HL Dok 2.4.10.
Leopold Eichelberg: „Politische Erinnerungen“; vmtl. Marburg 1874
Erstes Kapitel.
Meine Beziehungen zu dem Vorhaben, welches in die am 3. April 1833 zu Frankfurt a/M stattgehabte Erhebung auslief.
<60>
Erst Ende Januars 1833 geschah es, daß ich von einem meiner näheren Bekannten aufgefordert wurde, doch ebenfalls zuweilen in die Hinterstube der Döring’schen Apotheke zu kommen, woselbst fast alle zur Zeit erscheinende Oppositionsblätter, sowie sonstige Novitäten aus der politischen Tagesliteratur zu finden seien und auch, namentlich am Morgen immer ein Publicum zu treffen sei zur Besprechung der Tagesneuigkeiten. Ich entsprach und bald fand ich mich sogar tagtäglich zu einer bestimmten Zeit ein. Bei dieser Gelegenheit ließ Döring allerdings zum Oefteren Aeußerungen vernehmen, welche auf eine baldige Erhebung hindeuteten, jedoch erst im Anfange des März geschah es, daß er mir einige vertrauliche Mittheilungen über ein geplantes Vorhaben machte, wo ich jedoch mich darauf beschränkte, meine starken Zweifel hinsichtlich eines Gelingens auszusprechen. <61> Dieß hielt Döring jedoch nicht ab, einige Tage später mich anzugehen, am Nachmittag wieder zu ihm zu kommen, weil er dann sich gegen mich und noch einige andere mir befreundete Personen näher über die Sache aussprechen wolle. Ich entsprach und traf ausser zwei anderen mir befreundeten Personen – Dr. Büchel und Dr. Hach – auch meinen speciellsten Freund, Dr. Heß, an, welcher, wie er mir nachher mittheilte, von Einem der beiden Mitanwesenden zur Besprechung eingeladen worden war. Döring verfehlte dann nicht, nähere und bestimmtere Mittheilungen zu machen, unter Anderem auch, daß Jordan ebenfalls dem Vorhaben bereits angehöre, und forderte uns schließlich auf, nicht fern zubleiben. Ich erklärte, die Sache mir überlegen zu wollen und schon am anderen Tage sprach ich mich dahin aus, daß Heß und ich vor Allem Jordan hören wollten, ehe wir eine bestimmte Erklärung abgeben könnten.
Jordan war zu dieser Zeit in Kassel am Landtag, es blieb daher seine Rückkehr abzuwarten.
Es habe drei Tage gedauert, bis Jordan von Döring und Heinrich Degeling unterrichtet worden und zurückgekehrt sei.
<62> Schon am folgenden Tage traf ich dann auch Jordan, welcher damals im Doering’schen Haus wohnte, in der erwähnten Stube bei Döring an.
Da noch andere Leute im Zimmer anwesend waren, nahm ich natürlich Anstand, Jordan ebensobald über <63> die Sache zu sprechen. Aus dem ganzen Verhalten Jordan’s mir gegenüber konnte ich übrigens entnehmen, daß Döring bereits mit ihm über mich gesprochen haben müsse. Die Bestätigung dessen erhielt ich auch alsbald von Döring, der mich beim Weggehen begleitete; derselbe fügte zugleich noch an, daß Jordan meine und des Dr. Heß Betheiligung besonders gern sehe und auch bald Gelegenheit nehmen wolle, um mit uns über die Sache zu sprechen, während er Anderen gegenüber, welche bereits ebenfalls über die Sache unterrichtet seien, absolute Zurückhaltung beobachten werde.
Die Gelegenheit wurde uns jedoch erst einige Tage später geboten, wo wir eben zu dem Ende mit Jordan in einem besonderen Zimmer Dörings zusammentrafen. Jordan bestätigte hierbei im Wesentlichen die Mittheilungen Dörings und schloß damit, daß er sagte, er erwarte jeden Augenblick weitere Nachrichten und werde, sobald das Vorhaben zur Ausführung komme, uns näher unterrichten. Heß und ich standen nun nicht an, zu erklären, daß wir uns ganz der Sache zu widmen bereit seien. Wir traten nun auch mit Döring und den beiden anderen, uns Befreundeten zu dem bestimmten Zwecke zusammen.
