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Felix Frei: „Ich kann mir viel gefallen lassen“; Rezension zu „Danton's Tod“, in: „Abend-Zeitung – Literarisches Notizenblatt“; Dresden und Leipzig 28. Oktober 1835

Ich kann mir viel gefallen lassen: man wird es jetzt gewohnt, anscheinend recht gescheite Leute gerade das Gegentheil von dem urtheilen und sagen zu hören, was man selbst für wahr hält; aber wenn die gesunde Vernunft gar zu sehr mit Füßen getreten wird, wenn man Schmuz für Schönheit, Gemeinheit für Erhabenheit, Zügellosigkeit für Genie ausgibt, wenn man geradezu der deutschen Literatur Glück zu einem Werke wünscht, vor dem jedermann, dem Anstand und Würde, ja Tugend und Religiosität noch etwas gilt, jedes jugendliche Gemüth warnen möchte, so wird es mir doch zu toll in dieser literarischen Sprachverwirrung, und ich halte es für die Pflicht jedes, der es mit der deutschen Literatur ehrlich meint, seine Stimme dagegen zu erheben und wenigstens so viel zu zeigen, daß es noch Einzelne gibt, die sich von Posaunenstößen nicht übertäuben lassen, und noch Ohr genug übrig behalten, um einen Gassenhauer von einer Schiller’schen Ode unterscheiden zu können.

Bin ich auch himmelweit davon entfernt, im Gutzkow’schen Literaturblatte zum Phönix den Ausdruck der Ansichten zu finden, wie sie ein geregelter Geschmack aufstellen würde, so kann ich doch nicht leugnen, daß die Unbesorgtheit und Frische mancher Urtheile darin mich angezogen hat, daß ich oft selbst bei entgegengesetzter Meinung doch den geistreichen Gründen habe Gerechtigkeit widerfahren lassen müssen, die Gutzkow für eine andere anführte, und daher jene Blätter mit Interesse und nicht selten mit wahrem Vergnügen las. Um so neugieriger ward ich auf ein Werk, das Gutzkow im Lit. Blatte Nr. 27. gleich als ein Werk des Genies mit folgenden Worten einführt: „Die Kritik, die sonst so schnelle und wortreiche Base, blickt hier scheu und wählt ängstlich in ihren Ausdrücken, um das Würdige mit Würde zu empfangen;“ von dem er weiterhin sagt: „Wir werden hingerissen von seinem Inhalte und erstaunen über die Wirkung, welche eine Aufführung dieser Art auf dem Theater machen müßte, eine Aufführung, die ungewöhnlich ist, weil man Haydn’s Schöpfung nicht auf der Drehorgel leiern kann;“ und: „Wer so sehr an der Fähigkeit der Deutschen, sich mit Geist, Grazie, kurz mit Styl auszudrücken, verzweifeln muß, wie der Herausgeber einer kritischen Revue der täglich aufwuchernden literarischen Erscheinungen, muß bei der Beurtheilung eines solchen Buches eine Freude empfinden, die viel zu nüancirt und zusammengesetzt ist, als daß ich sie hier ganz wiedergeben könnte. In Bildern und Antithesen blitzt hier Alles von Witz, Geist und Eleganz. Es ist Alles ganz, fertig, abgerundet. Als ein literarisches Genie muß man G. Büchner mit seiner Ideenfülle, seiner erhabenen Auffassung, mit seinem Witz und Humor begrüßen.“ Wogegen er „Immermann’s monotone Jambenklassicität und Grabbe’s wahnwitzige Mischungen“ tief herabsetzt, und endlich damit schließt: „ich bin stolz darauf, der Erste gewesen zu seyn, der im literarischen Verkehre und Gespräche den Namen G. Büchner’s genannt hat.“

Was mußte ich nicht Treffliches nach solchen Aeußerungen erwarten, gegen die alle Lobhudeleien, die man uns ältern Journalistikern vorgeworfen hat, doch wahrhaftig nur Schlüsselbüchsen gegen eine Batterie Vierundzwanzigpfünder sind. So nahm ich denn nun zwar mit den gespanntesten Erwartungen aber gewiß auch mit der redlichsten Unparteilichkeit, das fragliche Werk:

Danton’s Tod. Dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft von G. Büchner. Frankfurt, Sauerländer. 1835. 8. 152 S.

zur Hand und begann zu lesen in der süßen Hoffnung, eine Feststunde mit diesem Genie zu feiern.

