LZ 1600
Karl Richard Lepsius: Brief an Carl Peter Lepsius in Naumburg a. d. Saale; Straßburg 12. Juli 1833

Strassburg d. 12 Juli 33.

Lieber Vater!

Lepsius teilt Einzelheiten zu der für den 14. Juli vorgesehenen Weiterreise nach Paris mit.

[...] Unsre Reise in die Vogesen ging ganz erwünscht vonstatten; außer uns dreien ging noch ein Freund von Adolph, den ich schon bei meinem frühern Besuche in Str. hatte kennen lernen, mit uns und noch zwei Freunde von diesem wieder, von denen der eine so eben von Marienwerder kam, und Edmund dort oft gesehen hatte. So wanderten wir zu 6 ganz vergnügt in den schönen Bergen herum. Den ersten Tag fuhren wir in der Ebene bis Schlettstadt und gingen noch denselben Tag über eine kleinere aber sehr hübsche Ruine Kinstein auf die größte und schönste des ganzen   Wasgau’s  Hohe Kinsburg (Königsburg), wie ich auch anderswo noch keine gesehen hatte. Sie liegt sehr hoch und bietet eine herrliche Aussicht ins Elsaß; es sind von dem Hauptgebäude noch mehrere Stockwerke mit ihren Gewölben, Böden, Wendeltreppen erhalten, die man noch betreten kann, obgleich sie freilich schon sehr durchsichtig nach allen Seiten hin geworden sind. Mehrere Zellen und Kämmerchen sind noch vollständig erhalten, und ein großer Thurm ist noch zu besteigen. Alles ist aber wild verwachsen und mit dickem Epheu behangen. Von hier gingen wir noch bis Mariekirch oder St. Marie au mine, weil hier Silbergruben sind, und blieben hier über Nacht. Diese kleine Stadt ist in zwei Hälften, eine katholische und eine protestantische getheilt, von denen die katholische jenseit eines Baches, kein Deutsch, die protestantische kein französisch versteht. Dergleichen scharfe Trennungen kommen hier im Gebirge öfter vor. Den andern Tag gingen wir das Lievrethal vollends bis zu Ende, stiegen dann über den Bon homme und kamen so an den weißen und schwarzen See. Sie liegen beide ganz hoch auf dem Gebirge in Kesseln drin, habe beide eine ganz dunkle Farbe des Wassers, aber der erste hat auf der einen Seite einen schneeweißen feinen Sand zum Grunde, der diesen Theil milchig färbt. Von diesem weißen See sahen aus wir zum erstenmale die Schweizer Gebirge ganz hell und deutlich vor uns liegen; die glänzenden Schneefelder schnitten sich scharf ab, und die Jungfrau, das Schreckhorn, der Eikerl traten mächtig hervor. Am schwarzen See fanden wir an der Mitternachtsseite noch einen ganzen Schnee-Abhang, zu dem ich herunter kletterte und den Andern Schneebälle zuwarf. Dann stiegen wir in das schöne Münsterthal hinunter und blieben die Nacht in Münster. Den dritten Tag bestiegen wir den Bölchen, den höchsten Berg der Vogesen 4320 f.h., also an 700 f. höher als der Brocken, auch höher als der Schneeberg im Fichtelgebirge, dessen Höhe ich in einem frühern Briefe zu groß angegeben habe. Wir kamen erst über den Lauchen, wo wir zu Mittag in einer von den bedeutenden Melkereien blieben, die sich da oben im Gebirge finden, und wo man die schönste Milch von der Welt zu trinken bekommt, und wo die schönsten Schweizerkäse gemacht und dann verschickt werden. Dann traten wir in Begleitung eines Führers und eines Esels, der unsre Sachen trug und fast damit durchgegangen wäre, unsern Weg auf den Bölchen an, auf den wir vom Lauchen aus nicht mehr so hoch hatten, und wohin ein sehr bequemer, weicher Weg führte. Sobald unser Esel in der Ferne ein Vieh oder einen Menschen entdeckte begrüßte er ihn immer mit einem fürchterlichen Geschrei, was gewöhnlich die ganze Gesellschaft in Schrecken setzte. Der ganze Gipfel war mit dicker, gründer Haide bedeckt und mit allen möglichen Kräutern durchwachsen, weshalb die Heerden bis auf den höchsten Gipfel getrieben werden. Da wir den Sonnenuntergang auf dem Berge erwarten wollten und ein gewaltig kalter Wind da oben wehte, so holten wir uns Holz zusammen und machten ein Feuer an. Der Horizont war durchaus rein und hell, und wir hatten wieder die schönste Aussicht über den Jura weg auf die ganzen Schweizergebirge bis zum Montblanc sogar, den wir in weiter Ferne, aber noch deutlich sahen. Die Sonne ging wolkenlos unter. Wir stiegen auf der andern Seite wieder eine Strecke hinunter bis zu einer großen Melkerei, wo wir übernachteten und den andern Morgen die Sonne noch schöner aufgehen sahen, wieder mit der hellen Aussicht auf die Kette der Alpen, die noch eher von der Sonne beschienen wurden, als wir. Dann stiegen wir ins Amarinenthal hinunter, und trennten uns hier in Weiller; jene drei gingen das Am. Thal weiter hinauf und kehrten durch Lothringen wieder zurück, wir drei gingen das Am. Thal hinunter nach Thann, wo wir eine schöne alte Kirche sahen, und fuhren von hier nach Mühlhausen, wo wir noch drei Tage bei unserm Freund Verny zubrachten und uns da sehr wohl befanden. [...] Lepsius berichtet im folgenden vor allem von den Verdiensten Eduard Vernys als Leiter des Collège in Mülhausen und von getätigten bzw. geplanten Bücherkäufen. Als Tag der Wiederankunft in Straßburg gibt er den 9. Juli an.

Überlieferung
H: Deutsches Archäologisches Institut (Briefarchiv), Berlin; d: Hauschild 1985, S. 328-330.

Eingestellt: Juni 2017