<64> Sonntag, den 31. März, war es dann, daß in dem Augenblick, wo ich bei Döring in die Stube treten wollte, dieser mit einem Fremden, den er mir als den Polen Lubanski vorstellte, heraustrat. Als Döring zurückkehrte, theilte er mir in Gegenwart Jordans, welchen ich bereits im Zimmer antraf, mit, daß Lubanski beauftragt gewesen, die Nachricht zu überbringen, die Frankfurter Betheiligten seien Willens, schon am folgenden Mitwoch, ohne erst, wie es doch im Plane gelegen, die vorausgehende Erhebung im Würtembergischen abzuwarten, loszubrechen, von ihm und Jordan seien jedoch hiergegen die eindringlichsten Vorstellungen gemacht worden; man erwarte also nun weitere Nachricht.
Dienstag, den 2. April, wurde ich Morgens schon vor sechs Uhr eiligst zu Döring beschieden. Bei meinem Eintreten trat ganz ebenso, wie am Sonntag, der Pole Lubanski wieder heraus. Döring, welcher diesen ebenwohl wieder zu begleiten im Begriff war, kehrte aber dieses Mal sofort mit mir in die Stube, in welcher auch Jordan sich wieder befand, zurück und eröffnete mir hier, daß die Frankfurter sich nicht <65> abhalten lassen wollten, schon am anderen Tage loszuschlagen, er wünsche daher, daß ich den Fabrikanten Habich zu Kassel sofort persönlich davon unterrichte. Noch bevor ich mich hierauf erklären konnte, sagte Jordan, es sei nicht nöthig, daß ich dieß übernähme, denn er habe nunmehr beschlossen, am folgenden Tage mit der Post zu den Seinigen zurückzukehren, komme also zeitig genug nach Kassel, um seinerseits Habich zu benachrichtigen.
Am 3. April ließ mich Döring wissen, daß ein Betheiligter aus Kassel eingetroffen sei, welcher über Verschiedenes Auskunft von den Marburgern haben wolle und mich ebenfalls zu sprechen wünsche. Die Anwesenheit dieses Kasselaners wurde zugleich benutzt zum Anfertigen von Patronen, womit mehrere der näher Betheiligten während des Tages sich beschäftigten.
Am folgenden Tage sah man fortwährend einer Benachrichtigung aus Frankfurt entgegen. Eine solche überbrachte jedoch erst am 5. Morgens in aller Frühe ein Justizbeamter aus Vöhl, welcher in der Nähe des Schauplatzes sich aufgehalten hatte. Auf diese Benachrichtigung hin, kamen dann Döring <66> welcher sofort zu mir geschickt hatte, und ich überein, die größte Zurückhaltung in Marburg beobachten zu lassen.
Als ich von Döring – es war noch nicht sechs Uhr Morgens – in den damaligen Gasthof zum blauen Löwen, in welchem ich wohnte, zurückkam, traf ich in der Gaststube zwei Herrn, welche aus Gießen eben angekommen waren. Zufällig hörte ich daß dieselben nach der Wohnung Dörings sich erkundigten. Da ich mir nun sagen konnte, daß dieselben nur aus Anlaß der fehlgeschlagenen Erhebung Döring aufsuchen wollten, so näherte ich mich ihnen und ließ sie wissen, daß Döring, von welchem ich eben zurückkäme, bereits Mittheilung über die fehlgeschlagene Erhebung erhalten habe. Auf die Erwiederung, man wolle mit Döring sprechen, wie sich nun zunächst zu verhalten sei, theilte ich mit, daß Döring und ich bereits übereingekommen seien, vorerst sich ganz ruhig zu verhalten. Zugleich gab ich den Rath nicht in so früher Morgenzeit Döring aufzusuchen, da Wiederholung so früher Besuche leicht Aufsehen erregen könnte. Hiernach unterließ <67> man es sogar ganz, zu Döring zu gehen und kehrte vielmehr sofort nach Gießen zurück. Von den beiden Herrn war der eine der damalige Privatdocent Dr. Hundeshagen, der andere der nachmals so berüchtigt gewordene Studiosus Gustav Clemm.
