenen „schönen Reden seiner Vertreter, die das Volk am Ende noch theurer bezahlt, als der römische Kaiser, der seinem Hofpoeten für zwei gebrochene Verse 20,000 Gulden geben ließ.“ Es versteht sich, daß die kammerrednernden Liberalen so wenig Gefallen an Büchner hatten, wie er an ihnen. Der kurhessische Professor Jordan äußerte sich mißbilligend über den „Landboten“; er wollte lieber nach monarchisch konstitutioneller Façon Jahre lang eingesperrt und mit Füßen getreten sein. Und wie sieht es gar jetzt aus im constitutionell-monarchischen Kurhessen?

Büchner’s Studienzeit in Gießen, wo ihn „die politischen Verhältnisse einengten, da er sich schämte, ein Knecht mit Knechten zu sein, einem vermoderten Fürstengeschlecht und einem kriechenden Staatsdiener-Aristokratismus zu Gefallen“ – brachte <227> ihn mit Weidig in nähere Verbindung. Beide waren in wichtigen Dingen sehr abweichender Ansicht und Richtung. Aber im Weinberge der Demokratie braucht es mancherlei Arbeiter; und nur diejenigen taugen noch weniger als die Garnichtsthuer, deren Hauptgeschäft darin besteht, von dem Platze, für den sie selbst die Tüchtigsten sind, auf einen Platz sich zu drängen, für den jeder Andere tüchtiger ist, als sie selbst. Diese Unfähigkeit der richtigen Selbstschätzung, diese seltsame Liebhaberei, am liebsten gerade das zu treiben, was man am allerwenigsten versteht, erklärt sich zwar leicht genug aus dem menschlichen Triebe, sich immer in etwas Neuem umzuthun und in bisher unbekannten Regionen seine Kräfte zu versuchen. Sie hat aber auch in der jüngsten Zeit viel dazu beigetragen, das Heer der Demokraten in Confusion zu bringen. Sie hat Infanteristen auf die Pferde gesetzt, und Cavalleristen mühselig zu Fuße laufen lassen; sie hat tüchtigen Musketieren den Degen, und tüchtigen Führern die Muskete in die Hand gegeben; sie hat gute Scharfschützen als schlechte Stabsofficiere, und wohl auch gute Stabsofficiere als schlechte Schützen verbraucht. Dieser krankhafte Ehrgeiz, der stets den Schein dem Sein vorzieht, der Alles von der äußerlichen Stellung erwartet, ist die aus der Monarchie in die Reihen der Demokratie verschleppte Aristokratie des Bureaukratenthums. Sie grassirt bei den Demokraten kaum um ein Haar breit in geringerem Maaße, als bei ihren Gegnern; sie haben sich damit schon einmal ihre Sache verpfuscht, und könnten sich diese leicht zum zweiten Male, dann aber für immer verderben. Und doch ist auch diese Sorte Aristokratie eben so abgeschmackt, als sie verderblich ist. Als wäre ein Latour d’ Auvergne als erster Grenadier nicht eben so viel werth, als ein Napoleon an der Spitze der französischen Heere; und als wären nicht beide zu einer armseligen Rolle verdammt worden, hätte der Eine mit dem Andern seine Stellung vertauschen müssen! Weidig und Büchner suchten nicht Einer den Andern bei Seite zu schieben. Ob sie gleich in manchen Punkten sich abstießen, arbeiteten sie doch Hand in Hand; und trotz der Contraste zwischen Beiden, oder gerade deßwegen, wurde die Thätigkeit des Einen durch die des Anderen ergänzt. Wenn Büchner’s Scharfblick nicht blos die eigentliche Wurzel des Uebels, sondern auch den nagenden Wurm an der Wurzel deutlich erkannte, und lieber gleich ein Ende gemacht hätte; so ließ sich Weidig keinen Spatenstich verdrießen, um den langsam faulenden Baum bloszulegen, und dem früher oder später kommenden Sturme die Arbeit des Umsturzes zu erleichtern. Er hatte jene ächt demokratische eiserne Ausdauer, die auch im engeren Kreise unablässig fortarbeitet, selbst wenn sie auf den Lohn großer und überraschend eintretender Erfolge verzichten zu müssen glaubt. Die Früchte dieser Thätigkeit sind nicht ausgeblieben: noch zur Stunde gehört die Mehrzahl der unmittelbaren und mittelbaren Schüler Weidigs zu den bestgestählten Demokraten im Hessenlande.

