Das komische Spiel mit der Identität in Georg Büchners Leonce und Lena
von Serena Grazzini (Pisa)

(Als Vortrag gehalten auf der Jahrestagung der Georg Büchner Gesellschaft e.V., 1. November 2014. Die längere Fassung des Textes wird demnächst im Georg Büchner Jahrbuch erscheinen.)

 

I.

Dem gesuchten Anschein von Einfachheit und Leichtigkeit zum Trotz gehört Georg Büchners Leonce und Lena bekannterweise zu den komplexesten und am meisten diskutierten Lustspielen der deutschen Literaturgeschichte. Die interpretatorischen Schwierigkeiten, die der Text sowohl LiteraturwissenschaftlerInnen als auch Theaterleuten bereitet, haben zu jenem “Streit” geführt, den Jost Hermand schon vor dreißig Jahren umriss[1], und der seitdem durch zusätzliche Aspekte ausgeweitet wurde.[2] Ohne die Problematiken zu vergessen, die der bisherigen Diskussion zugrunde liegen, geht es mir im Folgenden nicht darum, eine Stellung in diesem “Streit” zu beziehen. Dementsprechend werde ich einige Überlegungen präsentieren, die nicht von den üblichen Gegensatzpaaren ausgehen, die seit Jahrzehnten die Grundlagen des Streites bilden. Vielmehr geht es mir darum, die im Schluss des Lustspiels halb scherzend gemeinte Einladung zum Weiterspielen[3] ernst zu nehmen und eben auch als Interpretin ‘zusammen mit dem Text zu spielen’. In Hinblick auf das hier behandelte Thema bedeutet dies, dass ich versuche, mich auch als Interpretin auf das komische Spiel einzulassen, das Büchner in Leonce und Lena sowohl mit seinen Figuren als auch mit den wichtigsten, sein Gesamtwerk charakterisierenden Themen vorantreibt. Das Problem des Streites, so wie er um diese Komödie entbrannt ist, ist nämlich, dass er durch seine Form als Streit dazu zwingt, eine Position gegen die andere auszuspielen und dabei die Widersprüche, mit denen der Text bewusst arbeitet, auf eine vom Text nicht gedeckte Versöhnung zu bringen und sie dadurch zu glätten.

Büchner scheute die Widersprüche und die Kontraste nicht, seine Ästhetik war eine Ästhetik des Widerspruchs, manchmal eines Widerspruchs, der sich durch die Entgegensetzung von Figuren oder Figurengruppen darstellt, manchmal und überwiegend eines Widerspruchs, der sich innerhalb ein und der selben Figur entwickelt. Es ist ihm gelungen, diese Widersprüche ästhetisch produktiv zu machen, dabei hat er sich unter anderem des Paradoxons, des Wahnsinns, des Witzes, manchmal aller drei auf einmal bedient. Die Herausforderung liegt also darin, diese Widersprüche auch interpretatorisch produktiv zu machen, ohne dass wir selbst uns jedoch den ‘Luxus’ des Paradoxons, des Wahnsinns oder des Witzes gönnen dürfen.

Eine Auflösung der Kontraste hat Büchner anscheinend nicht beabsichtigt; im Gegenteil hat er die Kontraste bis aufs Äußerste gesteigert. Hierin liegt der echt dramatische Zug seines Werkes, auch des narrativen Textes Lenz, aber auch des politischen Pamphlets Der Hessische Landbote, in dem die politische Rhetorik auf krassen und in der historischen Wirklichkeit tatsächlich existierenden Kontrasten zwischen “Hütten” und “Palästen” aufgebaut ist. Im Falle von Danton’s Tod bildet der Kontrast außerdem das strukturelle Prinzip, das der Konfrontation zwischen Robespierre und Danton zugrunde liegt, und dient unter anderem dazu, die ‘Wahrheit’ jeder einzelnen Seite zu ergründen und zugleich in Frage zu stellen.

Behält man das literarische Gesamtwerk im Blick, dann liegt die Annahme nahe, dass das kontrastive Prinzip den persönlichen Weg Büchners zur Erkenntnis durchs Schreiben, durchs Gestalten darstellt. Dabei enthalten seine Texte das Angebot an die RezipientInnen, die jeweils auftauchenden Kontraste aufrechtzuerhalten und durch sie an dem Erkenntnisprozess möglicherweise teilzuhaben, der sich zusammen mit dem Text entfaltet und in ihm an ästhetischer Konkretion gewinnt.

Nicht selten nehmen diese Kontraste die spezifische ästhetische Form von Widersprüchen an, die sich in vielen Fällen auf unmittelbare Weise manifestieren. Diese Qualität der Unmittelbarkeit des Widerspruchs bildet naturgemäß auch die wichtigste Grundlage der Komik in Büchners Werk, sowohl der Komik, die die Figuren an ihrer Wirklichkeit entdecken (man denke an Danton, an Leonce, in gewisser Hinsicht auch an Lenz), als auch der Komik, die die Texte produzieren und die in Leonce und Lena zum wichtigsten Gestaltungsprinzip der Figuren, der Situationen und der Gespräche wird.