Specielle Mittheilungen über die mißlungene Erhebung erhielten wir erst am 7. Morgens durch einen Polen, Major Michalowski, welchem das Commando bei der Action übertragen war. Derselbe hatte eine Stichwunde bei der Affaire erhalten und wurde deshalb zu seiner größeren Sicherheit nach Marburg dirigirt. Hier verbrachte er mehrere Monate im Versteck und begab sich dann nach England.
Einer der bisher weniger Eingeweihten wußte den Döring noch zu bereden, trotz der in Frankfurt fehl geschlagenen Erhebung im Kurstaat eine Erhebung in’s Werk setzen zu lassen. Man forderte die Kasselaner Eingeweihten auch eben so bald dazu auf. Da dieselben aber ablehnten, unterblieb es. Hiervon erlangte ich erst Kenntniß nach der Rückkehr des nach Kassel abgegangenen Sendbotens.
<68>
Zweites Kapitel.
Meine Beziehungen zu dem im Sommer 1834 für beide Hessen gegründeten geheimen Preßverein.
Dr. Heß und ich traten mit Jordan nach dessen Rückkehr von Höxter, insbesondere vom Herbste 1833 an, in zunehmend näheren Verkehr, ohne daß jedoch damit vorerst ein bestimmter politischer Zweck verbunden gewesen wäre. Ein solcher trat erst um Pfingsten 1834 wieder hinzu. Zu dieser Zeit nahm nämlich Jordan Gelegenheit uns mitzutheilen, daß er von Freunden aus dem Darmstädtischen angegangen worden sei, dazu beizutragen, daß ein Preßverein zu Stande komme, welcher den Zweck habe, einerseits die Volksgesinnten beider Hessen und einiger angrenzender Reiche in bleibender Verbindung zu erhalten und anderer Seits das Publicum dieser Territorien über das, was Noth thue zu belehren. Er <69> habe, fuhr Jordan fort, hierauf erwiedert, seinerseits sich betheiligen, außerdem aber mit zwei seiner hiesigen gleichgesinnten Freunde sprechen zu wollen, und zwar damit dieselben sich nicht blos betheiligen, sondern auch die Sache an hiesigem Orte in die Hand nehmen, und diese Freunde seien wir. Hierauf gaben wir unsere Bereitwilligkeit kund und fügten hinzu, daß, da wir ohnehin schon Willens seien, Pfingsten einen Ausflug nach Gießen zu machen so ließe sich es wohl machen, daß wir bei dieser Gelegenheit eine bezügliche Besprechung mit unseren dortigen Gießenern Gesinnungsgenossen haben könnten. Zu dem Ende empfahl nun Jordan, den Dr. Hundeshagen aufzusuchen, welchen er seinerseits von unserem Eintreffen vorausgehend unterrichten wolle.
Gleich nach unserer Ankunft zu Gießen begaben wir uns auch zu Hundeshagen, welcher dann, nach einer längeren Besprechung, mit uns die Verabredung traf, am Nachmittage mit noch einigen Gesinnungsgenossen <70> zum Zweck einer weiteren Besprechung zu uns in den Gasthof zu kommen. Mit ihm kamen dann der Buchhändler Rieker und der Hofgerichts-Advocat Briel, welche es übernahmen den Rector Weidig zu Butzbach über unsere Besprechung zu unterrichten.
Schon wenige Tage darauf erschien Weidig in Marburg, bei welcher Gelegenheit dann verabredet wurde, gelegentlich einer demnächstigen, unter zahlreicherer Betheiligung statt findenden Besprechung Geeignetes festzustellen.
Zu dem Ende fand am 3. Juli eine Zusammenkunft auf der Badenburg statt. Anwesend waren: Weidig aus Butzbach, die Advocaten Briel und Rosenberg, Buchhändler Rieker und die Studenten Clemm und Büchner aus Gießen, sowie Dr. Heß, von Breidenbach, Hutmacher Kolbe und der Schreiber dieses aus Marburg. Beschlossen wurde, in Flugschriften, von denen die einen für die gebildeteren, die anderen für die weniger gebildeten Klassen abgefaßt seien, die nackte und ungeschminkte Wahrheit über unsere <71> Staatsverhältnisse laut werden zu lassen.
