LZ 1410
Studentenverbindung „Eugenia“; Protokolleinträge; Straßburg 28. Juni – 19. Juli 1832

Die Studentenverbindung „Eugenia“

 

N.o 163.
21te Sitzung; den 28ten Juny 1832.

Der hospes perpetuus Büchner erscheint, aber ohne seinen medicinischen Commilitonen, den Bruder Böckel, welcher den ganzen Abend ausbleibt. Es wird mit außerordentlicher Lebhaftigkeit über verschiedene Gegenstände, nahmentlich das sittliche Bewußtseyn, über Huß, Ravaillac, u. Sand, welche die Dialectik von Freund Büchner in eine Reihe stellt, [über die Strafgesetze,] u. über das Unnatürliche unsers gesellschaftlichen Zustandes, [besonders in Beziehung auf Reich u. Arm,] debattirt; dabey aber von den Kämpfern nicht vergessen, mit dem großen, eine Maas haltenden, Pokale mehrmahls einen flotten laut schallenden Rundgesang zu halten, u. trotz mancher Verschiedenheit der Meinungen strömt auch heute in vollen Wogen das tiefe Gefühl der Freundschaft. –

Müntz

 

N.o 164.
22te Sitzung v 5ten Julius 1832.

(6. Maas.)

Eugenia die heute allein seyn wollte, weil die Brüder Manches, das nur sie u keinen Uneingeweihten angieng, zu besprechen u abzuthun hatten, wird jedoch unverhoffter Weise mit der Gegenwart ihres hospitis perpetui, Bügner, beehrt, und sieht sich nun, dringender Ursachen wegen, genöthigt in seiner Anwesenheit dasjenige zu verhandeln, was nur im geschlossenen Kreiße der Brüder hätte sollen verhandelt werden. Die nahe Abreiße des secretair erforderte daß die Finanzsachen in Richtigkeit gebracht würden, u daß man einen neuen Secretair erwählte; was denn auch friedlich u ohne hartnäckige Debatten abgethan wurde. Das Gespräch lenkte sich gleich anfangs wieder auf die Politik, dieses allgemeine Conversationslexikon aus dem heut zu Tage fast Jedermann seinen Stoff zur Unterhaltung schöpfet, u das der Bauer an seinem Pflug biß zum Minister welcher das Ruder des Staates lenket, jeder nach seinen Ansichten u Wünschen, mit Bemerkungen u Aufsätzen aller Art bereichert u voluminöser macht. Freund Bügner dieser so feurige u so streng republicanisch gesinnte deutsche Patriot, schleudert einmal wieder, alle mögliche Blitze u Donnerkeule, gegen alles was sich Fürst u König nennt; u selbst die constitutionelle Verfassung unseres Vaterlands bleibt v ihm nicht unangetastet, weil sie seiner Meinung nach, nie das Wohl u das Glück Frankreichs befördern wird, so lange noch eine aristocratische Macht, wie die Pairs Cammer, eine 3.te mächtige Hand an das Staatsruder zu legen berechtigt ist, Bruder Adolph u noch einige andere Brüder vertheidigen ihrer Seits die sehr weise u heilsame Bestehung der obersten Cammer; man balgte sich noch einige Zeit herum, u sieht sich endlich genöthigt dem politischen Wortwechsel ein Ende zu machen, weil Freund Daniel anfängt zu – schlafen. Man spricht jetzt von dem nahen Abschied unseres lieben u treuen Bruders, Müntz , der den andern Morgen nach Paris abreißte um dort seine juristische Studien zu vollenden. Erst vor kurzer Zeit war dieses theure Mitglied des Bundes in Straßburg angelangt u hatte in Eugenias Reihen eine Stelle eingenommen die ihm die Brüder mit so warmer u aufrichtiger Liebe zugedacht hatten u die er auch am wöchentlichen Erholungstage des Bundes, jedesmal so treu u für uns alle so erfreuend, behauptet hat; u jetzt, sobald schon, mußte es leer werden, dieses Plätzchen unseres kleinen u freundlichen Oehrchen, – es war ein schmerzliches Gefühl für die zurückbleibenden Brüder; aber der Gedanke: einstiges u freudiges Wiedersehen, tröstete wieder unsere niedergeschlagenen Herzen. Frohe Lieder u wackeres Schwingen der Gläser, würzten vollends noch die wenige Stunden die wir noch am Vorabend des Abschiedstages mit unserem zuzubringen hatten. Ehe man sich trennte wurde beschlossen den andren Morgen früh Müntz an die Diligence zu begleiten um dort von ihm Abschied zu nehmen; aber zugleich ward auch die freundliche Einladung Bruder Daniels nicht verschmäht, bei ihm im Klostergarten, noch einen wohl bereiteten Chinesischen Thee als Frühstück zu sich zu nehmen.