Was folgt, sind einige Überlegungen zum Thema Identität und Identitätskonflikte und ihrer Komisierung im Lustspiel. Eine erste kursorische Betrachtung der Identitätsproblematik im Gesamtwerk Büchners soll dazu dienen, ihre sehr besondere ästhetische Verarbeitung in Leonce und Lena deutlicher hervorzuheben. Darauf konzentrieren sich dann der dritte und vierte Teil, in denen ich zudem den Versuch unternehme, mich anhand des behandelten Themas der Frage nach Büchners Intention zur Komödie anzunähern.

 

II.

Identität setzt eine Einheit des sich gleich Bleibenden voraus. Ist der Begriff auf das Individuum bezogen, dann erweckt er zumindest die Vorstellung der Einheit zwischen dem Subjekt und dem, was dieses Subjekt ausmacht – man könnte sagen: zwischen dem Subjekt und seinen Prädikaten –, also eine Einheit, die das Subjekt in seiner Selbstreflexion vergegenwärtigt und die sich auch von außen aus als solche zu erkennen gibt. Der Begriff der Ich-Identität hat sich erst in der neueren Psychologie und Soziologie entwickelt und er schließt Veränderungen nicht aus. Aber es geht eben um Veränderungen in der 'Peripherie' eines sich gleich bleibenden Kerns; vor allem geht es um Veränderungen, die sich nicht unmittelbar nebeneinander manifestieren, außer man hat es – zumindest im normalen Leben – mit dem Wahnsinn oder mit psychischen Störungen zu tun.

Es ist bekannt, dass diese Einheit Büchners Hauptfiguren meist abhanden kommt. Sie sind eher durch Zerrissenheit, innere Konflikte und Spaltungen gekennzeichnet, die sich im Falle von Woyzeck oder von Lenz in einem und demselben Moment manifestieren, oder die, bei Figuren wie Danton oder Leonce, auf die Ebene der Reflexion verschoben werden und sich nacheinander und wechselseitig offenbaren. Sogar ein Robespierre ist bei Büchner vom Zweifel angesteckt, und sobald die Figur diesen Zweifel in sich aufsteigen spürt, fühlt sie auch die Bedrohung durch die Lächerlichkeit: "[…] Es ist lächerlich, wie meine Gedanken einander beaufsichtigen […]". (Danton’s Tod I/6) Danton’s Tod

Es gibt ein Ich bei Büchners Figuren, das nicht Herr seiner selbst, sondern  widersprüchlichen Empfindungen und Gedanken ausgesetzt ist[4], das sich nicht kennt (oder sich nicht mehr erkennt) und über keine Gewissheit über sich und die anderen verfügt[5], oder das zwischen sich und den anderen nicht mehr unterscheiden kann[6] und auch nicht genau weiß, welches seine Rolle in der Geschichte und in der Realität sein sollte oder sein könnte. Diese Ungewissheiten führen zu radikalen Fragen über das Selbst und seine Identität; durch sie eröffnet sich eine Kluft im Bewusstsein des Einzelnen bezüglich der Einheit mit sich selbst, der Einheit von Denken und Handeln und deren Bezüge zum Ich. Zugleich eröffnen sie eine Kluft im Verhältnis zwischen dem Individuum und der Gesellschaft bzw. der Geschichte. Es gibt also ein Ich, das sich ständig befragt: über sich, über die Zeit, über die eigene Funktion.

Und es gibt ein Ich, das lebt und keine Zeit hat, über solche Fragen lange nachzudenken, wie Woyzeck oder – von den Hauptfiguren abgesehen – die Figuren aus dem Volk in Danton’s Tod. Woyzeck erhebt zwar Fragen und verfällt ins Grübeln, aber diese Fragen und seine Grübeleien haben meistens nur den Anschein von Reflexionen, faktisch sind sie selber Manifestationen seines Wirrsals, seiner inneren Zerstörung, im Grunde seiner Halluzinationen. 'Einheit' erlangt er erst in den Funktionen wieder, die ihm ungeachtet seines Wohlergehens andere zuweisen, und er neigt letztendlich dazu, sich mit diesen Funktionen, die seinen Alltag bestimmen, zu identifizieren (vgl. H 1,10) woyzeck . Zumindest kann er nichts Anderes tun, als in ihrem Sinne zu handeln.

Auch die Figuren aus dem Volk in Danton’s Tod sind in Hinsicht auf das hier behandelte Thema wichtig, obwohl die Fragen nach dem Selbst und nach seinem Verhältnis zu sich und zur Welt bei ihnen hinfällig werden. Dass sie im Dienste anderer funktionieren müssen, dass ihre Arbeit zur Befriedigung der Bedürfnisse anderer dient, wissen diese Figuren sehr genau: Nicht sie beherrschen ihre Taten und ihre Gedanken, nicht sie bestimmen ihre (persönliche und kollektive) Identität, sondern diejenigen, die in der Lage sind, in ihnen die Vorstellung einer Einheit zu erwecken.[7]

