HL Dok 1.3.3. –
Verhörprotokolle August Becker; Darmstadt 25. und 28. Juli sowie 1. November 1837

 

<311> Verhör vom 25. Juli 1837.

„In der Voraussetzung, daß es dem Gericht von Wichtigkeit sein werde, den Weidig, der einen so bedeutenden Einfluß auf seine Mitschuldigen gehabt hat, so genau wie möglich kennen zu lernen, werde ich die Frage nach seinem Charakter etwas weitläufiger beantworten. Sollte ich auch aus mehrfachen Gründen ungeschickt sein, über diesen so verschieden beurtheilten Mann ein Urtheil auszusprechen, so bin ich doch durch einen langen Umgang mit ihm in den Stand gesetzt, manche Ansichten, Aeußerungen, sowie Einzelheiten aus seinem Leben anzuführen, nach welchen man sich ein Bild von seinem Charakter entwerfen kann. Auf diese letzte Art der Darstellung werde ich mich hauptsächlich beschränken.

Weidig hat mir oft erzählt, daß er in seiner Jugend ganz menschenscheu gewesen, beständig in seinem Zimmer über seinen Büchern gesessen, und, was sehr gegen sein späteres Wesen absticht, schon in seinem 15. Jahre ein solcher Freund der hebräischen Geschichte und Sprache gewesen sei, daß er den Urtext des alten Testaments fast auswendig gewußt habe.

In dieser Disposition fand ihn die Zeit der Befreiungskriege und s. g. Deutschthümelei. Die geistreichsten der damaligen Schwärmer, die beiden Dr. Follenius, Professor Snell, Sartorius in Mexiko und Andere sind seine Freunde gewesen, so wie die Professoren Welcker, die Gebrüder Münch und Frank und Andere, die sich ebenfalls nach dieser Seite neigten. Wie weit er sich von dem Geist und den Bestrebungen der damaligen Zeit hat fortreißen lassen, weiß ich nicht genau; jedenfalls hatte er gesunden Verstand genug, um nicht bei seinem Streben nach Freiheit wieder ganz in den Dunst des Mittelalters hineinzugerathen und Vorsicht oder Glück genug, sein Vaterland nicht verlassen zu müssen, was er, wie er mir sagte, nur im äußersten Nothfalle würde gethan haben. Er hat mir manches Charakteristische aus jener Zeit erzählt und über manche Schwärmereien seiner Jugendgenossen gelacht. Nur einen einzigen Umstand will ich hier anführen, weil er zugleich auch den Weidig charakterisirt.

<312>Ich weiß nicht, um welche Zeit Weidig einmal in eine politische Untersuchung gezogen worden ist. Er sagte mir, es seien damals Leute in Deutschland herumgereist, die sich für Agenten der preußischen Regierung ausgegeben hätten, mit dem vorgeblichen Auftrag, die deutschen Patrioten zu einer Vereinigung zu bewegen, welche es sich zum Zweck machen solle, die deutschen Staaten alle unter preußischen Scepter zu vereinigen, um so das Benehmen der preußischen Regierung, welche dann zu einem günstigen Zeitpunkte mit den Waffen eingreifen wolle, zu beschönigen, indem dieselbe alsdann sagen könne, daß sie sich durch den Wunsch der Patrioten und durch die Nothwendigkeit, den Unruhen, welche der verführerische Gedanke der Einheit Deutschlands erzeugen müsse, ein Ende zu machen, – zu diesem Schritt habe bestimmen lassen. Weidig sagte, man habe diesen Leuten gleich Anfangs nicht getraut und sie ganz abgewiesen, als man erfahren habe, daß man Deutschland blos zu einem preußischen und nicht zu einem deutschen Staate machen wolle. Weidig hat mir sowohl den Agenten, der diese Anträge gemacht, als auch den preußischen Minister, der davon habe wissen sollen, genannt. Ich habe ihre Namen vergessen.

Die Untersuchung, welche damals gegen Weidig geführt wurde, ist von Sr. Königl. Hoheit dem verstorbenen Großherzoge, auf persönliches Nachsuchen Weidig’s, niedergeschlagen worden. Er erzählte oft und nicht ohne seine Dankbarkeit und Hochachtung gegen den Großherzog auszudrücken, wie gnädig er von demselben empfangen und befördert worden sei.

