HL Dok 7.5.
„Protokolle der Deutschen Bundesversammlung vom Jahre 1839“, 21. Sitzung, 16. September 1839, Beilage 3 zu § 282; Frankfurt a. M. Bericht vom 26. Juli 1838

<742> <…> Im März 1834 wurden die im Laufe des Sommers 1833 von Gießen nach Friedberg gebrachten politischen Gefangenen, die Studenten Schlemmer, Rosenstiel, Ludwig Becker, August Groos, Wilhelm Braubach, Ludwig Lang, Heinrich Ferber, Clemm und die Küfer Faber, Keller und Schneider der Haft entlassen. Die Mehrzahl darunter ist später flüchtig geworden. Butzbacher Bürger und Gießener Studenten kamen ihnen entgegen geritten und gefahren. Sie wurden zu Weidig geführt, der sie bewirthete. Ausserdem war ihnen in Butzbach ein Fest bereitet. In Gießen wurde ihnen von der Lesegesellschaft ein Nachtessen gegeben, auf dem jeder der Entlassenen einen Lorbeerkranz erhielt.

Im Sommer 1834 kam jedoch eine, durch äussere Form anscheinend nicht verbundene, innerlich aber fest zusammengehaltene, dasselbe Ziel, mit denselben Mitteln, erstrebende Vereinigung zu Stande, die, ihrem ganzen Wesen nach, als ein eigentlicher Preßverein bezeichnet werden muß, und auch von Angeschuldigten bezeichnet wird. Sie wurde geschlossen in einer am 3. Juli 1834 auf der Badenburg abgehaltenen Versammlung. An diesem, <743> zwischen Gießen und Marburg liegenden Vergnügungsorte kamen zusammen: Weidig; ferner aus Gießen: Advocat Briel (der Bruder des obengenannten Seminarlehrers gleichen Namens), Advocat Rosenberg, Buchhändler Ricker, die Studenten Clemm und Büchner, endlich aus Marburg: Dr. med. Eichelberg, Dr. med. Heß, Stud. v. Breidenbach und Hutmacher Georg Kolbe.

Ueber die Anwesenheit dieser Personen und den Gegenstand ihrer Verhandlungen liegen die übereinstimmenden und sich ergänzenden Geständnisse Clemm’s, Eichelberg’s, Rosenberg’s, Briel’s und Breidenbach’s vor. Die Anwesenheit wird auch von den übrigen nicht geläugnet. Rücker ist im Herbste 1834 gestorben, Dr. Heß und Stud. Büchner sind flüchtig geworden. Weidig wird als der, welcher die Berufung der Versammelten veranlaßt habe, genannt. August Becker erhielt von ihm, geständlich, wenige Tage vor der Versammlung den Auftrag, Professor Jordan und Dr. Heß in Marburg zu derselben einzuladen. Jordan entschuldigte sich gegen Becker damit, daß er von der Marburger Polizei zu scharf beobachtet werde. Hierauf lud Becker, nachdem, wie dieser sagt, Jordan es gebilligt hatte, den Dr. Eichelberg ein. Ueber die Verhandlungen unter ihnen gibt Clemm an:

Weidig habe über seine Reise nach Süddeutschland Bericht erstattet und dabei erzählt, er sey in Frankfurt, Wiesbaden, Mainz, Darmstadt und Mannheim gewesen, um die Verbindung der revolutionären Elemente wieder anzuknüpfen; in Wiesbaden sey in einer Versammlung Gleichgesinnter, welcher er, Weidig, beigewohnt habe, beschlossen worden, daß in den einzelnen deutschen Staaten, mittelst geheimer Presse, revolutionäre Schriften gedruckt und verbreitet werden sollten; der flüchtige Advocat Schüler solle von Frankreich aus eine Zeitschrift für ganz Deutschland redigiren und von Zeit zu Zeit sollten zur Erhaltung der Verbindungen in den einzelnen Ländern Generalversammlungen gehalten werden; Präsident Mohr von Mainz, und Itzstein von Mannheim seyen bei der Wiesbadener Versammlung gewesen und hätten sich dazu verstanden, nach Würtemberg zu reisen, um revolutionäre Verbindungen anzuknüpfen. Auch sey der Beschluß gefaßt worden, einen Unterschied zwischen den Aelteren und Jüngeren zu machen, und diese nur zum Verbreiten der Schriften zu brauchen. In Folge dessen sey auf der Badenburg beschlossen worden, auch in dortiger Gegend revolutionäre Flugschriften zu schreiben und in Umlauf zu setzen, und zu dem Ende eine Presse von dem Mechanicus Jordan in Darmstadt zu kaufen. Es sey davon die Rede gewesen, periodisch Geldbeiträge zu diesem Ende zu erheben. <…> <744> <…>

§ 16.
Politische Verbindungen in Gießen und Butzbach.