Die Figuren aus dem Volk sind die Funktion, die sie erfüllen, und damit haben sie sich abgefunden. Sie huren, sie sind derb, sie sind sadistisch, anders als Woyzeck kennen sie den Witz. Sie gelten als Kollektiv, und durch ihre Eigenschaften werden die Derbheit und der Sadismus der gesellschaftlichen Verhältnisse ästhetisch anschaulich gemacht, die sich an ihnen bewahrheiten. Durch Simon als komische Figur und durch die Witze, die über ihn gemacht werden, werden sowohl die idealistische Vorstellung eines sittlichen Subjekts als auch die damit verbundene Erwartung eines Einklanges zwischen diesem Subjekt und der Welt Lügen gestraft. Es verbietet sich natürlich, die Figuren aus dem Volk in Danton’s Tod moralisch zu lesen. Sie sind ästhetische Konstrukte und haben als Einzelne kaum eine Psychologie, d. h. sie gelten als Masse und als solche sind bar jeder persönlichen Identität. Die ganz und gar entidealisierte Darstellung des Volkes in I/2 steht in unmittelbarem Kontrast zu Robespierres Bild desselben als “groß” und “tugendhaft”. Dem Kontrast mangelt es nicht an Groteske, die zum ästhetischen Mittel wird, die kollektive Identität des Volkes als eine Konstruktion durch den “Unbestechlichen” zu entlarven.

Anders als diese Figuren ist Woyzeck ein Einzelner. Und, wie schon angedeutet: Sobald der poetische Blick auf den Einzelnen fokussiert, wird die Abwesenheit von nachvollziehbaren Bezügen zwischen der Behauptung des Ichs und seinen psychischen und physischen Manifestationen auch beim Volk offensichtlich.

Allerdings gibt es Figuren, die diese inneren Spannungen nicht zu kennen scheinen. In Bezug auf die Handlung können sie als Nebenrollen bezeichnet werden, auch wenn sie keine unwichtige Rolle spielen. So sind in Danton’s Tod z. B. Marion und in gewisser Hinsicht auch Julie Figuren, die mit sich einig sind. Sie kennen keine Brüche, keinen Unterschied zwischen ihrem Bewusstsein und ihrem Dasein, zwischen der Sprache der Vernunft und der des Körpers, zwischen der Lebenstheorie und der Lebenspraxis. Für Lucile dagegen gilt dies sicher nicht. Auch Oberlin in der Lenz-Erzählung ist mit sich einig, wenn auch natürlich auf andere, sogar zu Marion entgegengesetzte Weise: Oberlin ist nämlich ganz und gar identisch mit seiner gesellschaftlichen Rolle, er geht in ihr gänzlich auf. Er bedauert Lenz, aber dessen Wahnsinn ist ihm fremd.

 

III.

Bleibt man aber bei den Hauptfiguren, dann kann man in der eben umrissenen Kluft im Ich-Bewusstsein und in der Distanz zur eigenen Welt ihre gemeinsame Charakteristik erkennen. Der Prinz von Popo bildet diesbezüglich natürlich keine Ausnahme. Gespaltenheit und Wirrnis kennzeichnen nämlich auch Leonce, der ständig zwischen melancholischen und enthusiastischen Seelenzuständen, zwischen seinem Anspruch auf Sinn und Erfüllung und dem Bewusstsein des Trugcharakters solcher Vorstellungen schwankt. Obwohl Leonce ständig das Ich bemüht, von dem er nie wirklich lassen kann, deckt die Komödie die Ich-Vorstellung als etwas Leeres auf, als etwas kaum mehr Behauptbares, außer auf einer rein sprachlichen Eben. In diesem Text lässt Büchner den Ich-Begriff – sei er empirisch oder moralisch aufgefasst – an seine Grenzen stoßen und verwandelt seine Behauptung in Unsinn. König Peter, der zu wissen glaubt, wer er eigentlich sei, ist die ästhetische Konkretion dieses Unsinns: Er muss grotesk wirken. Aber auch Leonce kommt nicht viel besser weg, obwohl er – anders als Peter – um diesen Unsinn weiß. Nicht nur kann in Bezug auf Leonce und Lena von eigentlichen Identitätskonflikten nicht gesprochen werden; vielmehr kann man kaum mehr von Ich-Identität sprechen, obwohl das Lustspiel das Ich durch Leonce und durch Peter ständig thematisiert. Bei Peter bewirkt diese Thematisierung die komische Selbstentlarvung ihrer Absurdität, bei Leonce stimmt sie hingegen melancholisch.

Aber nicht der Melancholie wird im Lustspiel das letzte Wort gelassen. Die Komödie schließt mit den Worten von Valerio, der kurz davor vor der verängstigten Frage Peters, wer er wohl eigentlich sei, das Ich durch das komische Maskenspiel als reine Fiktion vorführt:

P e t e r. Wer seyd Ihr?
V a l e r i o. Weiß ich’s? (Er nimmt langsam hintereinander mehrere Masken ab.) Bin ich das? oder das? oder das? Wahrhaftig ich bekomme Angst, ich könnte mich so ganz auseinanderschälen und blättern.
P e t e r. (Verlegen.) Aber – aber etwas müßt Ihr dann doch seyn?
V a l e r i o. Wenn Eure Majestät es so befehlen. Aber meine Herren hängen Sie alsdann die Spiegel herum und verstecken sie ihre blanken Knöpfe etwas und sehen sie mich nicht so an, daß ich mich in ihren Augen spiegeln muß, oder ich weiß wahrhaftig nicht mehr, wer ich eigentlich bin. (Leonce und Lena III/3) Leonce und Lena

