HL Dok 7.2.
Martin Schäffer: „Vortrag in Untersuchungs-Sachen wider die Theilnehmer an revolutionären Umtrieben in der Provinz Oberhessen“; Gießen 6. November 1838
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§ 13.
Verbindungen im Jahre 1834, insbesondere unter hiesigen Studierenden und jungen Bürgern. Abfassung und Verbreitung des s. g. Landboten.
Auch die wegen Theilnahme an dem hochverrätherischen Komplotte des Jahres 1833. zur Untersuchung und Haft gezogenen Individuen setzten nach ihrer Freilassung im März 1834, im Einverständnis mit Weidig und durch neuen Zuwachs verstärkt, ihre staatsgefährlichen Bestrebungen meist fort und suchten nur um so eifriger ihre Zwecke zu erreichen. Die in dem Gefängniße verschiedentlich an sie gelangte Aufforderung, standhaft zu seyn, die ihnen von Gleichgesinnten zu Theil gewordene Anerkennung ihrer durch Haft und langwierige Untersuchung erprobten Ausdauer und Anhänglichkeit an die vermeintlich gute Sache, die Aussicht auf tiefere Einweihung in die Umtriebe und unmittelbaren Verkehr mit bedeutenderen Männern, welche ihnen eröffnet wurde, der schmeichelhafte Empfang endlich, der für die aus der Haft Entlaßenen zu Butzbach und Gießen – an welchem letzteren Orte ihnen zu Ehren ein Nachteßen veranstaltet worden war, dem auch ältere Männer bei<90>wohnten und wobei, neben entsprechenden Toasten, auch die Überreichung von Lorbeerkränzen stattgefunden haben soll – bereitet wurde, – alles dieses verfehlte nicht, die Exaltation der Gemüther zu vermehren und die jungen Leute, wie G. Clemm sagt, in ihren bößen Vorsätzen zu bestärken.
Unter solchen Einflüssen bildeten sich hier zwei neue Verbindungen, von denen die eine im Sinne und Geist der Häupter der Revolutions-Parthei das Volk durch aufregende Flugschriften zu bearbeiten und für eine Umwälzung geneigt zu machen suchte, die andere aber eine reine Studenten-Verbindung war, welche das Wiederaufleben der Burschenschaft, als eines revolutionären Klub’s, nach Maßgabe der Stuttgarter Burschentags-Beschlüsse vom December 1832., zum Zwecke hatte.
Die erstere, nicht blos auf Studenten beschränkte, Verbindung zählte außer August Becker – nach Angabe desselben und anderen damit übereinstimmenden Beweisgründen – den Gustav Clemm, Hermann Trapp, Carl Minnigerode, Ludwig Becker, Friedrich Jacob Schütz und Georg Büchner, sodann die Küfermeister G. M. Faber und David Schneider aus Gießen zu Mitgliedern und soll hauptsächlich durch Georg Büchner – welchen August Becker als einen überaus talentvollen Mann und entschiedenen und heftigen Republikaner bezeichnet, deßen politische Gesinnungen theils auf einem gewißen geistigen Stolz, theils auf einem unbegränzten Mitleiden mit den niederen Volksklaßen und ihrer Noth beruht hätten, wogegen Carl Zeuner von Büchners „Maratismus“ spricht – ins Leben gerufen worden seyn. In den politischen Gesprächen nämlich, die zwischen diesem und den Vorgenannten gepflogen wurden, zeigte er, wie A. Becker wörtlich sagt,
„die Thorheit der letzten revolutionairen Unternehmungen, bei welchen man im Vertrauen auf eine geistig und physisch ohnmächtige liberale Parthei durchaus keine Rücksicht auf das Volk genommen habe, welches doch die meiste Ursache habe, eine Veränderung seiner Verhältniße zu wünschen, und allein die Macht habe, dieselbe zu bewirken. Solle je wieder etwas Ähnliches geschehen, so müße man sich der Theilnahme des <91> Volkes versichern, und wenn diese nicht zu erlangen sey, die ganze Sache aufgeben. Es sey rühmlicher, in den gegenwärtigen Verhältnißen fortzuleben, als eine Parthei zu unterstützen, die bei ihren liberalen Bemühungen nur ihre eignen egoistischen Zwecke im Auge habe und dazu nicht einmal Verstand genug, sie durchzusetzen.“