Auch scheint Weidig mit einer Adresse, welche in den 20r Jahren an den König von Würtemberg überschickt worden sein soll, um ihn aufzufordern, sich des deutschen Kaiserthrons zu bemächtigen, zu thun gehabt zu haben. Er sprach wenigstens oft von dieser Begebenheit, sowie von dem König und dessen Tugenden. Er war tief ergriffen, als er mir erzählte, daß derselbe, als er zur Zeit des Frankfurter Aufruhrs die Untreue seiner Soldaten erfahren, vor Gram in mehreren Tagen nichts gegessen habe. – Alles, was ich hier und früher über den König von Würtemberg angeführt habe, will ich blos als Ansichten und Erzählungen Weidig’s betrachtet wissen.

Nach Verlauf jener enthusiastischen Zeit scheint Weidig, wie alle Welt, sich zu gemäßigteren politischen Hoffnungen bequemt zu haben. Er war der Erste, wie er sagte, welcher die Petition an den verstorbenen Großherzog um Ertheilung einer landständischen Verfassung unterschrieb.

Zwei Eigenschaften indessen hat er mit aus der früheren Periode herübergebracht, nämlich eine unbegränzte Vaterlandsliebe, die nie frei von Schwärmerei und Vorurtheil war, und einen fast zelotischen <313> Eifer für gewisse oft rigoristische Grundsätze der Moral. Diese Eigenschaften scheint er in der Periode von 1825–30, wo sie fast ganz aus der Mode gekommen waren, seinen Schülern mitgetheilt zu haben. Da man die späteren Ereignisse damals nicht voraussehen konnte, so kann er dabei keine andere Absicht gehabt haben, als seine Schüler – um mich eines Ausdrucks zu bedienen, den er selber oft gebrauchte – zu ächten deutschen Männern zu erziehen. Wie er nach der Julirevolution gedacht und gehandelt, wird aus Manchem, was ich jetzt anführen will, hervorgehen. Man hat ihn oft für einen heftigen Republikaner gehalten. Er war es nicht. Wenn ich mit ihm über diesen Gegenstand sprach, führte er immer eine Stelle aus dem Xenophon an, wo Sokrates sagt, daß alle Staatsformen schlecht und gut sein könnten. Doch war Weidig von dem größten Eifer für die Umgestaltung Deutschlands belebt. Diesen Eifer betrachtete er als Pflicht. Wenn ich mich irgend auf die Beurtheilung eines Menschen verstehe, so kann ich versichern, daß Weidig durchaus keine egoistischen Zwecke bei seinen politischen Bestrebungen hatte. Ebenso müßte ich die Unwahrheit sagen, wollte ich behaupten, daß er egoistische Motive angewandt habe, um einen Andern für seine Absichten zu gewinnen. Er sagte, es sei daraus unter den gegenwärtigen Umständen nichts mehr zu hoffen, der deutsche Bund sei eine unnatürliche Vereinigung, in welcher die absoluten Mächte die constitutionellen Fürsten decimirten, wenn diese auch etwas für die Sache der Freiheit thun wollten u. s. w. Wer daher noch einen Funken von Ehrgefühl und Vaterlandsliebe habe, müsse keine Gefahr scheuen, um eine Veränderung der Dinge herbeizuführen u. s. w.

Wenn sich Weidig in seinem politischen Verkehr nach den verschiedenen Meinungen der Anhänger verschiedener Parteien richtete, so beging er damit keine Heuchelei (?), da er jeder liberalen Partei, in so fern sie revolutionäre Neigungen hatte, angehörte, und wenn er auch bei den Gemäßigten sagte, daß er die Meinungen der heftigen Radikalen nicht billige, so hielt er dieses für eine fraus pia und meinte, die Gemäßigten würden sich bald überzeugen, daß auf friedlichem Wege nichts mehr zu erlangen sei.

Weidig ist, was er mir freilich nicht ausdrücklich gesagt hat, Verfasser der vier ersten Nummern des Leuchters. Als ich einst einige Exemplare bei ihm sah und meine Mißbilligung über einige darin vorkommende Persönlichkeiten, die zu nichts führen könnten, aussprach, sagte er: „diese Blätter sind für die Schwachen, die nur an solchen Speisen Geschmack finden.“

Die Eigenheiten Weidig’s, die ich bisher angeführt habe, verbunden mit einem großen Mangel an Menschenkenntniß, haben ihn zu Grund<314>sätzen und Handlungen verleitet, die allerdings einen trüben Schatten auf seinen Charakter werfen.

