HL Dok 5.2.2.
Sylvester Jordan : Entwurf einer Flugschrift; Marburg Anfang November 1834

Viel wird zu den Völkern geredet, von verschiedenen Seiten, besonders aber von oben herab, um den erwachten und plötzlich aufstrebenden Geist der Völker möglichst wieder zu bannen u. zurückzudrängen; während Andere diesen Geist in der Belebung nicht nur zu erhalten sondern auch außerdem noch zu einem rascheren und kräftigeren Vorwärtsschreiten zu veranlassen streben. Auch hier soll nun mit Euch, geliebte Brüder, geredet werden, – jedoch in keiner anderen Rücksicht, als um mit Euch die Wahrheit zu prüfen, deren Licht allein auf den richtigen Weg zu zeigen im Stande ist. – Aber wie erkennt man das Gute? werdet ihr fragen. Recht leicht, sobald man mit reinem Gemüthe, mit Gott ergebenem Herzen die Prüfung vornimmt. Man darf nämlich bei dieser Prüfung nicht darauf sehen, was dem Einzelnen irdische Vortheile gewährt, sondern darauf muß man achten, was Allen frommt, was uns weiser und besser zu machen geeignet ist, was die Aufklärung des Geistes, was die Veredlung des Herzens, die Reinheit der Sitten, u. ächte Religion,die aber nicht in frommen Gebärden, im Händehalten sondern in wahrer Anbetung Gottes, im Geiste und in der Wahrheit, bestehet, die wahre bürgerliche Freiheit, die aber nicht in Zügellosigkeit erblickt werden darf, in der That befördert.

Die irdischen Machthabersehen bloß auf ihren eignen irdischen Vortheil, u. suchen daher das Licht der Wahrheit zu unterdrücken. Darum wollen die Machthaber und ihre Helfershelfer nichts von Aufklärung und Belehrung der Völker; nichts von einer wohl eingerichteten Volkserziehung; nichts von Preßfreiheit, diesem kräftigen Mittel zur Ermittelung und Verbreitung der Wahrheit; nichts von gemeinsamen Besprechungen und Volksversammlungen, ohne welche solche Besprechungen nicht möglich sind; kurz nichts von Licht und Wahrheit wissen, sondern sind sie nur auf die Vermehrung der Einkünfte, darum auch wohl auch auf die sogenannten materiellen Interessen, d. h. auf Vermehrung des aeußeren Wohlstandes weil dadurch das Wachsthum der Volkswolle gefördert und die Schur ergiebiger wird, vorzüglich aber auf die Vermehrung der Zwangs- und Druck-Anstalten, der Schergen, Knechte Dränger bedacht um sogleich Alles unterdrücken, verfolgen und zerstören zu können, was in ihren selbstsüchtigen Kram nicht paßt.

Wir glauben uns nun mit Euch, geliebte Brüder, gehörig verständigt zu haben, und wollen daher jetzt Euch einige Gelegenheit zur eigenen Prüfung geben: Wenn z. B. Euch von obenherab gesagt wird, daß die Fürsten Tag und Nacht für Euer Wohl arbeiten, daß sie kein Opfer für dieses Wohl scheuen und sich nur in Eurem Wohlergehen glücklich fühlen; werdet Ihr es glauben, oder in solcher Versicherung eine bloße Redensart, ein leeres Compliment erblicken? Gewiß wird letzteres der Fall sein; – warum? Weil die Handlungen der Fürsten mit diesen Worten nicht im Einklange stehen. Oder habt Ihr je gesehen, daß die Fürsten ihren Hofluxus eingeschränkt, Günstlinge und Mätressen abgeschafft, überhaupt ihre Civillisten verringert haben, um ihren Unterthanen die Lasten zu erleichtern, Dürftigen beizustehen, die Thränen der Armuth zu troknen? Mit dem, was ein einziger Hofball, ein großes Hoffest kostet, – könnten ganze Gemeinden Jahre lang fast ganz unterhalten werden. Wenn Euch ferner von unten gesagt wird, reißt alle gesetzlichen Schranken ein und theilet Euch in das Vermögen der Reichen, und man Euch versichert, dieß sei Freiheit und Gleichheit; werdet Ihr es glauben? Gewiß nicht. Denn wie in der Einrichtung der Welt, so muß auch im Staate eine Ordnung, müssen Gesetze herrschen, welche das Eigenthum und die Person der Bürger schützen gegen die Verletzung der Schlechten. Die Freiheit besteht ja nicht in der Gesetzlosigkeit, sondern darin, daß unser Eigenthum und unsere Person nicht der Willkür preisgegeben sind, sondern nur unter vernünftigen Gesetzen stehen, die weder nach Laune gegeben worden, noch nach Laune abgeändert oder umgangen und verletzt werden können. – Keine Freiheit ohne Gesetz; denn ohne Gesetz kann nichts bestehen; im Gesetze muß aber der vernünftige Willen des Volkes ausgesprochen sein. Wahrhaft frei aber ist uns, wer sich selbst beherrscht und aus innerer Ueberzeugung aus freiem Antrieb thut, was recht und gut ist, – was also ein vernünftiges Gesetz wollen soll. Die Gleichheit bestehet wieder nicht darin, daß ein Jeder gleichviel besitze, gleichviel Vermögen habe; denn eine solche Gleichheit wäre gar nicht einmal möglich, weil ja nicht alle Menschen gleiche Talente, gleichen Fleiß, gleiche Sparsamkeit und gleiche Kräfte haben. Denkt Euch, alle Güter der Erde seien heute gleich vertheilt, – würden sie es morgen noch sein? Gewiß nicht; der Eine würde seinen Antheil vermehrt, der Andere den seinigen vermindert oder ganz verloren haben. Die vernünftige Gleichheit besteht vielmehr darin, daß ein Jeder als Mensch gleiche Achtung vor dem Gesetze genieße; daß das Gesetz Niemanden einen anderen Vorzug einräume als einen solchen, der eben nothwendig ist, um die Gleichheit des Bevorzugten mit den übrigen Mitbürgern herzustellen. Wenn daher z. B. die Unmündigen vor dem Gesetze Vorzüge vor den Mündigen haben, so ist dieß grade nothwendig, um die ersteren den letzteren gleichzustellen. – Wenn aber z. B. ein Stand bloß deshalb, weil er dieser Stand ist, frei von Abgaben wäre, oder geringere zu entrichten hätte, als andere, die nicht mehr besitzen als diese Standesgenossen, so würde dieß offenbar gegen die vernünftige Gleichheit sein, nicht wahr?

Wir wenden uns zu einem anderen Beispiel, das uns alle sehr nahe angeht. Ihr wißt, daß am 25ten October die Ständeversammlung zu Darmstadt aufgelöst worden ist, und warum? – Darum – weil der Abgeordnete v. Gagern die Staatsregierung eine Parthei nannte, welche der Herr Regierungsrath Knapp repräsentiere. Er erklärte jedoch sogleich, daß dieser Ausdruck Parthei keine Beleidigung sei, indem er darunter eine compacte (verbundene) Menge von Individuen verstehe, welche einer Meinung einem System folgten.

Überlieferung
Handschrift (mit eigenhändigen Korrekturen Eichelbergs): Staatsarchiv Marburg, 266 Marburg, Nr. 31; Druck: MBA II.2, S. 249–251.