Weidig hatte Büchner’s „Landboten“ einige biblische Stellen beigefügt. Es war überflüssig. War doch der ganze „Landbote“ in einer Sprache gehalten, die an die der Bibel erinnert, aus dem einfach praktischen Grunde, weil sie immer noch die dem Bauer verständlichste Sprache ist, wenn ihm andere Dinge, als Haus und Wirthshaus, als Hof, Stall, Vieh und Feld in den Kreis seiner Vorstellungen hineingerückt werden sollen. Aergerlicher mag es für Büchner gewesen sein, daß ihm Weidig, der wahrscheinlich Bedenken trug, das damals noch kleine Häuflein der Opposition vor den Augen des Volks noch kleiner erscheinen zu lassen, die gegen die „s. g. liberale Partei“ gerichteten Stellen gestrichen hatte; und am ärgerlichsten, daß er ihm im „Landboten“, in diesem poetischen Ergusse des gerechtesten Zorns gegen den Mammon und seine Götzendiener, überall „Vornehme“ statt „Reiche“ hingesetzt hatte. Konnte man doch so leicht „Reiche und Vornehme“ sagen! Und dies um so mehr, da ziemlich durchweg die Vornehmen auch zu den vorweg Nehmenden gehören.

Als ein Kuriosum in der Bildungsgeschichte der politischen Meinungen mag es gelten, daß Weidig gegen Büchner behauptete (S. 10), aus dem allgemeinen Wahlrechte, ohne alle Rücksicht auf Vermögensverhältnisse, werde Pöbelherrschaft entstehen. Weidig’s ganzes Leben war ein ununterbrochenes Opfer der reinsten Hingebung an die Sache des Volks. Seine Behauptung zeigt also nur, daß nicht Jeder in jedem Punkte und in jedem Augenblicke seines Lebens die richtigste und vorgeschrittenste demokratische Meinung haben muß, um vollgültiger Demokrat zu sein. Uebrigens war schon bei der Mehrheit der unmittelbar nach den s. g. Freiheitskriegen auf<228>tauchenden s. g. Demagogen das allgemeine Wahlrecht als das ABC aller Volkspolitik anerkannt worden. Allein darum sollten die Demokraten der Jetztzeit nicht minder dankbar sein für die allerneueste Erfindung des Dreiklassen-Wahlsystems, für diese unschätzbare Ausstrahlung aus dem glänzenden Geiste des Herrn von Radowitz, des unwillkührlich unermüdlichen Vorkämpfers für die Sache der Demokratie. Gebe man nur dem Volke Gelegenheit sich in seiner Stärke zu zählen; sich die gewaltige Mehrheit der Gedrückten und Geplagten vor Augen zu rücken, neben der armseligen Minderheit derjenigen, die ihm die Gesetze aufpressen, und Gut und Blut abpressen. Möge nur die Weisheit der Staatskünstler fortfahren, das Volk klassenweise auseinander zu schachteln; aber möge sich diese Weisheit ja nicht wundern, wenn sich endlich die Waffen, nach abgehaltener Revue, mit scharf geladenen Gewehren auch in den Feldmanövern versuchen.

In der den „nachgelassenen Schriften“ beigefügten Biographie heißt es, Büchner sei noch mehr Socialist als Republikaner gewesen. Dürfte man unter Socialisten nur Solche verstehen, die sich getrauen, an der Springstange irgend eines doctrinären Systems mit einem Satze, oder mit einigen, aus der schlechtesten in die beste Welt hinüberzuspringen, so wäre diese Bemerkung unrichtig. Dies geht schon aus der ergötzlichen Weise hervor, mit der sich Büchner über ein lebendiges Exemplar des St. Simonismus ausläßt (S. 249). Sie ist dagegen vollkommen richtig, wenn man, wie man sollte, alle Diejenigen Socialisten heißt, die in der ungleichen Vertheilung der materiellen und geistigen Güter, die vor Allem in den schneidenden Gegensätzen des Reichthums und der Armuth die Quelle aller Uebel erkennen und darum auf’s tiefste überzeugt sind, daß ohne radikale Besserung von diesem Punkte aus immer und immer nur vom Läppchen in’s Tüchelchen gewickelt wird.