Im Frühjahr und Sommer 1834 bildeten sich in Gießen mehrere, gleichen Zweck verfolgende, jedoch mehr localere Verbindungen; die eine, unter Leitung der Stud. Schütz und Louis Becker, bestand hauptsächlich aus Studenten. Es sind darüber Geständnisse des Stud. August Becker, des Clemm und des Küfers Schneider vorhanden. Der Zweck dieser Vereinigung, als deren Mitglieder, ausser Louis Becker und Schütz, Büchner, August Becker, Minnigerode, Clemm, Trapp und Küfer Schneider angegeben werden, bestand in der Verbreitung hochverrätherischer Schriften, um dadurch eine Umwandlung der bestehenden Verhältnisse zu bewirken. Die Theilnehmer, welche später auch den Küfer Faber, unter förmlicher Verpflichtung, aufnahmen, kamen auf specielle Bestellung zusammen. Die Errichtung einer gemeinschaftlichen Casse soll zwar beabsichtigt, aber nicht ausgeführt worden seyn. Anfangs- und Endezeit dieser Verbindung läßt sich nicht genau bestimmen; Schneider behauptet, die Zusammenkünfte hätten im Mai und Juni 1834 statt gefunden.

Clemm <gibt zu,> <…> an diesen Zusammenkünften Theil genommen zu haben, <…>. <…>

<745> <…>

§ 17.
„Der Hessische Landbote.“ Ermittlungen über Druck und Verbreitung der revolutionären Schriften.

Worauf es bei den vorerwähnten Vereinigungen abgesehen war, das beweist die Flugschrift, welche vier Wochen nach der Badenburger Versammlung viel verbreitet wurde, und als deren Verfasser übereinstimmend Weidig, der jene veranlaßte, und Büchner, ein Mitglied der Gießener Studentenverbindung, angegeben werden. <…> Diese Flugschrift, welche im Manuscripte schon vor der Badenburger Versammlung, Clemm sagt im Frühjahre 1834, vorhanden war, hat einen praktischern und stürmischern Charakter, als der Leuchten und Beleuchter. Sie trägt das Motto: „Friede den Hütten! Krieg den Pallästen!“ Die Armuth wird gegen den Reichthum, der Geringere gegen den Vornehmern aufgehetzt, und das, ähnlich wie in den Paroles d’un Croyant, mit Mißbrauch biblischer Sprache. Der Anfang bezeichnet den Ton:

„Im Jahr 1834“ – so lautet er – „sieht es aus, als würde die Bibel Lügen gestraft. Es sieht aus, als hätte Gott die Bauern und Handwerker am fünften Tage, und die Fürsten und Vornehmen am sechsten gemacht, und als hätte der Herr zu diesen gesagt: Herrschet über alles Gethier, das auf Erden kriecht, und hätte die Bauern und Bürger zum Gewürm gezählt. Das Leben der Vornehmen ist ein langer Sonntag … sie haben feiste Gesichter … das Volk aber liegt vor ihnen, wie Dünger auf dem Acker.“ … „Das Leben des Bauern ist ein langer Werktag; Fremde verzehren seine Aecker vor seinen Augen, sein Leib ist eine Schwiele, sein Schweiß ist das Salz auf dem Tisch des Vornehmen.“ …. „Seht nun, was man im Großherzogthum aus dem Staate gemacht, seht was es heißt: die Ordnung im Staate erhalten! 700,000 Menschen bezahlen dafür sechs Millionen, d. h. sie werden zu Ackergäulen und Pflugstieren gemacht, damit sie in Ordnung leben. In Ordnung leben, heißt hungern und geschunden werden.“ „Wer sind denn die, welche diese Ordnung gemacht haben, und die wachen, diese Ordnung zu erhalten? Das ist die Großherzogliche Regierung.“

Diese Stellen sind aber noch milde gegen die maaßlosen Schmähungen, welche gegen die Bundesfürsten gehäuft werden. Geschlossen wird mit der entschiedensten Aufforderung zum offenen Aufruhr – alles in einer Sprache, als ob dieser die heiligste Pflicht, und das Gott wohlgefälligste Werk wäre.