Das Ich wird also zum Zitat, es ist ein sprachliches Subjekt, dem eine Vielfalt entspricht, deren Grundvoraussetzung aber eine Leerstelle ist. Mit ihm kann nur noch gespielt werden, man kann sogar eine Rolle übernehmen, wenn der König das ‚befiehlt‘, allerdings unter der Bedingung, dass keine Spiegel herumhängen und alles, was widerspiegelt, abgeschafft wird. Den Spiegel, der in der abendländischen philosophischen und literarischen Tradition als Metapher der Selbstkenntnis galt und auch in Danton’s Tod keine unwichtige Rolle spielt, greift hier Valerio (und durch ihn sein Autor) ironisch auf: Vor einen Spiegel gestellt würde das Ich nicht nur zu keiner Identität gelangen, sondern es würde auch in seinem fiktionalen komischen Spiel mit sich selbst gestört werden: Das widerspiegelte Bild würde einer Festlegung des Ichs ähneln, das nicht festgelegt werden kann.

Valerio spielt mit den Worten und den Begriffen, er spielt mit den Widersprüchen, die Leonce plagen, und als gespielter Narr kann er sich sogar den Luxus nehmen, sie ins Extreme zu überspitzen, wobei er sie allerdings von ihrer dramatischen Belastung befreit. Punktuell gelingt es ihm, Leonce von seiner Melancholie zu retten, zumindest ihn von ihr kurzweilig abzulenken. Ein Beispiel:

L e o n c e. Halt’s Maul mit deinem Lied. Man könnte darüber ein Narr werden.
V a l e r i o. So wäre man doch etwas. Ein Narr! Ein Narr! Wer will mir seine Narrheit gegen meine Vernunft verhandeln? Ha, ich bin Alexander der Große! Wie mir die Sonne eine goldne Krone in die Haare scheint, wie meine Uniform blitzt! Herr Generalissimus Heupferd, lassen Sie die Truppen anrücken! Herr Finanzminister Kreuzspinne, ich brauche Geld! Liebe Hofdame Libelle, was macht meine theure Gemahlin Bohnenstange? Ach bester Herr Leibmedicus Cantharide, ich bin um einen Erbprinzen verlegen. Und zu diesen köstlichen Phantasien bekommt man gute Suppe, gutes Fleisch, gutes Brod, ein gutes Bett und das Haar umsonst geschoren – im Narrenhaus nämlich, – während ich mit meiner gesunden Vernunft mich höchstens noch zur Beförderung der Reife auf einen Kirschbaum verdingen könnte, um – nun? – um?
L e o n c e. Um die Kirschen durch die Löcher in deinen Hosen schamroth zu machen! Aber Edelster, dein Handwerk, deine Profession, dein Gewerbe, dein Stand, deine Kunst? (Leonce und Lena I/1)Leonce und Lena

Valerio entwirft hier ein ironisches utopisches Bild der Narrheit, und setzt zugleich durch das komische Verfahren der Karikatur eine Dekonstruktion in Gang, die dazu dient, den fiktionalen Charakter dieses fröhlichen Entwurfs zu entlarven. Der Wunsch nach Narrheit, wie er sich im Shakespeare-Zitat ausdrückt, wird hier als der Wunsch nach einer Allmacht des Subjekts vorgeführt, das von seinem Thron aus über die Welt herrscht: Es verfügt über ein Heer, Geld, Frauenliebe, gutes Fleisch und gutes Brot. Damit das Bild funktionieren kann, muss natürlich die Dimension der Krankheit aus der Rede ausgeblendet werden, was auch soviel heißt, dass Valerios Darstellung jener „vorübergehenden Anästhesie des Herzen“ bedarf, von der Henri Bergson auf treffende, wenn auch zugespitzte Weise in Bezug auf die Komik spricht[8]: Nur so kann der Witz des umsonst geschorenen Haares funktionieren, der durch den indirekten Hinweis auf die harte Realität der Verrückten in Irrenanstalten die wichtige Rolle spielt, an den Unernst von Valerios Rede zu erinnern.

Durch die Freiheit des witzigen Verfahrens wird der Hang des schwermütigen Melancholikers zum Wahn karikiert, überspitzt und letztendlich ad absurdum geführt: Die Pointe liegt darin, dass der Melancholiker, hätte er nur den Mut zu solcher Konsequenz, nämlich zur eigenen Loslösung von der Realität, in diesem utopischen Narrenhaus die (hier natürlich komisch karikierte) Wirklichkeit selbst wieder fände, die ihn so unzufrieden macht. Im Wahnsinn wiederholen sich nämlich dieselben Strukturen wie im Staat. Durch die Bilder von Valerio wird in der Tat nicht die Vernunft verhöhnt, sondern der Unsinn satirisch aufgedeckt, der nicht nur in Leonces Melancholie, sondern auch in der historischen Wirklichkeit des Staates steckt. Durch die hyperbolischen Bilder Valerios setzt Büchner nicht nur die mit den Freiheitskämpfen beginnende sehr diffuse Mythologisierung historischer Figuren der Lächerlichkeit aus, er richtet seine Ironie auch gegen die Sprache des Hofes, sowohl gegen die des Befehls als auch gegen die der höfischen Etikette und der Koketterie. Sein Witz über die Verlegenheit um einen Erbprinzen ist vermutlich sogar ein Witz über das kinderlose Darmstädter Prinzenpaar, wodurch die Verknüpfung mit der Gegenwart gegeben ist.[9]