Schon einige Wochen nach dieser Besprechung auf der Badenburg trafen Heß und ich mit Briel und Rosenberg zwischen hier und Gießen zusammen, um noch einiges Bezügliche zu besprechen. Bei dieser Gelegenheit erhielten wir von denselben auch eine kleine Anzahl Exemplare eines bereits vor der Badenburger Zusammenkunft in den Druck gegebenen Blattes, welches „der hessische Landbote“ betitelt war. Die völlig destructive Tendenz dieses Blattes wurde von Marburgs Betheiligten auf das Entschiedenste mißbilligt. Es unterblieb daher die diesseitige Verbreitung, auch wurde bald darauf eine Gelegenheit benutzt, um Weidig in entschiedener Weise diese unsere Mißbilligung zu erkennen zu geben.
Da die bisherige Druckgelegenheit aus Anlaß eben dieses Blattes verloren gegangen war, kamen Ende Septembers Weidig mit Clemm nach Marburg, um mit den hiesigen Betheiligten sich zu besprechen, wie eine andere Presse für unsere Zwecke zu beschaffen sei. Das Resultat <72> der Besprechung war, daß die Marburger es übernahmen, am hiesigen Orte nach einer solchen sich umzuthun. Von diesen wurde aber noch als unerläßliche Bedingung für weiteres Zusammengehen aufgestellt, daß fortan in den Flugschriften eine solche Richtung eingehalten werde, welche man nöthigen Falles auch vor den Gerichten zu vertreten im Stande sei.
Es gelang uns bald, dahier eine solche Presse zur Verfügung zu erhalten. Zugleich war Jordan, um die einzuhaltende Richtung anzugeben, bereit, das erste Blatt abzufassen. Weidig gab hierzu seine Beistimmung, wünschte jedoch, daß in diesem Blatte specielle Rücksicht auf die eben erfolgte Auflösung des Darmstädtischen Landtags genommen werde. Einige Tage später gab derselbe brieflich näher an, was er zu dem Ende besonders hervorgehoben zu haben wünsche; zugleich drückte er noch den Wunsch aus, daß da er in der Kürze wieder nach Marburg zu kommen Willens sei, wir bis dahin den Druck anstehen <73> lassen möchten.
Als Weidig nach einigen Tagen eintraf, konnte ich ihm schon die von Studiosus Weller gefertigte Abschrift des Jordan’schen Manuscripts vorlegen. Nach kurzer Durchsicht bemerkte er, daß es vor Allem darum zu thun sei, auf die bevorstehende Neuwahl der Darmstädtischen Kammer zu wirken; er schlage daher vor, das, was in dem Jordan’schen Elaborat über die Auflösung der letzten Darmstädtischen Kammer enthalten sei, zunächst separat abdrucken zu lassen, doch seien, fügte er hinzu noch einige, durch die besondere Sachlage gebotene Abänderungen vorzunehmen, welche er auf der Stelle machen wolle. Die in dieser Weise durch Jordan und Weidig zu Stande gekommene Flugschrift erschien nun unter dem Titel „Leuchter und Beleuchter für Hessen oder der Hessen Nothwehr, 5tes Blatt“ Vier Blätter unter diesem Titel waren schon früher im Darmstädtischen verbreitet worden. Sie wurde fast ausschließlich im Darmstädtischen verbreitet.
