WZ 1035
Georg Herwegh: Zum Andenken an Georg Büchner

<183>

Zum Andenken
an
Georg Büchner
den Verfasser von Danton’s Tod.
Zürich, im Februar 1841.

 

                                 Die Guten sterben jung,
                            Und deren Herzen trocken, wie der Staub
                           Des Sommers, brennen bis zum letzten Stumpf.

<185>

I

 So hat ein Purpur wieder fallen müssen!
Hast eine Krone wiederum geraubt!
Du schonst die Schlangen zwischen Deinen Füßen
Und trittst den jungen Adlern auf das Haubt!
Du läßt die Sterne von dem Himmel sinken
Und Flittergold an Deinem Mantel blinken!
Sprich, Schicksal, sprich, was hast Du diesen Tempel
So früh in Schutt und Asche hingelegt?
So rein und frisch war dieser Münze Stempel –
Was hast Du heute schon sie umgeprägt?
O theurer, als im goldenen Pokale
Einst jene Perle der Kleopatra,
Lag eine Perle in dem Haubte da;
Der Mörder Tod schlich nächtlich sich in’s Haus,
Der rohe Knecht zerbrach die zarte Schale
Und goß den hellen Geist als Opfer aus. –

Mein Büchner tot! Ihr habt mein Herz begraben! <186>
Mein Büchner tot, als seine Hand schon offen,
Und als ein Volk schon harrete der Gaben,
Da wird der Fürst von jähem Schlag getroffen;
Der Jugend fehlt ein Führer in die Schlacht,
Um einen Frühling ist die Welt gebracht;
Die Glocke, die im Sturm so rein geklungen,
Ist, da sie Frieden läuten wollt', zersprungen.

Wer weint mit mir? Nein, – Ihr begreift es nicht,
Wie zehnfach stets das Herz des Dichters bricht,
Wie blutend, gleich der Sonne, nur sich reißt
Von dieser Erde – stets ein Dichtergeist,
Wie immer, wo er von dem Leib sich löste;
Sein eigner Schmerz beim Scheiden war der größte.
Ein Scepter kann man ruhig fallen sehn,
Wenn einmal nur mit ihm die Hand gespielt,
Von einem Weibe kann man lächelnd gehn,
Wenn man’s nur einmal in den Armen hielt;
Der Todesstunde Qual sind jene Schemen,
Die wir mit uns in unsre Grube nehmen,
Die Geister, die am Sterbebette stehn,
Und uns um Leben und Gestaltung flehn,
Die schon die junge Morgenröte wittern
Und ihrem Werden bang entgegen zittern, <187>
Des Dichters Qual die ungeborne Welt,
Der Keim, der mit der reifen Garbe fällt.

Ich will Euch an ein Dichterlager bringen.
Seht mit dem Tod ihn um die Zukunft ringen,
Seht seines Auges letzten Fieberstrahl,
Wie es so trunken in die Leere schaut
Und drein noch sterbend Paradiese baut!
Die Hand zuckt nach der Stirne noch einmal,
Das Herz pocht wilder an die schwachen Rippen,
Das Zauberwort schwebt auf den blassen Lippen –

Noch Ein Geheimniß möcht' er uns entdecken,
Den letzten, größten Traum in’s Dasein wecken. –
O Herr des Himmels, sei ihm jetzt nicht taub!
Noch eine Stunde gönn' ihm, o Geschick!
Verlösche uns nicht des Profeten Blick!
Umsonst – es bricht die müde Brust in Staub,
Und mit ihr wieder eine Freiheitsstütze,
Auf’s stille Herz fällt die gelähmte Hand,
Daß sie im Tod noch vor der Welt es schütze;
Und die so reich vor seinem Geiste stand,
Er darf die Zukunft nicht zur Blüte treiben, <188>
Und seine Träume müssen Träume bleiben;
Ein unvollendet Lied sinkt er in’s Grab,
Der Verse schönsten nimmt er mit hinab.

