LZ 3790
Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde: Bericht über den Vortrag Büchners; Oktober 1836

 

Den Untersuchungen dieses Anatomen zufolge, welche sich in’sbesondere auf die Barbe beziehen, gehen vom Gehirn und dem Rückenmark 58 Nervenpaare aus. Unter diesen entspringen 10 im Innern der Schädelhöhle und heißen Gehirnnerven. Diese nennt der Verf. den n. olfactorius, den n. opticus, den oculomotorius, den patheticus, den n. abducens, den trigeminus, den glosso-pharyngeus, den Gehörnerv, den n. vagus und den Hypoglossus.

Um die Beziehungen zwischen diesen Nerven und den Marksträngen anschaulicher zu machen, stellt Hr. Büchner zuvörderst einige Betrachtungen über die Structur des Gehirns an.

Das Rückenmark besteht aus 4 Strängen, zwei obern und zwei untern; diese bilden die obern und untern pyramidenförmigen Körper, welche sich zu der Hirnsubstanz erweitern. Die untern Pyramiden zerfallen in zwei Bündel, ein äußeres und ein inneres; die obern theilen sich ebenfalls in zwei Bündel, ein oberes und ein unteres; diese vier Bündel bilden, indem sie sich ausbreiten, die verschiedenen Gehirnorgane.

Nach diesen Betrachtungen beschreibt Hr. Büchner die 10 Gehirnnervenpaare, indem er es sich vorzüglich angelegen seyn läßt, ihren Ursprung genau nachzuweisen.

Der Sehnerv tritt unmittelbar aus der äußern Lamelle der Sehhügel; aus seinem Ursprunge erkennt man, daß er durchaus den obern Marksträngen angehört. Vor dem Sehläppchen (lobulus opticus) des Serres verbindet er sich mit dem der entgegengesetzten Seite. Die Kreuzung der Nervenfasern ist vollkommen.

Der Geruchsnerv scheint aus dem Bündel zu entspringen, welches sich von den obern Pyramiden in die Gehirnschenkel begiebt, gehört folglich auch zu den Strängen des Marks. Er verbindet sich ebenfalls mittelst einer Commissur mit demjenigen der entgegengesetzten Seite.

Der gemeinschaftliche Bewegungsnerv des Auges entspringt aus den untern Pyramiden und vertheilt sich, wie bei’m Menschen, an die Muskeln des Auges. Ueberdem erhält er einen Faden von dem r. ophthalmicus Willisii und giebt einen Zweig an den Augapfel ab.

Der nervus patheticus kommt aus den seitlichen Theilen des Marks in der Nähe des untern pyramidalen Bündels, welches in die Sehhügel eindringt.

Der n. abducens geht von den untern Pyramiden, und zwar hinter den warzenförmigen Erhöhungen, aus.

Der n. trigeminus hat, wie die Rückenmarksnerven, zwei Wurzeln, eine vordere und hintere, welche aus den untern und obern Pyramiden kommen. Die hintere Wurzel schwillt zu einem sehr starken, unregelmäßig gestalteten Knoten (ganglion) an; die vordere tritt, am innern Rande des Knotens sich hin erstreckend, den Aesten des Nerven entgegen. Dieser von dem Knoten ausgehenden Aeste sind fünf. Hr. Büchner nennt sie den ramus ophthalmicus, maxillaris, spheno-palatinus, opercularis und recurrens.

Der ophthalmicus Willisii schickt einen Faden nach der Iris. Die rami spheno-palatinus und maxillaris entsprechen den nerv. maxillarib. superiori und inferiori; der ramus opercularis repräsentirt den nervus facialis der höhern Thiere. Ist diese letztere Angabe richtig, so ist der n. facialis eigentlich ein Ast des trigeminus. Dieser Ast verbreitet sich in den Muskeln der Kiemendeckel, des Paukenhöhlenapparats (appareil tympanique) und in der membrana branchiostega. Der ramus recurrens ist sehr merkwürdig und scheint den Fischen der Gattung Cyprinus eigenthümlich. Er kommt aus dem hintern und untern Rande des Knotens, streicht rückwärts in das Innere der Schädelhöhle an die Seite des verlängerten Marks und spaltet sich in zwei Zweige, von denen der obere sich zum Ganglion des n. vagus begiebt, während der untere sich mit den Wurzeln des hypoglossus vereinigt. „Dieser Ast, sagt Hr. B., ist schwer zu bestimmen; er entspricht, glaube ich, dem bei andern Fischen von Cuvier, Weber und Desmoulins beobachteten langen seitlichen Aste des trigeminus.“

