LZ 1815
Wilhelm Flegler: Über die Auseinandersetzung zwischen den Corpsstudenten (Februar – Mai 1834); 1899/1900
[...] waren Hessen und Rhenanen für Aufhebung des besprochenen Verbots. Dem widersetzten sich die Pfälzer [Palatia], die Starkenburger schlossen sich ihnen an. Das waren, wie sich aus den offiziellen Dokumenten und aus privaten, uns über die Angelegenheit gewordenen Mitteilungen ergibt, die Gründe des Bruchs. Über dessen Eintritt berichtet ein Protokoll des Konventbuchs unter dem 21. Februar 1834: „Durch Stimmeneinheit wurde von unserm Corps beschlossen, die Corps der Pfälzer und der Starkenburger nicht mehr als Corps anzuerkennen, und sie in den Verruf zu thun, weil sie allem Vorteil und Wohl der übrigen Corps gänzlich zuwider sind und sich widersetzten, das Seniorenkonventsbuch zu zeigen.“ Was es mit dem letztgenannten Umstand für eine Bewandtnis hat, ist nicht mehr festzustellen. Vielleicht hat es sich um einen Eintrag gehandelt, der nach Ansicht unserer Leute widerrechtlich gemacht war.
Die Rhenanen beschlossen das Gleiche wie die Hessen; beide Corps erklärten sich für den rechtmäßigen SC [Seniorenconvent]. Noch an demselben Abend kam es zu einem höchst ärgerlichen Zusammenstoße zwischen den Verfeindeten. Bonhard von uns und der rote Wolf von den Rhenanen waren auf dem Kaffeehause mit einem Pfälzer hintereinander geraten und hatten ihn genötigt, das Lokal zu verlassen. Deshalb und aus Zorn über den ausgesprochenen Verruf zogen gegen 7 Uhr die Pfälzer nebst einigen Starkenburgern mit Stock bewehrt ins Loosen, wo Hessen und Rhenanen kneipten, und nun entwickelte sich eine regelrechte Holzerei. Trotz ihrer Bewaffnung wurden aber die Angreifer aus dem Lokale hinausgeworfen und einige von ihnen, darunter Staudinger und Dittmar, schwer verwundet. Am anderen Tag gab es wieder große Untersuchung; das Ergebnis war die Relegation von Wolf und Bonhard als der Anstifter der Unruhe.
Von nun ab bestand eine bittere Feindschaft zwischen den beiden Parteien. Es wurde sogar im SC der Antrag gestellt, das Holzen von Pfälzern für commentmäßig zu erklären. Doch ging er wohl nicht durch. Aber die Rencontres waren noch nicht zu Ende. Einen nicht zu verachtenden Bundesgenossen bekamen die Pfälzer an den Gießener Bürgern, die zum großen Teil politische Gesinnungsgenossen von ihnen waren. Am dritten Pfingsttag [20. Mai] 1834 ging die Losung durch die Stadt, wenn heute Corpsstudenten auf die Badenburg kämen, sollten sie ihre gehörigen Prügel bekommen. Nichtsdestoweniger zogen diese, den Feinden zum Trotze, hinaus. Auf beiden Seiten wartete man nur auf den Anlaß; der Stimmung nach hätte es tote Menschen gegeben, wenn es los gegangen wäre. Aber das Gewitter ging diesmal noch vorüber. Drei Tage später dagegen, am 23. Mai, geriet man thätlich hinter einander. Abends erschien bei Loos ein katholischer Theologe mit blutendem Kopfe und erzählte, er sei hinterrücks überfallen und furchtbar mißhandelt worden. Sofort stürzte man auf die Straße und griff blindlings die an, die man für die Thäter hielt. Ein furchtbarer Auflauf entstand. Zuletzt kam der Universitätsamtmann mit Gendarmen und Schnurren herbeigeeilt. Dadurch wurden die Streitenden auseinander gebracht. An einem der folgenden Abende gedachten nun die Corpsstudenten Rache für den vorausgegangenen Angriff zu nehmen. In großer Anzahl, mit Stöcken und Schlägern versehen, zogen sie beim Dunkelwerden durch die Straßen. Sie warteten aber vergebens, daß die Feinde sich zeigten. „Es übte sich kein Philister.“ Dagegen erschien der Amtmann [tatsächlich Konrad Georgi] aufs neue. Er versprach „glanzvolle Satisfaktion gegen die liberalen Philister und in dubio Pfälzer.“ Sie bestand darin, daß die Polizei- und Universitätsgesetze neu verschärft wurden!
Überlieferung
Wilhelm Flegler: Die Gießener Corps unter dem System Linde und der Carcersturm, in: Academische Monatshefte, 15. Jg., WS (1898/99, Nr. 179, Heft 11. 28. Februar 1899, S. 444 ff.; d: Hauschild 1993, S. 248.