„Die ganze Revolution,“ schrieb Büchner an Gutzkow, hat sich schon in Liberale und Absolutisten getheilt, und muß von der ungebildeten und armen Klasse aufgefressen werden. Das Verhältniß zwischen Armen und Reichen ist das einzige revolutionäre Element in der Welt, der Hunger allein kann die Freiheitsgöttin und nur ein Moses, der uns die sieben ägyptischen Plagen auf den Hals schickte, könnte ein Messias werden. Mästen Sie die Bauern, und die Revolution bekommt die Apoplexie. Ein Huhn im Topfe jedes Bauern macht den gallischen Hahn verenden.“ Ferner: „Uebrigens, um aufrichtig zu sein, Sie und Ihre Freunde (das literarische „junge Deutschland“) scheinen mir nicht gerade den klügsten Weg gegangen zu sein. Die Gesellschaft mittelst der Idee, von der gebildeten Klasse aus reformiren? Unmöglich! – Unsere Zeit ist rein materiell; wären Sie je directer politisch zu Werke gegangen, so wären Sie bald auf den Punkt gekommen, wo die Reform von selbst aufgehört hätte. Sie werden nie über den Riß zwischen der gebildeten und ungebildeten Gesellschaft hinauskommen. Ich habe mich überzeugt, die gebildete und wohlhabende Minorität, so viel Concessionen sie auch von der Gewalt für sich begehrt, wird nie ihr spitzes Verhältniß zur großen Klasse aufgeben wollen. Und die große Klasse selbst? Für die gibt es nur zwei Hebel, materielles Elend und religiöser Fanatismus. Jede Partei, welche diese Hebel anzusetzen versteht, wird siegen. Unsere Zeit braucht Eisen und Brod – und dann ein Kreuz oder sonst so was.“ In den letzten drei Jahren hat die Weisheit der Allerhöchsten den Völkern so viel Elend auf den Hals geladen, daß es wohl kaum noch des Kreuzes bedarf – etwa das eidgenössische ausgenommen – um der nächsten europäischen Bewegung den Sieg zu verschaffen. Sollte sich jedoch da oder dort das Volk für die Gründung des „tausendjährigen Reichs“ erheben, so sind hoffentlich die Demokraten gescheidt genug, um nicht sogleich im Namen der Aufklärung und der einzig und allein erlösenden Philosophie mit Löscheimern herbeizulaufen. Hat doch jeder im Volke das Recht, seine Fesseln in eigenster Manier zu zerbrechen!

Im gleichen Sinne äußerte Büchner gegen einen Freund: „Sollte es den Fürsten einfallen, den materiellen Zustand des Volks zu verbessern, sollten sie ihren Hofstaat, die kostspieligen stehenden Heere vermindern, den künstlichen und deßwegen theuren Organismus der Staatsmaschine auf einfachere Principien zurückführen, dann ist die Sache der Revolution, wenn sich der Himmel nicht erbarmt, in Deutschland auf immer verloren.“ Damit hat es nun gute Wege. Der Himmel hat sich wirklich der Deutschen erbarmt. Sie dürfen an Civillisten und Apanagen keinen Heller wenigerbezahlen, als vor dem gesegneten Jahre 1848. Dann noch jene zweiprocentige Vermehrung des stehenden Heers, wodurch jährlich über einige hunderttausend Vaterlandssöhne mehr, als zuvor, das traurige Loos der besonderen Militairpflichtigkeit geworfen, wodurch so manche Million mehr, als zuvor, aus den Beuteln der Steuerpflichtigen geschöpft wird! Auch dies ist eine Errungenschaft, welche Deutschland dem parlamentarischen Schweiße des Herrn von Radowitz verdankt. Und immer noch hat die Demokratie ihrem größten Wohlthäter nicht eine einzige Dankadresse votirt! Er ist doch wahrlich

„Kein kleiner Theil von jener Kraft,
„Die Monarchieen will,
„Und Republiken schafft.“

Bei allem Zorn und Haß gegen den Mammon, haßte doch Büchner nicht diesen und jenen Reichen. Auch diese und jene Fürsten haßte er so wenig wie die hölzernen Marionetten, die im Puppenspiele die Tyrannen vorstellen. Es schien ihm vielmehr sehr natürlich, daß in einer Gesellschaft, in welcher die mehreren Hölzer, aus denen sie zusammengeschichtet ist, nur durch die Politur sich unterscheiden, die oben liegenden Klötze auf die unten liegenden drücken.

Wie klar Büchner die Noth und die Leiden des armen und gedrückten Theils der Menschen erkannte, wie tief er sie fühlte, hat er doch einen wichtigen Theil des Proletariats übersehen: das Proletariat der stehenden Heere. Wenigstens hat er sich nicht über alle Beziehungen desselben zu den anderen Theilen des Volks bestimmt ausgesprochen. „Soll jemals,“ sagte er, „die Revolution auf eine durchgreifende Art ausgeführt werden, so kann und darf das blos durch die große Masse des Volks geschehen, durch deren Ueberzahl und Gewicht die Soldaten gleichsam erdrückt werden müssen.“ Alle Revolutionen haben bis jetzt im besten Falle einige Räder in der Maschine des stehenden Heerwesens verschoben, aber nur allzubald war sie wieder in ihren die Freiheit zermalmenden Gang gebracht. Sie muß also wohl hauptsächlich von innen heraus zerstört werden, wenn sie beim ersten Stoße von außen auseinanderfallen, wenn das Heer im Volke aufgehen soll. Sollte dies so schwierig sein?