Was ich aber gefunden habe! Wie mache ich es meinen Lesern klar, ohne die Scham und Achtung gegen sie aus den Augen zu setzen, die mir nun einmal noch von einer Zeit her anhängt, wo man es für unsittlich hielt, mit öffentlichen Dirnen am Arme in gebildete Gesellschaft zu treten, und wir uns wuschen, wenn wir Unreines angegriffen hatten. Die Abendzeitung hat die Freude, eben so wohl von Mädchen und Frauen als von Jünglingen und Männern gelesen zu werden, und selbst das freierzogenste Mädchen und die erfahrenste Frau, so wie der noch unverdorbene Jüngling würden die Augen wegwenden von dem, was in diesem Werke des „Genies“, in diesem Blitzstrahle „der Eleganz“ fast auf jeder Seite ihnen vorgeführt wird. Ich könnte daher meine Kritik, die ich nothwendig mit Stellen belegen müßte, nur für Männer schreiben, die kaltes Blut genug hätten, um hier als bloße Beurtheiler aufzutreten, ob sie es gleich allerdings wieder verlieren müßten, wenn sie Sitte und Würde der Literatur so verletzt sähen. Aber was würde dann aus diesem Bogen der literarischen Notizenblätter werden, selbst wenn ich jene erstern warnte, was da folgte, nicht zu lesen, und sie es wirklich thäten, folglich aller Schaden verhütet wäre? Eine Musterkarte von Anstößigkeiten; ein Blatt, das aus einem jener Bücher herausgerissen schien, welche jede gute Staatspolizei nie öffentlich auslegen läßt und den geheimen Betrieb möglichst verhindert; ein Brandmal für deutsche Literatur, das ihr treuer Verehrer wenigstens nicht selbst ihr aufprägen will. Unbewiesen kann ich aber doch meine schwere Beschuldigung nicht lassen, und so genüge es denn für die ernsten Richter, welche allein ein Recht haben, das Urtheil hier auszusprechen, ob ich mit Recht gerügt oder Gutzkow mit Recht gepriesen habe, nur die Seitenzahlen zu nennen, wo diese Auswüchse der Unsittlichkeit, diese Pestbeulen der Frechheit, die jetzt nur zu sehr in unserer schönen Literatur für Genialität angesehen wird, sich vorfinden. Das Werk fängt aber gleich in der ersten Rede Danton’s damit an und spielt in dem Vorhalten von Coeur oder Carreau gleich in jene schmuzige Farbe hinüber. Seite 7 u. 8 drückt man sich noch deutlicher aus. Vollkräftig ist aber die Scene S. 13 f., besonders S. 16. S. 32 stimmt das Gespräch zwischen Marion und Danton schon den Ton an, in welchen alsdann S. 36 f. die leichten Mädchen Adelaide und Rosalie vortrefflich einstimmen. Der Spaziergang S. 60 gibt wieder sehr Schönes, besonders ein Liedchen, zu hören, das aus einem weiblichen Munde der Inbegriff aller Indecenz ist. S. 108 – doch auch hier genug.

Man wird mir aber vorwerfen, daß ich auf diese Art nur die eine Seite dieses Werkes beleuchtet habe, und es vielleicht immer noch, von anderen aus betrachtet, ein Meisterstück seyn könne. Ich leugne dieß nun zwar geradezu, denn nur das Sittliche kann auch schön seyn, das Unsittliche bleibt stets unschön, weil es der höheren Menschennatur uns entfremdet, uns zum Thiere herabwürdigt. Aber abgesehen davon, was soll denn das Ganze seyn? Der Verfasser nennt es selbst eine Reihe dramatischer Bilder. Eine Reihe von solchen ist es auch höchstens, aber am allerwenigsten ein dramatisches Ganze, folglich ist es lächerlich, von einer „Aufführung“ zu sprechen und der Unmöglichkeit derselben das Bild von Haydn’s Schöpfung auf der Drehorgel gegenüber zu stellen. Als ob unsere Bühne zur Drehorgel zusammenschrumpfte der Aufgabe einer solchen Darstellung gegenüber! Nein, im Gegentheile! Unanständigkeiten solcher Art gehören höchstens auf eine Drehorgel bei den schmuzigen Orgien irgend einer Winkelkneipe, und wir wollen unserer Bühne Glück dazu wünschen, daß sie noch nicht so weit herabgesunken ist, solche ... Scenen darzustellen, wie sie hier mit Lust und Liebe geschildert sind.

Daß die Charaktere der Deputirten, Mitglieder des Wohlfahrtsausschusses u. s. w. dem gemäß gehalten und geschildert sind, wie wir sie aus den offiziellen Bekanntmachungen, den Memoiren und anderen Schriften aus und über jene Zeit des Schreckensystemes kennen, will ich nicht bestreiten, halte dieß aber für durchaus nicht so Verdienstliches und Geniales als der Phönix-Kritiker daraus machen will. Es liegen Daten dazu genug vor, und da Reden damals zur Hauptsache gehörten, so gehörte gar kein langes Suchen dazu, um aus den vorhandenen Materialien das Frappanteste herauszuholen und in’s Deutsche zu übertragen, wobei noch dazu die Eleganz, Rundung und Eigenthümlichkeit der französischen Sprache nicht selten völlig aus den Augen gesetzt worden. An eine echt dramatische Zusammenstellung der einzelnen Scenen, einen Fortgang der Handlung, wie ihn auch nur die oberflächlichsten Regeln des Dramas vorschreiben, und wohl sogar die Nothwendigkeit bedingt, ist hier gar nicht zu denken. Alles ist bunt untereinander gewürfelt und nur die Zeit schreitet in der Scenenfolge vor, nicht diese aber selbst in der Zeit.