Diese ständige Überschneidung der dramatischen und der extradramatischen Ebene im Witz führt dazu, dass die melancholische und leicht selbstgefällige Reflexion über das Ich als eine Bewusstseinsform entlarvt wird, der dieselben Strukturen wie der Gesellschaft und der Kultur zugrunde liegen. Dadurch wird Leonce durchaus als ein Kind seiner Zeit entlarvt, davon abgesehen, dass er auch ein Prinz ist.[10] Diese Erkenntnis kann konsequenterweise nur derjenige bringen, der sich auf Distanz zu dieser Gesellschaft, zu ihren Denk- und Arbeitsstrukturen, zu ihren Sinnangeboten hält und von ihr eigentlich nichts erwartet. Oder zumindest: er erwartet sicher nicht, in ihr seinen persönlichen Daseinsgrund bzw. seine Identität zu finden. Dieser Jenige ist eben Valerio: Er verkörpert diese Distanz und er bringt sie auch zum Ausdruck, nicht durch lange und ausführliche Auseinandersetzungen mit einem Thema noch mit Argumenten, er kommt sofort zum Punkt, zum Resultat. Dafür bedient sich Büchner der Unmittelbarkeit der Komik.

Valerio kann sich das Spiel mit der Frage und um die Frage der Identität, unter der Leonce ständig zu leiden droht, erlauben und sogar genießen, auch weil sich für ihn anders als für Leonce das Problem nicht stellt, welche Rolle er im Leben einnehmen soll. Er strebt ausschließlich die Befriedigung seiner elementaren Bedürfnisse an, und er versucht, aus jeder Situation einen Gewinn für sich zu ziehen. Allerdings darf sein Materialismus nicht zu ernst genommen werden, da dieser Materialismus ästhetisch begründet ist und dem komischen Wechselgesang Valerios auf Leonces melancholischen Tagträumereien und Lyrismen dient. Valerio ist nicht die materialistische Instanz des Lustspiels, sondern er ist seine komische Instanz, die Leonce erlaubt, sich "auf den Kopf" zu sehen, "ein Anderer zu sein", wenn auch nur "'ne Minute lang" (vgl. Leonce und Lena I/1). Durch ihn wird das Lustspiel noch möglich; er stellt sozusagen die Intention Büchners zur Komödie dar, die einen hohen Preis zahlt, und zwar den Preis der Ohnmacht des Narrentums: Der Hofnarr darf alles sagen, weil seine Worte keine Geltung haben.

 

 IV.

Ich habe vorhin behauptet, dass Leonce ständig zwischen melancholischen und enthusiastischen Seelenzuständen schwankt. Diese Aussage ist wahr und falsch zugleich: Der Text baut nämlich nicht auf einer Intention zur realistischen und psychologischen Mimesis, sondern insistiert auf dem fiktionalen Charakter der Darstellung und der Figuren. Anders als z. B. Danton’s Tod zielt Leonce und Lena nicht auf psychologische Stringenz. Die verschiedenen Seelenzustände werden von den Figuren, zumindest von Leonce und Valerio, nicht 'wirklich' erlebt, sondern nur vorgespielt, d. h. sie werden mehr oder weniger 'zitiert'. Ihre Darstellung weist also keine realistische Plausibilität auf. Die Figuren sind hier sprachliche und ästhetische Gebilde, die sich unverhüllt als solche zu erkennen geben: Sie weisen kaum eine Psychologie auf, sie sind Marionetten, die eine metaphorische Funktion haben. Galt die Metapher des Theaters in Danton’s Tod noch als eine reflektierte und war sie überwiegend (wenn auch nicht ausschließlich) auf die Sichtweise der Hauptfigur zurückzuführen, so wird sie in Leonce und Lena zur eigentlichen szenischen Realität, so dass am Ende das ‚Wesen‘ selbst zur bloßen Maske wird. Hinter der Fiktion steckt nichts Anderes als eine weitere Fiktion.

Dieses theatralische Konstrukt enthält natürlich auch ein sehr hartes Urteil über die Realität, die nicht mehr von der Selbstinszenierung zu unterscheiden ist, zu der sie die einzelnen Individuen zwingt. Andererseits bedient sich Büchner der Fiktion auf eine der Fiktion der Realität entgegengesetzte Weise. Leonce und Lenas Figuren müssen sich wie Marionetten bewegen, sie müssen entkörperlicht und entpsychologisiert sein und sie dürfen keine eigene Sprache besitzen – daher auch die ungeheuere Zitatensammlung, aus der der Text besteht –, weil durch Sprache keine neue, im Sinne von 'andere' Wirklichkeit erschaffen wird. Hierin sehe ich den sehr eigentümlichen realistischen Zug des Stücks und der Witz – als komischer Witz – wirkt wie eine Depotenzierung des romantischen, Schlegelschen Witzbegriffs.