Im „Landboten“ heißt es: „Dafür“ – für die Millionen des Militärbudgets – „kriegen eure Söhne einen bunten Rock auf den Leib, ein Gewehr oder eine Trommel auf die Schulter, und dürfen jeden Herbst einmal blind schießen und erzählen, wie die Herren vom Hof und die Buben vom Adel allen Kindern ehrlicher Leute vorgehen, und mit ihnen in den Straßen herumziehen mit Trommeln und Trompeten. Sie müssen den Tyrannen schwören und Wache halten an ihren Palästen. Mit ihren Trommeln übertäuben sie eure Seufzer; mit ihren Kolben zerschmettern sie euch den Schädel, wenn ihr zu denken wagt, daß ihr freie Menschen seid.“ Sehr wahr! Aber auch damit wird nur auf die Uebel hingewiesen, die der Unsinn des stehenden Heerwesens für das Volk, nicht auch auf die anderen, die es für das Heer selbst hat. So lange haben die Aristokraten zu ihrem Nutzen, und so lange haben wenigstens die deutschen Demokraten zu ihrem Schaden die Soldaten als etwas außer dem Volke und ihm feindselig gegenüber Stehendes behandelt, daß man sich nicht wundern darf, wenn sie ihm in der Mehrheit auch feindselig geblieben sind. Sind aber nicht diese Soldaten gerade der am allerhärtesten gedrückte Theil des Volks? Es ist eben kein beneidenswerthes Loos, daß sie gegen den armseligsten Sold Leben und Gesundheit auf’s Spiel setzen müssen, nach einem Willen, der nicht ihr Wille ist und für Zwecke, die nicht ihre Zwecke sind. Aber dies ist noch für sie das weniger Schlimme. Das Verderblichste ist, daß sie in denselben Jahren der Kraft, da es dem Manne noch möglich ist, sich den Grund zu einem erträglichen Schicksale zu legen, ihrem bürgerlichen Berufe entrissen und oft genug für jeden bürgerlichen Beruf unfähig gemacht werden. Der Bauer, der Arbeiter darf doch noch hoffen, durch Fleiß und verständigen Eifer auf einen grünen Zweig zu kommen; und zuweilen gelingt es ihm. Der arme Soldat aber, über den das blinde Loos des Dienstzwangs geworfen ist, er muß, wie die Verdammten in Dante’s Hölle, selbst jede Hoffnung aufgeben, es je noch zu einem freudigen, menschenwürdigen Dasein zu bringen; für ihn ist selbst alle Zukunft vernichtet. Gewiß! mit wenig anderen Worten, als sie Büchner im „Danton“ dem Proletarier außer dem Heere in den Mund legt, dürften und sollten auch die Proletarier im Heere sprechen: „Unser Leben ist die Arbeit durch Mord und der Mord durch Arbeit.Wir armen Teufel von Soldaten sind Henker und Gehenkte zugleich: wir hängen Jahre lang am Strick und zappeln; aber wir werden uns losschneiden.“

Bei alle dem versteht es sich von selbst, daß im Jahre 1848, als Alles davon abhing, die Heere für die Volkssache zu gewinnen, Büchner am wenigsten auf den verwünschten Einfall gerathen wäre, gleichsam im Namen der Demokratie die Soldaten als „verthierte Söldlinge“ zu begrüßen, und sie dann höflichst einzuladen, für ebenso viele Batzen des Tags, als früher unter der Fahne des Absolutismus, sich zur Abwechselung unter der Fahne der Demokratie todtschießen zu lassen. Nie und nimmer wird eine Volkserhebung dauernde Erfolge erringen, wenn sie nicht von Anfang an die Befreiung des militärischen Proletariats aus seinen Fesseln zum Wahlspruche, wenn sie nicht in erster Linie die Erlösung von diesem Uebel zur Richtschnur ihrer Handlungen und Maßregeln hat.

Es verlohnt sich wohl der Mühe, die Ansichten Büchner’s über Revolutionen noch in anderen Beziehungen, als bisher, in’s Auge zu fassen. War er doch der Dichter der französischen Revolution, und hatte er doch eifrig geforscht in den Jahrbüchern ihrer Geschichte!