Diese Ansichten und Grundsätze, welche Büchner während eines zweijährigen Aufenthaltes zu Straßburg, wo er Medicin studierte, angenommen zu haben scheint, erfreuten sich des Beifall’s der Anderen und veranlaßten deren Zusammentreten in eine Gesellschaft, welche sich, wie A. Becker sagt, zum Zwecke setzte, Flugschriften von jener Tendenz zu verbreiten und Gleichgesinnte an anderen Orten zu ähnlichen, miteinander in Verbindung tretenden sollenden, Vereinen zu bestimmen. Die Mitglieder des Verein’s hatten bei Einzelnen von ihnen Zusammenkünfte, in welchen, nach Clemm’s Angabe, „über den politischen Zustand Deutschland’s, über die Mittel zu deßen Veränderung, über den nächsten Zweck einer Revolution, sodann im Speciellen über die eigne Thätigkeit und über die Ausdehnung der Gesellschaft“ gesprochen wurde, welche eine Zeit lang auch den ihr von Büchner beigelegten Namen „Gesellschaft der Menschenrechte“ führte, sowie sich Schütz auch mit dem Entwurfe einer Constitution für sie beschäftigt haben soll. Jene Zusammenkünfte, welche mehr einleitender und vorbereitender Natur gewesen zu seyn scheinen, in denen jedoch mitunter sehr gefährliche und überspannte Grundsätze zur Sprache kamen – so soll namentlich David Schneider den Vorschlag gemacht haben, daß jedem Mitglied die Verbindlichkeit auferlegt werde, denjenigen zu ermorden, welcher das von Allen anzugelobende Geheimhalten der Verbindung und des darin Verhandelten nicht beobachte – nahmen indeßen bald ein Ende, ohne daß jedoch die Verwirklichung der in denselben aufgeregten Ideen aufgegeben worden wäre. Georg Büchner hatte nämlich um die Zeit der Gründung jenes Vereines nach seinen oben angedeuteten Grundsätzen eine Flugschrift abgefaßt, welche wenigstens einem Theile der Gesellschafts-Mitglieder schon im Entwurfe bekannt wurde und von Büchner selbst, in Begleitung des August Becker, der das Büchnerische Manuscript in’s Reine geschrieben hatte, nach Butzbach zu Dr. Weidig gebracht worden war, welcher sie zwar in dieser ihrer <92> ursprünglichen Gestalt nicht billigte, ihr jedoch, wie Becker angiebt, einen gewißen Grad von Beifall nicht versagte, indem er meinte, daß sie, wenn sie verändert werde, vortreffliche Dienste thun müße. Diese Veränderung nahm nun Weidig, wie gesagt wird, vor; er gab ihr den Vorbericht, fügte meist die Bibelstellen bei, modificirte einzelne Äußerungen und Sätze, rundete die Schrift durch einen paßenden Schluß ab und nannte sie „hessischer Landbote“. Gegen die Schrift, wie sie von Büchner abgefaßt war, hatte Weidig besonders einzuwenden, daß sie zum Kampfe der Armen gegen die Reichen auffordere, was mehr schaden als nützen könne, weil sich in jedem Dörfchen diese Gegensätze finden, weshalb er auch für jene Worte andere wählte und namentlich statt den Reichen die „Vornehmen“ als den Armen und dem Volk gegenüberstehend bezeichnete, – so wie ihm auch mißfiel, daß eine gewisse Art von Liberalismus in derselben gegeißelt worden war, was wie Weidig glaubte, ebenfalls Anstoß erregen möchte, indem er bemerkte: man müße auch den kleinsten revolutionairen Funken sammeln, wenn es dereinst brennen solle – und: bei solchen Grundsätzen (wie sie sich im Büchnerischen Manuscript fanden) werde kein ehrlicher Mann bei ihnen aushalten. August Becker hat alles dieses angegeben und Carl Zeuner es, von Anderem abgesehen, insoweit bestätigt, als derselbe von Weidig – von welchem Becker bei dieser Gelegenheit sagt, er sey unter den Republikanern republikanisch und unter den Constitutionellen constitutionell gewesen – gehört haben will: der Landbote sey noch schlimmer projektiert gewesen, er habe ihn etwas milder abgefaßt;wenn die Schrift etwas taugen solle, müße sie gänzlich umgearbeitet werden, was er zu thun beabsichtige.