Er kannte mehrere Leute, die nach seinen Begriffen sehr unsittlich lebten und dabei aristokratische Meinungen hegten. Daraus scheint er den Schluß gezogen zu haben, der Aristokratismus als Parteisache sei mehrentheils eine Folge der Unsittlichkeit und daher sein außerordentlicher Haß, den er selbst mehrere Jahre gegen seinen leiblichen Vater aus dieser Ursache soll gezeigt haben. So glaubte er auch fest, die Offiziere, welche den Lieutenant Schulz verurtheilt, seien wohl von dessen Unschuld überzeugt gewesen, hätten ihn aber ihrem eigenen Vortheil aufgeopfert. Ich hatte einmal einen lebhaften Streit deßhalb mit ihm, und als ich nun, um ihn nicht noch mehr zu erzürnen, endlich schwieg, sagte er: „Ja, wenn ich mich überzeugen könnte, daß sie gut wären und nach Ueberzeugung handelten, dann wollte ich der treueste Unterthan sein, und wenn der Zustand Deutschlands noch zehnmal so erbärmlich wäre.“ Er meinte damit die Regierenden überhaupt, denn unser Streit hatte eine allgemeinere Richtung genommen etc.

Verhör vom 28. Juli 1837.

„Die politischen Meinungen Weidig’s waren nicht ohne Einfluß auf sein Benehmen als Pfarrer etc. Zweimal täglich besuchte er die Schule und ließ außerdem noch die Schulkinder zu sich in’s Haus kommen, um ihnen nach dem Clavier Gesangunterricht zu geben. Selbst den Bauernburschen gab er nach dem Abendessen Unterricht im Rechnen und in der deutschen Geschichte. In seinen Predigten suchte er namentlich das Selbstvertrauen seiner Zuhörer in Bezug auf ihre eigene moralische Kraft zu erwecken. ‚Bauern, sagte er, glaubten noch an Gott im Himmel; man müsse sie lehren, an Gott im Menschen zu glauben.’ Doch waren ihm bei aller parteiischen Vorliebe für die Bauern deren Laster nicht entgangen. Er eiferte gegen ihre Habsucht und kündigte von der Kanzel an, daß er zu dem unsittlichen Leben der jungen Leute nicht schweigen werde etc. Die Bauern würden ihn wegen seiner unberufenen Einmischung in ihre Privathändel gehaßt haben, hätte er nicht auf andere Weise vielfach gezeigt, wie wohl er es mit ihnen meine. Er unterstützte sie mit Geld, er bewirthete sie, besuchte sie in ihren Wohnungen und speiste mit ihnen; er ließ sich ihre Volkslieder lehren u. s. w., ohne sich dabei jemals gemein mit ihnen zu machen. Doch glaube ich, daß ihn zu diesem Benehmen mehr seine persönliche Neigung, als gerade politische Absichten bewogen, denn er fand viel Vergnügen an dem einfachen Gemüthszustand der Landleute etc.

Weidig war in der Theologie ein Supernaturalist. Er glaubte an das Evangelium und meinte, daß es mit dem Geiste des Liberalismus nicht im Widerspruch stehe. Die Stelle: ‚werdet nicht der Menschen <315> Sclaven, denn ihr seid theuer erkauft’ führte er im Munde. Selbst die Rechtlichkeit der Einheit Deutschlands suchte er aus der Bibel zu beweisen. ‚Wir sind, sagte er, nach den Gesetzen der Natur und somit Gottes ein Volk, und was Gott zusammen fügt, soll der Mensch nicht scheiden.’ Die Einheit Deutschlands war es, was ihn eigentlich noch am meisten quälte. Man merkte ihm dabei noch sehr deutlich den früheren Deutschthümler an. Er war sehr gastfrei; er tractirte selbst Bauern von andern Orten, die ihn besuchten, mit Wein, während er selbst nie einen Tropfen trank. Seine Wohlthätigkeit gegen solche, gegen welche er ein politisches Interesse hegte, war außerordentlich. Seine Frau hat mich einmal gefragt, ob ich es für recht halte, daß er fast sein ganzes Vermögen den polnischen Flüchtlingen geschenkt habe?