Büchner bekümmerte sich sehr wenig um das s. g. „Recht zur Revolution“. Es fiel ihm nicht ein, die Revolution, diese Tochter der Noth, die neben anderen Reichen und Vornehmen die sämmtlichen legitimen Fürsten zu Vätern hat, gar noch nach dem Taufscheine über ihre legitime Geburt zu fragen. Unmittelbar nach dem s. g. Frankfurter Attentat schrieb er im April 1833: „Meine Meinung ist die: Wenn in unserer Zeit etwas helfen soll, so ist es Gewalt. Wir wissen, was wir von unsern Fürsten zu erwarten haben. Alles, was sie bewilligten, wurde ihnen durch die Nothwendigkeit abgedrungen ... Man wirft den jungen Leuten den Gebrauch der Gewalt vor. Sind wir denn aber nicht in einem ewigen Gewaltzustand? Weil wir im Kerker geboren und groß gezogen sind, merken wir nicht mehr, daß wir im Loch stecken mit angeschmiedeten Händen und Füßen und einem Knebel im Munde. Was nennt Ihr denn gesetzlichen Zustand? Ein Gesetz, das die große Masse der Staatsbürger zum frohnenden Vieh macht, um die unnatürlichen Bedürfnisse einer unbedeutenden, und verdorbenen Minderzahl zu befriedigen? Und dies Gesetz, unterstützt durch eine rohe Militärgewalt und durch die dumme Pfiffigkeit seiner Agenten, dies Gesetz ist eine ewige, rohe Gewalt, angethan dem Recht und der gesunden Vernunft, und ich werde mit Mund und Hand dagegen kämpfen, wo ich kann. Wenn ich an dem, was geschehen, keinen Theil genommen und an dem, was vielleicht geschieht, keinen Theil nehmen werde, so geschieht es weder aus Mißbilligung, noch aus Furcht, sondern nur weil ich im gegenwärtigen Zeitpunkt jede revolutionäre Bewegung als eine vergebliche Unternehmung betrachte und nicht die Verblendung Derer theile, welche in den Deutschen ein zum Kampf für sein Recht bereites Volk sehen. Diese tolle Meinung führte die Frankfurter Vorfälle herbei, und der Irrthum büßte sich schwer. Irren ist übrigens keine Sünde ...“

Dagegen wußte Büchner von einem Rechte der Revolution, das ihrer eigensten Natur entsprungen, oder diese Natur selbst ist. Da er jede Revolution als Nothwehr im großen Maßstabe erkannte, so mußte er ihr mit dem Recht des Daseins auch das Recht der Nothwehr gegen innere und äußere Feinde zuschreiben. In diesem Sinne läßt er Hérault-Séchelles sagen: „In unsern Staatsgrundsätzen muß die Nothwehr an die Stelle der Strafe treten.“ Es gab eine Zeit, da man sich um die Auffindung des obersten Princips des Strafrechts für den Staat viel bemühte. Für die gewöhnliche Zeit der friedlichen Entwicklung sucht man es wohl am richtigsten im Selbsterhaltungsrecht der Gesellschaft, die sich im Staate als Einheit darstellt. Die Verbrechen einzelner Glieder werden als Krankheitssymptome erkannt; und so wird die in erster Linie den Verbrecher treffende Strafe zugleich ein Heil- oder Besserungsverfahren. Da aber im Leben der Gesellschaft keine Schuld nur die Schuld des Einzelnen ist, so muß sich in jedem Verbrecher zugleich die Gesellschaft selbst strafen, um sich selbst und ihre Zustände zu bessern. Und in der That wird jedes über einen Einzelnen verhängte Strafübel zugleich zum Uebel für Alle, wenn auch in den verschiedenen Kreisen, von den nächsten Angehörigen des Verbrechers selbst an, in abnehmenden Graden. Man sieht indessen sogleich, daß dieses Recht der Gesellschaft, sich selbst in ihrem Fortschreiten zum Besseren zu erhalten, sehr nahe mit dem Begriffe der Nothwehr zusammenfällt. Nur daß im Sturmleben der Revolution, an die Stelle <231> des langwierigen inneren Heilverfahrens, mehr die chirurgische Operation des resoluten Abschneidens der tödtlich angesteckten Glieder treten muß. Dennoch ist diese ganz richtige Ansicht Büchner’s vom revolutionären Recht der Nothwehr zugleich eine wahrhaft humane; da sie, mit all’ ihren Consequenzen in Kopf und Herz aufgenommen, gegen jede unnütze Grausamkeit das Maaß in sich selbst trägt. Sie bewahrt vor jener krankhaften Sentimentalität, vor jener „verdammungswürdigen Gutmüthigkeit“, wie sie einmal Büchner einem seiner Freunde scherzend vorwarf, welche noch im Entscheidungskampfe, durch grausame Schonung gegen Einzelne, die Rechte, das Glück und die Hoffnungen ganzer Völker und künftiger Generationen Preis gibt. Aber sie hat ebensowenig mit den Fantasten der Dampfguillotine zu schaffen, die wenn sie Einfluß gewännen, am allerersten die Revolution selbst unter die Guillotine brächten, da sie die eine große That der Befreiung in hunderterlei Thaten der persönlichen Rachsucht zersplittern würden. Während seiner Studien der Revolutionsgeschichte schrieb Büchner: „Ich gewöhnte mein Auge ans Blut. Aber ich bin kein Guillotinenmesser.“ Dann sprach er aber auch wiederholt, noch in den Fieberfantasien auf seinem Todesbette, mit tiefster sittlicher Entrüstung von der tausendfach größeren Grausamkeit der ihre politischen Schlachtopfer langsam und methodisch abwürgenden deutschen Justiz, gegenüber der Milde der französischen Revolution selbst in den blutigsten Tagen der Schreckenszeit.