Schütz und Büchner brachten das eine Zeit lang in Butzbach aufbewahrte Manuscript zum Landboten nach seiner Umgestaltung durch Weidig – wie es scheint, im Juni 1834 – nach Offenbach in die Preller’sche Druckerei, von wo Ende Juli die gedruckten Exemplare durch Schütz und Minnigerode, denen sich auf ihren Wunsch noch Carl Zeuner von Butzbach zugesellte, abgeholt wurden. Ein Theil der Druckschriften war von Zeuner und Minnigerode nach Butzbach und <93> resp. Gießen gebracht worden, mit einem anderen Theile derselben hatte sich Schütz nach Darmstadt begeben, – wo er mit dem Studenten Wiener verkehrt und diesen zur Verbreitung von Landboten in der Umgegend von Darmstadt bestimmt haben soll – . <94>
Sämmtliche Exemplare des Landboten – dessen Inhalt und Sprache übrigens von vielen, solchen Bestrebungen sonst geneigten, Personen mißbilligt worden seyn soll*) – hatten nach einer Idee Weidig’s, wie von verschiedenen Seiten behauptet wird, entweder an Einem Tage, oder doch möglichst gleichzeitig, an mehreren Orten des Großherzogthum’s verbreitet werden sollen, damit die Polizei in ihren Nachforschungen nach den Thätern irre geführt und hierdurch die Gefahr vor Entdeckung vermindert werde. Die Verhaftung Minnigerode’s hatte aber die Ausführung dieses Planes vereitelt. Ein großer Theil der Landboten fiel dadurch in die Hände der Behörden, ein anderer Theil scheint in Butzbach aus Besorgniß vor einer bevorstehenden Untersuchung vernichtet worden zu seyn. Indessen war auch dem Dr. Schmall zu Rödelheim (wie dieser behauptet, von Buchhändler Meidinger) eine Quantität Landboten zugekommen und von demselben weiter nach Friedberg befördert worden. Von da wurden sie nach Butzbach abgeholt, wo sich noch eine kleine Zahl unvernichtet gebliebener Exemplare befand, die dann, mit jenen vereinigt, in Butzbach und den nächstgelegenen Ortschaften durch junge Leute aus dieser Stadt bei Nachtzeit ausgeworfen, zum Theil aber auch nach Gießen zu Candidat Weyprecht gebracht wurden, der sie hier und in der Umgegend durch junge Bürger verbreiten ließ.
*) So sagt Dr Bansa: Dr Hundeshagen habe den heßischen Landboten als die Ausgeburt eines verbrannten Gehirn’s geschildert und ihn an die Seite der wüthendsten Schriften der französischen Schreckenszeit gestellt.
Dieser nun verstorbene Candidat Weyprecht hatte sich ebenfalls angelegen sein laßen, zur Aufregung der Gemüther der Seinigen beizutragen. Er hatte sich nämlich unter hiesigen jungen Bürgern einen Anhang zu gewinnen gewußt, dieselben zu regelmäßigen Geldbeiträgen für den Druck von Flugschriften pp bestimmt und sich ihrer öfter zur Verbreitung solcher bedient. Seine Thätigkeit war selbstständig und unabhängig von den gleichen Bestrebungen Anderer, und eine Aufforderung, der <95> Büchnerischen Gesellschaft beizutreten, soll von ihm abgelehnt worden seyn. Jener Verein junger Bürger bestand übrigens bis in das Jahr 1835. hinein und von ihm besonders ist auch die Verbreitung der zweiten Auflage des Landboten ausgegangen, soweit eine solche in Gießen und der Umgegend stattgefunden hat.