Der Hörnerv kommt aus den seitlichen Theilen des Marks hinter den hintern Wurzeln des trigeminus hervor. Man kann sein Wurzelbündel bis zum unpaarigen Höcker des vierten Ventrikels verfolgen, und er gehört folglich den obern Pyramiden an. Er theilt sich alsbald, ohne aus der Schädelhöhle getreten zu seyn, in zwei Bündel, ein oberes, welches sich nach den beiden vordern Ampullen des Vorhofs begiebt, und ein unteres, welches zwischen den Fasern des r. recurrens hindurch streicht und sich nach der hintern Ampulle begiebt.

Der glosso-pharyngeus entspringt vor dem n. vagus aus den obern Pyramiden, geht durch ein an der untern Seite des Hinterhauptbeins befindliches Loch und begiebt sich nach dem ersten Kiemenbogen und der Haut der Mundhöhle. Dieser Nerv tritt hier wie ein Ast des n. vagus auf.

Der n. vagus entspringt aus den sogenannten Lappen des n. vagus, empfängt außerdem ein Wurzelbündel vom obern Rande des vierten Ventrikels, und schwillt dann zu einem sehr großen Ganglion an, von welchem vorn die Kiemennerven, hinten aber die Nerven des Pharynx, der ram. intestinalis und lateralis ausgehen. Uebrigens sendet er 4–5 Nervenbündel aus, welche das drüsige Organ beleben, das bei den Fischen der Gattung Cyprinus das Gaumengewölbe auskleidet und gewöhnlich Karpfenzunge genannt wird. Jeder Kieme gehen drei Nerven zu, von denen jeder mit einer ganglionartigen Anschwellung versehen ist. Der ramus intestinalis giebt Fäden an den Pharynx ab, schickt einen schwachen Zweig dem Herzen zu, und verbindet sich dann, nachdem er drei bis vier Fäden an den Darmcanal abgegeben, auf der rechten Seite mit dem Eingeweidenerven. Der ramus lateralis läuft ein wenig über der seitlichen Linie längs des ganzen Rumpfes hin bis zur Schwanzflosse, wo er sich in zwei Fäden theilt, mit den Schwanznerven anastomosirt und an die Strahlen der Schwanzflosse Fäden abgiebt. In seinem Laufe verästelt sich dieser Nerv mit oberflächlichen, von den Rückenmarksnerven ausgehenden Zweigen und giebt Fäden ab, von denen einige nach der Haut streichen. Man weiß noch nicht, ob dieser Nerv ein Bewegungs- oder Gefühlsnerv ist, oder ob er zur Vermittelung der Hautrespiration dient.

Der nervus hypoglossus entspringt hinter dem 4ten Ventrikel aus dem verlängerten Marke mit 2 Wurzeln, einer obern, dünnen, und einer untern, starken. Er vereinigt sich mit dem untern Zweige des ramus recurrens, dringt durch das große ovale Loch in de seitlichen und untern Theil des Hinterhauptsbeins, anastomosirt mit dem ersten Rückenmarksnerven und theilt sich in zwei Zweige; der hintere begiebt sich nach den Muskeln der Brustflossen, der vordere nach dem musc. sterno-hyoideus.

Die Rückenmarksnerven entspringen sämmtlich mit zwei Wurzeln, einer obern und einer untern, streichen zwischen zwei Wirbeln durch, schicken nach oben zu Fäden nach den Muskeln des Rückgrats, und theilen sich in zwei Aeste, einen oberflächlichen und einen tiefen, welche sich längs der Seiten hinziehen und sich in die Muskeln des Rumpfs verästeln. Die obere Wurzel sämmtlicher Rückenmarksnerven ist mit einem beträchtlich großen Ganglion versehen.