Unter den Deutschen liebte Weidig am meisten diejenigen, welche ihre alten Sitten beibehalten haben, namentlich sprach er viel von den Friesländern, bei welchen noch der alte Freiheitssinn herrschen solle. Die Oestreicher zog er den Preußen vor, sprach spottend von den rheinbayerischen und mainzischen Republikanern; für die Schweizer, Spanier und Griechen hatte er eine große Vorliebe, weniger für die Polen. Ueberhaupt machte er sich nicht viel aus dem, was man Civilisation nennt, was schon aus dem Vorhergehenden und seinem Haß gegen die Vornehmen, den er auch in die Flugschrift Büchner’s hat übergehen lassen, hervorgeht. Diese letztere Eigenschaft hatte einen großen Einfluß auf sein Benehmen und verschaffte ihm eine gewisse Popularität. Wenn man seine strengen Grundsätze der Sittlichkeit stehen ließ, wenn man den Göthe nicht vertheidigte u. s. w., so war mit Niemanden leichter fortzukommen, als mit ihm; selbst gegen Bauern machte er im Gespräch nicht einmal den Vorzug einer höheren Bildung geltend, und gegen junge Leute kaum den eines höheren Alters. Dazu kam noch, daß er das Revolutionäre, was jungen Leuten schon von Natur inne wohnt,immer ermunterte und billigte, statt daß sonst die älteren Leute dasselbe gewöhnlich mißbilligen. Er lobte z. B. meinen Bart, den sonst alle Gebildeten an mir verabscheuten. Aus solchen Kleinigkeiten entstehen unsere Zuneigungen! Doch würde ich ihn schwerlich so oft besucht haben, wäre nicht seine Frau gewesen, die, um wenig von ihr zu sagen, in einem ebenso ausgezeichneten Grade geistreich als tugendhaft und bescheiden war. Damit soll nicht gesagt sein, daß Weidig das Letztere nicht gewesen sei. Nein; bei all seinen Sonderbarkeiten hatte er doch, wenigstens in seinem äußeren Benehmen, nichts von einem Weltverbesserer, Kannegießer, Tugendhelden u. dgl. an sich; und selbst, wenn er am heftigsten gegen die Aristokraten eiferte, zeigte sich immer noch ein gewisser schmerzlicher mitleidiger Ausdruck in seinem Gesicht, gleich als wenn es ihm leid thue, <316> daß er das alles sagen müsse. Ich habe früher gesagt, daß Weidig auch meine Ansicht in Bezug auf den Eid erschüttert habe. Es scheint, als habe hier das Ansehen des Predigtamtes einen Einfluß auf mich gehabt, den ich sonst wohl schwerlich der bloßen Person Weidig’s und seinen Gründen würde gestattet haben. Doch haben sich die religiösen Eindrücke, welche ich in meiner Jugend erhalten, immer wieder hergestellt, wenn sie auch zuweilen erschüttert worden sind, und so auch hier.

Indessen war doch, wie schon oben gesagt, auch sein persönlicher Einfluß außerordentlich groß und ausgebreitet. Man muß ihn selber genau gekannt haben, um sich hiervon eine genaue Vorstellung zu machen. Wenn Weidig einmal wußte, daß Jemand liberalen Meinungen huldige, so nahm er sich, wenn er irgend einen Dienst von ihm gethan haben wollte, nicht die Mühe, denselben zu überreden, sondern er befahl ihm von oben herunter; aber dieses wieder mit so viel Freundlichkeit, daß man ihm über seine Zumuthungen nicht böse werden konnte. Man konnte einem Manne, dem man es deutlich ansah, daß er eine Sache, die Andere vielleicht nur als Nebensache betrachteten, so ganz und gar zum Hauptzweck seines Lebens gemacht hatte, nicht leicht etwas abschlagen. Ich darf wohl ohne Uebertreibung sagen, daß Weidig so die mittelbare Ursache der Verhaftung aller meiner Mitgefangenen geworden ist. Außerdem, daß er seine Freunde selbst besuchte, hielt er sie noch beständig durch abgeschickte Boten, Flugschriften und Aufträge in Athem. – Die Buchdruckereien, in welcher die Flugschriften gedruckt worden sind, hat er selber ausgemacht und vielleicht sind die Drucker nur durch sein Zureden zu solchen gefährlichen Unternehmungen bewogen worden; schwerlich würde eine einzige der in Frage stehenden Flugschriften ohne seine Aufmunterung und sein Zureden erschienen sein. – Auf den Einfall, eine geheime Presse zu errichten, ist er, soviel ich weiß, zuerst gekommen. – In Bezug auf seinen Antheil am Frankfurter Aufruhr kann ich außer den angeführten Thatsachen keine andere mittheilen; doch kann, aller Vermuthung nach, dieser Antheil nicht unbedeutend gewesen sein. Wenn Weidig überhaupt ausgezeichnete Fähigkeiten besaß, so waren es die, welche dazu gehören, der Leiter einer ausgebreiteten Verschwörung zu sein. Schon sein ausgezeichnetes Gedächtniß, welches er in dieser Hinsicht besaß, war erstaunenswerth; es schien, als kenne er die liberalen Meinungen eines jeden Einzelnen im Großherzogthum,von seinen Verbindungen, die er außerhalb haben mochte, zu schweigen. Er wußte alles zu arrangiren,er hatte in allen Verlegenheiten einen augenblicklichen Rath u. s. w. Das System des Läugnens,welches schon unter den Friedberger Gefangenen eingeführt war, <317>hat er, wenn auch nicht erfunden, doch empfohlen und ausgebildet. Es scheint, als habe er gleich nach der Arrestation Gladbach’s seine Agenten ausgeschickt, um die Aussagen der Schuldigen in Uebereinstimmung zu bringen. Was mich betrifft, so war ich so unerfahren in diesen Dingen, daß ich, wie Sartorius, glaubte, die Aussagen zweier Mitschuldigen constatirten einen Beweis, und auch Ludwig Becker scheint die Belehrungen, die er mir in dieser Hinsicht mitgetheilt hat, auch anders woher erhalten zu haben. Ich glaube jetzt genug über Weidig gesagt zu haben. Man wird es dieser Darstellung schon angehört haben, daß ich von einem Todten rede. Es mögen jetzt drei oder vier Monate sein, daß mir ein Gefangener aus Nr. 13. des Bezirksgefängnisses in der Nacht so heftig an der Wand klopfte, daß ich aus dem Schlaf erwachte, und mir dann so laut, daß ich es auf meinem Bett hören konnte, zurief: daß er mir eine große Neuigkeit aus der Freiheit mitzutheilen habe. Ich gab ihm endlich ein Zeichen, daß ich ihn anhören wolle, er sagte mir, daß sich einer von den Demagogen die Adern aufgeschnitten habe, ein Pfarrer; der Advokat Reh habe ihn in die Zeitung setzen lassen. Damit hatte ich genug etc.