Aus Veranlassung der Verhaftung des Studenten Minnigerode und der gleichzeitigen Flucht des Studenten Schütz wurde zu Anfang August’s 1834. in des Letzteren Wohnung eine Nachsuchung vorgenommen, die das Auffinden von Urkunden zur Folge hatte, welche von der Existenz einer staatsgefährlichen burschenschaftlichen Verbindung auf hiesiger Universität zeugten, die neben dem seither berührten Vereine selbstständig ihre Zwecke verfolgte.In der Einleitung dieser Constitution heißt es:
„Wenn das Vaterland durch die freche Gewalt des Despotismus niedergetreten, seiner Ehre, seiner Freiheit, seiner Kraft beraubt, verlassen von der großen Masse seiner Söhne, die theils aus Mangel an Bildung, theils aus Feigheit und Egoismus taub ist für die Klagen, die Seufzer und den Racheruf desselben, – wenn so das Vaterland nahe ist dem fürchterlichsten Untergang, dann ist die erste, die heiligste Pflicht eines Jeden, dem ein Herz für das Land seiner Väter in seinem Busen schlägt, mitzuwirken für die Rettung desselben; der mahnende Ruf ergeht dann an jeden Tüchtigen, fest sich anzuschließen an Gleichgesinnte, um mit vereinten Kräften zu zerreißen die Bande, die das theure Vaterland drücken.
Diesem Rufe folgten wir. Wir gründeten die Burschenschaft, eine Verbindung zum Heile, zur Rettung des Vaterlandes. –
Wenn wir diese Verbindung mit dem Schleier des tiefsten Geheimnisses bedecken, so ist es nicht das Licht der Wahrheit, nicht die Waage der strengen Gerechtigkeit, die wir fürchten, – es ist die natur- und rechtswidrige Gewalt der Unterdrücker unseres Vaterlandes, vor denen wir uns verbergen, damit unsere Thätigkeit nicht gehemmt, unser Bund nicht vernichtet, seine Mitglieder nicht den Söldlingen der Tyrannen <96> überliefert werden. – –
Die Burschenschaft als eine Verbindung, die nach ihren Kräften beitragen will zum Heile, zur Rettung des deutschen Vaterlandes, kann daher nur solche Principien aufstellen, die auch die wahre Grundlage eines freien, glücklichen Zustandes desselben sind. Ihre Principien sind daher: Freiheit und Gleichheit des deutschen Volkes, wahre Einheit des Vaterlandes!
Das wahre Erkennen, das feste Ergreifen und die lebendige Verbreitung dieser heiligen Grundsätze zu befördern, – ist daher die nächste Pflicht der Burschenschaft. Ihr Bestreben ist es daher, vorerst ihre Mitglieder so zu bilden, daß mit der festesten heiligsten Überzeugung ein Jeder sagt und sagen kann: Dies sind meine Grundsätze, durch sie allein hoffe ich Rettung für unser Vaterland, sie zu verbreiten, sey stets mein Bestreben. Muthig und mit glühender Vaterlandsliebe soll derselbe allen Gefahren für seine Überzeugung entgegentreten, und, kommt dereinst der Tag der Entscheidung, entschlossen den Kampf für sie beginnen.
Ist nun auch der politische Zweck die erste Bedingung des Daseyns unserer Verbindung, so kennt dieselbe doch auch noch andere wichtige Pflichten. Je einleuchtender nämlich die Wahrheit ist, daß ohne kräftige, geistige, moralische und körperliche Bildung kein Mensch für etwas Hohes fähig ist, um so mehr ist es Zweck der Verbindung, ihre Mitglieder in steter Thätigkeit für diese völlig harmonische Ausbildung zu erhalten.