Follenius
sécret:

No 166
24.te Sitzung vom 19 July 1832.

Ausgabe – 7F – 40c.

Eugenia wird heute im Garten an Petit Moulin gehalten, hospites waren Bügner u Friedel. Bruder Daniel, aber nur Daniel allein, hatte ausdrücklich ja sogar trutzend verlangt, die Brüder möchten mit ihm an diesem Abend, das Münster besteigen, um auf jener Höhe etwas freier athmen zu können, aber so bereitwillig jedesmal wir alle uns zu dieser Ascension beweisen, wenn Zeit u Wetter dazu günstig sind, so konnten wir doch dießesmal dem Begehren Freunds Scherb nicht willfahren, weil ausser diesem in d. Gesellschaft niemand große Lust bezeugte, sich droben auf der Platteforme von dem heftigen Nordwinde der an diesem Tage tobte, ausblasen u auswinden zu lassen. Der Vorschlag eines der Mitglieder, in einem Lustgarten außerhalb der Stadt, einen frohen Abend zuzubringen, ward daher mit grösserer Freudebezeugung u allgemeinerem Beifall aufgenommen und vollführt. Ein stilles u schattiges Laubhüttchen empfieng die nach Speißen u Trank lüsternen Gäste, u es dauerte auch nicht lange so brachte uns eine junge Dirne Bier, Kässe u später noch Boeufdek. Die Aufwärterin gab gleich Anlaß zu einem allgemeinen Gespräch, u zugleich zu manchen physiologischen Bemerkungen. Unser Medicus Freund Boeckel, gerieth beim ersten Anblick dieses Mädchens in ein auffallendes Erstaunen, er konnte sich gleich anfangs nicht denken, wie dieses vor einigen Monaten noch so frisch u heiter blühende Antlitz der Aufwärterin, auf einmal nun so bleich und trübe könne geworden seyn? da müsse etwas mehr oder weniger vorgefallen seyn, sagte der schon erfahrene junge Doctor, daß Mädchen hat kein Fieber das ihm seine Rosenwangen verwischte, – das sagt mir mein tiefer Blick in den +++ +++; – da ist etwas Ausserordentliches vorgefallen u als die Brüder endlich mit gespannter Neugierde das resultat seiner physiologischen Beobachtung zu erfahren wünschten, so erfuhr man endlich was keiner von uns je zu bezweifeln gedachte; nämlich die junge Dirne müsse schon öfters die genaue Erfahrung gemacht haben, daß es auch noch Menschen gäbe, von einem andern Geschlecht als das Weibliche.

Überlieferung
Handschrift: Fonds littéraire Stoeber; Erstdruck: Marie Joseph Bopp, Straßburger Studentenleben bis 1850, in: Jahrbuch des wissenschaftlichen Zweigvereins des Vogesen-Clubs 1934, S. 172–259; Druck 2: Thomas Michael Mayer, in: Georg Büchner Jahrbuch 6 (1986/87), S. 368 f., 370 f., 388 f. mit Erläuterungen.