In seinen Ansichten über das „Machen von Revolutionen“, nach dem subjektiven Belieben einiger „Gebildeten“, war sich Büchner schon sehr frühe klar geworden. „Ich werde zwar immer meinen Grundsätzen gemäß handeln, habe aber in neuerer Zeit gelernt, daß nur das nothwendige Bedürfniß der großen Masse Umänderungen herbeiführen kann, daß alles Bewegen und Schreien der einzelnen vergebliches Thorenwerk ist. Sie schreiben; man liest sie nicht; sie schreien, man hört sie nicht; sie handeln, man hilft ihnen nicht.“ Sodann: „Ich studirte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem gräßlichen Fatalismus der Geschichte. Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt, Allen und Keinem verliehen. Der Einzelne nur Schaum auf der Welle, die Größe ein bloßer Zufall, die Herrschaft des Genies ein Puppenspiel, ein lächerliches Ringen gegen ein ehernes Gesetz, es zu erkennen das Höchste, es zu beherrschen unmöglich. Es fällt mir nicht mehr ein, vor den Paradegäulen und Eckstehern der Geschichte mich zu bücken“.

Nie hat noch Einer, am wenigsten einer der patentirten Ecksteher und hölzernen Wegweiser der Geschichte, mit kürzeren, treffenderen und gewaltigeren Worten auf die Ohnmacht der Einzelnen hingewiesen, gegenüber der Macht der Geschichte und jener Volksmassen, die bald als riesig emporstarrende Eisberge, an denen sich der heißeste Enthusiasmus der Freiheit nur einige bittere vergebliche Thränen herabschmilzt, jedem Versuche der Bewegung zu trotzen scheinen; bald auch, von unterirdischem Feuer geschmolzen und geborsten, in plötzlich unaufhaltsamen Fluß kommen, um als befreite segenbringende Ströme die Lande zu durchfließen, oder um mit den Trümmern, die sie vor sich her schieben, sich selbst wieder zum Stehen zu bringen, damit das alte Spiel der Erstarrung, der vergeblichen und vereinzelten Versuche der Erlösung, der endlichen gewaltsamen und massenhaften Selbstbefreiung von neuem beginne.

Bei allem Gewicht, das Büchner auf die Massen und die aus ihnen oft ungeahnt hervorbrechenden Kräfte legte, hätte er aber schwerlich auf die „dämonischen Gewalten im Volke“ so viel abgeladen, als man jetzt wieder da und dort geneigt scheint. Die Menschen in Bewegung sind doch auch die Geschichte; und laufen die Massen nicht Jedem nach, der ihnen vorausläuft und sein „Vorwärts!“ zuruft, so können sich eben so wenig die Massen in Bewegung setzen ohne eine vorderste Reihe, welche nur theils führt, theils geschoben wird, in der Regel freilich mehr Dieses, als Jenes. So werden allerdings von Einzelnen keine Revolutionen gemacht. Aber die Menschen machen auch keine Blitze; und doch sind es Menschen, sogar Einzelne, die mitunter die Blitze auf bestimmte Wege weisen.

Wie entstehen denn die Revolutionen? Eine Masse Unzufriedenheit sammelt sich in der Masse, die meist nur weiß, daß sie der Schuh drückt, nicht aber wo. Wo sich die dichteste Menge zusammendrängt, in großen Städten, fehlt es am wenigsten an <232> Lust und Gegenstand zur Reibung. Nach langen kleinen Händeln und Streitigkeiten schlägt endlich bei äußerlich unbedeutendem Anlasse, und sei es nur die Zurückstellung eines Banketts, die Flamme empor. Das sieht „dämonisch“ aus, hört aber nie auf, zugleich menschlich zu sein. Die höchste Gluth der Leidenschaft brennt doch nicht den Handelnden alles Hirn aus dem Kopfe weg, läßt sie nicht allen Verstand, alle Klugheit und Besonnenheit in die Schanze schlagen. Die pariser „dämonischen Gewalten“ wären kaum zum Vorschein gekommen, hätten sie etwa im unzurechnungsfähigen Eifer damit angefangen, die Barrikaden nach der Länge der Straßen, statt nach der Quere zu bauen. Uebrigens mag man zugeben, daß im Kampfe für den ersten Sieg des Volks über eine verhaßte Gewalt, wodurch diese stets nur bei Seite geschoben, nie völlig vernichtet wird, meist die blindwirkenden elementarischen Kräfte überwiegen. Aber dieser erste Erfolg ist noch keine Revolution, sondern vielleicht der Anfang derselben; hätte es damit ein Ende, so wäre es nur eine Emeute gewesen. Denn gleich nach ihrem Siege fangen die „dämonischen Mächte“ an, Hunger zu bekommen: sie gehen oder laufen nach Brod, und haben immer die naturgemäße Neigung, nach tausend Richtungen auseinander zu laufen. Es kommt also darauf an, die einmal in Bewegung gesetzten revolutionären Kräfte rasch zusammenzufassen, zu organisiren, sie ihren ersten Sieg benutzen zu lassen; also die begonnene Revolution mit Proviant und Munition zu versorgen, damit ihr nicht auf halbem Wege die Nahrung ausgeht. Dieser kritische Wendepunkt jeder Volkserhebung, wo es sich entscheidet, ob sie ein großes Ziel erreichen soll oder im Sande verlaufen muß, ist zugleich der Punkt, wo die „dämonische Gewalt“ wieder zurücktritt und die Aufgabe der revolutionären Politik und Taktik, die des besonnen schaffenden individuellen Menschengeistes entscheidend beginnt.