Kommen wir auf „Kraft, Witz, Eleganz“ der Sprache, welche jener Kritiker so hoch erhebt. Kraftausdrücke finden sich allerdings genug in diesen Scenen, aber es ist rohe Kraft oder verwilderte. Jene echt männliche, gediegene, ruhige, klare, einfache, wo ist sie hier zu finden, und wir möchten fast fragen, wie kann sie es auch seyn? da alle diese Menschen auf eine oder die andere Art überschraubt, aufgeregt, unklar, verzerrt sind. Redensarten der sonderbarsten Gestaltung ketten sich an einander und bilden Reden und Sätze, die nur zur Hälfte oder auch mitunter ganz und gar nicht wahr sind. Dabei werden nicht selten die unpassendsten Zusammenstellungen gebraucht. Oder kann man etwa Verstand darin finden, S. 73 zu sagen: „Wird das Licht nie ausglühen und der Schall nie modern?“ ein modernder Schall! Eben da auch: „Ich kokettire mit dem Tode, es ist ganz angenehm, so aus der Ferne mit dem Lorgnon mit ihm zu liebäugeln.“ Und ist es Witz, wenn der erste Henker am Schlusse des Stückes singt:

Und wenn ich hame geh,
Scheint der Mond so scheeh.

oder wenn gleich im Anfange des[s]elben Danton seiner geliebten Julia, die ihn fragt, ob er an sie glaube, antwortet: „Was weiß ich! Wir wissen wenig von einander. Wir sind Dickhäuter, wir strecken die Hände nach einander aus; aber es ist vergebliche Mühe, wir reiben nur das grobe Leder an einander ab, — wir sind sehr einsam. Einander kennen? Wir müßten uns die Schädeldecken aufbrechen und die Gedanken aus den Hirnfasern zerren“ u. s. w.  Oder ist es Eleganz, wenn Danton S. 133 sich so äußert: „Es ist mir, als röch ich schon. Mein lieber Leib, ich will mir die Nase zuhalten und mir einbilden, du seyst ein Frauenzimmer, was vom Tanzen schwitzt, und Dir Artigkeiten sagen. Morgen bist du eine durchgerutschte Hose, du wirst in die Garderobe geworfen und die Motten werden dich fressen.“ Oder wenn La[croix] S. 119 sagt: „Nicht wahr, wenn der Tod einem so unverschämt nachkommt und so aus dem Hals stinkt“ u. s. w. Doch auch hier genug.

Von Einzelnheiten mag gar nichts erwähnt werden. So von Germanismen, wie S. 67, wo Camille von Schauspielen in fünffüßigen Jamben spricht, welche die Franzosen gar nicht kennen, oder von Gallicismen, wie S. 101: „Meine Herren, ich hoffe, Sie alle diesen Ort verlassen zu machen“, oder von Lästerungen des Heiligsten, wie S. 46: „Es gibt nur Epikuräer, und zwar grobe und feine; und Christus war der feinste.“

Das Schlimmste von alle dem aber ist dieses, daß trotz aller dieser Rohheiten und Verzerrungen und absichtlichen oder unabsichtlichen Nachlässigkeiten doch, wenn auch kein Genie, dennoch ein Talent aus dem Werke hervorblickt, das bloß einer bessern, sittlichen, auf Wahrheit und Einfachheit begründetern Richtung bedürfte, um gewiß Erfreuliches oder Erhebendes, Belehrendes oder Unterhaltendes hervorzubringen, während es jetzt, Stimmen horchend wie jenen Vergötterungen, es sich bequem machend, und vornehm alles verlachend, was auf dem Wege des Classischen sein Heil sucht, in sich selbst verkohlt und zerfällt. Und wir können noch der neuern französischen Literatur Vorwürfe der Ueberspannung, Zerrissenheit, Entartung machen, wenn wir selbst uns für stolz auf Aehnliches erklären?

Woher aber diese falsche Richtung und Ansicht komme, das ist eine tiefer liegende und höher hinaufgehende Erörterung, als daß ich sie bei dieser Gelegenheit auch nur flüchtig anrühren könnte. Vielleicht verstattet mir die Redaction einmal einen größern Raum dazu, jetzt weiß ich ihr Dank genug, daß sie ganz gegen ihre friedliebenden Grundsätze mir einmal diese Philippica erlaubt hat, die ich auch ganz allein zu vertreten mich hierdurch erbiete.

Felix Frei.

Überlieferung

Druck: Felix Frei, Ich kann mir viel gefallen lassen, in: Literarisches Notizenblatt, hg. von Th.Hell, 86, 28. Oktober 1835, S. 313–315.