<74> In der zweiten Hälfte des Novembers wurde mir dann in Auftrag Weidigs ein Manuscript zum Abdruck behändigt, mit dem Anfügen, es enthalte dasselbe im Allgemeinen zwar den im „Hessischen Landboten“ beobachteten Gedankengang, jedoch seien unseren Wünschen entsprechende Abänderungen vorgenommen worden. Nach Berathung mit einigen der hiesigen, dem Vereine angehörigen Personen wurde hierauf beschlossen, den Abdruck zwar bewirken, jedoch auf ein weiteres Zusammengehen mit den Darmstädtern zu verzichten, solange nicht Garantie gewährt sei, daß die im Landboten kund gegebene Richtung von denselben ganz und gar aufgegeben sei. Hiervon wurden die Darmstädter durch den an hiesiger Universität damals weilenden Studiosus v. Stockhausen, welcher die gedruckten Exemplare des neuen Landboten nach Gießen brachte, in Kenntniß gesetzt. Dem entsprechend blieb auch vorerst ein zum Abdruck uns zugesandtes Manuscript, welches einen von Weidig gefertigten Auszug aus der Schrift des Abbé de Lammenais „Paroles d’un croyant“ enthielt, ungedruckt liegen. Nichtsdesto<75>weniger ging uns Ende Februar des folgenden Jahres wieder ein Manuscript, welches mit den Stichworten „Freiheit, Fürst“ als Fortsetzung eines schon früher verbreiteten sogenannten Bauern-Conversationslexikons gelten sollte, zum Abdruck, und zwar mit dem Bemerken zu, man wünsche denselben nur, um aus dem Weitererscheinen von Blättern dieser Art darzuthun, daß ganz Andere als diejenigen, welche aus Anlaß der früher erschienenen in Untersuchung und Haft sich befänden, die wirklichen Thäter seien. Es wurde jedoch der gewünschte Abdruck abgelehnt, schon weil man nicht riskiren wollte mit einer Tertianer-Arbeit sich zu blamiren.
Nichts destoweniger kam 3–4 Wochen später, am 27. März der Studiosus Clemm zu mir, um wiederholt den ungesäumten Abdruck zu begehren.
Nach einer im Beisein Clemm’s Statt gefundenen Besprechung Mehrerer der hiesigen Betheiligten <76> kam man überein, ein Blättchen mit den Stichwörtern „Freiheit, Fürst“ zwar drucken zu lassen, jedoch das Manuscript hierzu unsererseits anzufertigen. Zugleich wurde als conditio sine qua non von mir verlangt, daß Clemm selbst die gedruckten Exemplare abhole, wozu sich derselbe auch bereit erklärte. – Da ich an selbem Nachmittag noch einige Zeit mit Clemm allein zu sammen war, brach dieser plötzlich, ohne irgend gegebene Veranlassung, mit der Aeußerung hervor: „ich muß Ihnen doch noch etwas Schönes mittheilen. Stellen Sie sich einmal vor, kürzlich ging im Zirkel unserer Gießener Gesinnungsgenossen das Gerede, ich sei in Darmstadt bei Staatsrath Knapp gewesen, und wozu? zu nichts Anderen, als um der Behörde unser ganzes Complott in die Hände zu spielen! Ich bin allerdings vor einiger Zeit während eines mehrtägigen Aufenthalts zu Darmstadt öfters im Knapp’schen Hause gewesen, aber wozu? um mit einem Sohne Knapp’s, der gleich mir in Gießen studirt zu ex<77>perimentiren.“ Diese ohne alle in dem Augenblick gegebene Veranlassung gemachte Rechtfertigung hätte mich allerdings um so mehr stutzig machen sollen, als bereits vor Wochen mir zu Ohren gekommen war, Clemm habe mit einer aus hocharistokratischer Familie stammenden jungen Dame ein Liebesverhältniß angeknüpft. Wenn dieß nun doch nicht geschah, so trug Weidig die Schuld. Diesem machte ich nämlich gleich damals Mittheilung von dem Gerüchte, wobei ich zugleich mein Bedenken kund gab, ob unter diesen Umständen Clemm noch unser Mann sein könne, worauf jedoch Weidig eben so bald erwiederte: die Marburger sollten sich um ihre Leute bekümmern und nicht um die Darmstädter, ja! – fügte er an – ein solches Verhältniß Clemms könne uns sogar Nutzen bringen. Diese Auslassung Weidigs beruhigte mich um so leichter, als – ich muß es gestehen – ich diesen Clemm vor allen anderen der zu uns gehörigen jüngeren Leuten lieb gewonnen hatte.
<78> Ein Candidat der Medicin, Namens Weller, fertigte den Artikel „Freiheit“ an, ich den Artikel „Fürst“. Dem von Weller angefertigten Artikel fügte ich übrigens auch noch einen passenden Schluß an. Der Artikel „Fürst“ – ich muß es sagen – macht mir noch heute in der Rückerinnerung Vergnügen, denn auf noch nicht zwei Octavseiten des Abdrucks war so ziemlich Alles gesagt, was in dieser Richtung gesagt werden konnte.