Die Erfüllung dieser Aufgabe ist nur möglich, wenn man die eigensten und persönlichen Interessen aller einzelnen Kämpfer für die Revolution mit den Interessen der Revolution auf’s innigste zu verschmelzen weiß. Aber sie ist möglich. In Frankreich hatte man gleich im Anfange den Kern der Revolution in zwei Hälften gespalten. Man hatte einen Theil der Arbeiter in die Nationalwerkstätten eingesperrt und einem anderen Theile, als Mobilgarde, das Gewehr in die Hand gegeben, um sie vor Jenen Schildwache stehen und bei Gelegenheit ein Stück Revolution durch das andere auffressen zu lassen. Man konnte aber ebensowohl der ganzen Revolution ein gemeinschaftliches Ziel geben, und sie dieses Ziel bis in’s Ausland hinein gegen ihre Feinde verfolgen lassen. Wie ganz anders wäre dann die Geschichte der drei letzten Jahre geworden! Und dies wäre sicher geschehen, hätten sich auch nur wenige Führer für den lange erwarteten Fall ihre Aufgabe im Voraus klar gemacht; hätten sie sich nicht im Dünkel ihrer Eitelkeit allzusehr auf die Gabe der gelegentlichen Improvisation verlassen; auf jenes unselige „Kommt Zeit, kommt Rath,“ hinter dem sich immer nur die geistige Trägheit verbirgt, die mit dem Schicksale der Völker ein frevelhaftes Spiel treibt. Aehnlich ging es in Deutschland. Es gibt also – und die Geschichte der mißlungenen Revolutionen selbst ist ein Zeugniß dafür – allerdings eine vorbereitende Thätigkeit nicht sowohl für die Erzeugung, als für die glückliche Durchführung der Revolutionen. Die mit Bewußtsein ihre Sache erfassenden Demokraten können diese Thätigkeit noch einmal versäumen; aber sie werden dann noch einmal die Schuld ihrer Versäumniß büßen müssen.

Büchner ließ sich die Mühe nicht verdrießen, wenigstens einmal anzuklopfen, um zu erfahren, ob etwa der Geist der Revolution schon im Volke eingekehrt sei. „Man müsse sich überzeugen,“ meinte er, „in wie weit das deutsche Volk zur Theilnahme bereit sei.“ Darum verfaßte er seinen „Landboten“ und ließ ihn den Bauern in Fenster und Thüren hineinwerfen. Eine Flugschrift und diese Verbreitung waren freilich ein sehr trügliches Mittel, selbst um nur die gewünschte Kenntniß zu erlangen. Aber es stand ihm kein besseres zu Gebot. Hatte er doch wenigstens mit dem Volke in der Sprache des Volks gesprochen, und ihm alle seine materiellen Interessen vor Augen gehalten! Doch was geschah? Er erfuhr bald, daß die Bauern die meisten seiner Flugschriften der Polizei abgeliefert hatten (S. 15). Viele derselben hatten gewiß den „Landboten“ mit Lust, vielleicht sogar mit einigem Nutzen gelesen, und wollten nun der Polizei die gleiche Freude gönnen; Andere meinten wohl in ihrem bekannten und gerechten Mißtrauen gegen alle Staatsbeamten, daß ihnen die Polizei selbst <233> eine Falle gestellt habe, und wollten kluge Leute sein. Bei alle Dem war dieser Erfolg eines ersten schriftstellerischen Versuchs kein sehr erfreulicher; und mancher Andere hätte nun dem Volke, an dem Hopfen und Malz ja doch verloren, stolz den Rücken gekehrt. Büchner dachte anders. Er blieb dennoch dabei, daß man „die Bildung eines neuen geistigen Lebens nur im Volke suchen, und die abgelebte moderne Gesellschaft zum Teufel müsse gehen lassen.“ Denn: „zu was soll ein Ding, wie diese, zwischen Himmel und Erde herumlaufen? Das ganze Leben desselben besteht nur in Versuchen, sich die entsetzlichste Langeweile zu vertreiben. Sie mag aussterben, das ist das einzig Neue, was sie noch erleben kann.“ Wie er dem Volke das Recht zuschrieb, zu revolutioniren, so schrieb er ihm auch das Recht zu, nicht zu revolutioniren. Es war ihm nicht einmal auffallend, daß die jungen Bauernbursche lieber zu ihren Schätzen gingen, als politische Flugschriften lasen, sogar die von ihm selbst verfaßten. Er zog daraus nur den einen Schluß, daß die Noth noch nicht groß genug sei. Und von seinem eigenen Standpunkte aus, da er wohl wußte, wie es „traurig genug“ ist, daß die vom Beamtenstaate immer nur auf den Geldsack geklopften Bauern, „fast an keiner Seite mehr zugänglich sind, als gerade am Geldsack“, hätte er sich bald überzeugt: „Zwar lassen sich Revolutionen nicht machen, am wenigsten durch Flugschriften, selbst wenn diese die Nothzustände noch so treffend schildern. Ist aber die Volksbewegung einmal da, so muß sie mit denselben Triebfedern der materiellen Interessen, die sie erzeugt haben, auch im Gange erhalten werden. Die irgendwo zur Macht gelangte Demokratie muß es also nicht für gemein, sondern nur für billig und gerecht halten, ihre Kämpfer für die demokratische Sache gut zu bezahlen.“ Dagegen hätten die eifrigsten Gegner der „schmutzigen Schlacke“ sicher nichts einzuwenden: sie werden in ihrem Ikarien für den Anfang wohl auch etwas Geld brauchen können.