<746> Aus den sich bestätigenden und ergänzenden Aussagen August Becker’s, Clemm’s und Eichelberg’s geht hervor, daß Stud. Büchner diese Flugschrift, und zwar im Auftrage, verfaßt, Weidig aber sie in die Gestalt gebracht hat, in der sie gedruckt worden ist. <…> Die Verbreitung dieser Schrift, die vielfach in den Dörfern ausgestreut wurde, oder der Betheiligung bei dieser sind insbesondere geständig: Dr. Schmall, Carl Braubach, Apothekergehülfe Frölich, Flick, Carl Zeuner, August Becker und Küfer Schneider. <…>

Im Spätherbst 1834 war sehr ernstlich davon die Rede, eine Druckerpresse zum ausschließlichen Gebrauch derer, die auf der Badenburg in Verbindung getreten waren, anzuschaffen.

Der Lithograph Christian Schüler in Darmstadt sollte sie, nach einem von dem Färber Kahlert erhaltenen Auftrage, von dem Mechanicus Jordan kaufen. Kalbfleisch räumt ein, 40 Gulden zu diesem Zwecke von Flach erhalten zu haben; die Marburger zahlten 20 fl. und Weidig interessirte sich lebhaft für dies, auch von Dr. Jucho und Lithographen Schneider in Frankfurt, wie Flach angibt, durch Rath begünstigte Unternehmen. Um über die Aufstellung einer Presse zu berathen – dies gibt Zeuner <747> als den Zweck an – sollte im Spätherbste 1834 eine Zusammenkunft in Höchst stattfinden. August Becker, an Weidig’s Stelle zur Theilnahme veranlaßt, fand, wie er sagt, Dr. Jucho und Advocat Herchenhahn aus Wiesbaden, beide ungehalten darüber, daß Dr. Leisler’s Ausbleiben die Versammlung vereitele. Herchenhahn gab dem August Becker, nach seiner Angabe, einen Beitrag für den Preßverein. Die erst im Frühjahr 1835 aufgegebene Absicht der Aufstellung einer Presse, wurde im Herbste 1834 selbst da noch verfolgt, als sich eine andere Druckgelegenheit gefunden hatte. Diese letztere ergab sich als weitere Folge der auf der Badenburg angeknüpften Verbindungen. Der in der Elwert’schen Druckerei in Marburg im Dienst stehende Factor Rühle wurde zum heimlichen Druck, und zwar durch v. Breidenbach, wie dieser gesteht, disponirt. Aus den übereinstimmenden Geständnissen des Dr. Eichelberg, Rühle’s und des v. Breidenbach geht hervor, daß Weidig dem ersteren das Manuscript zu einem fünften Blatt des Leuchters und Beleuchters brachte, und daß dieser davon 400 Exemplare durch Rühle drucken ließ; ein Theil der letzteren wurde durch v. Breidenbach nach Marburg gebracht, wo sie, durch des Advocaten Briel Vermittlung, von dem Büchsenmacher Großmann in Empfang genommen wurden. Eichelberg behauptet, daß Weidig, unter Benutzung eines von ihm geschriebenen Aufsatzes, dieß, vom October 1834 datirte, die Auflösung des Landtags dieses Jahrs betreffende fünfte Blatt verfaßt habe.

Wie sehr der oben charakterisirte Hessische Landbote im Sinne der Revolutionäre war, und wie stark er verbreitet wurde, beweist am besten, daß eine zweite Auflage desselben, drei Wochen nach dem Druck des fünften Blattes des Leuchters und Beleuchters, durch Rühle gedruckt wurde. Sie erhielt den Titel: „der hessische Landbote, erste Botschaft, Darmstadt im November 1834.“ Nur wenig Veränderungen wurden, und zwar nach August Becker’s und Clemm’s Aussagen, welche in denen Eichelberg’s Bestätigung finden, von Weidig vorgenommen.

Um es mit den reichen Liberalen nicht zu verderben, wurden den Begüterten und Vornehmen, die zu stürzen seyen, die Fürsten und deren Beamte substituirt. Rühle gab etwa 400 gedruckte Exemplare dem Dr. Eichelberg. Bei der Abholung von diesem, und bei der Verbreitung, die theilweise auf den Dörfern geschah, sind Stud. v. Stockhausen, Weller, Ludwig Becker, Kalbfleisch, Carl Braubach und Marguth betheiligt, und so weit sie zur Untersuchung gezogen werden können, geständig.