Du flammst nun wieder nach durchbrochner Schranke
In Gottes Haubt ein leuchtender Gedanke;
Am kalten Herde sitzen wir allein,
Und weinen in die Asche still hinein.
O, mein Jahrhundert, sammle sie geschwind, –
Er war ein Held, und mehr: Er war Dein Kind!
An Deiner Brust hast Du ihn aufgesäugt,
Dein Banner einzig hat er ja geschwenkt;
Vor Dir allein hat er sein Knie gebeugt,
Vor Dir, vor Dir allein sein Schwert gesenkt;
Für Dich und mit Dir hat er kühn gestritten,
Für Dich und mit Dir hat er treu gelitten;
Um Deinetwillen stieß sein Vaterland
Ihn aus, gleich wie der Mutterborn die Welle,
Daß sie am fremden, freudenlosen Strand
Mit allen Himmeln in der Brust zerschelle.
An fremdem, freudenlosem Strande, ja!
Denn wessen Herz stand hier dem seinen nah? <189>
Wo scheu der Mensch den Fuß vom Boden hebt,
Und Fels und Stein allein nach oben strebt?
Wo doppelt, doppelt schön der Aether blaut
Und doppelt tief der Mensch zu Erde schaut,
Wo stolze Adler ihre Heimat haben,
Und wo am Ruder sitzen doch die Raben.
Der Alpen Kind, wie ist Dein Ruf verhallt!
Einst groß, wie sie, und jetzt, wie sie, nur kalt!

–         –         –         –         –         –         –         –

–         –         –         –         –         –         –         –

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–         –         –         –         –         –         –         –

 

II.

Gleich Rosenhauch auf einer Jungfrau Wangen
Seh' ich den Abend im Gebirge prangen,
Im zarten Dufte glühen sie vor mir
Die Gletscher, denen treu die Sonne hier
Ihr erstes und ihr letztes Lächeln zeigt,
Und aus den Flammen wie ein Phönix steigt
Der Mond mit silberstrahlendem Gefieder,
In jede Woge taucht sein Bildniß nieder, <190>
Ob stumm sie ruht, ob leuchtend sie sich bricht,
Sie wird verklärt und er vergißt sie nicht;
So mag der Geist der Welt in unser Denken,
In jede Blüte, jede Brust sich senken.
Dem Mond streut still mit schmeichelnder Geberde
Goldwölkchen auf die Bahn des Abends Wehn
Gleich Blumen, doch nicht Blumen dieser Erde,
Die welken müssen, ehe sie vergehen;
Dort in den Nachen wirft mit kalter Hand
Sein letztes Gold, das herbstlich gelbe Land,
Und meine Seele sieht in süßer Ruh
Der Perlen Träufeln von den Rudern zu,
Wie sie von Ringen hin zu Ringen tönen,
Ein fliegendes Symbol der Ewigkeit,
Und endlich sich, von jeder Form befreit,
Gestaltlos mit dem Element versöhnen.
O Geist, der über diesen Wassern lebt,
Der hier aus diesen kühlen Gründen thaut,
Der aus der Tiefe Himmel wiederblaut,
Du Geist des Friedens, der mich jetzt umschwebt,
Der sich den Aether maßloß läßt entfalten,
Der Erde stillen Drang zum Lenz gestalten – <191>
So liebend beugt die Luft des Vogels Schwingen,
Der Harfe Ton, um d’rin sich auszuklingen –
Was hast Du uns um diesen Stern betrogen,
Und, eh' es tagen wollte, uns entzogen
Den Genius, der Dir so rein verwandt,
Sich in Dein All, wie Hauch in Hauch empfand,
D’rein wie in einer Blume Kelch sich senkte,
Und d’raus ein Herz, so gottesdurstig, tränkte?
Du hast ein Auge der Natur genommen,
Das ihr in ihre tiefste Seele sah,
Um einen Beter bist Du selbst gekommen –
Um einen Beter? ei, so staunet, ja!
Um keinen Beter, ruhig, sicher, still, –
Die Flamme bebt, wenn sie nach oben will!
Um keinen Beter – nein, um keinen Wurm –
Es tobt das Meer und lobt den Herrn im Sturm!
Der Blumen schönste brauchet einen Dorn,
Ein edles Herz zu Schutz und Trutz den Zorn;
Manch heiß Gebet hüllt sich in einen Fluch,
Wie unsre Hoffnung in das Leichentuch. <192>

 

III.