Der Zwang zum Marionettenhaften ist ästhetischer, nicht moralischer Natur. Er charakterisiert auch das "glückliche" Happy End, das manchmal unter dem Zeichen des Humors interpretiert worden ist. Dieses Ende ist jedoch voller Ironie, die nicht zuletzt als Ironie des Autors gegenüber der Gattung des Lustspiels zu interpretieren ist. Erst um den Preis seiner Entleerung kann das Lustspiel noch verwirklicht werden. Meiner Ansicht nach geht es nicht um den versöhnenden Blick auf die Wirklichkeit, der den Humor kennzeichnet, vielmehr geht es um den Versuch, ständig Distanz zu halten, was das Spiel der Fiktion mit dem Ich, mit der Wirklichkeit und mit den sie ausdrückenden Worten zu einer ad infinitum wiederholbaren Angelegenheit macht.

Dieses Spiel wird in Leonce und Lena durch Komik möglich, die auf Distanz baut und Distanz produziert und dieses komische Spiel wird schon in der Vorrede (bzw. der Devise), angekündigt: Alfieri: „e la fama?“ Gozzi: „e la fame?“. Man kann streiten, ob diese Vorrede als Hinweis auf den Inhalt oder als selbstironischer Bezug des Autors auf seinen persönlichen finanziellen Druck oder auch als freche und selbstbewusste Behauptung der Komödie gegenüber der Tragödie zu lesen ist. Festzustellen ist, dass diese Vorrede direkt in das komische Verfahren des Dramas hinein leitet. Durch die Überlappung zweier bis auf der letzten Vokale identischen Wörter wird ein komischer Effekt erzeugt, der durch die unmittelbare Kontrastierung der beiden Begriffe den einen am anderen relativiert. Ihr Kontrast ist nicht als reeller Sachverhalt, sondern als das Resultat der Darstellungsform zu interpretieren.

Die Vorrede ist nur ein Beispiel dafür, wie sich diese Literatur unverschleiert als Spiel, als Fiktion zu erkennen gibt. Anders als bei Schiller, der in seinen Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen (1795) schrieb: "Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist nur da ganz Mensch, wo er spielt", ist das Spiel in Leonce und Lena nicht der höchste und strebenswerte Ausdruck der freien Entfaltung des Menschen, sondern es tritt an die Stelle der idealistischen Auffassung des Menschen und inszeniert ein Ich, das außerhalb des Spiels nicht zu bestehen scheint. Es handelt sich hier um ein komisches Spiel, das als solches zu einer ständigen Negation und zu einer Entlarvung der daraus folgenden Leerstelle führt. Die Komik macht Tabula Rasa mit sämtlichen kulturellen, philosophischen, literarischen und gesellschaftlichen Sinnangeboten. Zugleich jedoch bietet sie eine Perspektive der Distanz, die eine Art Widerstand gegen diese Leere und den Fatalismus darstellt.

Die Besonderheit dieses Lustspiels liegt nämlich darin, dass es gegen die Gattung selbst funktioniert. Es ist schon bemerkt worden, dass diese Komödie ihren eigentlichen Anfang nie richtig zu finden scheint[11], was eigentlich durchaus konsequent ist. Auch wenn Leonce, wie bereits erwähnt, immer wieder "Ich" behauptet, kann er kein wahres Anliegen entwickeln und die Vorstellung des italienischen Lazzaronis klingt ziemlich komisch aus dem Mund eines Prinzen, der eigentlich nichts Anderes tut, als den ganzen Tag zu faulenzen und die Zeit totzuschlagen. Der Antrieb zur Komödienhandlung ist schwach und muss schwach sein, weil das Ich – wie oben dargestellt – durch die Sprache zwar evoziert wird, jedoch keine Substanz hat. Es ist nur ein Echo jenes empirischen und sittlichen Subjekts, dessen Anliegen (sei es ein psychologisch-moralisches oder ein rein materielles) – wenigstens bis zu Büchner – die Grundidee der literarischen Gattung Komödie darstellte.

Für die Eröffnung eines komischen Dramas reicht ein ganz persönliches Motiv, mit dem ein Individuum seiner Umwelt entgegentritt […]. Theoretisch gesprochen: In der Komödie ist der entscheidende Geltungsgrund eines Anliegens, sei es des empirisch-bedürftigen, sei es des moralischen Subjekts, daß es das Anliegen des Subjekts ist; die Allgemeingültigkeit, die dem Anspruch zugebilligt wird, fällt mit dessen Subjektivität zusammen. / Mit dem Gegeneinander von subjektwidriger Wirklichkeit einerseits und Geltungsanspruch des Subjekts andererseits ist das Prinzip der dramatischen Konflikte beschrieben, die in der Komödie entfaltet werden. Gerade die Subjektwidrigkeit der geschichtlichen Gegebenheiten ist der Stoff, dem das komische Drama seine Heiterkeit abgewinnt, und zwar durch eine bewußt inszenierte Fiktion: Komödien arrangieren diese Wirklichkeit so, als ob sie ebensogut die Heimat des Subjekts sein könnte, in der seine individuellen Interessen oder seine moralischen Werte tatsächlich gelte.[12]

So beschreibt Bernhard Spies das elementare Muster und Verfahren der Komödie des traditionellen Typus, ein Muster, das in Büchners Zeiten noch galt, das aber mit Büchner auch einen Bruch erfährt. Er bedient sich nämlich des Musters, um es zugleich zu verfremden und in Frage zu stellen, indem er in Leonce eine Figur zeichnet, die kaum ein Anliegen hat.

