WZ 750
Karl Gutzkow: Brief an Wilhelmine Jaeglé in Darmstadt; Hamburg 26. Juni 1838

Geehrtes Fräulein,

Ihr langes Stillschweigen hatte mir Veranlassung zu verschiedenen besorgten Vermuthungen gegeben. Besonders [prägte] {redete} sich mir der Gedanke ein, daß meine in der A. Z. im vorigen Jahre gemachte Aufforderung wegen des Büchner’schen Nachlasses, die leider ohne allen Erfolg gewesen ist, vielleicht bei Verwandten u Freunden des Verstorbenen die Besorgniß rege gemacht haben dürfte, als würde grade durch meinen Namen dem Andenken des Verstorbenen ein zu entschiedenes u beinahe parteiisches Gepräge aufgedrückt werden. Die Vorstellung ferner, daß Büchners Eltern meinem Unternehmen nicht günstig sein möchten, die durch das Stillschweigen von Darmstadt aus nur noch genährt wurde, lähmte mich, ich gesteh’ es, in dem Eifer, für die verabredete Sache zu wirken. Ganz verlassen von jeder weitern Anregung durch Sie selbst, that ich, was ich selbst nach den mir zu Gebote stehenden Hülfsmitteln für den Freund thun zu können glaubte. Ich nahm meinen Ihnen bekannten Nachruf an Büchner in die soeben erschienene Sammlung einzelner Aufsätze: Götter, Helden, Don-Quixote {auf}, vervollständigte hier Einiges, was mir die Censur in Frankfurt verstümmelt hatte, und ließ in den Mainummern des Telegraphen diejenigen Stellen aus Leonce u Lena abdrucken, die mir für ein Zeugniß von Büchners poetischen Gaben erheblich schienen. Ich konnte das ganze Lustspiel nicht mittheilen, weil Büchner es in der That ein wenig zu schnell hingeworfen hat u als Ganzes es selbst seine Freunde nicht würde befriedigt haben. So denk’ ich auch noch mit den Bruchstücken des Lenz auf den Seligen zurück{zu}kommen u in dieser Weise seinem Gedächtniße zu opfern, wessen ich eben habhaft werden könnte. Die gehofften Notizen u Materialien blieben aus: was konnte ich thun u vorbereiten?

Ohnedieß ist es mir etwas schwer geworden, wenigstens in Frankfurt einen Verleger für ein größres Unternehmen zu finden. Ich wollte Sauerländer veranlassen, den Danton für das Projekt beizusteuern; doch setzte er sich aufs hohe Pferd u wollte viel Geld dabey verdienen. Ich meine nun, ob noch etwas geschehen kann, hängt lediglich von Herrn Zimmermann ab. Ich weiß nicht, ob seine Biographie umfangreich ist; ob sie nicht vielleicht sich in den Spalten meines Journals unterbringen ließe? Die Bruchstücke [+++] vom Lenzu das wirklich nur flüchtig gearbeitete Lustspiel (es thut mir weh, so sagen zu müssen u ich bitte, mein Urtheil nicht lieblos zu schelten) sollten wir nicht als Veranlassung einer besondern Herausgabe benutzen, die Materialien, um welche ich öffentlich bat, sind ausgeblieben; nun mag Herr Zimmermann entscheiden, dem ich Sie bitte meine Ansichten mitzutheilen u dabei zu bemerken, daß mir eine Einsicht in seine Arbeit ungemein erwünscht wäre.

Sollten Sie wieder nach Fft kommen, so unterlassen Sie nicht, einen erneuten Versuch bei meiner Schwiegermutter zu machen. Sie werden eine einfache, aber gefühlvolle Frau kennen lernen, die wenn auch nicht durch Bildung und Routine, doch durch Ahnung und jenen schönen Sinn der Frauen, den man den sechsten genannt hat, oft das Richtige findet.

Rechnen Sie in Allem, was Sie betreffen u anregen könnte, auf das geheime Band, durch welches ich mich an Sie gebunden fühle, nicht bloß auf diese allgemeine Hochachtungsversicherung, mit welcher man die Briefe schließt.

In der Hoffnung, bald wieder einen von Ihnen zu besitzen, zeichn’ ich

Ihren

Hamburg d. 26 Juni 1838                                  ergebensten

Gutzkow

Beifolgende Briefe bitte gütigst zurück geben zu wollen.

Adresse:
Fräulein M. Jaeglé, beim Herrn Medizinalrath Dr Büchner / in / Darmstadt // frey

Überlieferung
H: GSA Weimar, Nachlaß Büchner; d1: Andler, S. 192 f.

Eingestellt Juni 2017