Der fertige Abdruck sollte mir Sonntag den 5. April Abends behändigt werden. Hiervon setzte ich Clemm in Kenntniß, damit er an selbem Abend noch komme. Der Drucker lieferte zu festgesetzter Zeit auch ab.
Eigen war es, daß während ich bisher alle einschlägige Manuscripte und Drucksachen unbedenklich bei mir bewahrte, ich dieses Mal eine gewisse Bange fühlte. Deshalb suchte ich auch die Druckexemplare gleich nach Empfang bei v. Breidenbach, welcher in meiner Nähe wohnte, unterzubringen, was aber nicht gelang, weil ich denselben nicht antraf. Indem ich fürchtete, <79> dachte ich übrigens nur an den Drucker, dem ich kein besonderes Vertrauen schenkte.
Clemm kam trotz der Verabredung nicht selbst, sondern in seinem Auftrag ein Studiosus Becker aus Gießen. Diesem händigte ich aber die gedruckten Exemplare um so weniger ein, als mir schon bekannt war, daß die Darmstädtische Gensdarmerie angewiesen sei, ihn ausserhalb Gießen scharf im Auge zu behalten.
Folgenden Tags, wo ich vom Drucker gewiß nichts mehr zu fürchten hatte, traf ich dennoch mit Dr. Heß die Verabredung, am Abend bei ihm die Drucksachen zu deponiren. Ich wurde aber an der Ausführung dadurch verhindert, daß ich bis Mitternacht bei einem Kranken zu verbringen hatte. Und was folgte? Meine Befürchtung ging wirklich in Erfüllung, ob schon von ganz anderer Seite, als derjenigen, welche allein mir vorgeschwebt hatte.
<80>
Drittes Kapitel.
Die erste Untersuchung insonderheit soweit sie mich speciell betraf.
Es war am 7. April 1835, Morgens sieben Uhr, als es bei mir anklopfte und ich in dem Anklopfenden sofort keinen Anderen als Polizei vermuthete. Herein trat auch wirklich ein Polizeicommissar mit einem Polizeisergeant. Von Ersterem wurde mir eröffnet, daß er mich zu vernehmen habe. Die Fragen, welche an mich gerichtet werden sollten, waren auf ein Blatt notirt, welche[s] er auf den Tisch, woran er neben mir Platz genommen hatte, vor sich legte. So kam es, daß ich alle Fragen schon überblickt hatte, ehe noch die dritte gestellt war. In dieser erkannte ich schon sofort den Verräther und zwar den Studiosus Clemm als solchen. Ich machte mich daher um so mehr auf die eintretende Verhaftung schon gefaßt, als das Paquet, in welchem sich die eben gedruckte Flugschrift befand, bei einer Nachsuchung <81>gleich aufgefunden werden mußte. Nach beendeter Vernehmung ging das aufgenommene Protocoll an den Polizeidirector, welcher Durchsuchung meiner Wohnung anordnete.
Bei dieser wurde natürlich das fragliche Paquet alsbald aufgefunden. Ausser diesem fand sich aber auch noch Verschiedenes vor, welches man ebenfall[s] an sich nahm. Alles dieses ging dann an den Polizeidirector, welcher hiernach meine Verhaftung anordnete, dieses jedoch, was ich heute noch anerkennen muß, nicht ohne die Weisung, auf einem Seitenweg mich abzuführen und für ein anständiges Local Sorge zu tragen. Da ich früher mehrere Jahre als stellvertretender Gefängnißarzt fungirt hatte, so kannte ich bereits die Localitäten und bat mir das sogenannte Thurmstübchen aus, welches die schönste Aussicht auf die Stadt und die Umgegend gewährte, dasselbe, welches vier Jahre später Jordan bewohnen mußte.