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Im Sommer 1834 suchte man diesen mehr vereinzelten Bestrebungen durch Anknüpfung von Verbindungen mit Auswärtigen, namentlich mit Marburgern und Nassauern, durch geregelteres und mehr ineinander eingreifendes Zusammenwirken, sowie durch Anschaffung einer eignen, zu Hanau etwa aufzustellenden, Druckerpreße, eine größere Ausdehnung und eine erfolgreichere Wirksamkeit zu geben. Für diesen Zweck war wiederum Weidig besonders thätig. Er war es, der dem revolutionairen Treiben hiesiger Studenten im Jahr 1834. Vorschub leistete, es leitete und ihm eine bestimmte Richtung gab*), der Aeltere zu gleicher Thätigkeit anzuspornen sich bemühte, der namentlich verschiedene Marburger, die er früher schon als mit seinen Grundsätzen übereinstimmend kennen gelernt hatte (worunter besonders ein jüdischer Arzt, Dr Eichelberg, welcher schon seit den Polen-Durchzügen mit Weidig in Berührung gekommen seyn will), in sein Interesse zu ziehen wußte, – der endlich mannichfache größere oder kleinere Reisen in dieser Angelegenheit unternahm. Gerade von einer solchen Reise in das Baden’sche, Nassauische und nach Mainz soll er zurückgekommen seyn, als er durch Veranstaltung einer Zusammenkunft mit mehreren Marburgern auf der Badenburg bei Gießen, welcher auch einige Personen aus hiesiger Stadt beiwohnten, eine nähere Verbindung mit denselben zum Zwecke gemeinsamen und gleichmäßigen Wirken’s anzuknüpfen suchte. Zu dieser Versammlung hat August Becker, wie er geständig ist, auf Weidig’s Geheiß den Prof Jordan und den Dr Eichelberg zu Marburg eingeladen, damit man sich „im Allgemeinen bespreche, was unter den jetzigen Verhältnißen zu thun sey“. Die Einladung der hiesigen Theilnehmer scheint theils durch Weidig selbst, theils durch Buchhändler Ricker erfolgt zu seyn. Wenigstens will Dr Eichelberg früher schon mit Letzterem über „die Gründung einer gediegenen Zeitschrift, die den heutigen Staatsverhältnißen gewidmet sey und mit Umgehung der Censur“ gedruckt werden solle, gesprochen und bald darauf von demselben eine Einladung zu einer Zusammenkunft auf der Ba<98>denburg erhalten haben, der er jedoch damals nicht habe entsprechen können, weshalb die Versammlung auf eine spätere Zeit verschoben worden sey. –
*) Aug. Becker sagt: „Schwerlich würde eine einzige der in Frage stehenden Flugschriften ohne seine (Weidig’s) Aufmunterung und sein Zureden erschienen seyn.“
Der Einladung gemäß fanden sich dann nun zur bestimmten Zeit, Anfang’s Juli 1834, Dr Eichelberg von Marburg mit einem gewißen Dr Heß von da, einem dortigen Bürger und dem Studenten v. Breidenbach – Prof Jordan soll sich, nach Becker’s Angabe, damit entschuldigt haben, daß er zu scharf beobachtet werde und deshalb nicht kommen könne, – sodann von Gießen: Buchhändler Ricker, die Advokaten Briel und Rosenberg, sowie die Studenten Büchner und Clemm, ein. Weidig fand sich ebenfalls ein und soll hier, wie versichert wird, den Erfolg seiner obenerwähnten Reise den Anwesenden mitgetheilt, namentlich ihnen eröffnet haben: daß in Gemäßheit eines in Wiesbaden von dort versammelt gewesenen Männern gefaßten Beschlußes revolutionaire Flugschriften in den einzelnen deutschen Bundesstaaten mittelst geheimer, noch anzuschaffender, Preße sollten gedruckt und verbreitet werden, daß der Stoff zu diesen Flugschriften – welche theils für die niederen Volk’sklaßen bestimmt