Herr Hofgerichtsrath Georgi hat mir einmal gesagt, daß Weidig Eingeständnisse gemacht habe; allein, wenn Weidig bei gesundem Verstand war, als er die That verrichtete, so kann ich doch nicht glauben, daß er sie aus Verzweiflung begangen habe; vielleicht hat er geglaubt, man werde seinen Mitschuldigen um so eher das Gefängniß öffnen, wenn er sich die Adern öffne; denn er hatte in dieser Hinsicht ein weit subtileres Gewissen, als man wohl glauben dürfte.

Ich war gerade in Obergleen, als er eines Sonntags frühe die Nachricht von der Verhaftung Karl Zeuner’s bekam; darüber kam er in die peinlichste Unruhe und schickte mich auf der Stelle mit Geld nach Butzbach und mit dem Auftrag, den Vater Karl Zeuner’s zu trösten und nichts unversucht zu lassen, was das Schicksal des letzteren erleichtern könne etc“

Verhör vom 1. November 1837.

„Es ist bekannt, daß namentlich den Deutschthümlern die Theorie des Meuchelmords nicht ganz fremd gewesen ist, den ich immer als ein schändliches und feiges Verbrechen verabscheut habe, eben so sehr, als ich die Deutschthümler selbst verspottete. Wenn Weidig in seiner politischen Exaltation sagte, daß gewisse Personen den Tod verdienten, so habe ich immer auf’s Heftigste widersprochen und einmal gegen ihn geäußert, daß Sand, von dem er viel Wesen machte, verdient habe, in’s Narrenhaus zu kommen und Kotzebue nichts, als wegen seiner schlechten Gedichte gepeitscht zu werden. Ich führe dieß deßhalb an, weil <318> mir neulich einmal vorgehalten worden ist, daß Weidig mir und dem Clemm gleichsam Anmuthungen gemacht habe, einen Mord zu begehen, woraus man allenfalls schließen könnte, daß Weidig in mir eine Neigung hierzu müsse verspürt haben. Ich habe dem Weidig damals und später das Unmoralische solcher Gedanken und das Schändliche derselben für die gute Sache so eindringlich auseinander gesetzt, daß er sich später immer gleichsam geschämt hat, wenn auf etwas die Rede kam, was ihn an seine frühere Tollheit erinnern konnte etc.“

Überlieferung
Druck: Friedrich Noellner, Actenmäßige Darlegung des wegen Hochverraths eingeleiteten gerichtlichen Verfahrens gegen Pfarrer D. Friedrich Ludwig Weidig, 1844, S. 311–318 (vgl. MBA II.2, S. 77–83).