Eines Zwischenvorkommnisses muß ich hier noch gedenken, ehe ich in der Mittheilung des Weiteren fortfahre. Während der Durchsuchung meiner Wohnung trat ein Commis des damaligen hiesigen Buchhändlers <82> Garthe in das Zimmer, um mir einen Brief zu behändigen, welcher ihm zu alsbaldiger Besorgung an mich zugegangen sei. Natürlich bemächtigte sich der Polizeicommissar des Briefes, öffnete denselben und steckte ihn dann in seine Tasche, so daß ich also zunächst nicht einmal erfuhr, von Wem er sei. Erst im Verlauf der Untersuchung und zwar im dritten Verhöre bekam ich Kenntniß von Beidem. Der Brief war von Clemm, welcher Mittheilung machte über die erfolgte Verhaftung Beckers und so that, als liege es ihm sehr am Herzen, mich vor möglicher Ungelegenheit zu warnen. Ich wußte wirklich nicht gleich, wie ich den Brief ansehen solle und – ich gestehe es – war fast geneigt anzunehmen, Clemm habe plötzlich Reue bekommen und gesucht einzulenken; dann aber sagte ich mir, daß er vielleicht die Bestimmung habe, jeden Verdacht, welcher bei mir gegen ihn aufkommen könnte, zu entfernen. Kam es nun aber doch im Laufe der Untersuchung bei mir mehr und mehr ausser Zweifel, daß Clemm den Verrath wirklich gespielt und zwar planmäßig, sowie im Einver<83>ständniß mit der Behörde gespielt habe, so erhielt dieses volle Bestätigung, da wo ich bald nach überstandener Festungshaft mit August Becker zusammen traf. Dieser erzählte mir also: er sei, nachdem er am Abend des 5. Aprils bei mir gewesen, am anderen Morgen auf der Rückreise plötzlich von Gensd’armen aufgegriffen und der Gießener Untersuchungsbehörde zugeführt worden. Nachdem man ihn untersucht und nichts gefunden habe, sei er auf der Stelle wieder frei gegeben worden. Gleich nachher sei Clemm zu ihm gekommen, um, wie er sagte das Paquet Flugschriften in Empfang zu nehmen. Als derselbe den Sachverhalt von ihm vernommen, habe er gesagt, es sei möglich, daß man ihn von Neuem verhafte, für diesen Fall wollten sie die Verabredung treffen, daß Becker gleich nach dem Verhöre, welchem man ihn vielleicht unterziehen werde, ihm, Clemm, der unter den Fenstern des Haftlocals auf der Lauer stehen wolle, eine kurze Notiz über das Verhör zuwerfe, um ihn in den Stand zu setzen, nach Marburg eben so bald über das Vorgekommene Meldung zu machen. Schon wenige Stunden nachher sei er, <84>Becker, auch wirklich wieder verhaftet und eben so bald wieder vernommen worden. Hiernach habe er der Verabredung entsprechend dem Clemm eine kurze Notiz zugeworfen, welche aber von einem Officianten der Untersuchungsbehörde, der aus einer Ecke plötzlich hervorgesprungen war, abgefaßt worden sei. Ist nun schon hieraus ersichtlich, daß dieses Ganze zwischen dem Untersuchungsrichter und Ehren-Clemm verabredet gewesen sein müsse, so wird es vollends noch dadurch bestätigt, daß man Clemm, welcher doch nun auch auf der Stelle hätte angehalten werden müssen, ruhig ziehen ließ. Hatte man ihn ja ausserhalb noch sehr nöthig! Wenn nun aber nach Monaten wirklich noch seine Verhaftung erfolgte, so geschah dieß nur zum Schein, was schon aus der Art der Ausführung seiner Haft, welche auch nur kurze Zeit dauerte, hinlänglich an den Tag getreten sein soll.
Nach dieser Zwischenbemerkung fahre ich nun mit der Mittheilung des mich speciell Angehenden fort:
<85> Sobald die Thür hinter mir geschlossen war, verbarg ich mir keineswegs, daß ich nun mindestens zehn Jahre hinter Schloß und Riegel zu verbringen haben werde. Es hieß nun vor Allem, Ehre retten.
Mein Nächstes war also die Tactik, welche ich bei den Verhören zu beobachten haben werde, festzustellen.
Überlieferung
Handschrift: Familienbesitz Eichelberg, Jerusalem; Druck: MBA II.2, S. 149–157.