Was er geschaffen, ist ein Edelstein,
D’rin blitzen Strahlen für die Ewigkeit;
Doch hätt' er uns ein Leitstern sollen sein
In dieser halben, irrgeword’nen Zeit,
In dieser Zeit, so wetterschwül und bang,
Die noch im Ohr der Kindheit Glockenklang,
Und mit der Hand schon nach dem Schwerte zittert,
Zur Hälfte tot, zur Hälfte neugeboren,
Gleich einer Pflanze, die den Frühling wittert
Und ihre alten Blätter nicht verloren.
Er hätte – aber gönnt ihm seine Ruh!
Die Augen fielen einem Müden zu;
Doch hat er, funkelnd in Begeisterung,
Vom Himmelslichte trunken, sie geschlossen,
Der Dichtung Quelle hat sich voll und jung
Noch in den stillen Ocean ergossen.
Und eine Braut nahm ihn der andern ab;
Vor der verhaucht er friedlich sanft sein Leben,
Die Freiheit trug den Jünger in das Grab,
Und legt sich bis zum jüngsten Tag daneben.
Auch nicht allein ist er dahingegangen, <193>
Zwei Pfeiler unsrer Kirche stürzten ein;
Erst als den freisten Mann die Gruft empfangen,
Senkt man auch Büchner in den Totenschrein.
Büchner und Börne! – Deutsche Dioskuren,
Weh', daß der Lorbeer nicht auf deutschen Fluren
Für solch geweihte Häubter wachsen darf!
Der Wind im Norden weht noch rauh und scharf,
Der Lorbeer will im Treibhaus nur gedeihen,
Ein freier Mann holt sich ihn aus dem Freien!

–         –         –         –         –         –         –         –

 

O bleibe, Freund, bei deinem Danton liegen!
's ist besser, als mit unsern Adlern fliegen. –
Der Frühling kommt, da will ich Blumen brechen
Auf Deinem Grab und zu den Deutschen sprechen:
»Kein Held noch, noch kein Ziska oder Tell?
Und Eure Trommel noch das alte Fell?«

Überlieferung
D1: G.[eorg] Herwegh: Zum Andenken an Georg Büchner, den Verfasser von Danton's Tod, in: Europa. Chronik der gebildeten Welt. In Verbindung mit mehreren Gelehrten und Künstlern herausgegeben von August Lewald, 1841. II. Band, 3. Lieferung, Karlsruhe: Druck und Verlag des Artistischen Instituts 12. April 1841, S. 97-101.; D2: [Georg Herwegh]: Gedichte eines Lebendigen. Mit einer Dedikation an den Verstorbenen. [Erster Band], Zürich und Winterthur: Verlag des Literarischen Comptoirs [Mai] 1841, S. [183]-193; das Gedicht erschien u. a. wieder in: [Georg Herwegh:] Gedichte eines Lebendigen. Mit einer Dedikation an den Verstorbenen. Dritte Auflage, Zürich und Winterthur: Verlag des literarischen Comptoirs 1842, S. [185]-195; dass., siebente Auflage, ebd., Bd. 1, 1843, S. [153]-164; Lieder der Zeit, Stuttgart: Verlag von Adolph Krabbe 1841, S. 178-185.

Text hier nach D2; In D1 ist an die Überschrift folgende Fußnote angehängt:

"Der junge, kühnbegeisterte Dichter hält in diesem Augenblicke Vorlesungen in Zürich über die neueste Literatur seit Göthe's Tode, vor einer zahlreichen Zuhörerschaft, die sämmtliche Professoren der Hochschule mit ihren Frauen und Töchtern zu den ihren zählt. Einer der letzten Vorträge war Börne gewidmet, und da gerade Büchner's Todestag war, so knüpfte Herwegh einige Betrachtungen über dieß frühverstorbene Genie an, und las zum Schlusse das nachfolgende Gedicht."