In der jüngsten Zeit ist in so vollem Maße für die bewegende Noth gesorgt worden, daß Büchner, lebte er noch, gewiß nicht zu den mitunter etwas drolligen Desperaten, zu den „Untergangsthümlern“ gehörte, die dem alten Europa doch gar zu leicht jede Möglichkeit einer besseren Zukunft absprechen, und im Unmuthe darüber meinen, sich zuweilen publice die Haare ausraufen zu müssen. Als wenn nicht in den letzten drei Jahren die uneigennützigen Operationen der Regierungen die Actien der Demokratie noch um viel mehr Procente in die Höhe getrieben, als ihre eigenen Staatspapiere, octroyirte Verfassungen und Wahlgesetze mit inbegriffen, herabgedrückt hätten. Wenigstens steht die Sache jetzt so: im Jahre 1848 konnten noch die Constitutionell-Monarchischen die Volkssache am Fels ihres Vertrauens scheitern machen; für die nächste Erhebung dagegen ist es sehr wahrscheinlich, daß sie nur durch die Thorheit der Demokraten selbst scheitern könnte. Sein künftiges Schicksal in eigener Hand zu wissen, ist immer ein Trost; so lange wenigstens, als man ihn nicht selbst verscherzt hat. Und für alle Fälle darf also die Desperation noch eine Zeitlang vertagt werden.

Es ist endlich Zeit zum Schlusse. Aber es ist ebenso schwer, mit tausend und tausend anderen Schriften nur anzufangen, als mit diesen „nachgelassenen Schriften“ aufzuhören. Mögen sie denn bald in allen Händen sein, den Aristokraten zum Aerger, den Demokraten zur Lust! Was die letzteren anlangt, so werden sie wohl daraus noch Einiges lernen können: Die dem Volke Nachhinkenden, die ihm nur voraus zu sein meinen, wie sie sich sputen müssen, um ihm beizukommen; die ihm athemlos Vorankeuchenden, wie es sehr wenig gethan ist, wenn sie nur in träumerischer Duselei den blauen Bergen im Reiche der „gemüthlichen Anarchie“ zulaufen, bis sie das Volk, und das Volk sie aus Auge und Ohr verloren hat. Die Einen aber, wie die Anderen, werden sich überzeugen, daß sich die größte Selbstständigkeit des Charakters, die reichste Begabung des Geistes mit der hingebensten Achtung vor dem Volke wohl verträgt; daß es auch der Mann der ächten Bildung, der wahren Wissenschaft für den höchsten Gewinn zu halten hat, wenn er mit unserm Dichter freudig ausrufen darf: „Ich komme dem Volke immer näher!“

Überlieferung
Erstdruck: Deutsche Monatsschrift für Politik, Wissenschaft, Kunst und Leben. Hg. Von Adolph Kolatschek. 2. Jg., Heft 2, Februar 1851, S. 210-233. Zweiter Druck: Walter Grab  (unter Mitarbeit von Thomas Michael Mayer): Georg Büchner und die Revolution von 1848. Der Büchner-Essay von Wilhelm Schulz aus dem Jahr 1851, Text und Kommentar. Königstein/Ts. 1985 (= Büchner Studien Bd. 1), S. 51-82.