Genau betrachtet besteht in Leonce und Lena eigentlich auch kein Widerspruch zwischen dem Subjekt und einer subjektwidrigen Wirklichkeit, oder besser ausgedrückt: der Widerspruch ist nur scheinbar, und im Textablauf erweist er sich genau betrachtet als nichtig: Am Ende entspricht der königliche Plan dem, was Leonce und Lena aus 'freiem Willen' wählen, und die anfängliche und eigentlich nie wirklich gefährdete Ordnung wird wieder hergestellt, wobei sie sich als genauso brüchig erweist, wie sie schon am Anfang war. Mit der desillusionistischen Pointe, dass das "Ich" am Ende genau das will, wozu es schon von vornherein determiniert war. Man könnte sagen: Das ist der Witz im Witz.

Büchner schreibt also ein Lustspiel, das wie eine Parodie der Gattung (und nicht nur der romantischen Komödie) wirkt. An die Vorstellung einer subjektgemäßen Wirklichkeit glaubt er offensichtlich nicht wirklich. Zumindest glaubt er nicht, dass diese eine Wirklichkeit je subjektgemäß sein kann, weder für den Beherrschten noch für den Herrscher. Sowohl die einen als auch die andern sind Schauspieler und Handlungsträger derselben Affenkomödie. Als sinnlos wird auch jede Hoffnung dargestellt, in diesen Sachverhalt verändernd einzugreifen: Nimmt man "den tauben Nüssen die Schale" weg, bleibt in der Tat nichts mehr übrig. Andererseits erweist sich auch das Subjekt als eine leere Vorstellung und als reine Fiktion, so dass es nur durch die Rolle entsteht, die jeweils gespielt wird. Dadurch eröffnet sich natürlich ein Teufelskreis, aus dem kein glaubwürdiger Ausweg zu bestehen scheint, und parodistisch führt das Ende des Lustspiels zu seinem Anfang zurück.

Jedoch: Parodie heißt nicht Verzicht. Indem Büchner die Gattung – und mit ihr das Glücksversprechen – parodiert, zielt er vor allem auf die Dekonstruktion der mit ihr verbundenen Vorstellung eines im Einklang mit sich und der Außenwelt lebenden Subjekts; was er jedoch behält, ist der Perspektivwechsel, den die Komödie zu bieten hat, und mit dem die Idee verbunden ist, dass, wenn nicht die Realität, zumindest die Einstellung zu ihr verändert werden kann, wohl wissend dass Komödie eben nur ein Als-ob, also eine Fiktion ist. Büchners Lustspiel erweist sich hiermit nicht als Angebot eines positiven praktischen oder moralischen Sinns – und hier findet die Satire auch ihre Grenze, weil dem Stück kein dieser Wirklichkeit entgegengesetztes Ideal zu entnehmen ist, auch nicht ex negativo wie dies normalerweise in der Satire geschieht; sie stellt vielmehr ein Angebot einer distanzierten Betrachtung dar, man könnte sagen: einer ästhetische Betrachtung, die durch Komik und ihre distanzierte Haltung möglich gemacht wird. Diese ästhetische (und nie beschönigende) Betrachtung macht die Widersprüche erkennbar und ihre Erkenntnis ertragbar.

Das ist in der Tat der Wunsch und, man könnte auch sagen, das einzige eigentliche Anliegen Leonces: sich auf den Kopf zu sehen, ein Anderer zu sein. Leonce spielt ständig eine Rolle, aber er neigt dazu, sein Spiel zu vergessen und sich letztendlich mit der gespielten Rolle zu identifizieren:

O ich kenne mich, ich weiß was ich in einer Viertelstunde, was ich in acht Tagen, was ich in einem Jahre denken und träumen werde. Gott, was habe ich denn verbrochen, daß du mich, wie einen Schulbuben, meine Lection so oft hersagen läßt? –
Bravo Leonce! Bravo! (Er klatscht.) Es thut mir ganz wohl, wenn ich mir so rufe. He! Leonce! Leonce! (Leonce und Lena I/3) Leonce und Lena

In Momenten wie diesen riskiert das Stück ernst zu werden, wenn auch immer auf spielerische Art. Wie gesagt: Der Wunsch nach Distanz, nach Nicht-Identifikation mit der eigenen Rolle wird durch die Komödie mit der Einführung von Valerio schon am Anfang erfüllt und nach dieser Erfüllung kann sich das Lustspiel als eine Beweisführung des Gewinns einer distanzierten Einstellung entfalten, die über die Wahrheit des Sachverhalts nicht mehr hinwegzutäuschen braucht, sondern im Gegenteil diese Wahrheit aufdeckt, aber auf eine Weise, die Betroffenheit und Angst vertreibt und Erkenntnis fördert.

Ich glaube, das ist der eigentliche Grund von Büchners Komödienintention. Vielleicht geschieht in dieser Komödie genau das, was Valerio zu dem stolpernden und fallenden Leonce sagt: "Und Sie sind ein Beweis, der noch geführt werden muß, denn er fällt über seine eigenen Beine, die im Grund genommen selbst noch zu beweisen sind. Es sind höchst unwahrscheinliche Waden und sehr problematische Schenkel" (Leonce und Lena I/3) Leonce und Lena . Leonce spielt seine Rolle, Valerio destruiert sie und erinnert ihn daran, dass es sich eben um Rollen handelt. Gleichzeitig erinnert der Autor die RezipientInnen daran, dass sie eine Komödie sehen, in der sie selber eine Rolle spielen. Und vielleicht gehört es auch zu ihrer Rolle zu überprüfen, ob diese Beweisführung standhält. Genau daran arbeite ich zurzeit.