und demgemäß abgefaßt, theils auf Intelligentere berechnet werden sollten, für welche eine von dem vormaligen rheinbaierschen Abgeordneten Schüler zu redigirende Zeitschrift, ganz Deutschland umfaßend, projectirt sey – aus den individuellen Verhältnißen der einzelnen Völker entnommen, zur Bestreitung der Kosten von den Aelteren Geldbeiträge erhoben, wogegen die Jüngeren, die sich mehr exponiren könnten, zu Botengängen, insbesondere zur Verbreitung von Flugschriften benutzt und nur durch die Organe der Zuverläßigsten von ihnen mit den Aelteren in Verbindung erhalten werden, – daß endlich von Zeit zu Zeit eine Generalversammlung zur Berathung der gemeinsamen Interessen und zur Befestigung der Verbindung in den einzelnen deutschen Ländern stattfinden solle. Auch wurde sich dahin ausgesprochen, daß eine förmlich constituirte Gesellschaft nicht nöthig sey, sondern das Band der gleichen Gesinnung und Bestrebung genüge. – Die Anwesenden sollen ihre Mitwirkung für diese Sache mehr oder weniger bestimmt zugesagt haben. Nur Student Büchner war, nach A. Becker’s Angabe, mit dem Resultate dieser Versammlung nicht zufrieden, weil <99> seine Grundsätze, welche, wie oben bemerkt, zu extravagant waren, dort keinen Anklang gefunden zu haben scheinen.
§ 14.
Thätigkeit der Faktionäre nach der Badenburger Versammlung bis zur Verhaftung der Hauptbeteiligten
Was vorerst den Erwerb der Presse betrifft, so reisten mehrere junge Butzbacher, namentlich Carl Flach und Valentin Kalbfleisch, auch Carl Zeuner, nach Darmstadt, wo dieselbe, unter Vermittlung dortiger Einwohner, bei dem Maschinenfabrikanten Jordan angekauft werden sollte. Auch interessierten sich Kandidat Weyprecht, Pfarrer Flick und Dr. Jucho, wie es scheint, für deren Anschaffung. Weil indessen die Geldmittel nicht ganz zureichten und man inzwischen auch in der Person des Faktors Rühle in der Elwertschen Offizin zu Marburg einen zum Drucke von Flugschriften bereiten Mann gefunden hatte, unterblieb der Ankauf der Presse. <100>
Die zweite Schrift, welche, gleich der ersten, durch Vermittlung des Dr. Eichelberg und Anderer zu Marburg gedruckt wurde, war eine, von Weidig revidirte, Auflage des hessischen Landboten. Weidig scheint sich von dieser Schrift einen guten Erfolg versprochen zu haben und dadurch mag er wohl auch bestimmt worden seyn, eine neue Auflage derselben zu veranstalten. Aug. Becker versichert wenigstens, daß Weidig Bauern gesprochen haben wolle, auf welche der Landbote einen ungewöhnlichen Eindruck gemacht habe. Factor Rühle besorgte den Druck auch dieser Schrift in 400 Exemplaren. Einen Theil davon nahm A. Becker in Marburg selbst in Empfang und lieferte ihn an Dr Weidig zu Obergleen ab, einen anderen Theil brachte Student von Stockhaußen von Marburg, gleichzeitig mit einer Quantität Leuchter, nach Gießen, wo dieselben zuerst bei dem Studenten Sartorius, zu dem Gustav Clemm den zuerst an ihn adressirten v. Stockhaußen führte, dann bei dem Candidaten Weyprecht niedergelegt wurden, welcher sie theils durch die oben schon erwähnte Gesellschaft junger Bürger in der Umgegend von Gießen verbreiten ließ, theils an junge Butzbacher abgab, welche auf dieselbe Weise in und um Butzbach damit verfuhren. Auch Weidig ließ sich angelegen seyn, die ihm zugekommenen Exemplare sowohl selbst, als durch Andere, denen er ganze Quantitäten davon mittheilte, möglichst in Umlauf zu bringen.