Ein Manuscript, „Hessischer Landbote, zweite Botschaft“ scheint, bei Vergleichung der Aussagen Clemm’s, Eichelberg’s und Stockhausen’s, in Marburg und wahrscheinlich von Eichelberg geschrieben, in Gießen nicht gebilligt und deßhalb nicht gedruckt worden zu sein. v. Stockhausen brachte es, nach Clemm’s Aussage, zu Advocat Briel, der es längere Zeit bewahrt hat.

<…> <752> <…>Dieser Meineid steht aber leider nicht allein. Kalbfleisch gesteht, am 11. August 1834 wissentlich falsch geschworen zu haben, daß ihm von Verbreitung hochverrätherischer Schriften und davon, daß Schütz nach dem 30. Juli 1834 wieder nach Butzbach gekommen, nichts bekannt sey. In den ergreifenden Worten, mit denen er dieses Bekenntniß ablegt, sagt er: „Das sey die Folge, wenn die Prediger des Evangeliums solche Grundsätze verbreiteten“; alle Gespräche Weidig’s hätten auf den Grundsatz, daß Meineid in politischen Untersuchungen kein Verbrechen sey, hingewiesen. Er gibt an, alle Mitglieder des <753> Butzbacher Vereins vom Jahre 1835 hätten diesen Grundsatz gehabt. Es habe geheißen, in solchen politischen Untersuchungen sey man dem Gerichte keinen Gehorsam schuldig; der Zweck heilige die Mittel, Zweck sey das allgemeine Wohl Deutschlands; wenn dieses durch eine Untersuchung bedroht, wenn ein Bekannter zu retten sey, müsse man ohne Bedenken einen Meineid schwören. Die deutschen Regierungen verdankten nur der Sünde ihre Entstehung, ihre Fortdauer sei Sünde: wie könne man für eine sündhafte Sache den Eidschwur als eine heilige Handlung ansehen: einen sündhaften Eid brauche man nicht zu halten. Die Studenten Ludwig Becker, August Becker und Wilhelm Braubach hätten diese Grundsätze gepredigt. August Becker gesteht, daß er und Büchner die falsche Eidestheorie öfters entwickelt hätten, jedoch nur zum Scherz; Braubach aber erklärt selbst: Weidig habe gesagt, der bestehenden Obrigkeit sei man keinen Gehorsam schuldig: ihr aller Zweck sey, das Reich der Wahrheit zu verbreiten, wenn sie also den Meineid scheuten, so würden sie ja die Erreichung dieses Zweckes hindern; wer keinen Meineid schwören wolle, dürfe sich auf die Umtriebe nicht einlassen. <…>

Wohin es auf diesem Wege aber gekommen war, beweist, daß Kalbfleisch und Braubach geständig sind, in einer Untersuchung gegen Gemeinderath Kuhl, wegen wörtlicher Beleidigung eines Gensd’armen, zu Gunsten des ersteren, den eine geringe Geld- oder Gefängnißstrafe, im Fall der Verurtheilung, erwartete, falsch geschworen zu haben, und daß sie alle ihre zahlreichen Mitzeugen gleichen Verbrechens beschuldigen.

Nach solchen Geständnissen ist wenigstens die Wahrscheinlichkeit nicht dagegen, wenn Kuhl sagt, Weidig habe ihn zu einem Meineide zu bringen gesucht, er wisse von dem Studenten Kriegk, daß in dessen Untersuchung Färber Kahlert einen falschen Eid geleistet; wenn Clemm versichert, daß in demselben Criminalprocesse Student Büchner, und in der Untersuchung wegen der Burschenschaft Cand. Hiepe falsch geschworen, und wenn endlich Carl Braubach seinen eigenen Vetter Rumpf des Meineids bezichtigt.

So zeigt denn diese Untersuchung, welchen Umfang die revolutionären Umtriebe der letzten Jahre hatten, bis auf welche Höhe sie im Großherzogthum gediehen waren, und bis zu welchem Grade von Depravation sie die Partei geführt haben.

Überlieferung
Druck: Protokolle der Deutschen Bundesversammlung vom Jahre 1839, 21. Sitzung, 16. Sept. 1839, Beilage 3 zu § 282 (= Bericht der in Folge Bundesbeschlusses vom 20. Juni 1833 ernannten Bundes-Centralbehörde vom 26. Juli 1838 an den in Folge Art. 28 der Wiener Schlußacte erwählten Bundestags-Ausschuß <…>.), S. 709–776, hier S. 742–753 (vgl. MBA II.2, S. 323–327)..