Anmerkungen

  • [1] Vgl. Jost, Hermand: Der Streit um "Leonce und Lena", in: Georg Büchner Jahrbuch 3/1983, SS. 98-117. Auch: Ders.: Unhaltbare Zustände. Büchners "Leonce und Lena", in: Diskussion Deutsch 17, 1986, S. 599-613. In seinem Überblick über die divergierenden Interpretationen des Lustspiels zielte Hermand auf keinen Fall auf eine Versöhnung, im Gegenteil trug er selbst durch seine scharfkritische Darlegung des damaligen Forschungsstands bewusst zu diesem Streit bei: Er attackierte die seiner Meinung nach konservative Haltung der meisten westdeutschen Interpreten und erklärte sich sowohl gegen die apolitische ontologische, existentialistische und fatalistisch gefärbte Büchner-Lektüre als auch gegen die ahistorische formalistische Richtung; er nahm hingegen für die politische, sozialkritische, materialistische und marxistisch orientierte Interpretation dezidiert Partei, die er jedoch mit einem neuen Gesichtspunkt problematisierte: Das Schuldbewusstsein und Schamgefühl den ausgebeuteten Schichten gegenüber vonseiten Büchners, d.h. eines bürgerlichen Intellektuellen, der seine Sympathie für die Bauern wegen seines klaren Bewusstseins der eigenen gesellschaftlichen (und kulturellen) Distanz zu ihnen auf eine nur gebrochene Weise habe ausdrücken können.
  • [2] Für einen Überblick vgl. Neuhuber, Christian: Georg Büchner. Das literarische Werk (= Klassiker-Lektüren, Bd. 11), Erich Schmidt Verlag, Berlin 2009, S. 122-124.
  • [3] Leonce: "[…] Gehn Sie jetzt nach Hause, aber vergessen Sie ihre Reden, Predigten und Verse nicht, denn morgen fangen wir in aller Ruhe und Gemüthlichkeit den Spaß noch einmal von vorn an. Auf Wiedersehn!" (Leonce und Lena III/3). Leonce und Lena
  • [4] Zwei Beispiele (in Danton’s Tod: Danton: "Und soll ich nicht zittern, wenn die Wände plaudern? Wenn mein Leib so zerschellt ist, daß meine Gedanken unstät, umirrend mit den Lippen der Steine reden?" (II/5); Robespierre: "Ich weiß nicht, was in mir das Andere belügt" (I/6). Danton’s Tod
  • [5] Dantons Worte am Anfang des Dramas bringen diesen Gedanken sehr deutlich zum Ausdruck: "[…] Einander kennen? Wir müßten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken einander aus den Hirnfasern zerren" (Danton’s Tod I/1). Danton’s Tod
  • [6] Ein Beispiel aus Lenz: "War er allein, oder las er, war’s noch ärger, all’ seine geistige Thätigkeit blieb manchmal in einem Gedanken hängen; dachte er an eine fremde Person, oder stellte er sie sich lebhaft vor, so war es ihm, als würde er sie selbst, er verwirrte sich ganz und dabei hatte er einen unendlichen Trieb, mit Allem um ihn im Geist willkürlich umzugehen […]" Lenz
  • [7] Man denke an Robespierres Worte: "Armes, tugendhaftes Volk! Du thust deine Pflicht, du opferst deine Feinde. Volk du bist groß. Du offenbarst dich unter Blitzstrahlen und Donnerschlägen. […]" (Danton’s Tod I/2). Danton’s Tod
  • [8] Bergson, Henri: Das Lachen. Ein Essay über die Bedeutung des Komischen, übers. v. R. Plancherei-Walter, Arche, Zürich 1972, S. 13 [Le Rire. Essai sur la signification du comique, Paris 1900].
  • [9] Vgl. Marburger Büchner Ausgabe, Bde. VI, S. 442.
  • [10] Der Büchnerforschung ist die Korrespondenz zwischen der Melancholie des Prinzen und den Strukturen der Gesellschaft natürlich nicht entgangen. Sie ist aber auf die Position des Prinzen bezogen worden und als Kritik Büchners an den Machthabern interpretiert worden. Hier wird etwas Anderes behauptet, und zwar etwas Radikaleres, wofür Büchner wahrscheinlich noch keine für sich glaubwürdige Lösung gefunden hatte.
  • [11] Vgl. Turk, Horst: Georg Büchner: Leonce und Lena, in: Barner, Wilfried (Hrsg.): "Ein Text ein Leser". Weltliteratur für Liebhaber, Wallstein-Verl., Göttingen 1994, S. 123-140.
  • [12] Spies, Bernhard: Die Komödie in der deutschsprachigen Literatur des Exils. Ein Beitrag zur Geschichte und Theorie des komischen Dramas im 20. Jahrhundert, Königshausen & Neumann, Würzburg 1997, S. 7-8.