<154> so wird man, unter gleichzeitiger Beachtung der Inhalte der oben genannten, für das Großherzogthum berechneten Flugschriften, nicht daran zweifeln können, daß sie alle mehr oder weniger einen und denselben Zweck verfolgten, den nämlich, theils geradezu zur offenen Empörung, zum Umsturz alles Bestehenden aufzufordern (wie der s. g. Landbote), theils Unzufriedenheit mit den bestehenden Staats-Einrichtungen zu erregen . <155>
Mit Bezugnahme auf alle diese Verhältniße glaube ich die hier in Rede stehenden Flugschriften folgendermaßen charakterisiren zu müßen:
1) die fünf Blätter des Leuchter’s und die Schrift an die heßischen Stände als Schmähschriften im weiteren Sinne des Wortes, mit zugleich aufwieglerischer Tendenz,
2) den Aufruf an die heßischen Wahlmänner als eine volksaufwieglerische Schrift, mit Majestäts-Beleidigung verbunden,
3) das Gedicht: Herr du Thil pp und die zwei Nachrichten an die Freunde des Apotheker’s Trapp, als Schmähschriften (Pasquille) zum Theil mit beleidigenden Drohungen verknüpft,
4) den Landboten endlich als eine hochverrätherische Schrift.
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Der s. g. Heßische Landbote endlich ist eine unzweifelhaft revolutionäre Flugschrift, was wohl, auch ohne weitere Begründung, aus den früher mitgetheilten Bruchstücken zu entnehmen seyn wird. Nur ist hierbei noch an den ganz besonders rücksichtslosen und gemeinen Ton dieser Schrift, welche alle anderen an ehrverletzenden Äußerungen überbietet und als der Ausfluß der verwerflichsten Gesinnung, als das Product des frechsten, zügellosesten Republikanismus erscheint, ausdrücklich aufmerksam zu machen.
Was insbesondere die im Frühjahr 1834. dahier entstandenen beiden Ver<164>bindungen betrifft, von denen die eine die Studenten Schütz, Minnigerode, August Becker, Ludwig Becker, Georg Büchner und Gustav Clemm, sowie die Küfer Faber und Schneider zu Mitgliedern zählte, die andere aber eine von Schütz begründete burschenschaftliche StudentenVerbindung war, so tragen dieselben einen hochverrätherischen Charakter an sich, – jene nämlich, weil sie sich einen bestimmten, auf Umsturz des Staates oder doch seiner Verfaßung gerichteten, Zweck vorgesetzt und über die Mittel hierzu vereinigt hatte, auch in Gemäßheit der in verschiedenen Zusammenkünften gepflogenen Verhandlungen durch Verbreitung des Landboten und anderer Flugschriften, von denen jene gewißermaßen aus ihrer Mitte hervorgegangen war, und durch Anschluß an Ältere, wozu die Badenburger Versammlung einen Beleg giebt, thätig gewesen war. Waren auch beide Vereine zur Zeit ihrer in Folge von Minnigerode’s Verhaftung und Schütz’s Flucht nothwendig gewordenen Auflösung gewißermaßen erst im Entstehen begriffen, war auch ihre Thätigkeit noch keine erfolgreiche gewesen und ihr böser Wille stärker, als ihr Vermögen, – so können sie doch immer nicht als ungefährliche, etwa blos polizeilich strafbare, Verbindungen angesehen werden.
Überlieferung
Handschrift: Martin Schäffer, „Vortrag in Untersuchungs-Sachen wider die Theilnehmer an revolutionären Umtrieben in der Provinz Oberhessen“, Gießen, 6. Nov. 1838; p. 1–106, Universitätsbibliothek Gießen, Handschriften 421c fol.; Druck: Reinhard Görisch u. Thomas Michael Mayer (Hg.), Untersuchungsberichte zur republikanischen Bewegung in Hessen 1831–1834, 1982, S. 257–346 (vgl. MBA II.2, S. 312–320).