20. August 1832. An Edouard Reuss in Straßburg
Darmstadt d. 20te August 1832.
Lieber Eduard!
Nicht wahr, ich sollte eigentlich mit einigen Dutzend Entschuldigungen anfangen? aber Himmel, ich habe dieß schon im beyliegenden Brief gethan, und wiederhole dergleichen nicht gern, ich krieche also unterthänigst zu Kreuz und bitte um Pardon für den nachlässigen Delinquenten. Ich denke Du nimmst diesen papiernen Oelzweig und Friedensfahne auch so ohne weitre Friedens-Präliminarien an und zankst nicht weiter mit mir, der ich Dich 3 volle Wochen warten ließ und lässest mich nicht eben so lange warten. Ich freue mich ordentlich, daß dießer Wisch Papier an einen Ort kommen soll, der mir meine zweite Vaterstadt geworden und dem ich, wenn ich einmal als ein gefürsteter Zweifüßler, longimanus und omnivore sterben sollte, die eine Herzkammer nebst meinem übrigen durchlauchtigsten Cadaver vermachen würde, während ich denn doch wohl die andere Herzkammer meinem Vaterhause ließe, aber auch nur meinem Vaterhause, denn ach! ich armseliger Kreuzträger, sitze erstens im lieben heiligen teutschen Reich, zweitens im Großherzogthum Hessen, drittens in der Residenz Darmstadt, zuletzt sitze ich nun noch freilich in der Mitte meiner Familie, aber ich bin leider noch nicht so patriarchalisch geworden, daß ich über dießen Abrahamsschooß die drei übrigen Klassifikationen vergessen sollte.
Die erste umfaßt die Secte der Nabelbeschauer, die sich von der alten wohlbekannt nur dadurch unterscheidet, daß sie beym Nabel nicht mehr an Gott, sondern bey Gott an den Nabel denkt, die zweite, als Unterabtheilung umfaßt ein Stück des Theils, wo der Nabel und Bauch-Gottesdienst als konstitutionell aufgeklärter Liberalismus getrieben wird, die dritte endlich umfaßt die ordinirten Geistlichen und trägt als Ordenskleid die Hoflivree und als Wappen den Hessischen Haus und Zivil-Verdienstorden e. c. t.
Du kannst Dir wohl denken, wie wohl ich mich dabey befinde, doch füge ich mich in die Umstände und bin dabey so ein anständiger, so ein rechtlicher, so ein zivilisirter junger Mann geworden, daß ich bey einem Minister den Thee einnehmen, bey seiner Frau auf dem Kanapee sitzen und mit seiner Tochter eine Françoise tanzen könnte; wir sind im neunzehnten Jahrhundert, bedenke was das heißen will!
Ach, lieber Eduard! schreibe mir nur bald, daß ich doch etwas aus Straßburg zu sehen bekomme, ich habe wohl Eltern und Geschwister hier, aber alle meine Freunde sind fort und ich bin fast ganz isolirt; ich war wohl die ersten Tage froh, aber ich kann einmal dieße Luft nicht vertragen, sie ist mir noch eben so zuwider, als zur Zeit da ich fortging. Ich lamentire Dir da etwas vor und Du möchtest wohl etwas Vernünftiges von mir hören, aber es ist unmöglich weder von, noch in Darmstadt dergleichen zu schreiben, ist auch noch nie geschehen. Nur das: Deine Aufträge sind besorgt, Zimmermann’s Sohn hat noch die Redaction der Kirchen-Zeitung, wird sie jedoch wie man sagt, mit Bretschneider theilen, und ein Geistlicher aus Mainz, dessen Name mir entfallen, wird Zimmermanns Platz hier ausfüllen. Dieß interessirt Dich vielleicht, mich verzweifelt wenig. Lebe wohl, schreibe bald, herzliche Grüße an die Tante, Pauline und Mad. Bauer
vo[n De]inem G. Büchner.