Der große sympathische Nerv besteht nur aus einem sehr schwachen Faden, der sich nach dem größern Theile der Ausdehnung der Wirbelsäule längs dieser hinzieht. Dieser Faden bietet keine erheblichen Anschwellungen dar; indeß bemerkt man am vordern Theile desselben 8–10 Ganglien, unter denen in’sbesondere die ersten drei sehr deutlich sind. Das vordere vermischt sich mit dem ramus opercularis des n. trigeminus. Von diesen Ganglien gehen Fäden aus, welche mit dem n. hypoglossus, glosso-pharyngeus und vagus anastomosiren; andere Fäden laufen nach den Kiemen; der letzte Ast endlich bildet den Eingeweidenerven, welcher sich mit dem ramus intestinalis des nervus vagus vereinigt. Der aus dieser Verbindung entstehende Stamm begleitet die arteria coeliaca, giebt Fäden an die Leber, Milz und den Darmcanal ab, und endigt mit einem kleinen Ganglion, von welchem der plexus seminalis ausgeht.

Vergleicht man die Gehirnnerven der Fische mit denen der übrigen Wirbelthiere, so findet man 6 Paare, welche alle mit einander gemein haben, nämlich: die Geruchs-, die Sehnerven mit den Nerven, welche die Muskeln des Auges versorgen, die nn. trigemini, Hörnerven, der nervus vagus und hypoglossus. Die n. faciales, glosso-pharyngei und accessorii Willisii zeigen sich dagegen ursprünglich nur als Zweige des trigeminus und umherschweifenden (vagus) Nerven, und erscheinen in den verschiedenen Classen bald als Verästelungen dieser Nerven, bald als selbstständige Nerven. Hr. Büchner nennt die erste Gruppe primitive Nerven, die letztere abgeleitete Nerven. Die primitiven Nerven verhalten sich wie Rückenmarksnerven, indem jeder derselben, mit Ausnahme des Geruchs- und Gehörnerven, aus den obern und untern Marksträngen mit zwei Wurzeln entspringt, und überdem die obere Wurzel des hypoglossus, des trigeminus und des vagus zu einem Ganglion anschwillt. Was den n. opticus anbetrifft, so hat die Vereinigung der beiden Wurzeln nicht statt; die untere Wurzel bleibt einzeln und zertheilt sich sogar in drei isolirte Nerven: den nervus oculo-motorius, patheticus und abducens. Bei dem Gehör- und Geruchsnerven der Fische ist nur die obere Wurzel deutlich vorhanden; es verhält sich mit ihnen wie mit dem hypoglossus des Menschen, wo jedoch in der Regel nur die untere Wurzel sichtbar ist, während man bei den Fischen und mehrern Säugethieren auch die obere erkennt.

Die primitiven Nerven zerfallen ebenfalls in zwei Unterabtheilungen. Die erstere enthält den Seh- und Hörnerven oder die Nerven des Lichts und des Schalls; sie ist der reinste Ausdruck des thierischen Lebens; die andere, in welche der Geruchsnerv, der dreifache Nerv, der vagus und hypoglossus gehören, bildet den Uebergang vom Ernährungs- (vegetativen) zum animalischen Leben und verhält sich in Betreff der Organe des Ernährungslebens, der Lunge, des Nahrungsschlauchs, der Nase, der Mundhöhle und der Zunge, wie die Lumbarnerven zu den Fortpflanzungsorganen.

Den sechs Paaren der primitiven Nerven entsprechen bei den Fischen der Gattung Cyprinus sechs theils paarige, theils unpaarige Anschwellungen, welche die Gehirnmassen bilden. Bei’m Seehahn (Trigla) sieht man den Uebergang dieser Anschwellungen zum Rückenmark; bei diesem Fische entsprechen in der That sechs Paare solcher Anschwellungen den sechs ersten Rückenmarksnervenpaaren. „Aus diesem Umstande, sagt Hr. Büchner, ersieht man, daß die Gehirnmassen ursprünglich bloße Anschwellungen sind.“

Endlich entsprechen den sechs Paaren primitiver Nerven sechs Schädelwirbel. Bei den Cyprini erkennt man den Uebergang zu dieser Bildung sehr deutlich an den drei ersten Halswirbeln, die schon deutliche Spuren der Structur der Schädelwirbel zeigen. (L’Institut, No. 174.)

Überlieferung
Notizen aus dem Gebiete der Natur- und Heilkunde 50. Bd. (1836), Sp. 212-215.

Erläuterung
Der Text ist eine Übersetzung von Lereboullets Zusammenfassung von Büchners Vortrag vor der "Société du muséum d'histoire naturelle" im Protokoll der Sitzung vom 4. Mai 1836 (vgl. LZ 3770) in der Form, in der er in der Zeitschrift "L'Institut" (Nr. 174) gedruckt worden worden war (vgl. LZ 3780).